Eine Analyse der Analyse der Taktikanalyse
Eine Erläuterung; kein Kontra und vielleicht eine Art Entschuldigung: Endreas Müllers Beitrag auf 120minuten.net über die Taktikanalyse verdient noch eine Antwort, neben der Zweitmeinung Tobias‘.
Dies sieht sogar der Autor so:
„Eine Gegenrede würde mich sehr freuen. Der Text ist ja auch als eine Art Debattenbeitrag gedacht.“
Also los!
Kontextbefreiter Molekularfußball?
Die häufigste Kritik, die wir neben der sprachlichen Komponente hören, ist, dass wir uns auf Einzelsituationen und Kontext versteifen. Sollte dies so sein, ist die Taktikanalyse jedoch nicht erfolgreich, sondern fehl verlaufen. Das Ziel der Taktik- und auch der Statistikanalyse ist nämlich genau das Gegenteil: Einen größeren Kontext zu zeigen und sich nicht auf Einzelsituationen zu konzentrieren. Eine Mannschaft kann die nach unterschiedlichsten Parametern die schwächste sein und dennoch das Spiel gewinnen; in der Taktikanalyse soll dies keinen Grund sein. Die von Endreas Müller beschriebenen Einzelbilder sollen deswegen nur über die einzelnen Beispiele ein Symbol, eine Veranschaulichung etwas Konstanterem und Größerem sein.
Dass der Zufall – ebenso wie viele andere Sachen – eine massive Rolle im Fußball spielen, ist allerdings klar. Deswegen ignorieren wir gelegentlich das rohe Ergebnis, ebenso wie es die neuesten Statistikschmäh à la Expected Goals machen; diese haben dadurch höhere Validität und manche der Statistikblogger verdingen sich sogar bei größeren Klubs oder finanzieren sich ihr Leben (teils) durch Wetten, weil sie mithilfe ihres Modells den Wettbüros gelegentlich ein Schnippchen schlagen. Bei Spielverlagerung sind deswegen – so der eigene, hehre Anspruch – nicht die Formationen ausschlaggebend, sondern die Aktionen der Spieler und deren Qualität.
Die Bayern mit Costa und Coman müssen anders spielen als die Bayern mit Ribéry und Robben; wir kritisieren sogar manchen Trainer, manche Mannschaft oder manches Spiel eben deswegen, weil auf die Spieler und diese kontextuellen Aspekte nicht eingegangen wird. Anders gefragt: Ist es wirklich logisch, dass man mit Spielern A und B das gleiche 4-4-2 spielen versucht wie mit Spielern X und Y?
Sollten also Sachen vorkommen, die wie kontextbefreite Molekularfußballbetrachtungen wirken, so dienen sie der Verbildlichung. Manchmal jener des Spiels, manchmal jener der Fehlanalyse des Autors, wovor auch bei Spielverlagerung keiner gefeit ist (außer TR!).
Suggeriert mir die Taktikanalyse die Erklärung des nicht Erklärbaren?
Diese Frage stellte Endreas Müller ebenfalls in seinem Artikel. Dies dürfte für manche einer der größeren Kritikgründe an Arbeiten wie der unseren sein. Es wirkt häufig wie Überinterpretation, was wir machen. Andererseits sollte man verstehen, dass die Taktikanalyse deskriptiv-analytisch ist; wir setzen keineswegs Bewusstheit oder Absicht voraus, nur Effekt und Wiederholung. Ob der Spieler weiß, dass er jedes Mal in dieser Situation den langen Diagonalpass spielte oder nicht, ist unerheblich. Tat er es häufig? Hatte es einen (konstanten) Effekt auf das Spiel? Dann kann man es beschreiben und es verdient eine Beschreibung.
Das ist sogar auf niedrigem Niveau sichtbar. Mannschaften im Amateurbereich haben nie elf identische Spieler. Einige Teams spielen mit Zehnern, die sich gerne zurückfallen lassen, andere gehen viel auf die Flügel und andere spielen fast nicht mit – gelegentlich weil sie so groß, so dick oder so betrunken sind. Selten gibt es hier überhaupt eine Vorgabe des Trainers, die über „kämpfen!“ und „eng stehen!“ hinausgeht. Dennoch ist es beschreibbar – und manch guter Sechser wird dann den Ball fordern, weil er merkt, er steht komplett alleine und kann das Spiel aufbauen. Dann könnte man auch ausführen, dass er sich ohne Druck (im Gegensatz zu den manngedeckten Spielern) aufdrehen kann, ein offenes Sichtfeld nach vorne hat, etc.
Das Beispiel soll außerdem auch zeigen, dass sich im Fußball kaum etwas separieren lässt. Physisch-mentale Eigenheiten beeinflussten technisch-taktische und umgekehrt, ebenso wie jeder Spieler andere Spieler beeinflusst. Wo die Kritik jedoch absolut zutrifft, ist im sprachlichen Bereich. Meine Analysen stoßen z.B. durchaus in einer gewissen Regelmäßigkeit auf Reaktanz; im privaten Bereich habe ich das nie (als Trainer, in Diskussionen mit Freunden, usw.). Die Ursache ist die Sprache.
Das eine ist Konzeptsprache; man möchte eine Vielzahl von Informationen über gebündelte Sachverhalte vermitteln. Hier kann es komplex und unsauber werden. Daran ist natürlich zu arbeiten. Das andere ist Aktionssprache; als Trainer beschreibt man nicht „mannorientierte Raumdeckung“, sondern man erklärt dem Spieler jene Aktionen, wieso er was zu tun hat und wie das auszusehen hat. Aus „Veränderung der Bewegung für erhöhtes Zugriffspotenzial“ wird dann: „Schau, wenn du auf dieser Position bleibst, hast du ja ein paar Meter Abstand zum Gegenspieler, oder? Kriegt er den Ball, kannst du ihn vielleicht nicht erobern. Wenn du aber ein bisschen weiter vorne und näher an ihm stehst, geht es, oder? Ist der Ball aber weit weg, brauchen wir das nicht!“
(Anmerkung: Ich bin trotzdem kein Freund der mannorientierten Raumdeckung!)
Die Balance ist nötig; würde ich sämtliche Analysen im letzteren Stil schreiben, würden meine ohnehin langen Artikel (aktueller SV-Rekord liegt bei über 10000 Wörtern) noch einmal deutlich anwachsen und gelegentlich Babysprache ähneln. Dass man Konzeptsprache aber besser umsetzen kann: Keine Frage. Hier trifft der Artikel ins Schwarze. Zur Ehrenrettung: Viele dieser Begriffe kommen direkt aus der Fachsprache, die nicht wir geschaffen haben.
Wie weit geht Taktik wirklich?
Die dritte Frage, welche man immer wieder hört. Wo hört die Taktik auf? Wo beginnen andere Aspekte? Dies mag befremdlich klingen, doch die Antwort ist simpel: Nirgendwo und überall! Taktik beeinflusst immer alle Aspekte, siehe vorherigen Absatz. Am passendsten finde ich jedoch die Erklärung Raymond Verheijens. Dieser hat den Fußball und die dort befindlichen Aspekte in „Aktionen“ unterteilt. In seinem Modell, auch wenn in meinen Augen zwei Ebenen noch fehlen, geht es folgendermaßen:
- Kommunikation (Taktik auf Teamniveau)
- Entscheidungsfindung (Taktik auf Einzelniveau)
- Ausführung dieser Entscheidung (Technik)
- Fußballfitness
Auf Basis der umliegenden Kommunikation wird eine Entscheidung vom Spieler getroffen, welche ausgeführt wird. Die häufige Ausführung dessen auf hohem Niveau ist die Fußballfitness. Auf Basis dessen und eigener Studien wie Erkenntnisse argumentiert Verheijen übrigens auch gegen das Konzept der Idealtechnik und des isolierten Physistrainings im Fußball. Für uns ist hierbei die Kommunikation wichtig. Die Teams und die Mannschaften nehmen bestimmte Informationen wahr, welche als Kommunikation im Sinne des Spielmodells dienen. Was darunter zu verstehen ist, sehen wir anhand eines Extrembeispiels:
Die gesamte gegnerische Mannschaft steht an der linken Flügellinie (wieso auch immer; vielleicht Trinkpause). Das Spiel ist nicht unterbrochen. Sie kommunizieren uns also, dass die Mitte und die rechte Seite komplett offen sind. Keine Mannschaft der Welt ist für so eine Extremsituation gerüstet; die taktische Situation ist nicht geplant. Aber jede Mannschaft der Welt, außer vielleicht bei den Bambinis, wird automatisch über die komplett offenen Räume angreifen.
Geplant? Beabsichtigt so kreiert? Bewusst über alle Effekte im Klaren? Nein. Dennoch ist es analytisch beschreibbar. Das Problem ist nur, wenn es eben weniger deutlich und detaillierter ist. Dann kann eine so simple Betrachtung sehr schnell komplex werden. Vom Prinzip her bleibt es gleich: Wo ist Raum, da ist Chance. Die Maxime des spanischen Positionsspiels und es gibt viele Richtlinien, wie dies zu kreieren ist.
Insofern dient „die Taktik auf dem Platz selbstverständlich auch der Minimierung des Zufalls, aber es kann doch nicht jede Bewegung geplant sein“ hierbei nicht der Beschreibung der Analyse oder des Ziels davon; Taktik sind einfach Aktionen und Reaktionen auf Aktionen, welche als Kommunikation und darauf basierende Entscheidungen sowie deren Ausführung zu bezeichnen sind. Frei nach Watzlawick: Man kann nicht nicht kommunizieren. Und viel Kommunikation wie Entscheidungsfindung (Stichwort Intuition) geschieht spontan und unbewusst. Martin Rafelt umschreibt dies alles hier besser, als ich es je könnte.
Was ist aber dann das Ziel der Analyse?
Was nützt es dann, so detailliert zu analysieren?
Vorab: Die Minimierung des Zufalls. Man möchte dem Spieler durch das Training im Sinne eines Primings Werkzeuge an die Hand geben, um besser Fußball spielen zu können. Die Analyse soll hierbei bei der Konzeptfindung und Konzeptualisierung sowie der eigenen Entwicklung bezüglich des Fußballverständnisses helfen. Bei manchen Trainern spielt dies eine geringe oder andere Rolle. Andere beeinflussen dies durch Motivation und Physis; andere wiederum gehen weiter, als wir es uns in unseren Analysen je trauen würden.
Beispiele? Dank Spielverlagerung hatten wir schon Kontakt mit einigen hochklassigen Trainern oder auch Leuten, welche Einblick in deren Arbeit haben; ob eher privater, investigativer oder beruflicher Natur. So wissen wir, dass Pep Guardiola in seinen Trainings gerne Situationen mit seinen Spielern sehr detailliert durchgeht. Die Details reichen so weit, dass die Pressingbewegung aus dem 4-1-4-1 z.B. von (mindestens) vier Sachen abhängt:
- Gegner empfängt den ersten Pass mit Körperhaltung nach innen, Position in Halbraumzone
- Gegner empfängt den ersten Pass mit Körperhaltung nach außen, Position in Halbraumzone
- Gegner empfängt den ersten Pass mit Körperhaltung nach innen, Position in der Flügelzone
- Gegner empfängt den ersten Pass mit Körperhaltung nach außen, Position in der Flügelzone
Je nach Situation a) rückt ein anderer Spieler heraus (Flügelstürmer oder Achter), b) ist diese Herausrückbewegung anders (Bogen in eine Richtung oder in die andere, diagonale Linie) und c) bewegen sich die anderen Spieler zwecks Unterstützung und Absicherung anders.
Würde ich aber in meinen Analysen behaupten, Guardiola macht die Art des Herausrückens des Achters abhängig von der Körperhaltung des Innenverteidigers, wären wohl 35% der Kommentare unter dem Artikel Unterstellungen, ich wäre Gründer eines Guardiola-Fanclubs oder ähnliches. Dabei ist es eigentlich nur logisch: Kann der Innenverteidiger des Gegners in die Spielfeldmitte blicken, hat er andere Optionen und man muss ihn anders unter Druck setzen. Steht er breiter, erreicht ihn der Achter nicht und darum muss der Flügelstürmer hinaus. Eigentlich logisch, nicht wahr? Das sind übrigens nur jene vier Situationen, von denen ich explizit eine Schilderung erfuhr; es gibt sicherlich noch viele weitere.
Ein anderes Beispiel ist übrigens der ehemalige DFB-Trainer Marcel Lucassen in seinen Details. Er ist vom Namen her nicht so bekannt wie Guardiola, aber trainiert sogar die Wahrnehmung seiner Spieler. Wie? Sie müssen auf bestimmten Positionen bei bestimmten Pässen aus bestimmten Richtungen in eine bestimmte Richtung und Distanz blicken, um möglichst viele Informationen aufzunehmen. Nach bestimmten Pässen in bestimmte Richtungen müssen sie dies auf eine bestimmte Art und Weise machen. Wieso? Wenn man weiß, wo der Mitspieler und Gegenspieler steht, kann man dementsprechend agieren. Man wird einen Schritt wegmachen und unter weniger oder gar keinen Druck kommen. Man weiß, wo jemand für einen simplen Direktpass spielt und muss den Ball nicht stoppen. Und so weiter und so fort. Dadurch wirkt man übrigens auch technisch besser; weniger Fehler entstehen durch besseres taktisches Verhalten. Und mehr taktische Möglichkeiten entstehen teils auch durch eine bessere physisch-mentale oder technische Basis.
Fazit
Um es kurz zu halten: Ich bin froh über Endreas Müllers Artikel. Einerseits, weil ich das Thema mag (nonaned), andererseits, weil sich endlich mal jemand konstruktiv, investigativ und sachlich damit auseinandersetzte. Und einen Diskurs ermöglichte. Großes Lob und großen Dank dafür.
P.S.: Van Gaals Vier-Phasen-Modell teile ich selbst nicht.
41 Kommentare Alle anzeigen
Lena 20. Februar 2016 um 20:51
Mir ging es ja ähnlich wie E. Müller. Zunächst.
Vieles verstehe ich nicht und daher lese ich eigentlich auch nur Analysen von Mannschaften, die ich gut kenne. Ja, Bayern, Barcelona, Dortmund, da krieg ich mehr raus… mich interessieren auch nicht die Artikel über schlechte Trainer, mich faszinieren die guten. Ganz toll fand ich die Beiträge in den Adventskalendern oder auch die EM / WM Vorbesprechungen. Generell je besser das Niveau der Spieler/Teams/Wettkämpfe, umso besser kann ich den Artikeln folgen.
Früher war es zonalmarking und davor die Blogs von Oli Fritsch. Unvergessen seine Analyse nach Argentinien und vor dem Italien Spiel 2006 und die Bewertung von Frings für das Team.
Dank Spielverlagerung sehe ich Fußball deutlich anders an. Trotzdem fehlt mir manchmal die sprachliche Klarheit von Zonalmarking, aber ich kann es verstehen, wer hat schon Zeit deutlich zu schreiben und zu kürzen. Aber oft, wenn ich wieder ganze Absätze überspringe, weil es eh nix ist für mich und ich mich zum Schluss durchhangele in der Hoffnung dort noch was klares, erhellendes zu finden und dann ist dort auch dieser verquastete Bombaststil, dann ist es schon bisschen schade. Dafür finden sich dann wieder so Dinge wie der Adventskalender und die WM / EM Berichte, oder die Neuroathletic, oder oder oder, und dann ist es mir egal, was in Mainz vs Hoffenheim drin steht. 🙂
CA 19. Februar 2016 um 18:36
Hey RM, ich konnte durch diesen Artikel mehr über dich in Erfahrung bringen und weiß jetzt, dass du Psychologie studierst. Mir ist seit längerem eine interessante Analogie aufgefallen, die meines Erachtens auch gut in diese krtische Betrachtung hineinpasst:
„Wir wollen nur das bewerten, was auf dem Platz tatsächlich zu sehen ist.“ – ( https://spielverlagerung.de/zufall-oder-taktische-marschroute/ )
„Der Behaviorismus lehnt die Methode von Freud ab und fokussiert sich auf das „objektive“ beobachtbare Verhalten und dessen Abhängigkeit von physikalischen Bedingungen, die Watson Reize oder Stimuli nannte.“ – (von der Assen, Christina: Crash-Kurs Psychologie – Semester 1, S.51)
Mich würde interessieren, inwieweit die Analogie auch in deinen Augen zutreffend ist.
Mir (als Laien) ist der Behaviorismus oftmals zu kurz gegriffen und hat nur einen beschränkten Aussage- bzw. Erkenntnishorizont. Parallel dazu gilt also auch, dass mir ausschließlich taktische Analysen nur eine beschränkte Erklärung für das Geschehene liefern – also auch manchmal zu kurz gegriffen sein können. Für tiefenpsychologische Ursachen einer Niederlage stehen einem Aussenstehendem natürlich nicht genügend Informationen in Form von persönlichen Erfahrungen mit den Beteiligten zu Grunde. Allerdings bietet die Psychoanalyse im Gegensatz zum Behaviorismus durch die Kultur- und Gesellschaftskritik einen Zugang zu jemandem ohne Vorkenntnisse zu dieser Person zu haben. Beispielshalber könnte man eine kritische Abhandlung darüber führen, welche Fußballkultur in Deutschland gelebt wird und wie diese sich auf den Amateurbereich und dessen Jugendkoordination auswirkt und sich schlussendlich in der ersten Bundesliga manifestiert. Diese Schlussfolgerungen könnten natürlich auch im Widerspruch zu den taktischen Analysen stehen, wie auch Psychoanalyse im Widerspruch zum Behaviorismus steht. Zu nennen wäre zum Beispiel ein Aspekt, der in meinen Augen bei internationalen Spielen zu kurz gegriffen wirkt: Wo die Spanier wert auch Technik legen, spielen die Engländer oder Deutschen eher physisch. Dieser Umstand hat in meinen Augen zwar eine Auswirkung auf die Taktik, die Taktik aber nicht auf den Umstand. Daher ist also die Frage, ob man sich bei taktischen Analysen nicht vielleicht eher mit Symptomen als mit dessen Ursachen beschäftigt, eine Hypothese von mir – die Parallelität zwischen Psychoanalyse und Behaviorismus gilt auch hier. Somit kann also auch die seit Jahren andauernde spanische Überlegenheit in Europa nicht durch taktische Analysen erklärt werden. Diesem liegen eher andere Faktoren zu Grunde, die auf dieser Webseite m.E. keine Erwähnung finden. Natürlich muss ich zugeben, dass ich die gewünschte Weitsichtigkeit und ganzheitliche Sichtweise auf keiner Webseite systematisch/analytisch erklärt bekomme. Mal bekomme ich taktische Analysen, dann widerum Spielerzitate und ein anderes Mal Analysen von der Rechnungslegung mancher Vereine, woraus ich mir schlussendlich selbst ein ganzheitliches Bild erzeugen muss. Diese Kritik geht widerum über diese Webseite hinaus und ist ebenfalls in den Wissenschaften zu finden. Insbesondere liegen dem Studiengang der Psychologie methodologische/wissenschaftstheoretische Voraussetzungen zugrunde, welche trotz des Versprechens am Anfang des Studiums, dass einem alles von Beginn auf beigebracht wird und keine Vorkenntnisse notwendig sind, keine Erwähnung finden. Daher möchte ich auch einer Kritik vorgreifen, in der es heißen könnte, dass meine Wünsche nach einer ganzheitlichen Sichtweise pseudowissenschaftlich sind, als dass sie nur bei Anwendung des Kritischen Rationalismus (https://de.wikipedia.org/wiki/Kritischer_Rationalismus) als unwissenschaftlich erscheinen. Für eine tiefergreifendes Verständnis meiner Kritik an taktischen Analysen und ihrer Aussagekraft sei hier an den Positivismusstreit (https://de.wikipedia.org/wiki/Positivismusstreit) erinnert.
Die Parallelitäten sind meines Erachtens gravierend und auch ich habe sie bisher nicht in Gänze verstanden und beschäftige mich weiterhin damit.
Eine Antwort wäre sehr geil.
Ein Zuschauer 20. Februar 2016 um 18:44
Kann man das nicht sehr einfach beantworten: SV sagt halt nicht: es gibt nur Taktik, sondern sie sagen: wir können nur Taktik wirklich gut untersuchen. SV hat ja überhaupt nicht den Anspruch die psychologischen Ursachen für Spielverläufe festzustellen, sondern nur die taktischen. Das Problem, dass man da beim Behaviorismus sehen könnte ergibt sich bei SV einfach aus kategorischen Gründen nicht.
Auch wenn ich jetzt sagen würde, dass der Behaviorismus falsch ist würde ich ja nicht sagen, dass Untersuchungen von Stimuli und Reizen und Folgewirkungen sinnlos oder ihre Ergebnisse unzutreffend. Ihnen fehlt halt vielleicht noch eine Ebene, aber sie würden in jeder psychologisch/philosophischen Sichtweise einen Zweck erfüllen. Genauso beschreiben Spielanalysen in jedem Fall effektiv die taktische Ebene, egal ob es psychologische Hintergründe nicht. Spielanalysen sind eben keine wissenschaftsphilosophische Sichtweise sondern maximal eine Methode.
karl-ton 20. Februar 2016 um 23:35
Fußball (also ein Spiel) ist ein Komplexes System (https://de.wikipedia.org/wiki/Komplexes_System). Von den Dingern gibt es grade in den Sozialwissenschaften noch ein paar mehr und auch da wird leider immer ignoriert, das sie Komplexe Systeme sind. Dementsprechend gibt es schlicht keine ganzheitliche Sichtweise, sondern immer nur Ausschnitte, die alle richtig sein können und sich trotzdem widersprechen 🙂
Taktikanalyse hat allerdings tatsächlich den Vorteil, dass sie beobachtbares anschaut und durch Trainer beeinflussbar ist. Im Gegensatz etwa zu Erklärungen wie „Großkreutz hat sich nicht in den Schuß geschmissen, weil er ersten immer noch den BVB im Herzen trägt und einen man crush für Reus hat“. Das mag nicht falsch sein (ist es allerdings wahrscheinlich doch), aber eben auch kaum beeinflussbar und schon gar nicht kurzfristig.
Übrigens: Selbst wenn die Spanier dominieren, weil sie technisch besser sind und sich nicht für Physis interessieren, dann müsste man ja die vor dem Spiel geplante Taktik daran anpassen und sie etwa früh stören, damit ihre technische Überlegenheit nicht so zum tragen kommt.
juwie 17. Februar 2016 um 23:40
Schöne Debatte!
AP 17. Februar 2016 um 22:42
Zu dem Artikel auf 120minuten. Ich sehe auch nicht immer das alles, was die Autoren hier sehen, genauso wie ein Oberligatrainer wohl nicht alles so gut erkennt, wie es ein Tuchel, Guardiola tut. Und das ist ja das Gute. Sonst würde es keine 120minuten, Spielverlagerung.de und auch kein Doppelpass geben. Für alle was dabei.
Daher verstehe ich auch nicht, was der Artikel soll. Alle sehen immer Alles und alle das Gleiche? Wer trainiert dann in Zukunft City? Mehmet Scholl, Fussballlehrer und Fussballprofi kann Fussball nicht erklären und redet lieber über den tiefen Rasen und das dieser Kraft kostet. So what. Jeder was er braucht.
Fakt ist, wenn ich nicht nur ein Spiel, zur Selbstfindung mir reinziehe, sondern mal ein Jahr lang, jedes Wochenende eins, dann werde ich feststellen, dass ich von Spiel zu Spiel mehr sehe und mehr taktische Zusammenhänge erkenne. Ob das einer will, darf er selbst entscheiden.
Dieser Artikel erinnert mich an meine Schulzeit im Physikunterricht, ich war zwar dabei, aber verstanden habe ich wenig. Und das war auch vollkommen okay so.
AP 17. Februar 2016 um 21:45
Komm schon RM, du kannst uns doch nicht mit diesen 2 Anmerkungen einfach so alleine lassen, ohne näher darauf einzugehen. Geht nun mal garnicht….
(Anmerkung: Ich bin trotzdem kein Freund der mannorientierten Raumdeckung!)
P.S.: Van Gaals Vier-Phasen-Modell teile ich selbst nicht.
RM 18. Februar 2016 um 00:28
(Anmerkung: Ich bin trotzdem kein Freund der mannorientierten Raumdeckung!)
Nicht flexibel genug, man kann sie unangenehm verzerren, wenn man sich gut bewegt.
P.S.: Van Gaals Vier-Phasen-Modell teile ich selbst nicht.
Van Gaals Modell ist unsauber und ungenau; er teilt sie ja ein in „Attacking“, „Defensive“ und eben die zwei „Transitions“ zwischen ihnen. „Attacking“ ist somit automatisch Ballbesitz und umgekehrt. Das ist fast schon lustig – immerhin macht Van Gaals United die meiste Defensivarbeit durch den eigenen Ballbesitz. Van Gaal argumentiert wie auch Verheijen damit, dass das Ziel des Spiels ein Torerfolg sei und man nur in Ballbesitz Tore erzielen könne. Ergo sei „Attacking“ immer Ballbesitz, also synonym zu sehen. Das hat für mich mehrere Grundprobleme: Ich bereite mich in Ballbesitz auf die Phase ohne Ballbesitz und die Umschaltphase vor, ebenso wie ich mich außerhalb des Ballbesitzes auf die Phase mit Ballbesitz und die Umschaltphase konzentriere. Somit sind die Phasen miteinander verbunden. Außerdem sind die Phasen erst dann relevant, wenn die Positionsstrukturen passen. Also sind sie auch nicht von der höchsten Ordnung. Die Phasen verschmelzen desweiteren, weil schon in eigenem Ballbesitz für die Spieler der Ballverlust vorhersehbar ist und sie sich schon in diese spezifischen „Fußballaktionen“ bewegen. Dazu können Einzelspieler dies in unterschiedlichen Momenten machen, was somit die „Team“-Komponente zerstört. Dazu ist das Argument unlogisch: Wenn man nur in Ballbesitz ein Tor erzielen kann, heißt das, dass ich bei eigenem Ballbesitz ja automatisch dafür sorge, dass der Gegner kein Tor erzielen kann. Und wenn ich dafür sorge, dass der Gegner kein Tor erzielen kann, ist das nach deren Definition ebenfalls „defending“. Die Umschaltphasen gefallen mir ebenfalls nicht. Man muss ja nicht zwingend in Richtung der Organisation mit oder ohne Ball umschalten, sondern kann sich gegen diese Umschalten sträuben und einen anderen Weg wählen: Konter bzw. Konter- aka Gegenpressing. Insofern müsste es eigentlich eine verschachtelte Loop mit drei Kreisen geben, wenn man es bei diesem Modell belassen möchte:
Ballbesitz -> Umschalten in Richtung keinem Ballbesitz -> Kein Ballbesitz ->
Ballbesitz -> Gegenpressing (nicht erfolgreich) -> Umschalten in Richtung keinem Ballbesitz -> Kein Ballbesitz ->
Ballbesitz -> Gegenpressing (erfolgreich) -> Umschalten in Richtung Ballbesitz -> Ballbesitz
Ballbesitz -> Gegenpressing (erfolgreich) -> Konter ->
Konter (nicht erfolgreich) -> Gegenpressing -> [siehe oben]
Konter (nicht erfolgreich) -> Umschalten in Richtung keinem Ballbesitz -> Kein Ballbesitz
Kein Ballbesitz -> Konter -> [siehe oben]
Kein Ballbesitz -> Umschalten in Richtung Ballbesitz (erfolgreich) -> Ballbesitz
Kein Ballbesitz -> Umschalten in Richtung Ballbesitz (nicht erfolgreich) -> Umschalten in Richtung kein Ballbesitz
(usw. usf.)
AP 18. Februar 2016 um 12:42
Danke Dir
Schorsch 17. Februar 2016 um 20:33
Ein sehr interessanter Artikel. Respekt vor der Fähigkeit zur Selbstkritik von RM.
Ich persönlich stehe zur Betrachtung von Taktik im Fußballsport folgendermaßen:
Im Fußball hängt vielleicht nicht alles mit allem zusammen, aber bestimmt vieles mit vielem. Fußball ist ein Wettkampfsport. D.h. gleichzeitig (auch wenn der Satz noch so verpönt sein mag), Fußball ist wie jeder andere Wettkampfsport auch ein Ergebnissport. Zwei Mannschaften treten gegeneinander an. Jede dieser beiden Mannschaften strebt ein bestimmtes Ergebnis an. Zumeist ist es das Ziel beider Teams zu gewinnen. Es kann auch sein, dass eine der beiden Mannschaften ein Remis erzielen oder eine erwartbare Niederlage in Grenzen halten will. Zur Erreichung des jeweiligen Ziel gibt es ganz bestimmte Mittel. Und eines dieser Mittel, vielleicht das wesentlichste, ist die Taktik. Nicht mehr, nicht weniger. Das ist heute nicht anders als in früheren Zeiten. Deshalb haben sich zu allen (Fußball-)Zeiten die Trainer mit Taktik befasst. Es gab und gibt keinen Trainer, bei dem dies nicht so war oder ist. Wobei schon allein durch die Regeln des Fußballspiels auch ein gewisses Rahmenkorsett für die Taktik vorgegeben ist. Und Regeländerungen auch direkten Einfluss auf taktische Entwicklungen haben. Siehe z.B. die Einführung der Abseitsregel oder in jüngerer Vergangenheit die Regel einen Rückpass zum Torwart betreffend. Sicherlich spielen auch persönliche Vorlieben von Trainern oder gar Vorgaben einer Clubführung oder eines Verbandes eine große Rolle, so etwa hinsichtlich einer prinzipiellen Offensiv- oder Defensivausrichtung oder eines ‚reinen Zweck-/Ergebnisfußballs‘.
Daraus resultiert für mich (und da bin ich sicherlich etwas unterschiedlicher Auffassung zu den Autoren von spielverlagerung.de), dass -etwas überspitzt ausgedrückt- die reine Betrachtung eines Spiels unter dem Gesichtspunkt der Taktik ohne Berücksichtigung des Endresultats so etwas wie l’art pour l’art ist. Die Taktik von Team A kann folgerichtig zu dem gewünschten Ergebnis geführt haben, weil sie der Taktik von Team B aus welchen Gründen auch immer überlegen war, Oder umgekehrt. Wenn die Taktik von Team A der von Team B eindeutig überlegen war, aber nicht folgerichtig zum Sieg geführt hat, dann ist dieser Aspekt mMn unbedingt auch Teil einer Analyse des Spieles unter taktischen Gesichtspunkten.
Es wäre aus meiner ganz persönlichen Sicht auch der einzige wirkliche Kritkpunkt, den ich an den sv.de hätte. Dass zumindest teilweise die Korrelation zum Ergebnis eines Spieles vernachlässigt wird.
Ansonsten kann ich sv.de nur ein ganz großes Lob aussprechen. Ihr habt die Fußballdiskussion (jenseits der professionell mit Fußball Befassten) auf eine neue Ebene gehoben. Dass sich da einige dieser ‚professionell mit Fußball Befassten‘ mit Euch austauschen, überrascht mich nicht.
RM 18. Februar 2016 um 00:30
die reine Betrachtung eines Spiels unter dem Gesichtspunkt der Taktik ohne Berücksichtigung des Endresultats so etwas wie l’art pour l’art
Nun ja, in der Statistik hilft es bei der Vorhersage der kommenden Ergebnisse, weil man durch diese Betrachtung den Zufall eliminiert. Das haben Martin und ich übrigens ohne Statistik durch Taktik im Herbst der Saison 2013/14 ebenfalls probiert, ging eigentlich ganz gut.
Ich verstehe aber deinen Punkt, wenn man es aus einer deskriptiven, journalistischen Perspektive auffasst. Danke für den Beitrag. =)
Max 18. Februar 2016 um 16:11
„Die Taktik von Team A kann folgerichtig zu dem gewünschten Ergebnis geführt haben, weil sie der Taktik von Team B aus welchen Gründen auch immer überlegen war,…“
Das ist für mich der wesentliche Punkt einer Taktikanalyse: welchen Weg haben beide Mannschaften gewählt um ihr Ergebnis zu erreichen? Warum haben sie diesen Weg gewählt? Wer war warum überlegen?
Der Überlege muss dann natürlich nicht zwangsläufig auch gewonnen haben. MMn kann man ruhig schreiben: „Team A war aus den und den Punkten überlegen und hatte mehr Chancen zu gewinnen. Aber Team B hat eben den Sonntagsschuss in den Winkel gesetzt.“
Das Resultat ist für eine Taktikanalyse für mich nur insofern relevant, da ein Zwischenergebnis die Taktik während des Spiel ändern kann.
Schorsch 18. Februar 2016 um 23:31
Dem will ich gar nicht widersprechen.
In meinem post hatte ich darauf hingewiesen, dass ich (bewusst) überspitzt habe. Der Hauptpunkt in meiner ganz persönlichen (und vom Wettkampfsport geprägten) Herangehensweise ist, dass ich vom Ergebnis her denke. Vor dem Spiel / Wettkampf und danach. Vor dem Spiel, weil ich ein bestimmtes Ergebnis erreichen will, nach dem Spiel zur Überprüfung, warum ich mein Ergebnisziel erreicht oder verpasst habe. Taktik ist dabei nach meinem Verständnis ein Mittel, um dieses gesteckte Ziel zu erreichen; mMn das wesentliche Mittel. Wenn ich z.B. ein Spiel 0:1 verloren habe und die Taktikanalyse zeigt mir als Trainer nach dem Spiel, dass meine Taktik der des Gegners überlegen war und dies folgerichtig zu einem Sieg hätte führen müssen, dann muss es andere Gründe für die Niederlage gegeben haben. Und dies gehört für mich (wie gesagt, meine ganz persönliche Meinung) in das Fazit einer Taktikanalyse hinein. Möglicherweise hat mein Team ‚Großchancen‘ im Dutzend erspielt, aber alle kläglich verdaddelt und sich nur eine einzige ‚Schlafmützigkeit‘ erlaubt oder der Referee gibt einen völlig ungerechtfertigten Strafstoß gegen mein Team. Oder es lag an eckigen statt runder Torpfosten, so wie im Endspiel um den Europapokal der Landesmeister 1976… 😉 Dann muss ich an anderen Dingen arbeiten als an der Taktik oder deren Umsetzung durch die Spieler. Führt mein Team allerdings das Spiel überlegen, ohne sich auch nur eine einzige wirkliche klare Chance herauszuspielen, dann sieht die Sache schon anders aus. Im umgekehrten Fall, wenn mein Team ein Spiel gewonnen hat, obwohl es folgerichtig hätte verlieren müssen, habe ich zwar ein gewünschtes Ergebnis erzielt, aber die Taktikanalyse zeigt auf, was vielleicht alles falsch gelaufen ist. Dann weiß ich, woran zu arbeiten ist bzw. was taktisch zu ändern ist.
Ist aber wie gesagt nur meine persönliche Meinung.
Dr. Acula 17. Februar 2016 um 18:45
„Man kann von dem strengen Ex-Bayern-Coach halten, was man will – dieses Konstrukt ist ihm auf jeden Fall gut gelungen:“
also doch nicht so gut gelungen hm
Peda 17. Februar 2016 um 16:54
Danke für diese „Artikelserie“, Endreas‘ Analyse, das Interview und deine Replik sind allesamt sehr lesenswert – MRs Manifest sollte sowieso als abendliches Gebet in den Tagesablauf eines jeden Fußballfans Einzug halten. 😉
Zu deinem Text habe ich noch eine Frage und würde mir eine Antwort dazu wünschen:
Du bezeichnest Verheijens Modell der Aspekte als sehr passend, obwohl dir persönlich noch zwei Ebenen fehlen (welche wären das? So etwas wie Neurofitness vielleicht?), hältst seine Unterteilung der Defensive für wrong on so many levels (warum?) und teilst postscriptum Van Gaals Vier-Phasen-Modell nicht (warum?).
Ich verstehe nicht ganz, warum du da so i-Tüpferl reitest. Meiner Meinung nach haben solche Modelle vorrangig das Ziel plakativ und damit einprägsam, aber nicht allgemeingültig zu sein, um der Entwicklung bezüglich des Fußballverständnisses zu helfen.
Macht es wirklich einen Unterschied, ob ich die vier Aspekte als TIPS-Modell (Technique, Insight, Personality and Speed – Ajax-Schule), als Psyche, Taktik, Technik, Physis (sagt mir sprachlich am meisten zu) oder als Kommunikation, Entscheidungsfindung, Ausführung, Fußballfitness beschreibe?
Jeder Aspekt beeinflusst alle anderen und sie sollten im Training nicht isoliert betrachtet oder gar trainiert werden, aber sie dienen dem Verständnis des Konzepts der Ganzheitlichkeit.
Selbiges ließe sich doch auch über Van Gaal sagen: jede Phase beeinflusst alle anderen und sie sollten keinesfalls strategisch isoliert betrachtet werden (sonst streckt man das Feld im Ballbesitz und wundert sich über das schlechte Gegenpressing), aber sie dienen dem Verständnis, vor allem zu Beginn der Entwicklung.
Deine – ausführlichen 😉 – Gedanken dazu würden mich wirklich sehr interessieren!
RM 18. Februar 2016 um 00:58
Du bezeichnest Verheijens Modell der Aspekte als sehr passend, obwohl dir persönlich noch zwei Ebenen fehlen (welche wären das?
Nun, Verheijen spricht ja davon, dass jede Fußballaktion eben diesen Prozess durchläuft. Sie basiert auf Kommunikation, nach der eine Entscheidung getroffen wird, die dann ausgeführt wird. Mir fehlen über der Kommunikation zwei Sachen, welche definieren, wie die Kommunikation zustande findet. Zuerst gibt es ja die Wahrnehmung. Man nimmt Informationen wahr. Das Spielfeld ist ein riesiges Informationsfeld mit zig Informationen. Hierbei weiß man ja, dass das visuelle System einfach viele Informationen wahrnimmt, das Gehirn aber nur ein paar (bewusst) verarbeitet. Welche verarbeitet werden, hängt von der Bahnung, dem Priming, ab. Dieser Filter fokussiert jene Informations-Chunks bzw. visuellen Cues, welche dann für die Kommunikation genutzt werden. Insofern sähe mein Modell wie folgt aus:
Perception -> Priming -> Communication -> Decision Making -> Execution -> Football Fitness.
Muss man aber nicht so sehen. Macht Verheijen auch nicht. Ich treffe mich übrigens morgen mit ihm in Amsterdam (schreibe gerade aus dem Hotel) und höre mir an, was er dazu sagt. Für ihn ist Priming eine starke Verbindung zu seinem Konzept des „Football Braining“ und ein Werkzeug für die Kommunikation, aber kein separater Aspekt des Spiels. Für mich ist Priming dort drin, weil er die strategische Komponente und das Training widerspiegelt, welches sich im Spiel ebenfalls zeigt. Und bekanntlich sind Strategie und Taktik zwei unterschiedliche Sachen. Mal sehen.
So etwas wie Neurofitness vielleicht?)
Nein, die Neuroathletik ist ja keine Aktion, die als solche im Fußball stattfindet, sondern eine Eigenschaft, welche den Fußballer bei allen Aktionen – insbesondere bei der Perception, also der Wahrnehmung, und der Execution, also der (technischen) Ausführung der Entscheidung – unterstützt (sprich: besser macht).
wrong on so many levels
Sh. die Grundpunkte oben zu AP. Hier speziell die Synonymisierung der Phasen in „attacking“ und „defending“ sowie die Namensgebung für die (nur?!?) zwei fundamentalen Möglichkeiten („disturb“ und „prevent scoring“). Ist nicht „disturb“ automatisch „prevent scoring“ bzw. „prevent scoring“ in eigentlich jeder Aktion enthalten?
Van Gaals Vier-Phasen-Modell
Sh. Antwort zu AP.
Ich verstehe nicht ganz, warum du da so i-Tüpferl reitest.
Haha, das kommt vielleicht falsch rüber. Grundsätzlich ist es mir egal. Verheijen selbst besteht jedoch auf a) präziser Sprache in ‚Action Language‘, b) der Objektivität seiner von sich gegebenen Sachen & c) dass diese keine Meinungen sind, sondern Fakten. Insofern ist meine Kritik auch darum sehr penibel. In der Praxis ist die Diskussion wohl letztlich irrelevant; auch wenn ich finde und glaube, dass diese Aufteilung der Phasen in „attacking“ und „defending“ rein psychologisch die Spieler falsch fokussiert. Desweiteren hat Verheijen die „Psyche“ nicht in seinem Modell; für ihn ist die Psyche einfach ein Teil der Physis. Dazu sind ja diese anderen Modelle eher eigenschaftsorientiert, Verheijens Modell ist aktionsorientiert.
Jeder Aspekt beeinflusst alle anderen und sie sollten im Training nicht isoliert betrachtet oder gar trainiert werden, aber sie dienen dem Verständnis des Konzepts der Ganzheitlichkeit.
Selbiges ließe sich doch auch über Van Gaal sagen: jede Phase beeinflusst alle anderen und sie sollten keinesfalls strategisch isoliert betrachtet werden (sonst streckt man das Feld im Ballbesitz und wundert sich über das schlechte Gegenpressing), aber sie dienen dem Verständnis, vor allem zu Beginn der Entwicklung.
Absolut. Dem stimme ich zu. Allerdings – und das ist Verheijens Argument – beeinflusst Sprache auch die Aktion. Sage ich einem Spieler, er solle sich zu Punkt X bewegen, ist es anders, als wenn ich ihm sage, er soll in Richtung Punkt X verteidigen. Er hat eine andere Körperhaltung, usw. usf. „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, wie schon Wittgenstein sagte. Und hier limitiert man sich eben durch die Sprache manchmal. Grundsätzlich hast du aber absolut Recht und ich bin hier schon so weit abgeschweift, dass ich alle Klischees aller Kritikartikel an Spielverlagerung im Alleingang bestätige.
Spinoza 18. Februar 2016 um 02:07
Oh Gott, jetzt zitiert RM auch noch Wittgenstein: Die Intellektualisierung des Fussballs auf sv geht in die nächste Runde!
felixander 18. Februar 2016 um 09:22
und dass dieser kommentar von „spinoza“ kommt, ist der meta-meta-meta-gag dazu?
Peda 18. Februar 2016 um 13:05
Verheijens Modell:
Gut, mir war nicht so bewusst, dass es da vor allem um den Prozess geht und er seine Modelle als Fakt darstellt, macht Sinn.
Aber wenn du Wahrnehmung und Priorisierung (gibts eine ordentliche Übersetzung ins Deutsche? Unter Bahnung kann ich mir wenig vorstellen) voranstellst, was beinhaltet dann die Kommunikation noch? Eigentlich habe ich in dem Zusammenhang unter Kommunikation ja eh die Wahrnehmung verstanden. Ist das dann der Abgleich der möglichen Lösungswege mit den Mannschaftszielen oder wie darf ich das verstehen?
Neuroathletik:
Ich bin gerade dabei Dr. Eric Cobbs Blog durchzuackern und bin nach einigen Selbstversuchen der Meinung, dass es eigentlich fahrlässig ist wie wenig verbreitet die Methoden sind. Damit lassen sich Potentiale freisetzen, dagegen kannst du dir die ganzheitlichsten Rondos einrexen! (überspitzt formuliert)Deshalb hätte ich das gerne irgendwo drin, ich habe den richtigen Platz aber noch nicht gefunden.
Und jetzt komme ich während des Schreibens drauf, dass die Bezeichnung Neuroathletiktraining ja eh schon genau das ist – klassisches Athletiktraining steht ja auch in keinem der Modelle, sondern sepeparat – und du kannst eigentlich gleich wieder vergessen was ich gesagt habe. 😀
Van Gaal:
Ich glaube, wir sind uns in der Sache eh einig.
Für mich ist in dem Fall zuallererst die Prägnanz entscheidend, du bist schon ein paar Schritte weiter und schaffst mit einem plakativen und zugleich allgemeingültigen Modell beinahe die Quadratur des Kreises. Ich werde mir das ganz ohne Ironie aufmalen und aufhängen.
Warum für mich die Prägnanz entscheidend ist:
Ohne mein Zutun hätte bei unserem Verein wohl noch keiner von dem Modell gehört. Der springende Punkt daran ist ja, dass es nicht nur Defensive und Offensive gibt, sondern eben jeweils eine Phase im Übergang. „Sprache schafft Wirklichkeit“ – um Wittgenstein zu vervollständigen – und ohne das Bewusstsein wird eine kollektiv harmonische Entscheidungsfindung erschwert, wenn nicht sogar verunmöglicht. Ich will damit einer rein expliziten Taktikvermittlung nicht das Wort reden, aber für mich persönlich ist es um vieles einfacher etwas bewusst umzusetzen, wenn ich es auch in Worte fassen kann. Implizit Erlerntes explizit festhalten.
Wenn das geschehen ist, kann man das vereinfachte Modell erweitern, um einen wirklich vollständigen Überblick zu erhalten. Auf einmal halte ich das für schwierig.
@Sprache schafft Wirklichkeit:
Mir war vor Inverting The Pyramid absolut nicht bewusst, dass ein auf Dribbling fokussierter Spielstil als Ideal angesehen werden kann. Für mich war das nichts als Egoismus in Reinform, einen Teamsport konterkarierend und trieb mich im Training oft zur Weißglut. Seit diesem Aha-Erlebnis erwarte ich mir bei solchen Spielern gar kein Anspiel mehr, sondern versuche ihnen Räume zu öffnen und sie abzusichern. Darauf wäre ich von selbst, so blöd das auch klingen mag, wohl nie gekommen.
HW 17. Februar 2016 um 16:43
Ich traue mich gar nicht die beiden Texte zu lesen. Bei Analysen einer Rechtfertigung auf Meta-Ebene dreht sich bei mir leicht der Magen um.
Ich kann nur sagen, dass der Unterschied früher – heute nicht so groß ist wie oft angenommen.
Früher war nicht alles besser, aber früher war es auch gut.
Heute ist Fußball athletischer und schneller. So wie jeder andere Sport und das Leben allgemein.
Früher gab es auch Taktik. Vielleicht nicht im Fokus der Berichterstattung, aber das beweist keinen taktikfreien Sport. Früher wurde nicht nur Heroenfußball gespielt (wo auch immer das Wort her kommt). Und heute gibt es nicht nur Taktik.
Trainer versuchen das zu beeinflussen, von dem sie etwas verstehen. Da es mehr Statistiken gibt, können Statistiken als Werkzeug dienen. Weil es Videoaufzeichnungen, -analysen usw. gibt, können Taktiken besser durchleuchtet und ausgearbeitet werden.
Das sind Resultate gesteigerter Ressourcen. Es steht mehr Geld, mehr Personal und bessere Technik zur Verfügung. Und es ist das Resultat der stetigen Entwicklung.
Aber auch heute muss neben Taktik, Athletik und Technik trainiert werden. Und hier wurden sicher ähnliche Fortschritte gemacht wie bei der Taktik.
Wenn eine Statistik zeigt, dass Spieler X die 50 Meter in 5,5 Sek. läuft, dann ist das keine taktische Aussage. Es ist eine Aussage über die Athletik. Wenn die Zeiten bei der Ballverarbeitung gemessen werden, dann zeigt dies vorrangig technische Aspekte.
Ist der Fußball für den Fan interessanter? Für einen Fan eines bestimmten Vereins sicher nicht. Die Leidenschaft hat ihre Ursache im Herz. Für einen Menschen der sich für die Struktur und Wechselwirkung von Systemen interessiert, ist die Gegenwart sicher interessanter als die Vergangenheit. Aber das liegt weniger am Fußball als an der Vermessung der Welt.
Wie gesagt, früher war es auch gut. Aber früher fiel das Brot auch auf die Butterseite.
Ich brauche keine Analyse warum, oder warum nicht, Taktik die Sichtweise zum Positiven oder Negativen verändert hat.
RM 18. Februar 2016 um 01:06
Bei Analysen einer Rechtfertigung auf Meta-Ebene dreht sich bei mir leicht der Magen um.Ist heutzutage eigentlich eine Antwort immer eine Rechtfertigung? Was ist aus der guten alten konstruktiven Diskussion, aus einem Austausch von Erklärungen und Vermittlung von Ursachen geworden?
Ich brauche keine Analyse warum, oder warum nicht, Taktik die Sichtweise zum Positiven oder Negativen verändert hat. Darum ging es in beiden Beiträgen eigentlich eh nicht.
euler8 17. Februar 2016 um 16:22
Der Herr missinterpretiert mE den Begriff der „Analyse“ und setzt implizit vorraus, dass nur 100% planbare System einer Analyse wert seien. Ein Analyse oder ein Modell (komplexer) Systeme ist aber nie real, sondern bilden nur die Realität hoffentlich hilfreich ab. Wenn er einen Erkenntnisgewinn bezweifelt und den Kollegen Zufall als ultimativen Analyse-Killer sieht, ist das sein gutes Recht. Stochastik mag ja auch nicht jeder. Ich für meinen Teil habe Spaß an Gedankenexperimenten und sehe durchaus einen Erkenntnisgewinn im Vergleich zur reinen Berichterstattung (oft nur eine Nacherzählung des Spiels inkl. Boulevard-Themen) in sogenannten „Fachmagazinen“.
HW 17. Februar 2016 um 16:49
Wer Statistik im Fußball falsch anwendet, soll das gerne tun.
Wenn aber die Amerikaner im Skynet Programm Statistik falsch machen, dann sterben Menschen.
Das Wort Zufall ist mittlerweile vielleicht das was im Mittelalter als Gottes Wille (oder Strafe) bezeichnet wurde. Soll heißen, was man nicht versteht wird einfach als Zufall bezeichnet. Zufall, ein Buzzword.
Michael 17. Februar 2016 um 22:18
Die vermeintliche Logik „Ich versteh’s nicht –> das muss Zufall gewesen sein“ führt aber leider oft direkt zu viel schlimmeren Trugschlüssen. Die Fernsehexperten bieten ja genug einfache Erklärungen für komplexe Sachverhalte á la „die haben verloren, weil sie nicht richtig in die Zweikämpfe gekommen sind / nicht gierig genug waren /…“ an.
Wir Menschen sehen uns halt auch einfach danach, Erklärungen für Alles zu finden. „Wir haben den Sieg heute mehr gewollt“ ist halt einfacher zu verstehen und deswegen auch populärer als „Wir konnten in dieser Umschaltsituation den offenen Raum zwischen den beiden mannorientiert agierenden Ketten, ursächlich hervorgerufen durch ein unpräzise getimtes Herausrücken des Halbraumliberos, entscheidend ausnutzen und mit einem gezielten Schnittstellenpass ihr Gegenpressing aushebeln und so zum Torerfolg kommen“ (und bevor jemand schimpft: ja ich weiß, dass der letzte Satz so formuliert eher überspitzter Blödsinn ist)
mba123 18. Februar 2016 um 09:51
Die einfachen Erklärungen können aber durchaus richtig sein. Wenn jemand sagt, dass die eine Mannschaft nicht in die Zweikämpfe kam, mag das den Tatsachen entsprechen. Es wird halt nur keine Begründung geliefert, warum das der Fall war.
Jeder wird eine eigene Grenze haben, wie genau er einen Sachverhalt erklärt bekommen möchte. Aber auch die besten Analysten werden nicht alles erklären können.
RM 18. Februar 2016 um 00:59
Ein Anhänger des Determinismus?
idioteque 18. Februar 2016 um 13:49
Nö, Zufall heißt in dem Zusammenhang ja nicht, dass irgendetwas passiert, das man nicht erklären kann, sondern dass bestimmte Dinge mit einer (bekannten oder unbekannten) Wahrscheinlichkeit passieren. Manche Systeme sind so komplex (oder es gibt unbekannte Variablen), dass sich nur Wahrscheinlichkeitsaussagen treffen lassen. Und eine Taktik im Fußball hat normalerweise das Ziel, die Erfolgswahrscheinlichkeit so weit wie möglich zu erhöhen. Ob sie im Endeffekt funktioniert, hängt auch von Faktoren ab, in die (oder ihren Einfluss aufs Spiel) man vor dem Spiel (oder vor einer speziellen Aktion) keinen oder nur begrenzten Einblick hat. Im Nachhinein kann man immer Gründe dafür finden, dass etwas passiert ist, aber im Vorhinein ist das nur begrenzt möglich. Und die Taktikanalyse sollte auch das Ziel haben, beides in Relation zu setzen. Mir fallen hierzu die Analysen auf sv zu unerwartet extremen Ergebnissen ein (z.B. das 5:1 von Bayern gegen Wolfsburg oder das 7:1 im WM-Halbfinale), die gut ins Verhältnis setzen, was das Ziel einer bestimmten Taktik war (und welche Stärken und Schwächen sie hatte) und warum in dem speziellen Fall das Ergebnis so geworden ist, wie es der Fall war.
Ein Zuschauer 18. Februar 2016 um 14:26
Exzellenter Beitrag!
kingcesc 17. Februar 2016 um 16:19
Der Artikel erscheint leider nicht auf der Startseite, kann man das ändern?
Gibt es eigentlich Hinweise, wie man vermeintlich „dummen“ (bewusst in Anführungszeichen) Spielern solche Trigger beibringt? Kann man hier die allgemeinen Lernhinweise nehmen? Hören, Lesen, Machen? Impliziertes Lernen ist hier ja wohl schwer? Hier kann man doch Details sehr schwer vermitteln?
RM 18. Februar 2016 um 01:00
Dazu kommt die nächsten Wochen (vielleicht, muss checken, ob ich ihn publizieren darf oder ob er einem Klienten zukommt) vielleicht ein Artikel.
king_cesc 18. Februar 2016 um 11:27
Danke!
Dann hoffen wir mal auf einen großzügigen Klienten!
mba123 17. Februar 2016 um 16:11
Ich denke, Endreas Müllers Beitrag beschreibt den Eindruck sehr gut, wenn man zum ersten Mal die Analysen von spielverlagerung liest.
Als fundierte Kritik an den Analysen würde ich den Artikel aber nicht sehen. Ich glaube auch, dass er einige seiner Vorwürfe zurücknehmen würde, wenn er sich intensiver mit dem Thema befasst. Denn ein tieferes Verständnis, eigentlich egal um welches Thema es geht, setzt auch immer erst mal eine Menge Fleiß voraus.
Trotzdem finde ich, dass es immer wichtig ist, den Sinn und Zweck der Analysen zu hinterfragen. Da würden mich die Meinungen der Experten interessieren. Wo gibt es noch Schwächen in der Analyse? Welche Aspekte würde man gerne noch berücksichtigen? Wie viel Subjektivität fließt in die Analyse? usw.
RM 18. Februar 2016 um 01:12
Ich denke, Endreas Müllers Beitrag beschreibt den Eindruck sehr gut, wenn man zum ersten Mal die Analysen von spielverlagerung liest.
Als fundierte Kritik an den Analysen würde ich den Artikel aber nicht sehen. Ich glaube auch, dass er einige seiner Vorwürfe zurücknehmen würde, wenn er sich intensiver mit dem Thema befasst. Denn ein tieferes Verständnis, eigentlich egal um welches Thema es geht, setzt auch immer erst mal eine Menge Fleiß voraus.Ohne dies werten zu wollen, empfand ich Endreas Müllers Beitrag als wohltuend. Journalismus mit guter Schreibe und eigener Recherche zu einem unorthodoxen Thema, welche sachlich und dennoch nicht trocken betrachtet wurde. Ein wahrer Lichtblick unter vielen Beleidigungen und Spott, die man schon erhielt. Und: Ein Diskussionsöffner.
Wo gibt es noch Schwächen in der Analyse? Welche Aspekte würde man gerne noch berücksichtigen? Wie viel Subjektivität fließt in die Analyse? usw.Bei uns konkret? Aus einer analytischen Perspektive (und nicht aus einer journalistischen / auf Unterhaltung ausgelegten)?
mba123 18. Februar 2016 um 10:12
Ich halte Endreas Müllers Beitrag auch für seriösen Journalismus.
Er verteufelt nicht gleich alles, sondern probiert erst Einblick in ein Thema zu bekommen, dem er kritisch gegenüber steht.
Das Fazit hätte er für meinen Geschmack noch etwas zurückhaltender formulieren können. Beispielsweise indem er einfach die für ihn offenen Fragen nennt. So wie er es formuliert, bleiben seine eingangs beschriebenen Vorwürfe zumindest zum Teil bestehen. Obwohl er selber einräumt, dass er nicht tief genug in der Materie steckt.
Das alles ist für mich aber nur ein kleiner Kritikpunkt an dem Artikel.
Gut finde ich jedenfalls, dass detailliertere Analysen im Fußball immer mehr Anklang finden. Hoffentlich wirkt sich das auch auf die ein oder andere Expertenrunde im Fernsehen aus.
mba123 18. Februar 2016 um 10:40
Zu euren Analysen:
Hättet Ihr gerne mehr Material zur Verfügung (weitere Kameraperspektiven, statistische Daten, etc.)? Welche relevanten Sachverhalte können nur unzureichend beschrieben/erklärt werden?
drklenk 17. Februar 2016 um 15:32
Sehr interessanter Artikel, danke dafür.
@RM: Mich würde interessieren, warum du Van Gaals Vier-Phasen-Modell nicht teilst.
Weil die Phasen zu schnell wechseln und alles zusammenhängt, oder hat das einen anderen Grund?
fk_dvlpmnt 17. Februar 2016 um 17:23
Ich denke, da RM der Auffassung ist, dass das Spiel nicht in bestimmte Phasen unterteilt werden sollte sondern alle Phasen sehr eng miteinander verknüpft sind und aufeinander wirken (s. z.B. Juanma Lillo). Van Gaals Modell besagt beispielweise, dass bei eigenem Ballverlust und somit der Umschaltaktion auf Ballbesitz des gegnerischen Teams die eigene Mannschaft unorganisiert sei und erst nach dieser Transitionsphase der Zustand eintritt in welchem die eigene Mannschaft bei gegnerischem Ballbesitz organisiert ist. Idealerweise steht man jedoch bereits in eigenem Ballbesitz in passender Struktur um bei Ballverlust im Gegenpressing Zugriff zu erzeugen und gegen jenen passend abgesichert zu sein. Auch im Ballbesitz achtet man bestenfalls immer auf die Verteidigung, das Umschalten auf Ballbesitz des Gegners wie es van Gaal beschreibt ist nicht notwendig, da einkalkuliert.
luckyluke 17. Februar 2016 um 18:44
Hat er glaub schon mal irgendwo erläutert (hilfreich ich weiß :D).
Ich glaube ein Teil der Kritik war, dass, wenn er es denn überhaupt als sinnvoll ansehen würde, noch zwei(?) Phasen mehr dabei sein müssten… Aber genau weiß ich es leider auch nicht mehr..
RM 18. Februar 2016 um 00:33
Teil der Erklärung war im Gegenpressing. Wenn man penibel ist, wird es – wie Peda richtig schrieb – unübersichtlich und unökonomisch. Sh. mein obiger Beitrag an AP. Aber es sollte halt grundsätzlich korrekt sein. Was mich da speziell auch bei anderem Fokus ohne Komplettheitsanspruch stört; sh. Antwort an Peda.
Peter Vincent 17. Februar 2016 um 15:19
Der Kern seiner Kritik ist mE:
„Aber es kann doch nicht jede Bewegung geplant sein. Was nützt es dann, so detailliert zu analysieren? Suggeriert mir die Taktikanalyse die Erklärung des nicht Erklärbaren?“
„Was mein eigenes Verständnis des Spiels angeht, bleibe ich skeptisch, bis zu welchem Grad eine Analyse ein Match aufdröseln kann, um mir noch einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu liefern. Das mag zum einen an meiner Unkenntnis liegen, aber vielleicht auch ein bisschen daran, dass sich im Fußball nicht alles planen lässt.“
http://120minuten.net/taktik-ist-ueberbewertet/
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Der Herr missinterpretiert mE den Begriff der „Analyse“ und setzt implizit vorraus, dass nur 100% planbare System einer Analyse wert seien. Ein Analyse oder ein Modell komplexer System sind aber nie real, sondern bilden die Realität hoffentlich hilfreich ab.
Wenn er einen weiteren Erkenntnisgewinn bezweifelt und den Kollegen Zufall als ultimativen Analyse-Killer sieht, ist das sein gutes Recht. Stochastik mag ja auch nicht jeder. Ich für meinen Teil habe Spaß an Gedankenexperimenten und sehe durchaus einen Annäherungsgewinn solcher Analyse im Vergleich zur reinen Berichterstattung (oft nur eine Nacherzählung des Spiels inkl. Boulevard-Themen) in sogenannten „Fachmagazinen“.
Peda 18. Februar 2016 um 10:06
Sollte das des Pudels Kern sein, fällt die Antwort ja relativ leicht. Frei nach RM:
die Taktikanalyse ist deskriptiv-analytisch: sie setzt weder Bewusstheit noch Absicht voraus, nur Effekt und Wiederholung.
Das passt auch gut in Analogie zu den Analysen der Fernsehexperten.
„Nicht in die Zweikämpfe kommen“ – dem Scholl ist’s wurscht, ob das bewusst passiert, es wirkt sich seiner Meinung nach auf das Spiel aus.
Man könnte sogar noch einen Schritt weitergehen und interpretieren, dass es die eine der Aufgaben des Analysten ist dem Zuseher eine Einsicht in den Kopf der Trainer zu geben.
Für den Trainer ist nämlich in-game alles relevant, was einen Effekt auf das Spielgeschehen hat.