Noch Luft hinter dem Mittelfeld
Eine kompakte Analyse zu einigen Schlüsselaspekten des Relegations-Hinspiels, die dieses in beide Richtungen prägten.
Zwei mal fand Union Berlin nach Rückständen beim VfB Stuttgart schnell zurück und verschaffte sich so im ersten Teil der Relegation eine gute Ausgangsposition. Kurzzeitig hatten beide Teams auch mal – die Gastgeber von Interimstrainer Nico Willig vor allem in den unmittelbaren Startphasen der Halbzeiten – jeweils leichtes Oberwasser, letztlich ergab sich eine weitgehend ebenbürtige Angelegenheit. Die Schwaben waren mit dem Ergebnis nach Abpfiff nicht zufrieden, das Team von Urs Fischer hatte sich ein verdientes Remis erarbeitet.
Weiträumige Raumabdeckung mit gelegentlicher Unkompaktheit
Vom Grundsatz her konnten beide Mannschaften in jeweiligen 4-4-2-Versionen erst einmal den Raum für das defensive Mittelfeld vielseitig und weiträumig zulaufen. Die Stürmer waren jeweils vor den gegnerischen Sechsern, diese wiederum hielten sich bei Union eher zurück und fanden primär beim VfB keine konstanten, scharfen Bewegungsmechanismen hinter die erste Reihe. Für eine Einbindung mussten sie sich oft in sehr weit aufgerückte Positionen begeben oder nach hinten abkippen. Das häufigste derartige Muster stellte das tiefe Freilaufen Castros nach halbrechts bei den Stuttgartern dar. Begab sich ein Offensivspieler zum Ankurbeln nach hinten, geschah das fast immer auch aus jenem Raum. Zumal über das Ausweichen von Donis ergab sich ein gewisser Rechtsfokus beim VfB.
Auf dieser Ausgangsbasis führten auch Variationen nur bedingt dazu, dass die Gesamtkonstellation zwischen den zwei Teams mal stärker ins Wanken geriet. Trotz bzw. innerhalb der Weiträumigkeit ließ beidseitig die vordere Pressinglinie auch mal Unkompaktheiten zu, wenn die Spieler dort situativ zu weit nachschoben. Solche Momente gaben dann einem defensiven Mittelfeldakteur die Möglichkeit, das Leder beispielsweise zwischen den Angreifern hindurch nach vorne zu tragen. So brachten sie zwischendurch immer mal Phasen stärkerer, vertikaler Beschleunigung in die Begegnung hinein, kleine Ausbrüche von kurzzeitiger Unwucht und Unordnung. Dass der VfB mit diesen Momenten gut zurechtkommen konnte, zeigten auch die Umstände seiner beiden Treffer.
Längere Zuspiele in die vorderste Reihe
Wenn beispielsweise Stuttgart sich mal noch sauberer aus der ersten Reihe nach vorne lösen konnte, griffen sie auch nach Raumgewinn recht schnell zu längeren Folgezuspielen in die Spitze. Dieses Mittel wirkte bei beiden Mannschaften prägend. Entsprechenden Raum erhielt der VfB etwa dadurch, dass ein situatives Einrücken eines Außenverteidigers und diese Bewegungsfolge das gegnerische Mittelfeld beschäftigten und Union währenddessen die Anschlusskompaktheit von den Flügelspielern an die erste Reihe nicht mehr aufrechterhalten konnte. Überhaupt baute bei den Gastgebern Pavard auf rechts oft sehr tief auf, potentiell in Abwechslung oder als Ergänzung zu Castro, aber nicht immer passend abgestimmt und teilweise zu dicht in ähnlichem Raum aneinander.
Die längeren, oft gechippten Pässe platzierte Stuttgart weniger in enge Ballungen hinein mit der Intention, zweite Bälle zu erobern, sondern spielte diese vielmehr planvoll. Dementsprechend geschah das eben auch in der Spielfortsetzung aus nutzbarem Raum heraus, nicht nur aus Drucksituationen. Die Gastgeber versuchten die Bälle unmittelbar an oder direkt in die Offensivlinie zu bringen. Die Angriffskräfte agierten dort zwar mit der Zeit zunehmend in flachen Staffelungen, aber bewegten sich öfters enger und gut in vorderen Zwischenräumen. Auch vonseiten Unions zeigten sich in vielen Momenten ähnliche Passmuster als ein wichtiges Stilmittel. Ihre Flügelspieler konnten ebenso wie beim VfB für Tiefenläufe sorgen, Abdullahi attackierte von Rechtsaußen zusätzlich die Spitze.
Eine Möglichkeit in diesem Zusammenhang waren Kopfballweiterleitungen des Stürmers in die Tiefe, auf jene Bewegungsmuster. Genau über diese Relation zwischen Andersson und Abdullahi fiel für die Berliner das zwischenzeitliche 1:1. Zusätzlich zu jener Rollenverteilung konnte Zulj noch attackierend das Angriffszentrum besetzen, wenn der umtriebige Hartel dafür horizontaler einrückte. Alternativ versuchten beide Teams auch häufiger mal, die längeren Zuspiele direkt in die letzte Linie anzubringen und dort Spieler im Bereich der Schnittstellen in Dribblings gegen einen der Verteidiger schicken zu können. Insgesamt gerieten die Viererketten für sich gegen manch gute Bewegungsmuster der Offensivabteilungen unter Druck.
Weniger Unterstützung aus Mannorientierungen
Dass dies mit der Einleitung über längere Pässe so sauber funktionierte, hing auch mit der Situation im Mittelfeld zusammen. Die Sechser auf dem Feld hatten gegen den Ball häufiger höhere Positionen, in denen sie ihre Hintermänner gegen direkte Anspiele nicht so schnell oder präsent unterstützen konnten. In diesem Bereich organisierten die Kontrahenten vieles über – wenn auch nicht unflexibel ausgeführte – Mannorientierungen, aus denen sich lange keiner einen ganz klaren Vorteil gegenüber dem anderen würde verschaffen können. Wenn Stuttgart mit den Sechsern enger – wie in der Phase unmittelbar zu Beginn der Partie – aufbaute, rückte Prömel weit heraus, um Gentner kompakt mit zuzustellen. So ergaben sich 4-1-4-1-Tendenzen, zumal Zulj später auch phasenweise tiefer verteidigen sollte.
Umgekehrt sah man den Effekt der Mannorientierungen beispielhaft und vor allem sehr verdichtet in der Entstehung des 1:1: Durch Prömels leichtes Ausweichen, quasi im Schatten von Abdullahis stürmerartiger Einbindung, ließ sich Gentner nach außen ziehen und die Verbindung zu Castro ging so etwas verloren. Nicht nur verbreiterte sich der Abstand zwischen den beiden, letztlich war so auch keiner von ihnen mehr in die Position, um – allgemein – zügig zu helfen bzw. – in diesem spezifischen Fall – schon um den Zielraum von Andersson mehr Präsenz zu haben. Abseits der Mannorientierungen speisten sich die vielen höheren Positionen der Sechser auch aus einigen ambitionierten bis offensiven Momenten in der Entscheidungsfindung.
Schwieriges Einsetzen der Präsenz in Freiräume
In dieser Beziehung war die Partie schließlich noch ein Beispiel für die Komplexität von Einbindungsfragen. Hinter aufrückender Spielweise des Mittelfelds ergaben sich prinzipiell also Räume. Dazu trug die Konstellation der längeren Zuspiele auch in der Weise bei, dass die Abwehrreihen zu etwas früherem Rückzug gegen die Angreifer tendierten und so die vertikale Kompaktheit schneller weiter geschwächt werden konnte. Grundsätzlich hätten die Offensiven das ausnutzen können: Raum zwischen den Linien war eigentlich vorhanden, das Bewegungsspiel trotz der vielen höheren Positionen nicht unflexibel, vom Ausweichen Donis´, über die Rochaden zwischen Akolo und Didavi bis zur – bei Union – Rolle Hartels samt potentieller Folgeeffekte.
In unterschiedlichen Konstellationen wurden die entsprechenden Räume von jenen Offensivakteuren auch besetzt. Das entscheidende Thema lautete aber dann, wie sie dort zum Zuge kommen sollten. Anders gesagt bestand die Schwierigkeit darin, jene Spieler zu bedienen. Zum einen führt dies wieder auf die Orientierungsweise des Mittelfelds zurück: Castro agierte oft aus einer tiefen, sehr spezifischen Position heraus, Gentner dagegen sehr weiträumig in verschiedene Richtungen. Damit vermochte Letzterer zwar gegen die Mannorientierungen etwas mehr Raum zu schaffen, aber alleine reichte das nicht. Letztlich konnten die Sechser nicht ausreichend stabile Verbindungen zunächst untereinander und dann weiter in die nächst höheren Zonen ausbilden.
In der Folge wurden die Strukturen nicht stark genug, um auch aus peripheren Zonen den Ball zügig zu den „vorhandenen“ Positionierungen in die entsprechenden Freiräume zu bringen und dies so zu leisten, dass das gegnerische Mittelfeld sich an diesem Umschlagpunkt würde abarbeiten müssen und demgegenüber Konzentration zum Bereich zwischen den Linien nicht mehr hätte halten können. Genau das gelang Union zumindest noch oft genug. Zum anderen nahm bei Stuttgart – insbesondere in der letzten halben Stunde – die Tendenz zu, dass sich die Offensivakteure aus den hohen Ausgangsstaffelungen etwas zu spät neu nach hinten lösten, um mögliche Lücken zu suchen. Das taten die Schwaben zwar über das gesamte Spiel hinweg, später verpassten sie aber das Timing häufiger.
Herausrücken gegen Einrücken
Ein vielversprechendes Element deutete sich bei Stuttgart in Form des Einrückens der Außenverteidiger an. Über deren Einbindung gelang es einige Male, zusätzliche Verbindungen um die Sechser herum zu ergänzen und zu füllen. Dass sie aber noch nicht so geschärft war, sah man an der zögerlichen Ausführung, in der begonnenes Einrücken öfters auch einfach wieder abgebrochen wurde. Trotzdem hatte Stuttgart über diese Route in den entsprechenden Phasen eigentlich ein ordentliches Aufbauspiel. Nachdem sie über einen der Außenverteidiger oder auch mal einen so doch zur Einbindung gekommenen Offensivmann in Zwischenräume gelangten und dann weiter öffneten, konnte sich das Problem aber weiter vorne ergeben: Seine guten Raumgewinn-Szenen nutzte der Gastgeber regelmäßig nur für frühe, fast hektische Anschlussflanken.
Der Gast aus Berlin fand im Mittelfeld eine recht gute Balance, aggressivere Bewegungen aus dem Pressingverbund noch unter Beachtung des Zwischenlinienraums auf einen entsprechenden Gegenspieler dort anzupassen: Sie richteten sich am situativ möglichen Passweg dorthin aus, einen anderen konnte Stuttgart aus dem losen Mittelfeldmodus heraus zu selten direkt herstellen (siehe Szenengrafik). Wenn Gentner weiter aufrückte und Prömel nach hinten drückte, sich gleichzeitig ein Offensivspieler in den geschaffenen Raum zum Ankurbeln fallen ließ, konnte Schmiedebach immer noch diagonal aus seiner eigentlichen Feldhälfte heraus zum Ball rücken und dabei einen wesentlichen Teil der Fläche in seinem Raum abdecken. Kombiniert wurde das mit kurzzeitig hoch aufgerückten Mannorientierungen eines Innenverteidigers ins Mittelfeld.
Schwierigkeiten und Erfolge
Bei Union fanden sich mitunter nicht unähnliche Herausforderungen. Sie brachten zunächst einmal recht viel Personal in die Bereiche hinter dem Stuttgarter Mittelfeld, abwechselnd durch Zulj oder Hartel und bei Aktionen von links auch aus dem ballfernen Halbraum durch Prömel. Demgegenüber wurde die unmittelbare Unterstützung beim Aufbau über den Halbverteidiger nicht so sauber hergestellt. Zudem vernachlässigten sie die Pflege von Ausweichoptionen am Flügel – sei es nur über entsprechende Kurz- und Auftaktbewegungen zur Erleichterung bloßer Rückpässe – ein wenig.
Daher kamen die Außenverteidiger einige Male gegen das Stuttgarter Pressing in allein gelassene Isolation, die keinen kontrollierten Ball mehr zuließ, der die vorne potentiell zu einer guten Überladung bereit stehenden Akteure hätte erreichen können. Damit brachte Union aus diesen Problempunkten des Aufbaus keine Stetigkeit ins eigene Spiel, wie sie auch der VfB nicht entscheidend generierte. Gelegentlich schienen ihre Stärken – wie etwa in der Besetzung der Achter- und Halbräume für das Übergangsspiel – auf, nur nicht zuverlässig.
Rechts hatten sie durch das Ausweichen Prömels und situative Ergänzungsbewegungen Zuljs ein gewisses Überladungspotential und bauten viel über jene Seite auf, wenngleich das auch durch Stuttgarts Leiten zwischen Mittelstürmer und Zehner noch verstärkt wurde. Statt jener Stetigkeit und Konstanz kamen ihre Qualitäten vor allem unter entsprechenden Konstellationen zum Tragen, etwa dem Moment eines einfacheren Überspielens der ersten Linie gegen eine zu unkompakte oder unbedachte Aktion des Gegners dort. Selbst in Phasen, in denen das nicht so gut gelang, war jedoch immer mindestens das Fundament des Zweitligisten funktionsfähig und solide. Insgesamt lieferte Union dem Favoriten ein ausgeglichenes Duell und hielt die Begegnung über fast sämtliche Abschnitte offen.
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