VfB Stuttgart – Lazio 0:2

Stuttgarter Verfehlungen im Sechserraum von effektivem Lazio bestraft.

Beide Mannschaften traten zu diesem Europa-League-Achtelfinale mit einigen personellen Veränderungen an und ließen bestimmte Leistungsträger zunächst einmal draußen. So agierte bei den Stuttgartern beispielsweise Winterneuzugang Alexandru Maxim zum ersten Mal von Beginn an im Mittelfeld und der geborene Römer Federico Macheda durfte in der Spitze auflaufen, während die Laziali mit Ledesma, Alvaro González oder Floccari ebenfalls einige wichtige Akteure schonten – für die aber vor allem mit Onazi und Ederson ebenfalls hochwertiger sowie letztlich spielentscheidender Ersatz bereit stand.

vfb-lazioDabei formierten sich die Gäste aus der italienischen Hauptstadt allerdings nicht im erwarteten 4-1-4-1 mit den beiden Brasilianern Hernanes und Ederson auf einer Doppel-Acht, sondern Letzerer rückte neben Kozák nach vorne, so dass besonders in der defensiven Phase ein recht klares 4-4-2 entstand, und fiel insgesamt nur selten weiter ins Mittelfeld zurück. Bei den Schwaben hingegen stellte sich die Mittelfeldzentrale in einer 1-2-Anordnung auf, wobei mit Maxim und Gentner die beiden Achter sehr offensiv ausgerichtet waren und bei ihren weitläufigen Bewegungen immer wieder die Flügel mit Okazaki und dem schnellen Traoré unterstützten – eine Strategie, die letztlich aber nicht aufgehen sollte.

Stuttgarts Löcher im Mittelfeld

Das Hauptproblem der Stuttgarter war in dieser Partie nämlich, dass sie die Sechser- und teilweise auch die Achterräume nicht präsent genug besetzt bekamen. Besonders Gentner trieb sich nur äußerst selten in diesen Bereichen herum, eher fiel Maxim gelegentlich zurück, während Macheda versuchte, sich als ablegender und kombinationsstarker Mittelstürmer in den Achterräumen einzubinden.

Gelegentlich konnte der VfB mit diesem vorwärtsgerichteten Spiel die grundsätzlich mannorientiert verteidigenden Laziali im Mittelfeldzentrum aus deren Positionen ziehen und damit den Weg für Vorstöße von Kapitän Serdar Tasci freimachen, der aus diesen Situationen den einen oder anderen gut getimten Diagonalball auf die linke Seite zu spielen wusste. Ansonsten stockte das Aufbauspiel der Schwaben durch die fehlende Präsenz in den tiefen Mittelfeldbereichen aber erheblich und sie mussten immer wieder auf ungenaue lange Bälle (insgesamt über 100 Stück, prozentual etwa 20 % aller Pässe) oder direkte Vertikalzuspiele aus sehr tiefen Bereichen setzen und damit mehrere Formationslinien überspielen.

Meistens waren sie dann durch die schnelle Verlagerung in die engeren Offensivräume zum direkten Weiterspielen gezwungen, wurden dann aber zumindest in der Zentrale schnell hektisch und verloren dort dementsprechend die meisten Bälle. Aufgrund der Flügelorientierung ihrer beiden Achter griff der VfB allerdings ohnehin vermehrt über die Seiten an und wollte dort durch diese heraus rochierenden Zentrumsspieler Überzahlen in hohen und tornahen Zonen herstellen.

Gefangen auf den Außenbahnen

Doch mit der Zeit wurde diese Strategie für Lazio durchschaubar und entsprechend einfach zu verteidigen. Mit konsequentem Verschieben, Zustellen der Offensiv-Verbindungen zur Mitte und dafür etwas weniger Augenmerk auf die zentralen Achterräume gelang es Lazio anschließend über weite Strecken sehr effektiv, die Stuttgarter trotz deren Support durch Maxim und vor allem Gentner bei ihren Angriffen auf den Seiten festzunageln, so dass die Bemühungen des Bundesligisten weitgehend versandeten.

Diesem fehlte nämlich von den Seiten der mögliche Weg ins Zentrum, um von dort zum Torerfolg zu kommen – es blieben einzig das Durchspielen über die Außenbahn mit anschließenden Flanken, die durch einige gute Läufe Okazakis auch am ehesten Gefahr erzeugten, oder der sehr umständliche Rückpass, den die Laziali zumindest in sehr tiefe Bereiche zuließen.

Durch jene Rückpässe spielte Stuttgart praktisch diagonal von den eigentlichen potentiellen Überzahlbereichen seitlich-vorne weg und in die ursprünglichen, zentralen Problemräume wieder hinein, weshalb diese Befreiungen aus der Enge wie Rückschritte wirkten. Von dort hatten sie dann weiterhin keine Verbindungen nach vorne, wenn Kvist dort im Sechserraum an den Ball kam oder Gentner dann mal rückwärts in die Halbräume dribbelte – von den gefährlichen Akteuren waren sie stets isoliert und hatten fast keine produktiven Anspielstationen in der Tiefe des Zentrums.

Lazios Offensive

Auch defensiv schlugen sich die besonderen Aspekte der Stuttgarter Spielanlage nieder – und zwar nicht im positiven Sinne, denn in den freien zentralen und halbseitigen Mittelfeldräumen, die von den nach außen oder sehr offensiv vorrückenden Mittelfeldspielern freigelassen wurden, fand Lazio ein ums andere Male viele Lücken und Freiheiten für schnelle Konterangriffe vor, die sie von dort nach vorne treiben konnten.

Aus dem Aufbau heraus wählten die Laziali bei gegnerischem Druckaufbau meistens relativ früh den langen Ball, weil die beiden eigenen Sechser gegen das 4-1-4-1 der Schwaben nur relativ passiv von ihren Vorderleuten unterstützt wurden, einige Situationen zwar individuell sehr gut auflösten und die Bälle dann weiterspielten, meistens aber ihren Innenverteidigern die Initiative zurückgeben mussten – welche dann die wenig riskanten langen Bälle wählten.

Dies war allerdings keineswegs eine schlechte Vorgehensweise, denn Kozák und die beiden Außenspieler behaupteten viele Zuspiele durchaus effektiv, während Ederson sich recht intelligent auf Abpraller postierte – diesen Instinkt zeigte er dann auch beim etwas glücklich entstandenen Führungstor, als er den Verantwortungsbereich auf rechts von Candreva mit übernahm.

Überhaupt waren die Verbindungen und Interaktionen zwischen diesen beiden Akteuren interessant – gelegentlich kombinierten sie im rechten Halbraum, gelegentlich übernahm Ederson eben den Verantwortungsbereich Candrevas, damit dieser sich mit auf die linke Seite Lazios einschalten konnte, wo er Lulic jene Unterstützung gab, die der eher vorsichtige Radu nicht lieferte. Während Hernanes etwas absichernder agierte und für Zuspiele über etwas längere Distanzen sowie sporadische Vorstöße sorgte, war es verstärkt Candreva, der mit Tempo in die Räume zwischen Tasci und Sakai ging, wenn dieser gegen den tieferen Lulic zu weit herausrückte. Darüber hinaus gab es noch normale Überladebewegungen der beiden Außenspieler auf links, die ebenso zu den 41 % gespielten Angriffen über diese Flanke beitrugen, aber nicht so einen großen Effekt auf das Spiel hatten wie obiger Aspekt.

Labbadias offensiver Wechsel – und etwas Pech, dass er nicht aufging

Der Beginn der zweiten Halbzeit brachte einen interessanten Wechsel bei den Schwaben – nach 55 Minuten brachte Bruno Labbadia angesichts des Rückstandes Harnik für Kvist und setzte damit nominell alles auf Attacke. Dies wirkte in Anbetracht des bisherigen Spielverlaufs allerdings nicht nur wie ein gewagter, sondern eventuell kontraproduktiver Zug – schließlich nahm Labbadia seinen einzigen wirklichen Sechser, der die tiefen Mittelfeldräume besetzt hatte, aus der Partie und warf einen weiteren Offensivspieler hinein, der nur in der Luft hängen würde.

Ganz so extrem stellte es sich unmittelbar nach der Auswechslung allerdings nicht dar – nach einem Einwurf war der VfB bei Spielfortsetzung in Ballbesitz und von der neuen „Doppel-Sechs“ Gentner/Hajnal schien gerade Ersterer nun deutlich mehr Verantwortung für die zuvor verwaisten Räume zu finden. Indem er vermehrt nach rechts hinter den hochschiebenden Sakai abkippte, ergab sich eine bessere Raumaufteilung und die beiden eigentlichen Offensivspieler in der Mittelfeldzentrale schienen den Verlust Kvists kollektiv durchaus kompensieren zu können.

Von daher war es natürlich unglücklich, dass am Ende dieser Ballbesitz-Phase nur gut 100 Sekunden nach dem Wechsel dieser praktisch sofort für das 0:2 verantwortlich und in gewisser Weise auch gescheitert war: Nach einem Ballverlust im Mittelfeldzentrum gegen Gentner konnte Onazi von der Mittellinie bis zum Treffer durchlaufen. Hier zeigte sich der wirkliche Nachteil bei der Auswechslung – Gentners erhöhte Aufbauverantwortung mochte im offensiven Sinne den Verlust Kvists zwar auffangen können, doch in der Defensive fehlte nun jegliche Absicherung, was Onazi dankend ausnutzte.

Es hätte – wenn Onazi bei seinem Dribbling erfolglos geblieben wäre – definitiv auch anders kommen können. Vielleicht hätte sich die Auswechslung dann offensiv als der große „Game-Changer“ entpuppt, doch der Spielverlauf wollte es wohl so, dass die Umstellung scheitern sollte. Nach dem Gegentreffer fanden die Schwaben dann auch offensiv ihre Balance im Mittelfeld lange nicht mehr, so dass die Verbindungen nach vorne immer undeutlicher wurden. Nur selten konnte daher das große Angriffspotential, das sich in den Offensivräumen ballte, mit Zuspielen in Szene gesetzt werden. Doch auch wenn es einmal gelang, wirkten die Akteure eher zusammengewürfelt und wenig abgestimmt, so dass Lazios gute Endverteidigung bis auf einige Ausnahmen (Okazakis Schuss, Freistoß nach Foul an Boka) die meisten Szenen klärte und das Spiel somit nach Hause brachte.

Fazit

Stuttgart schaffte es über die gesamte Spielzeit nicht, das Mittelfeldzentrum ausreichend zu besetzen, sondern war zu flügelorientiert und hatte keine Verbindungen – Lazio stellte sich dann schnell darauf ein, beengte Stuttgart folglich vermehrt auf den Seiten und war somit nur über die eine oder andere Flanke zu gefährden. Hinzu gesellten sich kleinere Detail-Probleme wie Bokas zu tiefe Stellung und seine daraus resultierende Nähe zu Rüdiger, die Candrevas Herausrückbewegungen vereinfachte und Boka selbst die durchgehende Offensivunterstützung der vielversprechenderen linken Seite erschwerte. Mit dem geschickten Ausnutzen von schematischen Freiräumen und Positionslücken (Zentrum, eigene linke Außenbahn) konnten sie auch offensiv eine geschickte, funktionale Leistung zeigen und damit einen verdienten Vorsprung für das Rückspiel herausschießen.

Auf Hinweis eines unserer User hier der Link zum Artikel über den Einwurf als taktische Standardsituation (anlässlich der Stuttgarter Chance durch Okazaki in der 15. Minute)!

BrainDrain 8. März 2013 um 19:21

Die Schwäche beim Aufbauspiel gegen gut organisierte Verteidigungen zieht sich beim VfB ja schon durch die ganze Saison. Die vertikale Staffelung bei eigenem Ballbesitz im zentralen Mittelfeld ist oft so, dass die Verteidiger oder die defensiven Mittelfeldspieler kaum Anspielstationen haben.

Insofern ist auch Labbadias Klage über die individuellen Fehler im Aufbauspiel bei Kvist, Niedermaier oder Tasci sowie teilweise auch den Außenverteidigern verfehlt. Die Häufung solcher Fehler über Spiele und Spieler hinweg ist nicht zufällig oder unglücklich, sondern strukturell bedingt – die Defensivspieler haben oft keine Anspielstationen und werden ins Dribbling oder zum riskanten Pass genötigt. Nach der Niederlagenserie zu Rückrundenbeginn hat Labbadia die Taktik insofern angepasst, als dass es offenbar jetzt die Anweisung gibt, in Fällen von Bedrängnis lieber mal den langen Ball nach vorne zu schlagen. Ansehnlicher und erfolgversprechender wird das Aufbauspiel dadurch nicht – lediglich die Ballverluste im frühen Aufbauspiel, die zum einfachen Gegentor geführt haben, werden weniger. Das führt dann zu den über 100 wirkungslosen langen Bällen, die im Artikel ja auch schön angesprochen werden.

Das Aufbauspiel war letzte Saison nach meinem Eindruck auch nicht besser, obwohl der VfB vor allem in der Rückrunde erfolgreicher spielte. Das hat nach meinem persönlichen Eindruck – ohne dass ich jetzt entsprechende Statistiken zur Hand hätte – zumindest 3 Gründe:

1. Der VfB, der ja unter Labbadia mit die besten Laufwerte hat, spielte wahrscheinlich letzte Saison mit Dortmund und evt. Mainz auch mit das intensivste Offensivpressing – er hat selbst viele Ballverluste im gegnerischen Aufbauspiel provoziert, die er manchmal gegen dann ungeordnete Defensiven auch verwerten konnte. Auf dieses Offensivpressing haben sich die anderen Mannschaften inzwischen eingestellt, diese einfachen Tore gibt es inzwischen kaum mehr, was dazu führt, dass der VfB trotz oft relativ offensiver Ausrichtung (zuletzt meist 5 eher offensiv denkende Spieler, dazu offensiv ausgerichtete Außenverteidiger) relativ wenige Tore schiesst.

2. Umgekehrt spielen inzwischen nicht nur die Bayern, sondern die meisten Mannschaften ein viel offensiveres Pressing als noch in den letzten Jahren. Aufgrund der mangelhaften vertikalen Offensivstaffelung und -bewegung kommt der VfB nicht damit zu recht, keine Ruhe im Aufbauspiel zu haben und hat meist selbst wenig taktische Mittel, Offensivpressing gezielt zu umspielen, obwohl m. E. die technischen Fähigkeiten der Spieler für solch ein Aufbauspiel eigentlich vorhanden wären.

3. Schon letzte Saison lief das Aufbauspiel viel über die Außen – damit konnte das zentrale Mittelfeld umspielt werden und die Schwächen im zentralen Aufbauspiel teilweise kaschiert werden. Ich glaube van den Bergh hat nach dem Spiel Düsseldorf-VfB gesagt, dass sie (Düsseldorf) sich taktisch darauf eingestellt hatten, vor allem das VfB-Spiel über die Außen zu unterbinden. Das sei auch gut gelungen. Es scheint, dass das neben Düsseldorf und Lazio auch vermehrt andere Mannschaften schaffen.

Das VfB-Spiel gegen Lazio ist also in dieser Hinsicht typisch gewesen für die VfB-Schwächen in dieser Saison, nämlich, dass der VfB relativ unfähig ist, gegen gut organisierte Verteidigungen ein gefährliches Offensivspiel aufzuziehen. Das sieht man übrigens auch an der desaströsen Heimbilanz (bisher 3 Siege, 3 Unentschieden / 5 Niederlagen und 12 Punkte zuhause), die üblicherweise eher die eines Absteigers als die eines Euro-League-Aspiranten ist. Die Auswärtsbilanz ist dagegen fast ausgeglichen (5/2/6) und in der Auswärtstabelle steht der VfB nicht so schlecht da. Das liegt m. E. daran, dass er es sich auswärts erlauben kann, mehr auf Konter zu spielen, so dass die Schwächen im Aufbauspiel weniger relevant werden.

Insofern ist das Fazit des Artikels

gültig für viele VfB-Spiele dieser Saison. Man muss nur Lazio durch den Vereinsnamen des jeweiligen Gegners ersetzen.

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Gentnerfan 8. März 2013 um 13:14

Tolle Analyse, danke. Sind ja mehr oder weniger die selben Probleme, wie zu Anfang der Saison. Nichts neues in Stuttgart also..

Die Auswechslung von Kvist sieht im Nachhinein natürlich extrem doof aus und man muss sich fragen, ob das dem Spielstand angemessen war. Trotzdem hätte es auch aufgehen können, zumal Kvist keinen guten Tag hatte und ich Gentner-Hajnal bisher eigentlich auch nicht so instabil fand, wie es vielleicht auf dem Papier aussieht. Am Ende aber sicher eine unglückliche Entscheidung.

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Izi 8. März 2013 um 08:37

Sehr gute und treffende Analyse! 🙂

Ich habe vieles genauso gesehen. Kvist war meist allein auf weiter Flur (vor allem nach der Auswechslung Maxims), die Anbindung der Mannschaftsteile fehlte komplett. Dazu war das Spiel vollkommen statisch. Es war für mich erschreckend, wie wenig sich die Stuttgarter bewegten, und wenn sie es doch taten, dann unglaublich langsam…

Zum Schluss: Ihr hattet einen Artikel über das taktische Potential von Einwürfen. In der 15′ haben die Stuttgarter das – wie ich finde – sehr gut gemacht. Und ich musste sofort an diesen Artikel denken 😉

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TR 8. März 2013 um 11:06

Ja, guter Hinweis, danke! Ich habe am Ende des Artikels nun den Link für Interessierte eingefügt.

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