Borussia M’Gladbach – 1. FC Nürnberg 1:0

Überraschungsteam Gladbach empfing an diesem Spieltag die Nürnberger, welche letztes Wochenende trotz großer Überlegenheit nur ein Unentschieden gegen Werder Bremen erzielten. Dieses Mal traf man auswärts auf eine der aktuellen Topmannschaften der Bundesliga und wäre mit einem Unentschieden zufrieden, doch der Gegner aus Gladbach wollte einen Sieg und es gelang. In einer weiteren Paradepartie der Borussen gewann man verdient mit 1:0 und hielt Anschluss an den Tabellenführer Bayern München, die wenige Stunden später Bayer Leverkusen souverän in die Knie zwangen.

Wechselwirkung der jeweiligen Formationen

Grundformationen zu Beginn

Beide Teams traten mit ihren erwarteten Systemen an. Die Gäste aus Nürnberg spielten im 4-1-4-1, wobei der Mittelstürmer Pekhart sich öfters ins Mittelfeld fallen ließ, um in der Defensive auszuhelfen. Feulner und Mendler bildeten die Doppelacht vor Simons in der Mittelfeldzentrale. Mendler und Feulner versuchten sich hauptsächlich als box-to-box-player, die den Gegner unter Druck setzen und selbst in die Offensive eingreifen sollten, wobei sie von den Außen Hegeler und Esswein Unterstützung erwarteten. Esswein war dabei der höhere und es zeigte sich im Spiel deutlich, dass er ein gelernter Stürmer ist, was dafür sorgte, dass Gladbachs Rechtsverteidiger Jantschke sich viel in der Defensive aufhielt und um Esswein kümmerte. Letzterer vernachlässigte teilweise seine Defensivarbeit und ließ Reus einiges an Platz, was dafür sorgte, dass Simons und manchmal Feulner statt Esswein beim Doppeln helfen mussten. Mit Chandler und Pinola auf den Seiten und Klose neben Wollscheid in der Innenverteidigung trat die gewohnte Viererkette an, die das Angriffsspiel Gladbachs unterbrechen sollte.

Die Borussen agierten in ihrem kompakten 4-4-2, wo die beiden Viererketten sehr eng standen und es zeigte sich Favres Philosophie deutlich: hinten sicher stehen, vorne schnell und dynamisch vor das gegnerische Tor kommen, was insbesondere Reus gut entspricht. Der Jungstar agierte nicht gänzlich auf dem Flügel, sondern rochierte immer in eine zentralere Rolle und sorgte so für vermehrte Torgefahr. Die defensiven Außenverteidiger und das kompakte Zentrum kommen ihm entgegen, bei all seinen Ausflügen ist er defensiv abgesichert und dank des dynamischen Offensivspiels hat er trotzdem genug Anspielstationen – und wenn nicht, dann profitiert die Borussia dank seines tollen Dribblings dennoch. Arango auf der linken Seite war nicht ganz so präsent und spielte von der Spielanlage her deutlich breiter, was seine Rolle auch etwas schwerer zu spielen und ineffektiver machte, als bei Reus.

Letzterer wurde taktisch nämlich zwar nicht vom Außenverteidiger hinter sich unterstützt, sehr wohl aber von den beiden Stürmern vor ihm, die Räume für ihn öffneten und ihm Anspielstationen gaben. Hanke agierte hier hängend und rochierte auf die Flügel, während De Camargo das Spiel in die Tiefe zog, um Räume zu öffnen oder als Wandspieler zu fungieren. Das defensive Zentrum bildeten Marx und Neustädter, beide zeigten sich wie gewohnt laufstark und defensivorientiert, zusammen mit der Viererkette, wo Stranzl ins Team rückte, ließen sie kaum gegnerische Chancen zu.

Die Gladbacher hatten mehr vom Spiel, dominierten Raum und Ball, was dazu führte, dass sie sich ein deutliches Übermaß an Chancen erspielten, was ihnen nur wenig nutzte – der Führungstreffer kam nämlich nach einem umstrittenen Elfer, den man nicht hätte geben müssen. Doch trotz dieser eventuellen Fehlentscheidung ein hochverdienter Sieg für die Borussia, die hinten sicher stand und vorne mit Reus und Co. zu gefallen wusste.

Nürnbergs Fluditität

Die Franken versuchten mit einer fluiden Aufstellung auf die Gladbacher zu reagieren. Esswein auf links bildete hierbei die Ausnahme, er agierte höher und breiter als seine Mitspieler, die sich im Zentrum kompakt stellen wollten und dann möglichst schnell den Gegenzug versuchten.

Sie versuchten zwar möglichst hoch die Bälle zu gewinnen, doch dies gelang nicht oft genug, so dass man sich nach hinten drängen ließ. Versuchte Konter wurden nicht nur über den Mittelstürmer oder die Außenspieler gespielt, sondern einige Male schalteten sich auch die zentralen Mittelfeldspieler ins letzte Drittel mit ein, von Erfolg gekrönt war diese interessante Maßnahme aber nicht. Nürnberg war seinem Gegner zwar in fast allen Belangen unterlegen, aber sie hatten keineswegs schlechte Ideen und ließen auch nicht an Kampfgeist vermissen, doch einige Ungenauigkeiten und fehlende Konzentration konnten die sehr auf Sicherheit bedachte gegnerische Defensive nicht gefährden.

Die eigene Defensive geriet einige Male ins Schwimmen, insbesondere wenn Reus zu marschieren begann, doch auch hier konnte man gute Ansätze erkennen. Klose agierte bspw. etwas tiefer, um mögliche Lochpässe zu unterbinden, während das Zentrum immer in Richtung des Ballführenden verschob und Wollscheid mit Antizipation versuchte, Bälle möglichst sicher zu erobern. Die Formation in der Defensive wandelte auf einem schmalen Grat zwischen 4-1-4-1, 5-5-0 und 4-3-3, doch keines davon konnte für die nötige Zweikampfstärke in der Defensive oder für ausreichende Schnelligkeit beim Kontern sorgen. Dadurch war die knappe Niederlage sogar etwas schmeichelhaft und ein großer Anteil an dem Ergebnis hatte Nürnbergs Torhüter Stephan, der eine tolle Leistung ablieferte und viele gegnerische Chancen vereiteln konnte.

Gladbachs Angriffsspielzüge

Wie die Gladbacher mit so wenig numerischer Offensivkraft dennoch erfolgreich sein können, liegt nicht nur an der Dynamik ihres Passspiels bzw. generell der Schnelligkeit ihrer Offensivbemühungen im letzten Drittel, es sind auch einige taktische Feinheiten dahinter.

Der klassische Borussen-Angriffsspielzug beginnt entweder mit einem risikolosen Aufbauspiel der eigenen Viererkette mit Unterstützung des spielstarken Ter Stegen oder einem Ballgewinn im Mittelfeld. Danach wird der Ball auf die Außen geleitet, im Idealfall auf die rechte Seite zu Reus, welcher dann Richtung Tor zieht. Arango auf links macht das Spiel breit, während der Rechtsverteidiger zwar nicht hinterläuft, aber das Spiel durch leichtes schematisches Aufrücken etwas verbreitert. Hanke im hängenden Sturm kreuzt den Laufweg Reus‘, bevor jener kommt, er zieht ein paar Spieler aus dem Zentrum auf den Flügel und schafft Raum, damit Reus seinen Lauf fortsetzen kann – schafft er dies nicht, so spielt Reus im Normalfall einen Ball in Hankes Lauf oder zurück ins Mittelfeld, abhängig davon, welche Lösung vielversprechender ist. De Camargo versucht ähnliches wie Hanke und drückt sich mitsamt gegnerischem Abwehrspieler Richtung Strafraum: schafft er es, hat Reus Raum und kann zum Abschluss kommen, schafft er es nicht, so kann er dennoch einen Lochpass vom Jungstar erhalten oder als Wandspieler für einen Doppelpass fungieren. Arango auf links zieht nun in der Schlussphase Richtung Tor und bietet eine weitere Anspielstation, Reus hat somit immer drei offene Optionen, die sich im Lauf befinden, dazu kann er selbst per Dribbling und / oder Abschluss für Gefahr sorgen.

Für eine solche Eingespieltheit bedarf es nicht nur eines guten Trainers wie Favre, sondern ebenso lernbereiten und spielintelligenten Offensivakteuren, welche man dieses Jahr zweifellos im Dress der Gladbacher bewundern kann. Die Dynamik der Kombinationen, die Effektivität, wenn auch nicht Effizienz, der Angriffe ist beeindruckend und ermöglicht es den Gladbachern mit relativ defensiven Außenverteidigern und Sechsern zu spielen, ohne an Erfolgschancen einzubüßen. Hinten steht man dadurch immer eng und kompakt, während man offensiv zu Chancen kommt.

Fazit

Ein gutes Spiel, in welchem Gladbach die Oberhand hatte und dank eines fragwürdigen Elfmeters gewann. Nürnberg zeigte keine schlechte Leistung, doch musste gegen eine starke gegnerische Mannschaft antreten, die taktisch einwandfrei aufgestellt ist und mit Reus einen der stärksten Spieler dieser Saison besitzt. Die dichte Defensive und der herausragende ter Stegen machen Konter sehr schwer, was eher ein Lob an die Borussen, als eine Kritik an den Franken darstellen soll.

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel 26. September 2011 um 22:29

Absolut starke Analyse – nur Lucien Favre himself würde es wohl noch genauer ausformulieren 🙂 Borussia spielt einen reifen Fußball und wird diesen auch so beibehalten können…

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Daniel K 25. September 2011 um 17:59

Da scheint RM langsam ein Fan von Favre zu werden. Schön dabei ist, dass hier nicht wie sonst in der Öffentlichkeit, nur Favre’s Defensiv-Qualitäten erklärt werden, sondern auch die Offensive gesehen wird.

Favre liebt ja das flache Spiel, mit möglichst wenig Kontakten, wobei das Tempo absolut entscheident ist, weshalb auch sehr oft vertikal gespielt und abgetropft wird, um eben zu beschleunigen und in die Zwischenräume zu kommen, manchmal zweimal nacheinander, mit drei oder soger mehr Spielern.

Entscheidend für die Eröffnungen sind Dante und Neustädter die sehr gut vertikal spielen können, vorne wirbelt natürlich Raus am meisten, während Hanke sich an ihm orientiert und als Kurz/Doppelpass Anspielstation dient, zudem eben Arango der von Aussen kommt, und DeCamargo der ähnlich wie Hanke agiert, einfach offensiver und torgefährlicher. So wie im Bericht ob erklärt eben.

Was man aber momentan bei Gladbach sieht, ist im Grunde erst der Anfang. Beginnen musste er ja mit der Defensive, die Schiessbude musste geschlossen werden. Aber schon das entscheidende Tor gegen Bochum war dieser Favre-Touch. Nordtveit eröffnet vertikal, DeCamargo tropft auf Reus ab, der sofort wieder zu DeCamargo, und der dann steil in den Lauf von Reus, und Tor, alles flach und One-Touch.

Hertha unter Favre hatte ja keine guten Flügelspieler, keine spielstarken 6er und keine offensivstarken AV, nur Raffael als HS und vorne Voronin/Pantelic, und trotzdem wurden sie zur schnellst spielenden Mannschaft, mit 1,1 Sekunden durchschnittlichen Ballbesitz.

Gladbachs Kader ist offensiv stärker besezt und daher ist er jetzt schon eigentlich weiter als damals mit Hertha, zumindest erarbeitet Gladbach sich deutlich mehr Chancen als Hertha damals.

Die Entwicklung geht aber noch weiter. Ich denke, der FC Zürich unter Favre ist wohl die beste Referenz, wenn man wissen will, wohin Favre will. Eigentlich sah das ganze so aus wie jetzt: hinten rum und dann schnell und vertikal nach vorne. Aber Zürich spielte das einfach viel höher, dominanter, variantenreicher und auch flexibler…

Bei Zürich rollte damals eine Vertikal-Onetouch-Ballstafette nach der anderen an. Und die Staffelung und Ordnung war so, dass unglaublich oft 3 Spieler vertikal oder auch diagonal praktisch auf einer Linie standen, wobei der Ball dann vom hintersten Spieler zum vordersten gespielt wurde, und dieser dann zum mittleren abtropfte, der dann auch oft wieder einen Doppelpass spielte, mit dem vordersten oder einem anderen, wobei oft das Zentrum direkt vor dem Straftraum gesucht wurde, und wenn es eng wurde nach Aussen gespielt wurde, wo natürlich so Platz war. Wenn es dort nicht ging, spielte man wieder hinten rum, aber man stand immer noch sehr hoch, und dann wieder vertikal flach nach vorne, und wieder, und wieder. Wobei eben die Rollen nicht so eindeutig verteilt waren wie jetzt mit dem langsamen Hanke und dem schnellen Reus usw. Es war homogener, bzw. flexibler…

Ach, ich kann es nicht richtig erklären. Kenne die exakte Sprache dafür auch nicht. Habe ja keine Qualifikation in Sachen Taktik. Beobachte nur etwas und reime mir irgendetwas zusammen.

Jedenfalls bin ich Favre-Fan geworden, und ich bin mir sicher, dass Ende dieser Saison Favre auch in der breiten Öffentlichkeit nicht mehr nur als Defensiv-Künstler gesehen werden wird…

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SAMsg 26. September 2011 um 11:05

Da kann ich mich nur anschliessen. Eine sehr schöne Beschreibung von „Favre-Fussball“ und von dem, was der FCZ unter Favre spielte – wobei das bereits bei Servette zuvor ähnlich ausgesehen hat.

Bei Hertha wurden viele Aussagen, die Favre getätigt hat, falsch verstanden. Man konnte nicht verstehen, wie man ein Spiel derart sachlich analysieren kann. Nach Siegen gibt (fast) jeder Trainer irgendwelche Floskeln zum Besten: Favre kritisierte, dass man zu wenige Chancen produzieren konnte – dass man viele unnötigen Ballverluste hatte und als Folge davon zu wenig Ballbesitz.

Auch Begriffe wie „One-Touch“ wurden von Medien und Fans völlig falsch interpretiert. Ziel ist nicht, dass man IMMER den Ball direkt spielt – sondern dass man ihn dann direkt spielt, wenn es Sinn macht.

In den letzten Jahren hat sich in Deutschland punkto taktischem Verständnis vieles getan. In meinen Augen ist dies einerseits auf Trainer zurückzuführen, die mit „neuen Konzepten“ erfolgreich arbeiteten (Löw (!!!), van Gaal, Rangnick, Klopp, Tuchel, …) – andererseits auch dank kompetenten Experten wie Sammer.

@RM:
(Erneut) eine tolle Analyse!

PS: Favre sagte einmal, dass über 80 Prozent des Erfolges von den Transfers abhingen. In Gladbach dürfte das nicht anders sein. Die spannenden Punkte/Positionen dürften sein…
– Wie weiter mit Reus (kann man ihn halten)?
– Spielstarker Sturmpartner für De Camargo (Eventuell Reus – aber dann muss ein spielstarker OM her)
– Spielstärkerer RV
– Mehr Kreativität im DM

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Diderot 25. September 2011 um 09:50

Dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich sehe aber nicht, warum der Elfer nicht gegeben werden sollte. Reus ist einfach so schnell, dass eine kleine Berührung ausreicht, um ihn aus dem Tritt zu bringen. Grundsätzlich müssen wir davon wegkommen, immer unterschiedliche Maßstäbe für Fouls innerhalb und außerhalb anzulegen.

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RM 25. September 2011 um 11:10

Meiner Meinung kann der Elfmeter gegeben werden, er muss es nicht – das schreibe ich auch in dem Artikel.

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Lars Oliver Kaumanns 27. September 2011 um 02:14

Hallo Autor (RM),

ich finde der Artikel ist wirklich gelungen und spricht von einem Sachverstand, den Mann wo anders vermisst. Objektiv, sehr gut analysiert und lebhaft geschrieben. Weiter so!

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