Können Teams keine Führungen mehr halten?
Der komfortable Vorsprung kann trügerisch sein: Was sich vor einer Woche in den Halbfinals der Champions League ereignete, war höchste Dramatik und schien diesen zuletzt gefühlt häufiger erlebten Eindruck auf die Spitze zu treiben. In welcher Weise und wieso stellen diese zwei Kehrtwenden einen Trend dar? Eine Annäherung an einen möglichen Faktor.
Nach einer 0:3-Niederlage mit 4:0 doch noch ins Finale gekommen, nach 0:1 im Hinspiel und zwei weiteren Gegentoren aus der zweiten Partie schließlich in den letzten Minuten noch die drei benötigten Tore geschossen – an Überraschungen hielten die Halbfinals der diesjährigen Champions-League-Saison einiges bereit. Vor dem Spiel von Liverpool schien die Aussicht auf das „Wunder“ in Anfield kleiner als minimal, Barca wirkte zu souverän. Der schwache Auftritt im Hinspiel ließ für Tottenham trotz der zumindest knappen Heimniederlage wenig Hoffnung, bei Halbzeit in Amsterdam schien Ajax endgültig trotz kleinerer Schwächephasen alle Karten in der Hand zu halten.
Abgegebene Führungen
Letztlich drehte sich die Lage in beiden Spielen nochmals um. In letzter Zeit gab es noch einige andere Beispiele, bei denen vermeintlich klare Führungen aus der Hand glitten: Während Barcelona diesmal selbst der Leidtragende war, gelang es den Katalanen vor zwei Jahren sogar, einen Rückstand von 4:0 aus dem Hinspiel noch zu drehen. Auch an das Revierderby der letzten Saison mit Dortmunds 4:0-Halbzeitführung und Schalkes 4:4 riefen die Halbfinals womöglich Erinnerungen wach. In der Champions-League-Geschichte ist es nun vier Mal vorgekommen, dass ein Hinspielvorsprung von mindestens drei Treffern nicht für das Weiterkommen reichte: Nachdem ein solches Szenario zwischen 1993 und 2016 nur einmalig 2004 eintrat, fallen die drei weiteren dieser vier Fälle in die vergangenen drei Saisons, in 2017, 2018 und nun 2019 – mindestens also sehr auffällig.
Überhaupt sind zuletzt manches Mal Führungen verspielt worden, die sonst kaum in Gefahr geraten waren, wie beispielsweise auch 0:2-Auswärtssiege. Natürlich bedeutet das nicht, dass es „früher“ Derartiges nicht gegeben hätte. Aber es ginge auch darum, wieso entsprechende Fälle zwischenzeitlich wesentlich seltener gewesen zu sein scheinen. Demgegenüber könnte man die 80er-Jahre vielleicht nochmal genauer auf seine „Fußballwunder“ untersuchen. Für Beispiele aus der unmittelbaren Vergangenheit waren oftmals strategische Gründe sehr wichtig: Es ist zumindest erst einmal, um es vorsichtig auszudrücken, eine Gemeinsamkeit viele dieser Fälle, dass sich die zunächst komfortabel in Führung befindliche Mannschaft recht weit zurückzog, sich jedoch in eine zu tiefe bzw. genauer zu „absolute“ Verteidigung fallen ließ und in dieser Herangehensweise zu viele Spielanteile verlor.
Eine typische Geschichte: Es gab weniger Entlastung, der Gegner konnte permanent angreifen und unter dem konstanten Druck hielt die Defensive irgendwann nicht mehr stand. Taktikpsychologisch wurde es nach der Einlassung auf eine Abwehrschlacht schwierig, beispielsweise nach einem ersten oder zweiten Gegentor wieder zügig auf ein strategisch „normaleres“ Spiel umzuschalten. Eine sich entwickelnde Eigendynamik der Partie war in jenen Fällen nicht mehr ausreichend aufzuhalten. Beim letztjährigen Revierderby lässt sich der Verlauf der Partie besonders eingehend einfach entlang der bloßen Ballbesitzwerte erzählen. Einerseits war das für die jeweiligen Einzelbeispiele oft entscheidend, andererseits könnte man einwenden, dass Mannschaften nicht erst vor wenigen Jahren damit angefangen haben, sich auch mal „hinten rein zu stellen“, und dieses strategische Argument also nicht so stark tragen könne.
Ajax – Tottenham: Spielanteile und Phasen
Zumindest bei Ajax gegen Tottenham spielte dies wiederum eine Rolle. In der zweiten Halbzeit des Rückspiels wurden die Gäste aus London wesentlich offensiver: Gerade die Sechser von Ajax verteidigten zunehmend in problematisch tiefen Positionen gegen die hohen Achter aus der stärker 4-3-3-artigen Anlage. Über diese Mannorientierungen wurden sie immer mehr in flache Staffelungen gedrückt. Selbst über höhere Einbindungen der Stürmer konnten sie sich seltener befreien, da die Unterstützungswege lang waren und zumal das Ballhalten im ersten Moment gegen Tottenhams Physis bei nachlassenden Kräften sich schwierig gestaltete.
Insgesamt hatte Ajax in dieser Konstellation viele brenzlige Momente in der Strafraumverteidigung zu bewältigen. Dazu trug auch die hohe Flügelbesetzung der Spurs nach deren Umstellung auf Dreierkette bei, wenngleich diese veränderte Anordnung im zweiten Drittel mitunter nicht mehr ganz so effektiv Raum öffnen konnte. Letztlich standen in diesem Rückspiel zwei unterschiedliche Halbzeiten und zwei unterschiedliche Ergebnisse für die jeweiligen Hälften mit einem dramatischen Verlauf am Schluss, der prinzipiell den strukturellen Verhältnissen der Partie entsprach, allerdings nicht in dieser Eindeutigkeit. Dass sich innerhalb des durchgängig spektakulären Zuges der Partie die scharfe Aufteilung der Tore gerade auf die beiden Teile ergab, war nicht hausgemacht.
Schon vor dem Seitenwechsel hatte es einige Phasen gegeben, in denen Ajax auf ähnliche Weise weiter nach hinten gedrückt worden und unter Druck geraten war. Eine solche Phase wie auch manche Abschnitte des zweiten Durchgangs zeigten, was der Mannschaft generell noch fehlt: eine klare Stabilität in den (Umschalt-)Mechanismen beispielsweise, trotz der großen Anpassungsfähigkeit. Insgesamt zeigte die junge Mannschaft von Erik ten Hag eine herausragende Champions-League-Saison, der Ansatz gegen den Ball etwa basierte bei diesem beeindruckenden Lauf noch recht stark auf vergleichsweise einfachen Mannorientierungen. Diese vermochte Tottenham nun im zweiten Spiel besser zu attackieren.
Dem Verlauf der Partie nach hätte es auch gut und gerne ein stärkeres „Hin und Her“ bei der Verteilung der Torfolge geben können. Das heißt: Dem Charakter der Begegnung wäre nicht weniger dadurch entsprochen worden, wenn es nach dem 1:0 erst zum 1:1 und dann zum 2:1 oder zum 1:2 mit folgendem 2:2 gekommen wäre. Für diesen Einzelfall kann man prinzipiell also argumentieren, dass das „Comeback“-Motiv auch zufällig so stark heraustrat. Die Tendenz zur aktuell verstärkten Ballung solcher Phänomene erklärt das natürlich nicht zu Genüge. Es gibt jeweils einige dieser notwendigen Faktoren für spektakuläre Aufholjagden, insbesondere im Modus mit Hin- und Rückspiel, die für den Einzelfall wichtige und nicht zu vernachlässigende Voraussetzungen sind, aber nicht hinreichend den „Trend“ begründen.
Liverpool – Barca: Starke Leistung als Voraussetzung
Beispielsweise konnte auch Liverpools „Wunder“ erst auf einer bestimmten Basis überhaupt funktionieren, für die mehrere Aspekte zusammentreffen mussten. Ein erster wesentlicher Punkt war schon die schwache Chancenverwertung Barcas, die selbst aus einigen vergleichsweise sauberen Positionen keinen Treffer zustande brachte. Ein zwischenzeitliches 1:1 hätte womöglich für klare Verhältnisse gesorgt. Doch andererseits sieht man an dieser Stelle bereits, wie dieser Faktor zwar die Grundlagen für das spätere Comeback legte, aber nicht darauf einwirkte, dass Liverpool tatsächlich das benötigte 4:0-Ergebnis erreichte.
Unentbehrlich für die Geschichte jenes Rückspiels waren ferner etwa zwei Stärken Liverpools: Die strategische Ruhe, sich nicht zu übermäßigem Aufrücken mannschaftlich verleiten zu lassen, und die im Vergleich zur Begegnung von Barcelona nochmals etwas verbesserte Rationalität in der Rückzugsbewegung mit guten, klaren Entscheidungsmustern. Nur durch das Geschick in diesem Bereich konnten sie viele potentiell gute Momente der Katalanen noch abfangen. Unter anderem an dieser Stelle gestaltete sich die zweite nicht unähnlich zur ersten Partie. Prinzipiell galt das auch für die strategische Grundkonstellation, und hieß damit: In diesem Fall entstand die große Wende nicht einfach daraus, dass das eine Team sich strategisch zu sehr zurückgezogen hätte.
Vielmehr könnte man im Groben sogar sagen: Barca „verlor“ das Duell in der entscheidenden Phase gewissermaßen dann, als ihr Ballbesitz bei Gesamtführung zunahm. Umgekehrt setzte Liverpool zwar immer mal Phasen höheren Anlaufens ein, legte mit Fortgang der Partie das Pressing tendenziell tiefer an, wie es für das Mittelfeldpressing im Speziellen im Vergleich zum Hinspiel überhaupt galt. Mit ihrem engen 4-3-3 schien den Gastgebern in diesem Zusammenhang entgegen zu kommen, dass Barcelona bei Ballbesitz die Sechser etwas tiefer um die äußeren Halbräume hielt. Dass sich an solchen Stellen die Katalanen schon vorsichtiger und stabilitätsorientierter ausrichteten, blieb nicht aus.
Die nominellen Außenstürmer Liverpools agierten gegen den Ball oft in engen Zonen. Auch wenn sie etwas weiter aufrückten und auf einen Innenverteidiger Druck machten, liefen sie mehrmals von innen an und ließen dadurch einige Wege nach außen. Noch konsequenter und allgemeinverbindlicher als im Camp Nou bestand ein typischer Mechanismus darin, dass Liverpools Achter auf die gegnerischen Außenverteidiger herausrückten. Querpasswege von dort in die Halbräume, primär auf einen nominellen Offensivmann in Barcas 4-4-2-artigem Konstrukt, sollten entweder durch den Deckungsschatten des herausschiebenden Spielers geblockt oder zum Risiko gemacht werden.
Durch die Verteilung im Anlaufen provozierte Liverpool ein schnelleres Vorwärtsspiel Barcas, denen sich in den ersten Momenten mehr Räume boten. In der Folge konnte aber die Gefahr bestehen, dass von den Außenverteidigerpositionen zu schnelle Anschlusspässe in die Formation gespielt würden. Auf mögliche Einbindungen der gegnerischen Außenspieler, gerade Vidal und später auch mal Sergi Roberto, bereitete Liverpool sich in potentieller Lauerstellung vor. Der ballferne Außenstürmer zog sich beim gegnerischen Spiel nach außen früh wieder mit zurück und in entsprechenden Szenarien reagierte auch der Achter schnell mit dem Rückzug auf seine Position. Durch zügiges Rückwärtspressing aus mehreren Richtungen konnte Liverpool einige Male gegnerische Mittelfeldakteure im Halbraum isolieren.
Eine Begleiterscheinung kompletterer Topteams?
Das funktionierte keineswegs konstant, ging kleinere Risiken ein und ließ Barcelona in den ersten Phasen auch mal Raum. Damit diese Verhaltensmuster sich bezahlt machen konnten, bedurfte es auch der guten Rückzugsbewegung und letztlich der suboptimalen Verwertung der Gäste. Dafür brachte es Liverpool zwischendurch einige wertvolle Ballgewinne und war wichtig, um dem Gegner den Rhythmus zu nehmen. Man mag dazu bemerken, dass Barca solche Momente besser hätte lösen können. Bei den „Blaugrana“ neigt man angesichts der Ausstrahlungskraft der jüngeren Vergangenheit schnell dazu, hierbei von für Barca „atypisch“ zu sprechen.
Dahinter steht eine angenommene Verbindlichkeit eines bestimmten Stils bzw. eigentlich eine (verkürzt) „absolutisierte“ Stildefinition. Genau von einem stilistischen Fokus entfernt sich die allgemeine Entwicklung aber eher, nicht nur bei Barcelona. Womöglich ist die Zunahme unerwarteter und massiver Ergebnisveränderungen eine Begleiterscheinung des Trends, dass die Mannschaften kompletter werden – nicht auf ganz herausragendem, aber hohem Niveau und das gerade im Vergleich zu früheren Jahren, unterstützt durch technische und physische Fortschritte im individuellen Bereich. Kurz gefasst könnte man sagen, dass sich Qualität verstärkt von der Fokussierung in der Spitze bzw. genauer in einer bestimmten Spitze in die Breite verschiebt.
Komplettheit impliziert hier eine größere Bandbreite an Dingen, die die Teams unterschiedlich anwenden und vor allem überhaupt gut können ohne sich jeweils darüber zu definieren, und in der Folge eine ebenfalls größere Bandbreite der möglichen Ausformungen wie auch Effekte dieser Qualitäten. Das trägt einerseits zu einer Pluralisierung von Wechselwirkungen im Detail bei und andererseits dazu, dass jene Ausformungen öfters mal unterschiedlich gut ausfallen statt von Spiel zu Spiel eher in weitgehend gleichartiger, sauberer Weise wiederzukehren. Selbst beim sensationellen Comeback Barcelonas 2017 gegen PSG war das Duell über weite Strecken von beiden Seiten sehr komplett geführt, fand aber seinen Ausgang in zwei völlig unterschiedlichen Ergebnissen.
Der Weg dorthin hat sich über die vergangenen Saisons langsam abgezeichnet: Viele Teams aus der europäischen Spitze sind in den meisten Bereichen gut bis sehr gut und recht ausgeglichen aufgestellt, vor allem haben sie weniger eine spezifische Hauptqualität oder Paradedisziplin, die ihr Spiel entscheidend prägen und über die sie sich in erster Linie bestimmen würden. Bereiche meinte in diesem Zusammenhang etwa Spielaufbau, Offensivanlage, Intensität, Gegenpressing, Pressing, Umschaltverhalten, Präsenz im Zentrum. In einem Szenario, in dem eine hohe Anzahl unterschiedlicher Mannschaften sich jeweils stark über einen dieser Bereiche definiert, hat man unwahrscheinlichere Voraussetzungen für wechselhafte, rasante Spielverläufe.
Beispielszenarien
Vereinfacht und exemplarisch kann man das vor allem am typischen, fast verbraucht wirkenden Gegensatzbeispiel der guten Ballbesitz- und der guten Pressingmannschaft festmachen. Beide sind in ihrem jeweiligen Metier enorm stark und können das bei entsprechender Möglichkeit auf einem sehr hohen, stabilen Level abrufen, haben in anderen Situationen aber Probleme. Sobald eine solche Mannschaft aus einer Führung heraus agieren darf, kann sie sich voll auf das eigene Prunkstück konzentrieren, diese Qualität ausspielen und ist vergleichsweise schwer zu schlagen. Gerade im direkten Duell „spezialisierterer“ Mannschaften untereinander wäre das deutlich: Das Ballbesitzteam könnte sich auf seine Ballsicherheit und seine taktisch wie technisch ausgearbeitete Zirkulation verlassen, das Pressingteam auf den hohen eigenen Standard gegen den Ball.
Muss Letzteres im Rückstand stärker selbst das Spiel machen, hat es weniger entsprechende Situationen und mehr solcher Momente, in denen Parameter gefragt sind, die es nicht ganz so gut beherrscht – so täte es sich womöglich schwer. Das gälte für die Mannschaft mit dem guten Ballbesitzansatz zwar weniger, sie stände aber doch sehr ungünstigen Verhältnissen gegenüber: dem Zeitdruck, irgendwann ein Tor machen zu müssen; womöglich der Notwendigkeit, auch den seltenen eigenen Pressingmomenten mehr Gewicht einzuräumen für noch mehr Spielanteile; vor allem der Tatsache, dass der Gegner sich auf dessen große Stärke konzentrieren könnte. Zumindest ein etwas größerer Vorsprung von zwei oder drei Treffern wird sich bei dieser Sachlage seltener aufholen lassen.
Vor einigen Jahren gab es solche – wie hier überspitzt dargestellten – Situationen insgesamt noch häufiger. Damals scheiterte Barca einige Male unglücklich gegen ultra-defensive Mannschaften. Gegenüber ihrem herausragenden Ballbesitzspiel waren die Katalanen in einigen anderen Bereichen nicht so weit, in manchen auch schon sehr gut, in manchen durchschnittlicher. Das heißt aber gerade nicht, dass ihnen die Komplettheit für einen „Plan B“ gefehlt hätte,um das gegnerische Bollwerk zu knacken, denn Alternativen kann man auch aus einem (fokussierten) Ballbesitzspiel entwickeln und heißen nicht automatisch Konter – zumal das die Situation ohnehin nicht hergegeben hätte. Es war vielmehr die Gesamtkonstellation mit einem sehr spezialisierten oder spezialisiert spielenden statt kompletten Gegner entscheidend dafür, dass solche Partien nicht rasant aufbrachen – übrigens sowohl in den Einzelfällen, wo Barca den Rückstand nicht mehr drehen konnte, als auch in den zahlreichen und häufiger unbeachteten Gegenbeispielen, in denen genau dies letztlich gelang.
Mehr Tore als Hintergrundentwicklung
Demgegenüber sind die Fronten bei kompletteren Teams, die nicht so eindeutig fokussiert und gleichmäßiger aufgestellt sind, in vielen Bereichen ein gutes Niveau erreichen, wenngleich kaum irgendwo sich dem Ausreizen des Potentials annähern, offener. Den Hintergrund dafür bildeten überhaupt erst einmal die Fortschritte des internationalen Spitzenfußballs speziell in Ballbesitz: In dem Maße, wie sich viele Teams in diesem Bereich in den letzten Jahren verbesserten, gerieten tiefe Defensivansätze stärker unter Druck und musste mehr mit Pressing reagiert oder gegengesteuert werden. Auch dieses konnte damit seine Bedeutung also nochmals steigern. Insgesamt trug sich so eine offensivere Prägung in die Sachlage hinein, über geübtere Umsetzung von Vorwärtsverteidigung und vom Spiel mit dem Ball.
Die Folge könnte man wieder auf eine einfache Formel bringen: Wenn das Spiel als solches offensiver wird, fallen insgesamt mehr Tore. Auf Vereinsebene kann man das in den Statistiken etwa anhand der Champions League über die letzten Jahre hinweg nachverfolgen: Von 2004 bis 2010 war der Wert nie mehr als durchschnittlich 2,7 Tore pro Spiel, seither immer und tendenziell häufiger in Richtung 3,0 denn 2,7. Dieses Jahr ist zwar wieder ein leichter Rückgang auf 2,94 zu verzeichnen, nachdem in 2016/17 und 2017/18 aber erstmals der Wert von 3,0 geknackt worden war. Generell hohe Zahlen an Toren vereinfachen das Auftreten von Spektakel: Hohe Ergebnisse sowohl zu erzielen als auch aufzuholen, wird entsprechend wahrscheinlicher. Wenn es weniger Mannschaften gibt, die über ein spezielles Parademerkmal verfügen, das sie bei einem Vorsprung erst voll zur Geltung bringen könnten, sind die ersten Treffer nicht so wegweisend und stehen Ergebnisse nicht so fest abgesichert.
Gleichzeitig haben viele Teams somit ein breiteres Spektrum an Mitteln entwickelt, um überhaupt erst mal eine hohe Führung – quasi als ersten Schritt, bevor es spektakuläre, dramatische Wendungen geben kann – herauszuschießen. Ein Zustand mit mehr kompletten Teams bedeutet nun nicht unmittelbar gleich mehr gedrehte Ergebnisse. Aber er führt generell dazu, dass Mannschaften öfter und breiter reagieren und antworten können, gleichzeitig Partien schon allein strategisch seltener die ganz klare Richtung einschlagen. Über ein einzelnes Spiel gesehen liegen die Dinge „unsicherer“, in der längerfristigen Perspektive wiederum entsteht eher Verfestigung.
Alternativen und Antworten für wechselnde Phasen
Wenn man umfassend aufgestellt ist, zieht dies schließlich eine geringere Anfälligkeit für den Fall nach sich, wenn die eigene Kernkompetenz, auf die man sich besonders spezialisiert, gerade blockiert ist und einmal nicht so gut zur Geltung kommt, ob durch Störgeräusche aus ungünstigen Wechselwirkungen, kleinen Problemen im Rhythmus und der Entscheidungsfindung oder wegen einer besonders guten taktischen Anpassung eines Gegners. Solange das nicht der Fall ist, erreicht aber auch die eher spezialisierte Mannschaft gerade viel Konstanz über regelmäßige Wirksamkeit dessen, was sie besonders gut kann. Ihre Niederlagen werden solche Teams, insbesondere die individuell stärkeren Vertreter aus dem Spitzenbereich, nicht unbedingt in spektakulär hin und her gehenden Begegnungen hinnehmen müssen.
Am ehesten sind jene Mannschaften, die sich in erster Linie sehr stark über das Umschaltspiel definieren, gut in der Lage, einen offenen Schlagabtausch mitzugehen. Darüber hinaus wird es bei stärkerer Spezialisierung ansonsten so sein, dass ein Team öfters gegen einen bestimmten Typus von Gegnern wiederkehrend ähnliche Probleme hat, durch eine zufällig im Spielplan geballte Abfolge derartiger Kontrahenten in eine Schwächephase geraten kann. Umgekehrt gibt es keine direkte Linie oder Mündung von Komplettheit in spektakulär gedrehte Spiele als spezifisches Phänomen, eher in tendenzielle Wechselhaftigkeit insgesamt und damit nur deren Ermöglichung. Vor vier Jahren erging es Guardiola im Camp Nou wie kürzlich Klopp und versuchte er in einem anschließenden Rückspiel jenes Comeback zu realisieren, das Liverpool nun sensationell gelingen sollte:
Auch das Halbfinale 2015 gewann Barca zu Hause bei zwei späten Toren mit 3:0, die anschließende Begegnung in München gaben sie aber nicht aus der Hand. Dass die Katalanen nach Bayerns früher Führung schnell wieder mit einem wertvollen Auswärtstor antworten konnten, lag nicht zuletzt daran, dass sie gerade recht komplett aufgestellt waren und neben ihrem Ballbesitz- etwa ein herausragendes Konterspiel aufzuweisen hatten. Trotz der klaren Ausgangslage aus dem Hinspiel bot jene Partie damals viel Reizvolles: Dass vermeintlich bereits alles entschieden war, führte also nicht dazu, dass das eine Team nicht mehr viel hätte machen können und das andere bloß verwaltete, dass also kaum etwas passiert wäre.
Das strategische Narrativ von zu klarer Defensive nach furioser Offensive bedeutet in diesem Zusammenhang eigentlich nichts anderes als eine temporäre „Spezialisierung“ auf eben eine Offensiv- und eine Defensivmannschaft. Bei stärkerer Komplettheit können sich die Faktoren potenzieren: Je kompletter die Mannschaften sind, desto handlungsfähiger bleiben sie. Nach dem 0:4 im Derby tatsächlich noch einmal zurückzukommen, gelang Schalke damals auch deshalb so wirkungsvoll, weil sie in dem Moment, in dem ihnen große Spielanteile zufielen, ihrerseits Aktivität einzubringen vermochten: Sie waren nicht einfach nur stabilitätsorientiert und dann nach der gescheiterten Defensive in Schwierigkeiten, sondern sie konnten auch sauber den Ball laufen lassen oder vielseitig in höhere Pressingphasen übergehen.
Zwei gegensätzliche Trends
Insgesamt ergeben sich gewissermaßen zwei unterschiedlichen Entwicklungen: einzelne Spiele nehmen häufiger unerwartete Züge und Pfade, über eine ganze Saison hinweg kommt es verstärkt zu ähnlichen Resultaten und gewissermaßen weniger „Abwechslung“. Die europäischen Spitzenteams und vor allem die stärksten Vertreter unter ihnen verfügen in der Breite über mehr Handhabe, sind kompletter, anpassungsfähiger und folglich auch konstanter. Sie können auf die kleineren Schwierigkeiten, die im Einzelspiel mitunter zu „verrückten“ Auswirkungen führen, besser reagieren. Bei Problemen bieten sich ihnen taktisch (und personell) viele Alternativen, die zwar nicht alle von ganz höher Güte sein mögen, von denen in der überwiegenden Zahl der Fälle aber irgendeine zumindest gut genug funktionieren dürfte.
Auch das trägt als ein Punkt dazu bei, dass zuletzt so oft Bayern, Juve und PSG ihre nationalen Titel gewannen. In England zeigt sich diesbezüglich noch die vergleichsweise höchste „Fluktuation“ unter den europäischen Topliegen. Aber selbst in Spanien spielt sich über die letzten Saisons oft eine jeweils ähnliche Geschichte ab: Barca wird Meister, Atlético spielt eine gute Runde und hält sich lange zumindest in Schlagdistanz, ohne letztlich aber entscheidend den Titel angreifen zu können, Reals Stil eignet sich gut für Wettbewerbsformate, aber lässt im Ligamodus immer mal Punkte. Entsprechend der verschiedenen Erschwernisse bei den Madrilenen in dieser Spielzeit war es eigentlich nur die schwächere Version ihrer vorangegangen Saisons, gewissermaßen eine besonders verpatzte Neuauflage, in der Dimension unerwartet, von der Story im Kern eigentlich bekannt.
Weitere Faktoren
Das wäre ein mögliches Erklärungsmodell für einige Ergebnisbilder im europäischen Spitzenfußball. Zur Zusammenfassung erscheint das Achtelfinale zwischen Juventus und Atlético als ein passendes Beispiel: Die Italiener wurden im Hinspiel aus ihrer großen Komplettheit heraus sogar unspezifisch, insofern sie stets anpassungsfähig waren und sich damit gegen Atléticos Bemühungen im Spiel hielten, aber über kein Instrument wirkliche Dominanz entfalten konnten. So ging irgendwann etwas zu viel Kontrolle verloren, die Atlético den entscheidenden Zuwachs an Spielanteilen ermöglichte, nachdem die „Rojiblancos“ mal über Konter oder mal über Gegenpressing öfters gefährlich gewesen, aber gegen Juves Grundstabilität nicht zum klaren Schlag gekommen waren.
Entlastung über Spielanteile wirkte sich gerade im Rückspiel wiederum aus, letztlich zu Ungunsten Atléticos. Dass Juve auf dieser für die Madrilenen suboptimalen strategischen Basis die Begegnung letztlich noch drehen konnte, basierte in entscheidendem Maße auf guten Alternativmöglichkeiten ihrer Ausrichtung: formative Anpassung mit unorthodoxer Mischrolle für Can, starke Verlagerung der eigenen Gewichte auf Breite im Angriff mit Betonung der Strafraumbesetzung. An dieser Stelle zeigen sich direkt weitere mögliche Faktoren für das diskutierte Phänomen, dass solcherart Spiele zuzunehmen scheinen. Stärkere Komplettheit stellt einen, aber nicht den einzigen Erklärungsgrund dar. Konkret zur Komplettheit als Anpassungsfähigkeit dazu gehört beispielsweise stärkere formative Flexibilität.
An diesem Element kann man sehr deutlich sehen, wie es in einem Grundstadium auch „früher“ schon präsent war und an einigen Stellen – etwa beim legendären Champions-League-Finale von 2005 als länger zurückliegendes (Gegen-)Beispiel – einen Einfluss als „gamechanger“ ausübte, während es im Vergleich dazu in dem kurzen Zeitraum der vergangenen etwa fünf oder sechs Jahre seine Selbstverständlichkeit wesentlich vergrößerte. Vielfaches Anpassen der Formation ist aktuell weit verbreitet. Indem solche Wechsel häufiger stattfinden, kann es auch häufiger zu dem Szenario eines starken, wirksamen Formationsgriffs, gewissermaßen eines Volltreffers, kommen, der in einer nur kurzen Zwischenphase die Partie mit hoher Wucht auf die Seite der entsprechenden Mannschaft ziehen und sie so gravierend umwälzen kann.
Je seltener umgestellt wird, desto seltener macht sich dieser Effekt bemerkbar. Selbst bei den zuletzt gespielten Halbfinals deutete sich im Hinspiel zwischen Tottenham und Ajax an, wie viel besser einfach die Raute die Spurs auch dann in ein Spiel brachte, in dem sie eigentlich sehr schwach und unsauber aufgestellt waren. Ein vergleichsweise simpler, basaler Handgriff mit besonders weitreichenden Wirkungen stellt vor allem die Umstellung zwischen Dreier- und Viererkette dar, aufgrund der größeren sich ergebenden Folgeeinflüssen. Im 4:4-Derby aus der letzten Saison etwa spielten Formationswechsel eine wichtige Rolle, als Dortmunds überraschende Start in der Dreierkette zur furiosen Startphase beitrug und Schalke später unter anderem eine Umstellung auf 5-2-3 half. Die Partie bildete ein buntes Beispiel für den Stellenwert dieses Faktors.
Der Fall des Achtelfinals zwischen Juve und Atlético verweist noch auf ein weiteres Element für die Gesamtlage. Die Ballung unerwarteter, wechselhafter Spielverläufe scheint prinzipiell allgemein zuzunehmen, konzentriert sich konkret auf die aktuelle Champions-League-Saison aber noch einmal in einem ganz besonderen Maße. Dazu ließe sich das Argument der allgemein steigenden Torezahlen ausführen: Es hat sich diesmal einfach die Situation ergeben, dass eher defensive Teams früher ausschieden und eher etwas „offensivere“ Mannschaften im Feld verblieben. Gerade die beiden Madrider Vertreter – die von Kollege MR so bezeichneten „defensivsten Verteidiger“ und „defensivsten Ballbesitzer“ – verabschiedeten sich jeweils schon im Achtelfinale. Damit waren die Voraussetzungen etwas besser, dass danach überhaupt überdurchschnittlich viele Tore fallen würden.
In erster Linie stellt diese Konstellation einen Faktor für das Phänomen dar, im Ansatz lässt sie sich auch als Indikator interpretieren. Wendet man wiederum den Blick auf das Beispiel Atlético, wäre das frühe Aus (wie auch schon in der Vorsaison) nicht untypisch: Vor einigen Jahren hätte man das Simeone-Team prinzipiell als spezialisiert bezeichnen können, es war aber kein reines Defensivteam, sondern auch in vielen anderen Disziplinen gut aufgestellt und dementsprechend sehr erfolgreich. Je stärker diese Tendenzen zur Komplettheit aber rückläufig waren und etwa das Offensivspiel weniger gepflegt und mit alternativen Facetten erweitert zu werden schien, ergaben sich häufiger Probleme, zumal ansonsten mehr Teams kompletter wurden und vielfältiger auf die „Rojiblancos“ reagieren konnten. Insofern ist es symptomatisch, dass die internationalen Ergebnisse Atléticos weniger Konstanz und lange ungekannte Spannbreiten aufweisen, mit einem Aus durch ein 0:3 nach einem 2:0 (ebenso zuvor gegen den BVB 0:4 und 2:0).
Wie geht es mit dem Trend zu stärkerer Komplettheit nun weiter? Dass viele Mannschaften vor allem versuchen werden, möglichst breit aufgestellt zu sein und die eigenen Qualitäten nicht auf eine bestimmte Spezialität zu maximieren, sondern gleichmäßiger zu verteilen und vor allem Konstanz auf gute Erfolgsaussichten zu erreichen, dürfte noch etwas anhalten. Es könnte demnächst weitere Partien mit spektakulär abgegebenen Führungen geben, allerdings – wie die jüngsten Beispiele auch allesamt zeigen – nur bei weitgehend ähnlicher individueller Klasse zwischen zwei jeweiligen Teams.
8 Kommentare Alle anzeigen
Puscherbilbo 7. Juli 2019 um 19:47
Interessanter Artikel. Allerdings erscheint die Samplemenge dergestalt gering, dass statistische Analysen mit großem Vorbehalt zu betrachten sind. Mindestens sollte aber die Gesamtsumme der Spiele des jeweiligen Zeitraums in Relation gesetzt werden zu der Anzahl der Überraschungen.
Grundsätzlich nimmt der Vorteil der Heimmannschaft ab. Wenig überraschend m.M.n. wenn man einen Blick auf frühere Spielbedingungen wirft.
http://gruenentisch.blogspot.com/2014/04/der-heimvorteil-klarer-trend-uber-die.html
fluxkompensator 17. Mai 2019 um 16:01
Ich hatte den Eindruck, dass speziell Barca vs Liverpool jeweils etwas zu viele Tore gefallen sind, d. h. das Resultat in der Deutlichkeit die Kräfteverhältnisse nicht unbedingt widerspiegelte.
Worauf sind die Ergebnisse aber zurückzuführen? Individuelle Klasse (etwa der Messi-Freistoß, oder eine Glanzparade von Allison)? Gewiss spielt die Psychologie etwa beim Stand von 3:0 für Liverpool auch eine Rolle, aber ich bin da – auch nach deinem Ansatz hier TR – immer noch nicht so ganz sicher, wie man diese Spektakel analysieren kann.
TR 16. Mai 2019 um 23:22
@Hoerstle: Schon richtig, die beiden Spiele waren tatsächlich jeweils sehr ausgeglichen. Insofern haben sich die Mannschaften auch als recht komplett präsentiert. Wie angesprochen, bedurfte es zahlreicher Faktoren im spezifischen Zusammenspiel, dass es tatsächlich dann zu dem Comeback und zu solchen extremen Resultaten kam. Die Partie sollte auch nicht als primäres Paradebeispiel für die Gesamtentwicklung genommen werden, gewissermaßen als Aufhänger, auch dafür, wie in unterschiedlichen Konstellationen (hier eben mit Komplettheit, aber wesentlich weniger „Wechselhaftigkeit“ anderer Beispiele) solche Szenarien (hier dann eben mit der entsprechenden „Zufälligkeit“ in der Toreverteilung noch dazu) entstehen können.
@rb: Auf jeden Fall war das Team von damals schon sehr komplett, auf beeindruckende Art und Weise. Gerade aus der Rückbetrachtung wird dann nochmal deutlich, welches Ausmaß diese Komplettheit hatte und wie entscheidend sie für die Mannschaft war.
@Peda: Meinst du bzgl. der taktikpsychologischen Faktoren also, dass diese gerade in dem veränderten Setting durch die verstärkte Komplettheit sich noch feiner und schneller auswirken als in anderen Umgebungen? Dem würde ich zustimmen wollen, während man ansonsten bei jenem Argument eben vor dem Problem stünde, dass es danach eine höhere Anzahl entsprechender Phänomene auch schon vor 5-10 Jahren hätte geben müssen.
Zu dem anderen Trend aus deiner abschließenden Bemerkung: Was ganz konkrete Bezüge angeht, hätte ich da in erster Linie zunächst auf die Aspekte verwiesen, die im Anschluss des Satzes dann auch im Text genannt sind, also gerade das Thema der Serienmeisterschaften. Was sind da deine gegensätzlichen Eindrücke?
Peda 22. Mai 2019 um 09:31
1) ja, genau das meine ich.
Und ein Problem bei dieser Argumentation sehe ich nicht in dem Maße: die Entwicklung der Comebacks müsste bei der kleinen (und aufgrund der Änderungen in den Bewerben auch schwankenden) Sample Size genauer untersucht werden. Auf der einen Seite bleibt für mich offen, ob sich da tendenziell um Duelle auf Augenhöhe handelt oder nicht auch um klare Favoriten, die die erste Halbzeit oder gar das komplette Hinspiel verschlafen („Auswärts-Pep“). Auf der anderen Seite fände ich auch eine Analyse der Game States interessant, sprich, ob sich das Verhalten bei Führung/Rückstand in den letzten Jahren signifikant verändert. Wird nach (einfacher) Führung stärker am Ballbesitz festgehalten, wie entwickeln sich die xG-Werte nach Führungen?
Abgesehen davon sehe ich diese Anzahl der „kompletten“ Mannschaften noch nicht über einen längeren Zeitraum. Das wäre auch einmal zu diskutieren welche Mannschaften in welchen Zeiträumen zu diesem Kreis zu zählen sind.
2) Korrelieren Serienmeisterschaften nicht viel stärker mit den eingesetzten und zur Verfügung stehenden Geldmitteln als der allgemeinen Spielweise? Weder Juventus noch die Bayern sehe aktuell als „komplette“ Mannschaft, gemeinsam mit PSG haben sie in erster Linie budgetäre und damit auch individuelle Vorteile.
Peda 16. Mai 2019 um 13:44
Danke für diesen Artikel!
Darüber habe ich mir kürzlich auch schon Gedanken gemacht und ich bin ebenfalls der Meinung, dass die zunehmende Komplettheit der Spitzenmannschaften einen großen Teil dazu beiträgt. Wobei man aber zwei Einschränkungen machen sollte: ‚Komplettheit‘ klammert hier effektives Verwalten – egal ob durch stabilen, tiefen Ballbesitz oder stabiles, tiefes Pressing – aus und es trafen auch eher zufällig diese ‚kompletten‘ Mannschaften aufeinander – weil andere früh ausschieden oder heuer in der Europa League spielen.
Dazu kommen aus meiner Sicht auch noch taktikpsychologische Faktoren: klar in Führung liegend greift man gerne zu gefühlten Sicherheitsvarianten (lange Bälle, tieferes Pressing, verlangsamte Zirkulation), die einem selbst mehr schaden als helfen. Wenn man auf ähnlichem Niveau agiert, reichen ja auch schon kleine Nachlässigkeiten in der Intensität um den Gegner wieder ins Spiel zu bringen. Zudem ist es mMn weit leichter sich nach einer Niederlage verbessert auf einen Gegner einzustellen als nach einem Sieg. Und wie die xG-Ergebnisse der Spiele zeigen, waren sie ja allesamt knapper als das (Zwischen- bzw.) Endergebnis.
Das ist insgesamt sehr unterhaltsam für die Zuschauer, macht Bewerbe mit KO-Runden aber noch zufälliger als ohnehin schon.
PS: hast du zu deinem zweiten Trend (über eine ganze Saison hinweg kommt es verstärkt zu ähnlichen Resultaten und gewissermaßen weniger „Abwechslung“.) auch Belege? Das sehe ich eigentlich nicht so.
August Bebel 16. Mai 2019 um 12:12
Cooler Artikel! Ich finde es spannend, dass hier ein Phänomen und allgemeine Entwicklungen statt einzelnen Spielen oder Teams in den Blick genommen werden.
rb 16. Mai 2019 um 10:24
War Bayern 2013 die Blaupause für komplettere Topteams: Champions-League-Sieger als zweitbeste Ballbesitzmannschaft (nach Barca), als zweitbeste Gegenpressingmannschaft (nach dem BVB) und als zweitbeste Umschaltmannschaft (nach Real Madrid)?
Hoerstle 16. Mai 2019 um 10:22
Ich finde, dass Barca – Liverpool hier nicht als Beispiel für extreme Ergebnisse passt….die Verteilung der Tore auf beide Spiele ist ungewöhnlich, aber mMn waren beide Spiele so ausgeglichen, dass der Gesamtentstand sehr passend ist. Ich fand tatsächlich auch (rein subjektiv), dass die jeweilige Mannschaft im verlorenen Spiel sogar eher besser war…das unterstreicht nochmal, wie ungewöhnlich deutlich die einzelnen Spiele ausgegangen sind, aber dass das Gesamtergebnis doch schön die Leistungen beider Teams über beide Spiele abbildet. Lg!