Olympia 2012: Spanien – Japan 0:1

In der Heimat von Topfavorit Spanien wird bereits über ein mögliches olympisches Traumfinale gegen Brasilien diskutiert – doch im ersten Spiel unterlagen sie überraschend gegen stark aufspielende Japaner.

Spaniens olympisches Team und seine Spielweise – kein Original?

Die amtierenden Welt- und Europameister des Fußballs begannen in einem 4-3-3/4-2-3-1-Hybrid, welches zwischen einem System mit vier und gar ohne wirklichen Stürmern wechselte. Dies klang zwar modern, war es aber beileibe nicht: die offensiven Akteure bewegten sich viel, jedoch wenig intelligent. Beispielsweise stand Isco oftmals zu hoch und unbeteiligt auf der rechten Seite vorne, während Mata zwischen beiden Seiten, einer Achter-Position und seiner wohl angedachten Rolle als zentraler Spieler der Dreierreihe geisterte.

Formationen zu Beginn mit grafischer Darstellung der Laufwege ohne Ballnähe aus taktischen Gründen (strichlierte Linien), des Raumes von Matas Freirolle (strichlierter Kreis), den üblichen Laufwegen (normale Linien) und der Manndeckung (Verkettung zu den Gegenspielern)

Es schien, als ob er in seinen Bewegungen den raumschaffenden Iniesta oder auch Xavi aus der ersten Mannschaft der Furia Roja kopieren sollte. Die nominelle Position kennt Mata von Chelsea, allerdings agiert er dort raumnutzend und als verkappter Stürmer sowie falscher Zehn – was nur ansatzweise der Spielweise Iniestas bei Barcelona oder Xavis im spanischen Nationaltrikot entspricht.

Durch die mangelnden raumschaffenden Fähigkeiten und wegen der enttäuschenden Leistung seiner Mitspieler ging ihm in dieser Partie lange Zeit sämtliche Effektivität ab. Er versuchte das Spiel an sich zu reißen, doch ihm fehlten die Räume, da die Japaner das Zentrum gut zustellten und viele Bälle bereits in der Mittelfeldphase des spanischen Spielaufbaus eroberten. Als Konsequenz ließ sich Mata aus seiner Zwischenposition gelegentlich bis auf die Sechs fallen und startete dann wieder nach vorne. Somit bewegte er sich in seiner Freirolle zwischen den Räumen und kam dann einige Male nach rechts: doch selbst diese extremen Laufwege waren nicht ausreichend zum Durchbrechen der gegnerischen Abwehrreihe.

Auf den Flügeln gab es dann die noch größeren Schwachstellen der Spanier. Jordi Alba und Martin Montoya zeigten sich zu passiv und wenig durchschlagskräftig. Selten marschierten sie die Linie entlang, was ihre größte Stärke ist. Dies lag ebenfalls daran, dass sie in ihren Vordermännern wohl keine zutreffenden Partner für ein funktionierendes Kombinationsspiel sahen. Isco und Adrian wirkten unbeholfen und fanden nicht ins Spiel. Beide agierten zu hoch und bewegten sich nur horizontal im Raum, um mit dem nominellen Mittelstürmer zu rochieren. Eine ineffiziente Spielweise, da die Probleme im Spielaufbau nicht aufgrund mangelnder Bewegung im letzten Spielfelddrittel entstanden. Dies lag aber auch an der disziplinierten, lauf- und taktisch starken Spielweise der Japaner.

Japans Matchplan als Ideal?

Die Japaner begannen in einem 4-4-2-System. Allerdings war diese Formation sehr kompakt und flexibel, denn Higashi kam öfters zurück ins Mittelfeld und überließ den Angriff Nagai alleine. In der Mitte wurde das Spielfeld verengt und wenn Javi Martinez, Koke oder Mata aus der Zentrale das Spiel gestalteten, zogen sich die Japaner enger. Man erhöhte dadurch die Pressingintensität. Spanien hatte nun große Probleme, sich aus diesem Klammergriff zu befreien, was an der mangelnden Verbindung nach vorne lag. Vertikal- oder Schnittstellenpässe konnten nur selten beobachtet werden, stattdessen wurde der Ball mit den defensiven Außen und der Zentrale in der eigenen Spielhälfte zirkuliert.

Ein Grund dafür war neben der engen Spielweise auch das hervorragende Umsetzen von zahlreichen makrotaktischen Aspekten.

  • Stark mannorientierte Raumdeckung auf den Flügeln, massiertes Zentrum und lückenschließende Sechser

Ein Punkt war die stark mannorientierte Raumdeckung mit gegnerorientiertem Aufrücken  auf den Außenverteidigerpositionen.

Beginn des Verschiebens (mit den zurückfallenden Sechsern als Endfolge) bei Ballbesitz Montoya, der angelaufen wird

Sowohl Sakai als auch Togunaga übernahmen ihre jeweiligen Gegenspieler, wer es nach den Rochaden auch war, und folgten ihnen bei tieferer Positionierung. Sie stellten somit eine Passoption zu, verhinderten Drehungen zum Tor hin und die Bälle wurden aufgrund des spanischen Sichtfeldfußballs zumeist wieder schnell nach hinten gespielt. Damit nach diesen Abprallern keine weiten Bälle hinter die Abwehr gespielt wurden, zeigten die beiden Sechser eine taktische Meisterleistung.

Ballnah ließ sich einer von ihnen nach hinten fallen und der Rest der Mannschaft verschob, damit das Loch in der Mitte geschlossen wurde. Bei langen Bällen gab es somit ein 2vs1 mit Raumvorteil für den tieferen Spieler anstatt eines 1vs1, in welchem im schlechtesten Falle der Innenverteidiger zeitverzögert nach außen rücken müsste. Auf der ballfernen Seite wurde die Manndeckung in ihrer Orientierung und im Abstand gekippt und dadurch konnte die Raumdeckung eingehalten werden. Die Folge war nun, dass das Spielfeld verengt wurde, vorne vom Mittelstürmer Passwege zugestellt wurden und Hogashi zentral als Umschaltspieler fungierte. Die Sechser kümmerten sich um Ball- und Raumsicherung, während die Defensivspieler der Viererkette konzentriert auf konservative Aufgaben waren.

die Spielweise mit den zurückfallenden Sechsern bei Abpraller nach hinten

In Ballbesitz wurde der Ball von den starken Mittelfeldspielern mit eingestreuten weiten Spielverlagerungen dem Zugriff der Spanier entzogen. Hier war der klare Vorteil die Einhaltung der Breite in der Defensive. Bei den Spaniern gingen auch die Außenverteidiger weit horizontal in eigenem Ballbesitz, um sich für Kurzpässe anzubieten. Doch anstatt wie gedacht eine zusätzliche Anspieloption darzustellen, waren sie überflüssig und verengten das effektiv bespielbare Feld. Dies erleichterte wiederum den Japanern den Zugriff auf Ball und Spanier.

  • Bilden einer 4-1-4-1-Formation zur Verbesserung des Mittelfeldpressings

Einige Male versuchten die Japaner den Druck zu erhöhen. Wenn der Ball zu einem Innenverteidiger gespielt wurde und der direkte Passweg zu seinem Partner versperrt wurde, bewegte sich das japanische Kollektiv. Higashi ließ sich bei Nagais Anlaufen bereits fallen und orientierte sich dann an Martinez. Damit leiteten sie den Pass auf den Außenverteidiger und im Idealfall konnte dieser den Querpass auf Martinez nicht spielen, während der Flügelspieler auf den Außenverteidiger schob. Um die Kompaktheit zu erhöhen, rückte der ballnahe Sechser auf. Der ballferne Sechser ging etwas in die Mitte und bewegte sich dann nach Pass des Innenverteidigers weiter, um das Loch hinter seinem Partner im defensiven Mittelfeld zuzustellen. Der ballferne Flügelstürmer rückte ebenfalls stark mit ein und verengte somit das Spielfeld.

Mittelfeld-Pressing bei 4-1-4-1-Bildung

Meistens reagierten die Spanier – wie oben beschrieben – mit Einrücken der ballfernen Spieler, um mehr Anspielstationen zu bieten. Jedoch beschnitten sie sich somit in der Breite und es fehlte an der einfachen Befreiung via langen Bällen aus dem gegnerischen Pressing. Die Japaner nutzten dies für ihre extrem ballorientierte Spielweise und kippten auch hier die Orientierung der Manndeckung einfach auf die andere Seite, um einfach raumdeckend agieren zu können.

Die zweite Halbzeit – kurz angerissen

Nach der harschen roten Karte für Inigo Martinez spielten die Spanier bis zum Ende ersten Halbzeit mit Martinez als umschaltenden Innenverteidiger. Er kümmerte sich um den Spielaufbau und rückte teilweise mit nach vorne auf, was Dominguez alleine hinten ließ. Nach der Halbzeit stellten sie kurzzeitig um und formierten sich mit breiten Innenverteidigern und dem nominellen Sechser Koke dazwischen. Mata sollte nun alleine die Traglast des Kreativspiels in die Vertikale übernehmen, was grandios am Pressingwall der Japaner zerschellte.

Darum schob sich Koke wieder nach vorne und Mata orientierte sich stark horizontal, außerdem wurden die Rochaden der Stürmer verschärft. Mata beteiligte sich daran und öfters wurden die Positionen nicht von anderen Spielern ausgefüllt, sondern verwaisen lassen. Damit wollten sie die Manndeckung der Japaner aufheben. Doch das Pressing der Japaner blieb noch lange Zeit sehr effektiv, erst als Koke offensiver wurde und die Verteidiger offensivstärker wurden, wichen die Japaner zurück. Aufgrund der Führung und dem Verlass auf die eigene Konterstärke dank der dynamischen Spieler gewannen sie letztlich und waren trotz des tiefen Abwehrpressings der Schlussphase nicht wirklich unterlegen. Es bleibt festzuhalten, dass sie einige Zeit lang mehr vom Ball sahen und später, als sie ihn freiwillig aufgaben, weiterhin zu ihren Chancen kamen, wenn auch bei desolater Auswertung.

Diskussionspunkte

  • Spaniens Mannschaft kam lang nicht übers zweite Spielfelddrittel hinweg
  • Ihre Offensive bewegte sich viel, aber falsch. Es fehlten die Verbindungen nach vorne.
  • Die Außenverteidiger agierten verhalten und es fehlte der Mut im Offensivgang.
  • Zentral gab es mehrere Gestalter, doch keiner riss das Spiel an sich. Später rückte Martinez nach hinten und es waren individuelle Geistesblitze in der zweiten Halbzeit, die (dank des gegnerischen Abwehrpressings) zu höherem Aufrücken führten.
  • Japan agierte taktisch herausragend, insbesondere die zwei Sechser (und davon ganz klar Yamaguchi!) zeigten sich intelligent und ballsicher
  • Sie waren variabel und flexibel, mehrere Spieler ließen sich bei Bedarf fallen oder rückten auf, um Löcher zu schließen. Unter anderem der zweite Stürmer und die zwei Sechser
  • Starke Ballorientierung bei einer engen Formation sorgten für viel Zugriff auf den Ball

Der Marokkaner 29. Juli 2012 um 00:52

Hallo!

Ich würde gerne wissen ob man das Spiel Marokko – Japan auch analysieren wird?

Antworten

TR 29. Juli 2012 um 11:57

Nun, wir werden uns großteils auf die Favoriten beschränken. Möglicherweise finden wir etwas Zeit und Aufmerksamkeit für Marokko. Am wahrscheinlichsten wäre eine Analyse ihres Spiels gegen Spanien, eventuell auch die Partie gegen Japan, doch es läuft eher auf das Spanien-Spiel hinaus.

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Robz 27. Juli 2012 um 00:38

Ich möchte nicht pedantisch sein, aber es findet in England keine „Olympiade“ statt. Dieser Begriff bezeichnet den Zeitraum zwischen den Olympischen Spielen. Und von denen reden wir. Ansonsten wie immer ein sehr informativer Artikel.

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Lino 26. Juli 2012 um 22:01

Ja, dann kann ich nur zustimmen. Habe selten eine taktisch so herausragende Mannschaft wie Japan gesehen. Man hatte permanent das Gefühl, dass die zwei bis drei Spieler mehr auf dem Platz haben. Insbesondere diese stark mannorientierte Raumdeckung scheint ein probates Mittel gegen Mannschaften zu sein, die sich durch eigenen Ballbesitz definieren. Gleiches hat man letzte Saison auch bei Bilbao vs. Barcelona (2-2) gesehen, als Barca Probleme hatte, Chancen herauszuarbeiten, weil durch das Defensivverhalten Bilbaos das Kurzpassspiel auf engem Raum total ineffektiv war. Im Rückspiel (ich hatte das Privileg im Stadion zu sein) versuchte Barca vielmehr Eins-gegen-Eins-Situationen heraufzubeschwören bzw. die Bewegungen bzw. Abstände der Spieler größer und raumgreifender zu gestalten, da Bilbaos Spieler im Defensivverbund bei mannorientierter Raumdeckung teils extrem aus der Position herausgezogen wurden. Hat auch meiner Meinung nach – unabhängig vom Ergebnis (2-0) – geklappt. Entscheidend bei dieser Defensivtaktik scheint mir ein gewisser Überraschungseffekt zu sein, da viele Mannschaften mannorientiertes Verteidigen nicht mehr gewöhnt sind. Gefährlich wird es nur, wenn eine Mannschaft sich darauf einstellt (siehe Barca). Aber Spanien war heute dazu definitiv nicht in der Lage, da die Bewegungen viel zu unintelligent waren. Sinnvoll wäre es gewesen direktere Spieler (Muniain, Tello etc.) zu bringen, um oben genanntem Problem entgegenwirken zu können.

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HerrHAnnibal 26. Juli 2012 um 23:41

Grundsätzlich stimme ich dir zu aber dieses 2:2 in Bilbao vs Barca Spiel als Beispiel heranzuziehen ist nicht passend. Ich habe kaum mal ein Spiel gesehen wo das Wetter so einen Einfluss hatte. Es regnete zeitweise so stark dass ein Teil des Spielfelds nicht bespielbar war. Die Bälle bleiben einfach nach 3-4 Metern in den Pfützen liegen… Es ist schade dass man diese Slapstick Szenen bei den Spielhighlights nicht mehr so richtig sehen kann. Hier mal ein gutes Beispiel: http://www.youtube.com/watch?v=qg_kq1I_U6o#t=4m46s

Barca hat zeitweise nur noch hohe Pässe gespielt und viele Flanken geschlagen. Das war in jeder Hinsicht ein sehr außergewöhnliches Spiel.

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