Zusammenfassung des technischen Berichts der UEFA zur CL-Saison 2010/11
Die UEFA hat ihren jährlichen technischen Bericht zur vergangenen Champions League Saison 2010/11 veröffentlicht. Spielverlagerung.de bietet an dieser Stelle eine Zusammenfassung und Aufarbeitung der wichtigsten Punkte des Berichts. Wir beginnen mit den Statistiken zur vergangenen Saison, zeigen die Besonderheiten und Veränderungen, die die UEFA festgestellt hat, und analysieren danach die Viertelfinalisten. Am Ende erfolgt eine Aufarbeitung, der von den technischen Beobachtern festgestellten taktischen Trends und die Zusammenfassung der im Bericht aufgeführten diskussionswürdigen Themen.
Für den diesjährigen technischen Bericht zuständig war der Technische Direktor bei der UEFA, Andy Roxburgh, der mit Graham Turner auch die Redaktion bildete. Die technischen Beobachter waren Massimiliano Allegri, Fabio Capello, Roy Hodgson, Gérard Houllier, Paulo Sousa, Thomas Schaaf, Jozef Venglos und Howard Wilkinson.
Teil 1: Statistiken
Torstatistiken
In den 125 Spielen der vergangenen Saison fielen 355 Tore, das sind im Durchschnitt 2,84 Tore pro Spiel und ein unerwarteter Höchstwert seit der Saison 2000/01 (2,86 Tore/Spiel). In den vergangen drei Spielzeiten lag dieser Wert bei 2,6 +/-0,4 Toren pro Spiel. Dieser Hochwert bei den Toren wurde unter anderem durch eine sehr torreiche Gruppe A verursacht, mit Werder Bremen, Tottenham Hotspur, Twente Enschede und Inter Mailand, und auch durch überraschend hohen Ergebnissen in den KO-Spielen (wieder war Inter beteiligt).
2010/11 wurden vermehrt Tore durch die Mitte erzielt, der Rückgang des klassischen Flügelspiels mit Flanken ist ein Trend im Fußball. Tore aus Kontern gingen von einem Anteil von 27% in der Saison 2009/10 auf 21% zurück; was in absoluten Zahlen kaum eine Veränderung ist, weil mehr Tore geschossen wurden. Es ist eher ein Zeichen dafür, dass der normale Aufbau, wahrscheinlich aufgrund schwacher Abwehrleistungen, erfolgreicher war und daher die Torausbeute gestiegen ist. Viele Mannschaften überstanden die Gruppenphase, obwohl sie viele Tore kassiert hatten (mind. 10 Gegentore in der Gruppenphase: Spurs, Inter, Lyon, AS Rom). In der Vorsaison schaffte nur ein Team mit zehn Gegentoren den Sprung ins Achtelfinale. Auch Standardsituationen waren weniger erfolgversprechend als oft angenommen wird (Rückgang auf 23%). Zwar fielen 28 Tore nach Eckbällen, was aber nur einem Treffer auf 46 Ecken entspricht.
Verteilt man die Tore auf die Spielzeit (15-minütige Abschnitte), dann zeigt sich, dass in den Anfangsphasen zurückhaltender agiert wurde und wenige Tore fielen (9%, 32 Tore). Über das Spiel verteilten sich die Tore gleichmäßig (14,93% – 17,75%), bis in der Schlussviertelstunde Mannschaften risikoreicher spielten und entweder Tore erzwangen oder die Abwehr entblößten und Fehler machten (75 Tore, 21,13%).
Nur 7 Spiele gingen torlos zu Ende und 72% der Teams, die mit 1:0 in Führung gingen verließen das Feld auch als Sieger (12,8% Unentschieden mit Toren, 9,6% Niederlage).
Ballbesitz, Fouls & Co.
Gehen wir weg von den Toren und wenden wir uns dem Ballbesitz zu. Der FC Barcelona ist mit durchschnittlich 68% Ballbesitz deutlich Anführer dieser Rangliste (2.: FC Bayern, 60%). Barça schaffte den Höchstwert im Auswärtsspiel gegen Rubin Kazan (75%) und, mit immer noch 61% Ballbesitz, den niedrigsten Wert in London gegen Arsenal (gleichzeitig das Spiel mit der höchsten Laufleistung von Barça). Manchester United kam im Schnitt auf 53% Ballbesitz. Im Finale musste United aber bei nur 37% Ballbesitz zusehen (und lieferte dazu die niedrigste Laufleistung ab).
Die meisten Teams liegen um 50% beim Ballbesitz, selbst schwächere Mannschaften erreichen über die ganze Saison einen Durchschnitt von 46% – 49%. Glasgow Rangers und CFR Cluj liegen mit 40% bzw. 39% abgeschlagen am Ende der Liste. Glasgow wurde zwar dritter in Gruppe C (vor Bursaspor), schoss aber nur 3 Tore. Zwei Teams, MSK Zilina und Partizan Belgrad, verloren alle Spiele.
Die „unfairste“ Mannschaft war Shakhtar Donezk mit insgesamt 181 Fouls (18,1 Fouls/Spiel). Auch Schalke ist mit 16,5 Fouls/Spiel im vorderen Feld vertreten, gleichauf mit Arsenal. Der FC Barcelona ist hier Vorletzter mit 10,77 Fouls/Spiel, muss sich aber den Glasgow Rangers mit nur 10 Fouls pro Spiel geschlagen geben.
Der Unterschied zwischen Barça und Glasgow war, dass die Rangers sehr wenig Ballbesitz hatten (sie spielten 5-4-1) und daher eigentlich viele Gelegenheiten in der Verteidigung zu foulen. Noch bemerkenswerter wurde die faire Verteidigung weil Glasgow nur 6 Gegentore zuließ, der zweitbeste Wert der ausgeschiedenen Teams vor dem Jahreswechsel. Barça hatte dagegen sehr viel Ballbesitz bei ähnlich vielen Fouls (zum Barça-Stilmehr im Abschnitt über Barcelona).
Nach absoluten Zahlen wurde Barça am öftesten gefoult (212-mal gefoult, 16,31 Fouls/Spiel), Spitzenreiter ist hier der SC Braga mit 17,33 Fouls der Gegner/Spiel. Manchester United und Hapoel Tel-Aviv sind die Teams, die am seltensten den Pfiff zum Freistoß hören durften (beide nur 11-mal pro Spiel), damit liegt United in beiden Foulstatistiken im unteren Bereich der Skalen.
Neben dem Foulspiel (ob nun verwarnungswürdig oder nicht) ist auch die Abseitsfalle ein probates Mittel, um den Gegner zu stoppen. Benfica Lissabon war hier sehr aktiv und stellte den Gegner im Durchschnitt pro Spiel 6-mal ins Abseits (dicht gefolgt vom FC Kopenhagen). Den Absolutwert führt Schalke mit 52 Abseitsstellungen des Gegners an, Barça und Real liegen mit 46 bzw. 45 Abseitsstellungen etwa gleich auf. Ganz anders der Finalist aus England: Nur 12 gegnerische Abseitsstellungen im ganzen Turnier, 0,92 Abseits/Spiel, lassen darauf schließen, dass Alex Ferguson seiner Verteidigung nicht die Anweisung gegeben hatte, auf Abseits zu spielen.
Selbst ins Abseits liefen beide Finalteilnehmer etwa gleich oft (um 3,4-mal pro Spiel), der AC Milan war da unvorsichtiger und sah fast 5-mal pro Spiel die Fahne an der Seitenlinie. Absolute Spitze im Vermeiden von Abseitsstellungen sind die Jungs aus Braga mit weniger als einer Abseitsposition pro Spiel gewesen.
Teil 2: Die Viertelfinalisten im Detail
Die Spielweise jeder Mannschaft, die an der KO-Runde teilgenommen hatte, wird in wenigen Stichpunkten im Bericht der UEFA beschrieben. Diese Beschreibung wird nachfolgend mit den statistischen Werten des Vereins zusammengeführt, um für jeden Teilnehmer des Viertelfinals eine kurze Analyse der Spielweise wiederzugeben.
FC Barcelona: Das Spiel des Titelträgers war (und ist) ein auf Ballbesitz ausgerichtetes, flüssiges und temporeiches Passspiel. Diese Beschreibung wird nicht nur durch den durchschnittlichen Ballbesitzanteil von 68% bewiesen, sondern auch durch die Passstatistiken der Katalanen.
Barcelona spielte im Schnitt 791 Pässe pro Spiel (von denen durchschnittlich 85% den Mitspieler fanden) und führte damit weit vor allen anderen Teams in dieser Wertung. Der Anteil von kurzen Pässen lag bei 29% besonders hoch und der Anteil von langen Pässen besonders niedrig (9%). Zum Vergleich: Der FC Bayern, der mit 673 Passversuchen (Genauigkeit: 82%) zweiter in dieser Rangliste wurde, spielte nur 16% seiner Pässe auf kurze Distanz aber anteilig mehr Pässe über die mittlere und lange Distanz.
Dass dieser hohe Wert bei den Passversuchen nicht alleine dem vielen Ballbesitz geschuldet ist, sondern die vielen Pässe auch eine höhere Intensität als bei anderen Mannschaften haben, zeigt sich wenn die Anzahl der Pässe auf den Ballbesitz bezogen wird. Barça spielte 581,6 Pässe bezogen auf 50% Ballbesitz, was 50 Pässe mehr sind als Manchester United, dem nächst besten Viertelfinalisten; und dies bei einer viel höheren Passgenauigkeit von Barça. (Um nachfolgende Werte vergleichbar zu machen, beziehen wir uns gelegentlich auf einen Spielanteil von 50%. So wird eine ausgeglichene Verteilung abgebildet, wenn später Tore mit Gegentoren oder begangene Fouls mit gegnerischen Fouls verglichen werden.)
Die höhere Erfolgsrate führte zu einer höheren Intensität, welche das Prinzip des „Müdespielens“ des Gegners umsetzte. Der Gegner lief über 68% des Spiels hinter dem Ball her, bei einer Passgeschwindigkeit, die etwa 10% schneller war als bei anderen Gegnern.
Um diesen Stil umsetzen zu können, mussten sich, wie im Bericht festgestellt, die Spieler beständig schnell bewegen, um sich dem ballführenden Mitspieler als Anspielstation anzubieten. Dabei lief die Barça-Mannschaft durchschnittlich 110,465 km pro Spiel. Dieser Wert entspricht etwa den gelaufenen Distanzen der Teams aus Manchester und Donezk und liegt im Mittelfeld bei den Viertelfinalteilnehmern. Leider gibt der technische Bericht keine Auskunft über die durchschnittliche Geschwindigkeit oder die Laufwege aufgeteilt nach gegnerischem und eigenem Ballbesitz.
Neben der Passmaschinerie ist die Mannschaft von Josep Guardiola für ihr Pressing bekannt. Bei Durchschnittlich nur 32% Ballbesitz des Gegners kann dieses Pressing mit hoher Intensität gespielt werden. (Auf 90 Minuten brutto Spielzeit entsprechen 32% Ballbesitz etwa 29 Minuten. Netto ist die Spielzeit kürzer, im Finale war der Ball bei offiziellen 93’08“ Spielminuten 61’05“ Minuten im Spiel. Manchester United hatte den Ball über 37% des Spiel, was 22 Minuten und 11 Sekunden entsprach.)
Der Bericht unterscheidet in der Foulsstatistik zwar nicht zwischen Offensiv- und Defensivfoul, trotzdem sollten die Werte zumindest eine Vermutung über die Spielweise einer Mannschaft zulassen. Mit durchschnittlich 10,77 Fouls von Barça-Spielern pro Spiel war dieses Team die fairste Mannschaft unter den Viertelfinalisten. Geht man aber davon aus, dass die meisten Fouls bei gegnerischem Ballbesitz begangen wurden, dann foulte Barça 16,8-mal auf 50% Ballbesitz des Gegners, was verglichen mit den anderen Teams der Spitzenwert gewesen wäre.
Umgekehrt verhielt es sich bei Fouls gegen die Spieler aus Barcelona. 16,31-mal foulte der Gegner im Schnitt gegen Barça, als absoluter Zahlenwert die Spitze unter den acht Teams. Bezogen auf das fiktive Spiel mit nur 50% Ballbesitz, hätte der Gegner nur 11,99-mal gefoult.
Betrachtet man diese Werte (unter den oben genannten Einschränkungen), dann kann man Barça eine hohe Aggressivität unterstellen; die schnelle Balleroberung ist ein wichtiger Bestandteil des Barça-Stils. Weil die Mannschaft sehr hoch aufrückt, ist sie anfällig für Konter. Sofortiges Pressing und auch taktische Fouls helfen Zeit zu gewinnen für die Positionierung in der Verteidigung.
Barça war aber nicht unfair. Die Katalanen bekamen nur 1,15 gelbe Karten pro Spiel, ein äußerst niedriger Wert. Auf 50% Ballbsitz des Gegners bezogen, wäre Barcelona 1,8-mal pro Partie verwarnt worden; dieser Wert liegt im Mittelfeld der Top-8 Teams.
Die Anzahl der gegnerischen Foulspiele, bezieht man sie auf den hohen Ballbesitz, lässt nicht vermuten, dass von Barça-Spielern Fouls in besonderem Maße gesucht wurden. Von einer Mannschaft, die mit dem Ball in den eigenen Reihen so dominant war, waren unnötige Spielunterbrechungen auch nicht zu erwarten.
Ein wichtiger Aspekt für den Erfolg einer Mannschaft ist die Balance zwischen Angriff und Abwehr. Das bevorzugte Pressingspiel hatte eine hohe Abwehrlinie zur Bedingung um funktionieren zu können. Die durchschnittlich 3,54 Abseitsstellungen der Gegner bei nur geringem Ballbesitz waren ein hoher Wert und zeigten, dass für ein weit aufgerücktes Team die Abseitsfalle eine effektive Taktik gegen Konter sein kann. Auf der Gegenseite liefen die Katalanen selbst 3,46-mal ins Abseits, was bei einem Ballbesitzverhältnis von 68:32 ein sehr guter Wert war. Obwohl viele Gegner tief in der eigenen Hälfte standen, lauerten u.a. David Villa und Pedro Rodríguez an der Abseitslinie und warteten auf den tödlichen Pass aus dem Mittelfeld. Dabei wanderten Spieler oft zwischen Abseits- und nicht-Abseits-Positionen und konnten so im richtigen Augenblick selber angespielt werden oder Raum für startende Spieler aus dem Mittelfeld schaffen.
Lionel Messi war mit 12 Toren klar bester Torschütze seines Teams und auch Torschützenkönig der Champions League Saison 2010/11, seine Sturmpartner Villa und Pedro trafen 4- und 5-mal. Aus den anderen Mannschaftsteilen konnten sich nur Xavi Hernández und Dani Alves mehr als einmal in die Torschützenliste eintragen.
Mit 30 geschossenen Toren (2,31 pro Spiel) war Barça am gefährlichsten von allen Teams und kassierte dabei nur 9 Gegentreffer (0,69 pro Spiel). Die Quote von Toren zu Gegentoren war mit 3,33 die zweitbeste nach der von Real Madrid (4,17). Auf die geringen Spielanteile der Gegner bezogen lag Barça aber im Mittelfeld der Gegentorstatistik aller Viertelfinalteilnehmer. Daraus lässt sich schließen, dass Barças Verteidigung nicht besser als die anderer Teams war, wenn der Gegner den Ball hatte. Der Gegner bekam aber so selten den Ball, dass Gegentore sehr unwahrscheinlich wurden. Barcelonas Stärke war die Balleroberung und das Halten des Balls in den eigenen Reihen. Drei der Gegentore kassierten sie in der Gruppenphase (davon zwei 1:1 Spiele) und das einzige Spiel mit zwei Gegentoren war auch gleich eine Niederlage in London beim Achtelfinalhinspiel gegen Arsenal.
Im Schnitt schossen die Katalanen 13,77-mal pro Spiel Richtung Tor, ein hoher aber kein Spitzenwert. Von den Schüssen gingen fast 55% auch aufs Tor, was eine Quote von 3,27 Torschüssen pro erzieltem Tor ergab und damit hinter den Außenseitern Schalke, Donezk und Tottenham lag, aber vor den anderen Spitzenteams.
Die Torschuss- und Gegentorstatistiken zeigen, dass der FC Barcelona in der Saison 2010/11 eine offensiv spielende Mannschaft war, die, beziehen wir die Erkenntnisse aus den Pass- und Foulstatistiken mit ein, ihre Verteidigung nicht über knallharte Abwehrspieler und Defensivreihen, sondern über viel Ballbesitz und Abwehrarbeit durch alle Mannschaftsteile umsetzte. Gerade weil die Innenverteidiger hoch spielten und ins Passspiel eingebunden wurden, konnten die Ausfälle vom Kapitän und Abwehrchef Carles Puyol (bzw. der kompletten Stamminnenverteidigung im Rückspiel gegen Arsenal) und Eric Abidal in der KO-Phase auch durch den Einsatz von Mittelfeldspielern in der Abwehr abgefangen werden.
Chelsea FC: Der FC Chelsea schied in der letzten Saison schon im Viertelfinale aus der Champions League aus. In der Gruppenphase konnten sich die Londoner noch mit fünf Siegen und einer Niederlage problemlos für die nächste Runde qualifizieren, bekamen es im Achtelfinale mit dem FC Kopenhagen zu tun und scheiterten dann an Manchester United.
Schaut man auf die Statistiken, dann fallen zwei Werte auf. Zum einen die 50% Ballbesitz, die für einen Turnierfavoriten ungewöhnlich niedrig sind, zum anderen die vielen abgegebenen Schüsse.
50% Ballbesitz lesen sich, verglichen mit z.B. 53% bei Manchester United oder Real Madrid, nicht als großer Unterschied, sind aber ein Zeichen dafür, dass eine Top-Mannschaft ihre Spiele seltener dominierte und entweder eine sehr direkte Spielweise (vielleicht sogar Konterfußball) bevorzugte oder sich oft einen offenen Schlagabtausch lieferte.
Der technische Bericht charakterisiert die Spielweise von Chelsea als physisch und engagiert, mit einem schnellen Angriffsspiel und kollektiven Kontern. Dazu passt auch, dass das Team im Schnitt 112,077 km gelaufen war, das war zwar nicht so viel wie Schalke oder Tottenham, aber fast zwei Kilometer mehr als der FC Barcelona oder Manchester United.
Chelsea spielte auch etwas weniger Pässe (502) als die Viertelfinalisten aus Madrid, Mailand oder Manchester, besonders auf der mittleren Distanz. Dies spricht, wie der geringe Ballbesitz, für eine Strategie, die auf schnellen Gegenstößen und langen Pässen in die Spitze basierte. Mit 77% war die Passgenauigkeit im selben Bereich wie bei Manchester und Co., trotzdem kamen pro Spiel deutlich weniger als 400 Pässe zum Mitspieler.
Chelsea traf in 10 Spielen 17-mal, was eine geringe Quote von 1,7 Toren pro Spiel bedeutet, aber überraschenderweise vom Finalisten aus Manchester noch deutlich unterboten wurde. Trotzdem war dies einer der schlechtesten Werte der Top-8-Mannschaften.
Ein weiterer Bestandteil des Stils, der sich auch in den Statistiken wiederfindet, waren Weitschüsse als Angriffsmittel. Chelsea hat Spieler wie Lampard und Drogba, die nicht in den Strafraum eindringen müssen um gefährlich abzuschließen, sondern auch eine Bedrohung aus der Entfernung darstellen. Wie beliebt es bei den Akteuren von Chelsea war, den schnellen Abschluss zu suchen, zeigen die 15,7 abgegebenen Schüsse pro Spiel, kein anderer Verein schoss so häufig Richtung Tor. Davon gingen aber weniger als 40% aufs Tor. Bei nur 1,7 Toren pro Spiel ergibt sich ein Verhältnis von mehr als 9 Schüssen auf einen erzielten Treffer. Unter den Viertelfinalisten ist dies das ungünstigste Verhältnis und zeigt, dass die Londoner voreilig den Abschluss suchten, anstatt eine bessere Schusschance herauszuspielen.
Die Abwehr stand stabil und ließ nur 7 Gegentore in 10 Spielen zu, eine Quote vergleichbar mit der vom FC Barcelona (0,69). Im Vergleich zu Barça hatten die Gegner aber einen höheren Spielanteil. Diese solide Abwehrleistung ist besonders bemerkenswert, weil in der Verteidigung vier wichtige Spieler im Lauf der Saison verletzt waren. Carlo Ancelotti setzte vielleicht auch wegen der Verletzungssorgen auf Konterfußball, im Mittelfeld fielen Yossi Benayoun und Frank Lampard lange aus. Nicolas Anelka war der Torgarant, er schoss sieben Tore und seine Dribblings werden im Bericht ausdrücklich erwähnt.
Inter Mailand: Die Italiener sind aus zwei Gründen besonders in Erinnerung geblieben. Der erst Punkt betrifft die Probleme, die den Titelverteidiger in der Saison 2010/11 nach dem Abgang von José Mourinho durch die ganze Saison begleiteten und zur Entlassung von Rafa Bénítez führten. Der zweite Punkt hängt mit diesen Problemen zusammen und ist der Tiefpunkt der Champions League Saison, mit zwei glasklaren Niederlagen gegen den Außenseiter aus Gelsenkirchen.
Schon die Gruppenphase überstand Inter nur hinter dem Wettbewerbsneuling Tottenham Hotspur, als Zweiter der Gruppe A. Bis zum Winter hatte der Titelverteidiger schon 11 Gegentreffer gesammelt, gegen die Bayern setzte man sich dank der Auswärtstorregel durch und Schalke schenkte den Mailändern sieben Tore ein. Leonardo war kurz vor Weihnachten Trainer geworden, konnte aber keine deutlichen Verbesserungen in der Mannschaft umsetzen.
Die Mannschaft wirkte überspielt und müde, wurde von Verletzungen geplagt und wirkte zu keinem Zeitpunkt wie die Einheit, die in der Vorsaison Europa zur Verzweiflung gebracht hatte. Nur Samuel Eto’o hielt mit 8 Toren die Fahne hoch.
Liest man die stichpunktartige Beschreibung des Spielstils im technischen Bericht, dann sollte dieser dem vom FC Chelsea ähneln. Eng spielende Angreifer, schnelles Umschalten und Konterspiel, Weitschüsse und ausgezeichnete Standards. Es fällt aber weiter auf, dass dieses Team vor allem auf einer harten Verteidigung, mit Abräumern vor der Abwehr, und dem Talent der Angreifer aufgebaut war (Eto’o und Sneijder).
Im Vergleicht der statistischen Werte von Inter und Chelsea sind einige Gemeinsamkeiten feststellbar. 1,8 Tore pro Spiel sind ähnlich schwach wie beim Club aus London und 6,3 Torschüsse pro Spiel sind ebenfalls fast derselbe Wert wie bei Chelsea. Aber es fallen auch einige Unterschiede auf. Inter hatte im Schnitt mehr Ballbesitz mit 53%, den Höchstwert auf Schalke bei der Rückspielniederlage, den niedrigsten im Weser-Stadion, als Inter mit 0:3 verlor. Von den Viertelfinalisten waren sie aber am faulsten, das Team lief im Schnitt unter 106 km, bei der 5:2 Niederlage gegen Schalke waren es sogar nur etwas mehr als 100 km.
Wie bei solchen Werten im Bericht von einer ausgezeichneten Disziplin und einer Siegermentalität die Rede sein kann, ist fraglich. 10 Gegentore in vier Spielen nach der Winterpause zeugen nicht von einer Disziplin, die in effektive Defensivarbeit umgesetzt werden konnte. 21 Gegentore bei nur 18 geschossenen Toren sind der Beweis, dass die Mannschaft im Vergleich zur Vorsaison nicht im Gleichgewicht war.
Bei der Verteilung der Tore über die Spielzeit lässt sich erkennen, dass Inter besonders in der ersten Halbzeit seine Treffer erzielte. Von den 12 unter Benítez erzielten Treffern fielen 9 im ersten Durchgang. Für die Gegentreffer führt der Bericht keine solche Statistik auf, trotzdem kann man daraus schließen, dass die Gegner sich in der Pause auf Inter einstellten und die Italiener dann nichts mehr nachzusetzen hatten.
Negativ fiel Inter auch bei den Verwarnungen auf. 2 gelbe Karten pro Spiel sind zwar nicht besonders viele, aber bezogen auf die eher wenigen begangenen Fouls (10,9) ergibt sich eine Verwarnung für jedes 5. – 6. Foul, was deutlich schlechter ist als bei den meisten anderen Teams.
Manchester United: Der Finalist aus dem Norden Englands schaffte es mit nur 19 Toren bis ins Finale zu kommen. Schon die Gruppenphase zeigte, was im Bericht als angestrebte Tempokontrolle und Feldüberlegenheit angegeben wird. Mit 7:1 Toren beendete United das Jahr 2010 ohne Niederlage und schoss dabei nur in einem Spiel mehr als ein Tor. Das Team vom Pferde-Experten Alex Ferguson agierte nach dem Motto: „Ein gutes Pferd springt nur so hoch wie es muss.“
Im Achtelfinale musste nach dem 0:0 in Marseille zuhause ein 2:1 reichen. Gegen Chelsea wurde zweimal gewonnen, aber jeweils mit nur einem Tor Vorsprung. Schalke 04 bildete im Halbfinale dann die berühmte Ausnahme von der Regel und ging mit einem summierten Ergebnis von 6:1 unter.
United schaffte es also Ergebnisse kontrolliert nach Hause zu spielen. Dabei setzte Alex Ferguson auf zwei verschiedene Formationen, 4-4-2 und 4-2-3-1, und auch auf Rotation. Mit Wayne Rooney ist der Wechsel von zwei Stürmern zu einer zentralen Spitze (mit Rooney dahinter) einfach möglich. Rooney und Javier Hernández schossen jeweils 4 Tore und waren damit das gesetzte Sturmduo, aber Ferguson brachte auch Berbatov und andere Stürmer in einigen Spielen von Beginn an. Die eigentliche Rotation fand im Mittelfeld und in der Abwehr statt. Jeder Spieler bekam seine Einsatzzeit (sogar der dritte Torwart Ben Amos), als Achse könnten Edwin van der Sar, Patrice Evra, Nemanja Vidic und Micheal Carrick bezeichnet werden, die in fast jedem (wichtigen) Spiel in der Startformation standen.
Betrachten wir nun wieder die geringe Torausbeute von Manchester United in der vergangenen Saison. Diese muss einen Grund haben, der sich vielleicht in den anderen Zahlen finden lässt. 19 Tore in 13 Spielen entsprechen 1,46 Toren pro Spiel und können direkt mit der ebenfalls niedrigen Anzahl von Schüssen in Verbindung gebracht werden. United schoss nur 9,54-mal pro Spiel Richtung Tor, davon gingen aber über 55% auch aufs Tor.
5,31 Torschüsse sind nicht vergleichbar mit den Werten von Real oder Barça, die beide im Schnitt über 7 Torschüsse verbuchen konnten, aber die Quote von 6,5 Schüssen pro Tor liegt zwischen diesen beiden Klubs. United spielte sich also wenige Chancen heraus, war aber ähnlich effektiv vor dem Tor und ihre Abschlüsse waren oft gut gezielt. Diese Werte passen ins Bild einer Mannschaft, die bei einer Führung nicht darauf drängte, das zweite oder dritte Tor nachzulegen.
Zur Tempokontrolle passt, dass United von den Viertelfinalisten die meisten Pässe nach Barça spielte. 563 Pässe, von denen 77% das Ziel fanden, sind zusammen mit (durchschnittlich) 110 gelaufenen Kilometern sehr gute Werte und United erzielte so im Schnitt 53% Ballbesitz. Besonders lange Pässe wurden häufiger gespielt (88) als bei anderen Favoriten, dieser Wert erreicht fast die Spitzenwerte von den Außenseitern aus Donezk und Tottenham. Starkes Flügelspiel war die Ursache für die höhere Anzahl langer Pässe; die Außen wurden mit diagonalen Zuspielen eingesetzt, um den Ball dann in die Mitte und in den Rücken der Abwehr vorzulegen.
United verzichtete in seinem Spiel aber nicht auf kurze und mittlere Pässe, die so häufig gespielt wurden wie von Inter oder Real. Die Beobachter der UEFA attestierten dem Team von Alex Ferguson zu Recht ein variables Spiel, bestehend aus einem herausragenden Kombinationsspiel, erstklassigen Gegenstößen, kurzen Pässen, diagonalen Bällen und Dribblings.
Neben der effektiven, aber oft der Spielkontrolle untergeordneten, Offensive, beruhte der Erfolg vor allem auf einer stabilen Defensive. Nur 7 Gegentore ließ Manchester zu, alleine 3 davon im Finale, als United mit ihrem System der Tempokontrolle und -drosselung beinahe chancenlos (unter 104 km zurückgelegte Strecke, 419 Passversuche und nur 37% Ballbesitz) gegen den Meister der Spielkontrolle aus Barcelona war.
In der Gruppenphase kassierte Manchester nur ein Gegentor, ohne dabei auf eine feste Abwehrkette zurück greifen zu können. Allerdings war nur der FC Valencia in dieser Gruppe stark im Angriff, die anderen beiden Teams, Glasgow Rangers und Bursaspor, schossen zusammen nur 5 Tore.
Vielleicht waren die Personalwechsel in der Abwehr auch der Grund für United auf eine Abseitsfalle zu verzichten. Die 0,92 gegnerischen Abseitsstellungen pro Spiel deuten zumindest darauf hin. Trotzdem blieb die Abwehr stabil und spielte äußerst fair mit nur 1,08 gelben Karten / Spiel und einem Verhältnis von mehr als 12 Fouls pro Verwarnung.
Real Madrid: José Mourinhos Team erreichte im ersten Jahr unter seiner Leitung endlich wieder das Halbfinale der Champions League. Schon in der Gruppenphase wurde der Anspruch der Madrilenen mit 5 Siegen und 15:2 Toren deutlich und auch Lyon und Tottenham wurden in den nächsten Runden problemlos überwunden. Im Halbfinale gegen Barcelona zog Real dann aber den Kürzeren.
Wie gut Real funktionierte, kann man schon daran erkennen, dass sie nur 6 Gegentore kassierten und trotzdem mit 25 Treffern die zweitbeste Offensive stellten. Sie kassierten nur in jedem zweiten Spiel ein Tor und auf jeden dieser gegnerischen Treffer kamen 4 Tore von Real. Dies war das beste Verhältnis von Toren zu Gegentoren im Wettbewerb.
Mourinhos Teams sind dafür bekannt, eine sehr gute Verteidigung mit einem guten Umschaltverhalten zu kombinieren, aber Real zeigte auch gutes Pressing und ging 4-mal in der ersten Viertelstunde in Führung.
Ihre Laufleistung ist mit unter 109 km eher niedrig, dabei sind aber auch die Halbfinalspiele gegen Barcelona zu berücksichtigen. Im Heimspiel musste sich Real mit 28% Ballbesitz, einer Laufleistung von unter 100 km und mageren 209 Passversuchen (66% angekommene Pässe) begnügen (sie spielten eine halbe Stunde in Unterzahl), und auch im Rückspiel musste mit 102,23 km eine schwache Leistung bei der Laufbereitschaft verbucht werden.
Mit Ausnahme dieser besonderen Spiele gegen den FC Barcelona präsentierte sich die Mannschaft von Real Madrid mit brillantem Kombinationsspiel und Gegenstößen im höchsten Tempo. Wichtige Stützen der Mannschaft waren Iker Casillas und Ricardo Carvalho in der Verteidigung und Xabi Alonso im defensiven Mittelfeld.
525 Passversuche sind bei 53% Ballbesitz ein durchschnittlicher Wert, dafür sind 78% angekommene Pässe der zweitbeste Wert unter den Viertelfinalisten und der leichte Hang zum Kurzpassspiel (133 Pässe, 25% aller Pässe) kann auf das variabel agierende Offensivquartet zurückgeführt werden (Ronaldo und Benzema erzielten jeweils 6 Tore).
Die Offensive war auch eine der schussfreudigsten der Top-Vereine, mit 14,42 Schüssen pro Spiel. Von den gut 14 Schüssen gingen 7,17 im Schnitt aufs Tor. Diese schwache Quote von unter 50%, kann man zu einem großen Teil Cristiano Ronaldo zuschreiben, der gerne und viel schießt, viele Tore mach, aber auch oft das Ziel verfehlt. Auf jeden erzielten Treffer kamen 6,92 Schüsse, die Außenseiter Schalke, Donezk und Tottenham, aber auch United und Barça waren effektiver.
Das Spiel von Real Madrid basierte nicht nur auf einem großartigen Angriff, sondern auch auf einer sehr guten Defensivarbeit. Mit mehr als 14 Fouls pro Spiel von Real, und etwa genauso vielen Fouls gegen Real, wurden Spiele dieses Teams aggressiv geführt und oft unterbrochen. Wie bei Inter fällt die schlechte Quote der Verwarnungen bezogen auf Foulspiele auf, 2,67 gelbe Karten pro Spiel sind ein enorm hoher Wert.
Aber: Real konnte auch anders (diese Details sind von www.uefa.com). Im Viertelfinale gegen Tottenham spielten Mourinhos Spieler kaum öfter Foul als die Engländer (10-mal im Hinspiel). Eine Runde später gegen Barcelona wurde von beiden Teams sehr oft zu unfairen Mitteln gegriffen. Im Hinspiel foulten beide Tam über 20-mal und gerade Diarra und Messi langten ordentlich hin (7- und 6-mal). Im Rückspiel, Real musste den 0:2 Rückstand aufholen, wurde Real sogar über 30-mal zurückgepfiffen (Barca nur 10-mal). Aus dem Täter Messi, wurde das Opfer mit 11 an ihm begangenen Fouls, und in diesem Spiel langte Diarra sogar 8-mal hin.
Diese Werte zeigen einerseits, wie wichtig die Spiele gegen Barcelona für Real waren und wie Mourinho versuchte dem speziellen Stil des Rivalen zu begegnen. Andererseits, und das ist wahrscheinlich der wichtigere Punkt, zeigen die Unterschiede der einzelnen Runden, dass Real sich den Anforderungen anpassen konnte. Lyon foulte im Achtelfinale öfter als Real, Tottenham etwas weniger und gegen Barcelona stieg der Wert, beider Teams, extrem an. Mourinho hat auch kein Problem einem einzelnen Spieler rein destruktive Aufgaben zu geben und seine Spieler setzten seine Vorgaben um.
Besonders gut funktionierte die Abseitsfalle. Im Durchschnitt stellte Real den Gegner 3,75-mal ins Abseits, bezogen auf 0,5 Gegentore pro Spiel erhält man den Faktor 7,5. Zum Vergleich: Der nächst beste Wert, unter den Top-Teams, ist der Faktor 5,11 von Barcelona. Auch wenn Gegentore nicht immer mit Abseitspositionen in Zusammenhang stehen, zeigt dieser Vergleich wie oft die Gegner wegen Abseits zurückgepfiffen wurden, bevor sie ein Tor erzielen konnten.
FC Schalke 04: Für Schalke war die Saison 2010/11 so turbulent wie für kaum ein anders Team. Zunächst baute Felix Magath seinen Kader für die Champions League um, kaufte Spieler wie Raul, Jurado und Huntelaar. Dann konnte die Gruppenphase auf dem ersten Platz beendet werden, obwohl das erste Spiel gegen Lyon verloren ging. Im Winter ging dann auch der langjährige Leistungsträger Ivan Rakitic und Magath führte sein Team zum Sieg gegen Valencia im Viertelfinale. Aufgrund der schlechten Platzierung in der Liga, wurde er dann durch Ralf Rangnick ersetzt und die Mannschaft führte im Viertelfinale den Titelverteidiger aus Italien vor, ehe sie gegen Manchester ohne Chance die Segel streichen musste.
Als Außenseiter im Wettbewerb war viel mehr als das Überwinden der Gruppenphase von Schalke nicht zu erwarten. Aber durch eine ausgeklügelte Taktik, die den Stärken der Mannschaft entsprach, stieß Schalke bis ins Halbfinale vor. Magath schickte seine Spieler, wie gewohnt, in bester physischer Verfassung ins Turnier, was ihnen eine durchschnittliche Laufleistung von fast 116 km ermöglichte. Der niedrigste Wert im Heimspiel gegen Inter war immer noch höher als die durchschnittlichen Werte von Barcelona, Inter, Manchester und Donezk.
Mit 43% Ballbesitz fällt Schalkes Stil klar in die Sparte Konterfußball, der auf Pressing in der eigenen Spielhälfte beruht und in dem, mit langen Diagonalpässen, das Konterspiel über die Flügel aufgebaut wurde. Mit 455 Passversuchen liegt Schalke deutlich unter der 500er-Marke und zeigte vor allem wenige Pässe über die mittlere Distanz (Anteil unter 60%). Auch die Quote von nur 71% angekommener Pässe deutet auf schnelles, risikoreiches Spiel nach vorne hin, um die Gegner auszukontern.
22 Tore in 12 Spielen ergibt einen Schnitt von 1,83 Tore pro Spiel und bezieht man den Wert auf den geringen Ballbesitz, dann traf Schalke 2,13-mal bei fiktiven 50% Ballbesitz, das ist der Bestwert aller Viertelfinalisten. Dabei gaben die Gelsenkirchener etwas mehr als 10 Schüsse pro Spiel ab, der beste Wert unter den drei Außenseitern, aber deutlich hinter den Teams aus Madrid oder Barcelona. Bemerkenswert ist die hohe Anzahl von Schüssen bei so wenigen Passversuchen, ein Verhältnis von 45:1 (Pässe zu Schüssen) ist besser als das Verhältnis von beiden Finalisten, die einen nicht vergleichbaren Stil pflegen (Pässe gehören bei den beiden Teams auch zur Verteidigung, nicht so bei Schalke; von einem geduldigen Aufbau ganz zu schweigen), und besser als bei den beiden anderen Außenseitern im Viertelfinale. Von den Schüssen gingen 5,67 aufs Tor, was für die Qualität der Schalker Konter spricht. Beste Torschützen waren Raúl, mit 5 Treffern, und der Flügelflitzer Farfán, mit 4 Toren.
Neben dem Pressing in der eigenen Spielhälfte, wird das geduldige Spiel bei gegnerischem Ballbesitz bemerkt, was eine mental und physisch starke Mannschaft bedingt. Wie die anderen Außenseiter musste Schalke aber viele Gegentore zulassen, 14 an der Zahl, davon alleine 6 im Halbfinale. Kassierte man in der Gruppenphase nur 3 Treffer, so musste man in der KO-Runde in jedem Spiel hinter sich greifen. Im Durchschnitt kassierte Schalke in jedem Spiel mehr als ein Tor und konnte jedem Gegentor weniger als 1,6 eigene Tore gegenüberstellen. Überraschenderweise liegt Schalke mit den Gegentoren bezogen auf den gegnerischen Ballbesitz auf dem gleichen Niveau wie der FC Barcelona, nur überließ Schalke dem Gegner über 57% des Spiels den Ball, Barcelona reduzierte den Wert auf 32%.
Aufgrund der geringen Spielanteile war Schalke auch häufiger zu Fouls gezwungen, 16,5-mal legten sie den Gegner. Selbst gefoult wurden sie 12,67-mal, bezogen auf den Ballbesitz sind diese Werte etwa gleich hoch. Ihre harte Gangart mussten die Schalker mit mehr als 2,4 Verwarnungen pro Spiel büßen, sie liegen damit auf dem Niveau von Real Madrid und Shakhtar Donezk. Eine weitere Gemeinsamkeit mit Real ist, dass Schalke seine Gegner häufig ins Abseits stellte (4,33-mal Abseits/Spiel).
Verglichen mit den Favoriten war Schalkes Abwehrleistung nicht gut, wie wir aber noch sehen werden, sind 14 Gegentore für einen Außenseiter kein schlechter Wert, vor allem wenn die hohen Spielanteile der Gegner berücksichtigt werden.
Shakhtar Donezk: Die Ukrainer sind in Europa keine Unbekannten, regelmäßig mischen sie die Königsklasse auf. So auch in der letzten Saison. In Gruppe H wurde Arsenal auf den zweiten Platz verwiesen und im Achtelfinale der AS Rom besiegt, bevor der FC Barcelona zur Endstation wurde. Trotzdem galt Shakhtar als Außenseiter und trat entsprechend auf.
Das Team unterteilt sich in vier brasilianische Offensivspieler und sechs defensive Akteure. Die Brasilianer bildeten eine kreative Offensive, die, von offensiven Außenverteidigern unterstützt, vor allem mit Steilpässen bedient wurde, um so Gegenstöße nach schnellem Umschalten auszuspielen.
Durchschnittlich 530 Pässen und etwas mehr als 110 km Laufstrecke weisen nicht auf eine klassische Kontertaktik, wie sie Schalke oder Tottenham umsetzten, hin, sondern auf einen auf Ballbesitz ausgelegten Stil. Der Ballbesitz von 50% und vor allem die niedrige Erfolgsrate bei den Pässen (74%) zeigt aber, dass Shakhtar nicht immer eine dominante Rolle übernehmen konnte.
Die Torausbeute ist vergleichbar mit der von Schalke. Donezk erzielte in 10 Spielen 19 Tore und kassierte, wie Schalke, 14 Treffer. Auch hier zeigte sich, dass die Außenseiter mehr Gegentreffern als die Favoriten hinnehmen mussten, oft mehr als ein Tor pro Spiel, wogegen ein guter Favorit den Wert im Bereich 0,5 – 0,7 Gegentore pro Spiel halten konnte.
Dazu hatte Donezk Probleme zum Abschluss zu kommen und schoss nur 9,1-mal pro Spiel aufs Tor. Dieser Wert ist vergleichbar mit den auf Konter spielenden Außenseitern und steht im Gegensatz zu den vielen Pässen die Donezk spielte. Schaut man aber auf die Passversuche im Detail, dann erkennt man, dass wenige kurze Pässe (102) gespielt wurden. Dies ist der zweitniedrigste Wert unter den Viertelfinalisten, nur Tottenham spielte noch weniger kurze Pässe (die Spurs spielten aber auch insgesamt deutlich weniger Pässe). Shakhtars Spiel beruhte also mehr auf Pässen der mittleren und langen Distanz, wie bei einer Mannschaft, die Konterfußball spielt. Bei der Verwertung ihrer Torchancen zeigte sich Donezk aber sehr effektiv, sie brauchten weniger als 5 Schüsse für ein Tor, Luiz Adriano und Eduardo trafen je 4-mal.
Defensiv langte Donezk ordentlich hin, mehr als 18 Fouls pro Spiel und 2,4 gelbe Karten sind hohe Werte. Auf Abseits spielte die Verteidigung dagegen selten, nur einmal pro Spiel pfiff der Schiedsrichter einen gegnerischen Stürmer zurück.
Shakhtar Donezk ist rein vom Zahlenmaterial des technischen Berichts schwer zu analysieren. Einerseits weisen viele Werte auf einen Außenseiter mit Kontertaktik hin. Die Laufleistung, vielen Passversuche und die Foulstatistik sprechen aber dafür, dass Donezk sehr gut in der Balleroberung war. Dadurch liefen sie weniger dem Gegner hinterher als es Schalke und Tottenham mussten und konnten nach der Balleroberung ihre Steilpässe spielen, was ihnen ausgeglichene Spielanteile bescherte.
Tottenham Hotspur: Der Neuling der Saison 2010/11 setzte sich in einer Gruppe mit Inter Mailand als bestes Team durch, schaltete dann den AC Milan aus, um in Real Madrid seinen Meister zu finden. Mit 18:11 Toren in den Gruppenspielen wurde klar, dass die Spieler von Harry Redknapp nicht zum Verteidigen auf den Kontinent gekommen waren. Die Londoner zeichneten sich durch ein hohes Tempo auf den Außenbahnen, Kampfgeist und ein risikofreudiges Angriffsspiel aus.
Wie Schalke war Tottenham körperlich in sehr gutem Zustand, um sich mit der Konkurrenz zu messen. Sie liefen im Durchschnitt über 115 km um ihr Pressing im Mittelfeld umzusetzen und dann über Bale und Lennon auf den Außenbahnen das Spiel schnell in den gegnerischen Strafraum zu verlagern. Rafael van der Vaart hinter Peter Crouch und Luka Modric im defensiven Mittelfeld sorgten für Gefahr durch die Mitte.
Obwohl Tottenham auf durchschnittlich 50% Ballbesitz kamen, versuchten sie ähnlich wenige Pässe (462) wie Schalke. Die Kontertaktik zeigte sich eindeutig in den 92 langen Pässen und nur 77 kurzen Pässen (durchschnittlich) und dem hohen Risiko bei den Pässen, das sich in einer Passgenauigkeit von nur 73% niederschlug.
8,8 Schüsse pro Spiel sind wenig für einen Viertelfinalisten, aber typisch für einen Außenseiter mit Kontertaktik. Jeder zweite Schuss ging aufs Tor und 4,6 Schüsse pro Tor sind der beste Wert unter den Top-8. Bisher hat sich gezeigt, dass ein auf Konter spielendes Team zwar weniger Chancen herausspielte als ein auf Spielkontrolle abzielender Favorit, aber diese wenigen Chancen in der Regel effektiver nutzte. Dies mag daran liegen, dass ein konterndes Team oft mehr Platz zur Verfügung hat, gegen weniger Verteidiger angreift und so Duelle mit dem Torwart leichter erspielen kann und selten zu Fernschüssen gezwungen wird. Trotzdem erzielte keiner der Außenseiter so viele Tore pro Partie wie Real oder Barcelona. Und vor allem kassierten die Außenseiter viel mehr Tore als die drei Favoriten, die das Halbfinale erreichten.
Positiv ist die Abwehrleistung der Spurs zu bewerten. Wie die anderen Teams mit Kontertaktik kassierten die Londoner viele Gegentore (16 an der Zahl), das ist aber auf eine Gruppe zurückzuführen, in der mit Bremen, Twente und Inter drei Teams waren, die den offenen Schlagabtausch suchten, und darauf, dass Real ihnen im Viertelfinale 5 Tore einschenkte. Für einen Neuling im Wettbewerb sind 1,6 Gegentore aber keine schlechte Leistung, wenn Mannschaften mit vergleichbarer Taktik ähnlich viele Tore kassierten.
Bemerkenswert ist, dass Tottenham das Tor verteidigte, ohne zu einer unfairen Spielweise zu greifen. Nur 12,8-mal foulten die Londoner, und auch auf die Gegner färbte das faire Spiel ab, die bei gleichen Spielanteilen nur 13,1-mal hinlangten. Dazu gab es auch nur 1,3 Verwarnungen gegen Tottenham pro Partie, sie machten damit dem Ruf englischer Teams als faire Sportsmänner alle Ehre.
Teil 3: Trends und Diskussionspunkte
Taktische Trends
Nachdem wir uns allgemein über die Statistiken der letzten Saison und danach detailliert über die acht besten Teams der ebengleichen Spielzeit informiert haben, kommt jetzt ein Thema, das weniger mit Zahlen zu tun hat und mehr mit Beobachtungen und Entwicklungen der letzten Saison (ganz ohne Nummern und Zahlen kommen wir auch hier nicht aus).
Im ihrem Bericht führt die technische Kommission der UEFA auch immer eine Anzahl von Trends auf, die in der vergangenen Saison beobachtet werden konnten. Wir fassen diese Trends zusammen und vertiefen einzelne Punkte.
- Pressing: Die Mannschafen praktizieren den Umschaltmoment von Angriff auf Verteidigung sehr unterschiedlich. Der Unterschied wird deutlich, wenn die beiden letzten Titelträger verglichen werden. Inter Mailand bevorzugte es, schnell viele Spieler hinter den Ball zu bekommen, der FC Barcelona legte Wert auf die schnelle Rückeroberung des Balls. Etwa die Hälfte der Top-Teams wird dem Pressingstil zugeordnet (darunter der FC Bayern, Valencia, Arsenal, Chelsea, Manchester und natürlich der FC Barcelona). Bei anderen Teams wurde Pressing situativ oder in verschiedensten Varianten (Abwehr- und Mittelfeldpressing) eingesetzt. Es wird ein Trend zu mehr hohem Pressingspiel festgestellt. Team-Pressing, das Aufrücken der Abwehrkette, wird viel öfter praktiziert als noch vor fünf Jahren. Zusätzlich wird bemerkt, dass Konterspielzüge weniger Anteil (21%) an den Toren aus dem laufenden Spiel hatten als noch in der Saison 2005/06 (40%). Kontern wird schwerer, wenn der Verteidiger sofort unter Druck gesetzt wird und den Gegenstoß nur ungenau oder gar nicht einleiten kann.
- Vorwärtsdrang: Die Suche nach der Balance zwischen Abwehr und Angriff hat zu „mehr Flexibilität und mehr Bewegungsfreiheit für die Offensivkräfte geführt“. Daraus ergibt sich bei vielen Teams eine strukturierte Verteidigung mit zwei defensiven Mittelfeldspielern und eine systematische 6-4 Aufteilung zwischen Abwehr und Angriff. Als Beispiel dient hier vor allem Shakhtar Donezk. Es sind zwar alle Spieler mit Defensivaufgaben betreut, die Angreifer haben aber die Pflicht, bei Ballgewinnen schnell vorzurücken und mit Rochaden das Angriffsspiel zu beleben. Stürmer lassen sich, wie Rooney und Messi, aus der Spitze fallen und erlauben den Mittelfeldspielern in die Spitze zu stoßen.
- Trendformationen: Die meisten Teams setzten auf ein 4-2-3-1 in verschiedenen Umsetzungen. Dazu wird auch das 4-4-2 als beliebtes System angegeben, wobei der Übergang zum 4-2-3-1 bei einigen Teams fließend war. Viele System mit zwei Stürmern verwandelten sich nach Anpfiff automatisch in eine gestaffelte Angriffsformatione. Der Fokus lag bei vielen Teams darauf, das Risiko zu meiden und selbst bei eigenem Ballbesitz mehr Spieler hinter als vor dem Ball zu postieren. Ausnahme in der KO-Runde war der FC Barcelona mit einem 4-3-3. Lionel Messi legte bei Barca die Position des Mittelstürmers, für ihn gewohnt, unkonventionell aus. Messi ist kein hochgewachsener Targetman, sondern ein kleiner Spieler, der Torgefahr, Kreativität und strategische Fähigkeiten auf sich vereint. Lässt er sich ins Mittelfeld fallen, bleiben die gegnerischen Innenverteidiger ohne Gegenspieler zurück. Barcelonas Außenstürmer, Villa und Pedro, sind angehalten, den diagonalen Laufweg nach innen zu suchen und für Torgefahr zu sorgen. Messi kann gleichzeitig im Mittelfeld als zusätzlicher Stratege und Kreativspieler Spielzüge einleiten, Dribblings starten und auch wieder in die Spitze stoßen.
- Spielerprofile:
- Torwart: Alle Halbfinalteilnehmer stellten Torhüter auf, die defensiv einen großen Bereich des Feldes abdeckten und sich mit präzisen Pässen am Spielaufbau beteiligten. Diesen Torwarttypus wird als Antizipationskeeper bezeichnet. Er erlaubt es der Abwehrkette hoch zu verteidigen und den Abstand zum Mittelfeld zu minimieren. Gleichzeitig zeichnet er sich duch eine präzise und schnelle Spieleröffnung aus und leitet Spielzüge ein.
- Verteidiger: Die Innenverteidiger sind in der Regel für den Spielaufbau zuständig, weil sie die Spieler sind, die am meisten Zeit am Ball bekommen. Innenverteidiger werden nur bei agressivem Pressing angegriffen, was kein Team über das ganze Spiel durchhält. Daher ist neben einem Strategen im defensiven Mittelfeld eine passsichere Abwehr wichtig für den Start von Spielzügen. Die Außenverteidiger rücken dagegen oft weit vor und beteiligen sich an Angriffen. Dadurch sorgen die Außenverteidiger für eine breite Spielfläche, sie unterstützen die Flügelstürmer oder ermöglichen diesen sich ins Zentrum zu orientieren.
- Zentrales Mittelfeld: Die Einsatzquote von Formationen mit der Doppel-6 erhöhte sich von 65% auf 75%. Dabei hängt der Charakter einer Mannschaft oft von den Spielertypen auf diesen Positionen ab. Aber Titelgewinner Barcelona ist wieder die Ausnahme und auch Manchester United wird als Beispiel für einen fließenden Wechsel zwischen zwei und einem defensiven Mittelfeldspieler genannt. Alex Ferguson stellte neben seiner Stammkraft Micheal Carrick einen oder zwei zentrale Mittelfeldspieler auf (Fletcher, Anderson, Giggs, Scholes), entschied sich aber oft für nur zwei Mittelfelspieler im Zentrum, um zwei Stürmer aufzubieten.
- Sturm: 75% der Mannschaften setzten auf einen zentralen Stürmer (passend zum Punkt Trendformationen). Von 19 Spielern mit 3 oder mehr Toren waren 17 Spieler Angreifer (Stürmer oder offensive Mittelfeldspieler), darunter 10 Mittelstürmer. Diese 19 Spieler kamen zusammen auf 103 Tore, dabei erzielten sie aber nur 3 Kopfballtore. Dies bestätigt den abfallenden Trend bei hohen Flanken.
- Flügel-Spannweite: Auch hier kommt die Interpretation des 4-2-3-1 und die Bedeutung der Flanke zur Sprache. Viele Teams interpretieren die offensive 3er-Reihe eher schmal, sie setzen inverse Winger oder Stürmer auf den Außenpositionen ein. Für Breite sollten bei diesen Mannschaften die Außenverteidiger sorgen. Oft wurden die Flügel auch unterschiedliche besetzt, mit einem an der Seitenlinie spielenden Außenspieler auf der einen Seite und einem nach innen ziehenden Stürmer auf der anderen Seite.
- Passspiel: Hier wird angemerkt, dass weniger Clubs unter der Marke von 400 Pässen pro Spiel blieben als noch in der Vorsaison. Der lange Pass (30 Meter und mehr) wird selten und dann eher diagonal und nicht vertikal gespielt. Der Vorteil des diagonalen Passes in den Raum hinter den gegnerischen Außenverteidiger liegt darin, dass der Verteidiger den Passgeber, seinen benachbarten Innenverteidiger und seinen Gegenspieler an der Außenlinie im Auge behalten muss, um sich dann beim Pass um 180° drehen zu müssen. Der Flügelstürmer kann dagegen direkt in den freien Raum starten, er muss sich um nur etwa 90° drehen. Besonders im Fokus steht bei diesem Punkt der Stil des FC Barcelona, der mit seinem Kurzpassspiel und den 791 Pässen pro Spiel (Inter: 409 beim Titelgewinn) einen deutlichen Unterschied zum Sieger im Vorjahr darstellte.
- Mentale und körperliche Fitness: Im letzten Punkt der beobachteten Trends geht es um die Lauflaufbewegung und deren Intensität. Es wird bemerkt, dass Angreifer größere Distanzen mit dem Ball zurücklegen („Mit dem Ball“ kann nur „in Ballbesitz“ bedeuten, und nicht „mit dem Ball am Fuß“. Der Bericht drückt dies aber nicht eindeutig aus). Die Innenverteidiger haben dagegen ein Verhältnis von 4:1 zugunsten der Bewegung „ohne Ball“, was aus dem Verschieben in der Verteidigung resultieren muss. Dazu wird angemerkt, dass es einer hohen Disziplin, Konzentration und Kondition bedarf, um gegen eine Mannschaft wie Barcelona zu bestehen. Ihr Stil hypnotisiert den Gegner regelrecht und verlangt der verteidigenden Mannschaft eine ständige Aufmerksamkeit ab, um Fehler im Stellungsspiel zu vermeiden. Gleichzeitig muss aber auch Barça eine enorme Konzentration aufbringen und diszipliniert auftreten, damit das Passspiel und das sofortige Pressing bei Ballverlusten funktioniert. Ständiges Anbieten, immer vor der Ballannahme zu wissen, was man mit dem Ball machen will, wen man anspielen will und in welche Richtung man sich drehen muss, bedarf einer hohen Konzentration. Dazu darf auch bei Ballbesitz nicht die Ordung verloren werden, um bei einem etwaigen Ballverlust sofort als Mannschaft pressen zu können.
Diskussionspunkte
Neben den taktischen Trends stellt die UEFA verschiedene Fragen zur Diskussion. Die einzelnen Punkte stehen nicht alle mit Taktik in Verbindung und werden daher auch leicht übersehen. Trotzdem werden einige dieser Themen über die ganze Saison oft diskutiert. Trainerentlassungen werden in der Regel isoliert betrachtet, selten werden Nutzen und Auswirkungen diskutiert und mit belastbaren Zahlen untermauert. Auch der Nutzen von Torrichtern wird immer wieder hinterfragt. Zu diesen Punkten sollte von der UEFA eine tiefere Analyse vorgenommen werden, als es der technischen Kommission möglich war.
- Trainerentlassungen: Auch in der Saison 2010/11 gab es einige Trainerwechsel bei Vereinen der Champions League. Der Bericht weist richtigerweise darauf hin, dass Entlassungen häufig mit der Leistung in der nationalen Liga zu tun haben (z.B. van Gaal bei den Bayern oder Rafa Benítez bei Inter) und nur bedingt mit der Champions League Saison (Rücktritt von Martin Jol bei Ajax). Der Wechsel auf dem Trainerstuhl von Schalke war, bezogen auf die Erfolge in Europa, natürlich überraschend. Vereine, die Trainer in der Gruppenphase wechselten, schieden allesamt aus, die neuen Trainer konnten in Europa also keine kurzfristigen Wenden herbeiführen. Es wird im Bericht aber angedeutet, dass Spielern ein Trainerwechsel nicht unbedingt gut tun. Die Verletztenstatistik der UEFA soll ein erhöhtes Verletzungsrisiko nach Trainerwechseln zeigen (ohne im Bericht Zahlen zu nennen). Ansonsten ist nicht belegt, dass neue Trainer besser arbeiten. Der Bericht stellt die Frage, ob Vorschriften (ein Transferfenster) sinnvoll sein könnten.
- Ist der Barça-Stil kopierbar? Auf den Stil sind wir wiederholt eingegangen. Aufgrund der Vorbildfunktion des Titelträgers allgemein (und von Barça im Speziellen) wird von der technischen Kommission angemerkt, dass 11 der 18 Barça-Spieler im Kader des Finales aus der eigenen Jugendabteilung stammten und dort bezügliche Bewegungs- und Gedankenschnelligkeit für einen bestimmten Stil ausgebildet wurden. Inwieweit können also Clubs Elemente des Barça-Stils in ihre Jugendarbeit und ihre erste Mannschaft übernehmen? Fabio Cappello meint, dass Nachahmung unmöglich sei, aber man die schnelle Balleroberung kopieren könne.
- Laufbereitschaft: Die Hälfte der Mannschaften legte im Durchschnitt zwischen 110 und 113 Kilometern pro Spiel zurück. Spitzenreiter war Rubin Kazan, die 14% mehr Strecke liefen als der Letzte, Inter Mailand. Aber: Von den 10 lauffreudigsten Mannschaften scheiterten 8 vor dem Jahreswechsel. Hier zeigte sich, dass Außenseiter durch Einsatz versuchen, ihre spielerischen Defizite wettzumachen. Bei den Passstatistiken lagen die überwinternden Teams vorne (22% vor den ausgeschiedenen Teams). Die UEFA fragt, ob Mannschaften mit einem effizienten Passspiel (bei denen der Ball mehr „läuft“ als die Spieler) erfolgreicher als ihre Kontrahenten sind. Mit Sicherheit ist es ein Vorteil, wenn eine Mannschaft es schafft, den Gegner laufen zu lassen und selber über Pässe das Tempo zu bestimmen. Ein gutes Passspiel und eine dominante Spielanlage sind nicht von ungefähr auch eine Folge der besseren Fußballspieler in den Top-Mannschaften.
- Neuerungen:
- Außenseiter: Unter Michel Platini wurde die Eintrittsliste zur Champions League leicht angepasst, um Teams aus mehr Ländern den Weg in die Liga zu ermöglichen. Sechs der zweiunddreißig Teilnehmer waren Neulinge im Wettbewerb. Sie schlugen sich sehr unterschiedlich: Tottenham Hotspur gewann seine Gruppe, MSK Zilina blieb ohne Punkt. Ob dieser „Öffnung“ eine sportliche Bereicherung folgt, sollte über einen längeren Zeitraum beobachtet werden.
- Torrichter: Für die UEFA ist an dieser Stelle ein Fazit zu früh, ob die zwei zusätzlichen Schiedsrichterassistenten ein Erfolg waren. Es wurden 61% mehr Strafstöße gegeben, ein Zusammenhang wird im Bericht nicht nachgewiesen, nur angedeutet. Statistische Daten können angeblich nicht nachweisen, ob zusätzliche Schiedsrichter eine abschreckende Wirkung auf die Spieler haben und sich die Härte der Fouls usw. verändert.
Spielverlagerung.de-Fazit
Die große Überraschung der letzten Champions League Saison ist der enorme Sprung, der bei den Toren stattgefunden hat. Der Trend zu mehr Toren aus dem Spiel ist auf schwache Abwehrleistungen einiger Teams zurück zu führen. Mehr Tore aus dem laufenden Spiel geben den Zuschauern Grund zur Freude. Aus taktischer Sicht sind viele Gegentore und schwache Defensivleistungen aber keine positive Entwicklung. Von den vier Teams, die trotz schwacher Defensive das Achtelfinale erreichten, schieden Rom und Lyon in dieser Runde aus. Inter brauchte die Auswärtstorregel gegen die Bayern und wurde dann von Schalke demontiert. Und Tottenham überstand das Achtelfinale gegen den offensivschwachen AC Mailand, um als Neuling an Real Madrid zu scheitern.
Der seit Jahren anhaltende Trend zum 4-2-3-1 als bevorzugte taktische Formation hat sich bestätigt. Dabei verändern sich die einzelnen Positionen, die äußeren Mittelfeldspieler verschwinden bei vielen Teams und werden durch inverse Winger oder gelernte Stürmer ersetzt, dafür halten die Außenverteidiger die Außenlinie. Es geht nicht mehr nur darum, als Stürmer außen weniger stark gedeckt zu werden, sondern um eine zahlenmäßige Überlegenheit im Mittelfeld. Besonders die als Favoriten geltenden Mannschaften setzten selten auf den klassischen Flügelflitzer; sie hatten nicht nur hervorragende und flexible Angreifer, sondern auch die angriffslustigsten Außenverteidiger.
Mehr Pressingspiel, der relative Rückgang bei den Kontertoren und der Erfolg von Mannschaften, die auf das Passspiel gesetzt haben, sind Zeichen für flexibel interpretierte und dominante Strategien. Die Präsenz im Zentrum ist wichtig geworden, sei es in Ballbesitz durch Anspielstationen oder durch Balleroberung in der Verteidigung. Die Flanke hat aufgrund der präsenten Innenverteidiger an Bedeutung verloren.
Ob sich die beobachteten Entwicklungen auch in den nächsten Spielzeiten so zeigen und vielleicht noch verstärken, oder ob einige Mannschaften mit gegensätzlichen Stilmitteln (Konterfußball usw.) versuchen gegenzusteuern, und damit auch Erfolg haben werden, wird zu beobachten sein.
5 Kommentare Alle anzeigen
King 11. November 2011 um 14:34
Gutes Dingen! Danke
Andy K 9. November 2011 um 10:18
Sehr informativ, liest sich zudem flüssig. Vielen Dank für die Zusammenfassung.
HW 9. November 2011 um 16:00
Danke!
Gut, dass es flüssig zu lesen ist. Bei der Länge.
juwie 9. November 2011 um 00:54
Interessante Zusammenfassung. Danke!
juwie 9. November 2011 um 00:53
Interessante Auswertung des Berichts. Danke dafür!