Dortmund verliert sich im Standard

5:0

Biedere Borussen fangen sich hanebüchene, seltsame Gegentreffer. Gutes Spiel in die zweite Aufbaulinie und Zugriffsschärfe bilden zwei Eckpfeiler bei den Bayern.

Man kann vier Tore in einer Halbzeit schießen, ohne im Offensivspiel wirklich zu brillieren. Trotzdem kann man gleichzeitig in einigen Bereichen enorm stark agieren. Schließlich kann man in derselben Situationen auch noch gewisse Angriffsflächen offen lassen und unbeschadet überstehen, die in der spezifischen Gesamtkonstellation und -entwicklung der Begegnung kaum bis gar nicht zur Geltung kommen.

Das Münchener Scheibenschießen vor der Pause resultierte nicht unbedingt aus einer außergewöhnlichen Einstellung in Aufbau und Angriff, auf welche der vorstellbaren Weisen auch immer, oder als allgemeine Entfesselung. Sie spielten gut und im Wesentlichen ihr Programm der letzten Wochen. Das reichte überraschend in dieser Begegnung für ein so deutliches Resultat.

Pluspunkt eins: Befreiendes Ballhalten

Insgesamt kann man vor allem zwei Punkte herausstellen, die die Bayern sehr gut machten und die als Schlüsselaspekte beteiligt an den Toren und entscheidend für die Dynamik der Münchener insbesondere schon in den schwungvollen ersten zehn Minuten waren. Der erste Punkt betraf die Konsequenz in der Umsetzung der hinteren Zirkulation: Ballsicherungen in der zweiten Linie gelangen den Münchenern sehr effektiv, mit denen sie immer mal wieder für Beruhigung und Rhythmuserhalt sorgen konnten. Dafür spielten mehrere Teilelemente und Verhaltensmuster zusammen, von den Passentscheidungen bis zum Freilaufverhalten.

Vor allem Kimmich bildete auf der rechten Seite ein Paradebeispiel, bei beginnendem Druckzuwachs durch den Gegner auch nochmal kurz zu verzögern und abzuwarten, die Übersicht zu behalten und dann jenen richtigen Moment zu ergreifen, in welchem der zunächst wesentlich schwieriger erscheinende Kurz- oder Querpass möglich wird. Von den Flügeln kamen die Münchener im Aufbau noch recht gut wieder in den Sechserraum und sie scheuten solche Zuspiele auf Thiago oder Martínez nicht. Dass das in der Form funktionierte, lag auch am Dortmunder Mittelfeld, dessen Entscheidungsfindung tendenziell etwas zu früh, flach und gewissermaßen „absolut“ auf Rückzugsbewegung schaltete.

Aus den ballfernen Zonen gab es nur wenige diagonale Vorwärtsbewegungen als Ergänzung. Links wiederum verpasste ballnah einige Male Delaney das Nachschieben, wenn er sich gegen eine Ausweichbewegung Müllers zu weit nach außen begeben hatte. Sich im Zentrum situativ knapp zu weit zurückfallen zu lassen, kann jeweils schon viel ausmachen, gerade desto mehr je geschlossener es aus einer eigentlich soliden Grundhaltung geschieht. Das führte letztlich dazu, dass Bayern im Aufbau fast immer noch die Ausweichmöglichkeit fand und den Ball gut halten konnte. Dortmund war nun nicht konstant instabil unterwegs, aber hatte kaum organisierte Varianten zum (situativen) Druckaufbau im Angebot.

Dortmund zumindest oder nur mit Solidität

In der Ausgangslage hatte sich der BVB zunächst einmal recht ordentlich eingestellt: Dahoud pendelte zwischen Zehner- und Achterposition, war bei Pressingbeginn zunächst aktivster Spieler und arbeitete sehr fokussiert über den Deckungsschatten. Baute Bayern über halblinks auf, rückte der Mittelfeldmann heraus und bewegte sich in die 4-4-2-artigen Anordnungen. Ging es leicht nach halbrechts, verschob Reus aus seiner zentralen Grundposition dorthin und Delaney löste sich nur dann weiter nach vorne, wenn Thiago tiefer zurückging und den Ball forderte.

Bei Zirkulationswegen von Süle zurück nach halblinks, verschob Reus nicht wie der klassische Solostürmer, sondern blieb tiefer, hielt sich lose im Umkreis von Martínez und wurde nun quasi von Dahoud auch wirklich „überrückt“. Dass dieser sich so klar auf seinen Halbraum fokussierte, erlaubte Witsel in konstanter Manier eine zentrale Grundposition auch bei längeren Phasen mit höherem Dahoud, da der Halbraum viel über den Deckungsschatten mit verteidigt wurde.

Diese kleinen Feinheiten in der Zuteilung schienen sich gegen Hummels zu richten und erschwerten diesem im Speziellen das Vorwärtsspiel. Damit befanden sich die Mannen von Lucien Favre zunächst einmal in keiner so schlechten Lage, gegen die Bayern den Ball jeweils lange laufen ließ. Die Münchener besetzten den linken Halbraum vor Hummels im Rücken von Dahoud vergleichsweise oft durch Lewandowski, der sich phasenweise tiefer und potentiell verbindender positionierte als Müller. Den Angreifer dort einzubinden, war aber nicht so leicht – nur vereinzelt gab es dort Möglichkeiten für den Vertikalpass.

Flügeltandem und Thiago-Bewegungen

Dass sich die Münchener letztlich einige Male nach vorne arbeiten konnten, lag erstens an einigen Diagonalbewegungen von Thiago und zweitens an der Sauberkeit in der positionellen Abstimmung zwischen Alaba und Coman. Letzterer ging situativ statt Lewandowski oder Müller in den Raum neben Witsel und fand dort ein sehr effektives Timing. Als dieses Potential einmal eingesetzt werden konnte, entsprang daraus die Entstehung des 4:0. Etwas „abseits“ des unmittelbaren Geschehens traf Alaba in seinem Aufrückverhalten genau die zu Comans Einbindung passenden Spielfeldhöhen für die jeweiligen Momente des Situationsverlaufs. Auch in anderen Szenen sorgten die Bewegungen dieses Tandems für Schwung.

Wenn Martínez gegen Dahoud mal halblinks tiefer aufbaute, lief sich Thiago einige Male diagonal nach vorne und nach links frei und füllte so die Übergangsräume vor seinem Nebenmann. Dafür steuerte er die Schnittstelle zwischen dem herausrückenden Mittelfeldakteur und Reus an, zumal dieser sich manchmal noch näher zum Ball geschoben hatte. Indem er das Leder schräg aus der Laufbewegung heraus mitnehmen konnte, verbesserten sich Thiagos Aussichten, gegen etwaiges Herausrücken aus dem weiteren Dortmunder Mittelfeld zu entweichen. Ließ sich eine direkte Folgeaktion in die Offensive nicht herstellen, führte auch dies zumindest wieder zur Ballsicherung.

Pluspunkt zwei: Gegenpressing

Daneben war der zweite wichtige Punkt der Münchener die stabile Absicherung ihrer Momente, die sie im Angriffsdrittel hatten. Das Gegenpressing der Mannen von Niko Kovac funktionierte gut: Besonders bei Flügelangriffen schob Martínez konsequent dahinter und gleichmäßig an die Ränder des Halbraums. Wenn bei Dortmund sich zur kompakten Verengung der Szenen Dahoud lose am Münchener Mittelfeldakteur orientierte, hatte dieser im Umschalten schnell Zugriff. In anderen Konstellationen – nicht zuletzt beim häufigen zusätzlichen Doppeln bzw. Unterstützen Dahouds in den seitlichen Szenen selbst – orientierte sich Martínez tendenziell schon mal etwas stärker an den Passwegen zu Reus.

Erfolgreiches Gegenpressing nutzte den Münchenern nicht nur in der Kontervermeidung, sondern auch im Bereich der Spielanteile: Dadurch verstärkte sich die eigene Präsenz, mit der man den BVB über manche längere Phasen nach hinten drücken und sich um den Strafraum festsetzen konnte, wie direkt zu Beginn. Dadurch wurden auch viele Ecken und Freistöße provoziert, die letztlich entscheidend für die spektakulären Chancen, die Tore und das Resultat verantwortlich zeichneten. Neben dem 1:0 und dem 3:0 entstanden noch die übrigen Hummels-Gelegenheiten, der Latentreffer und der Lewandowski-Abschluss nach schnellem Einwurf aus Standards. Bei Ecken waren die Dortmunder völlig unterlegen.

Das 2:0 muss man gewissermaßen gesondert in die Rechnung einbeziehen, der vierte Treffer war dann schließlich herausgespielt und gut vorbereitet, wenngleich in letzter Konsequenz von den vorigen Ereignissen und den Umständen begünstigt. Recht typisch an diesem Tor zeigte sich die punktuelle Explosivität, die die Münchener mitunter auf lose Bälle entwickelten, auch über die Momente nach eindeutigen Ballbesitzwechseln hinaus. Mit seinem Raumgespür machte Müller viele gute Rückwärtswege, die ihm plötzliche, saubere Ballmitnahmen aus chaotischen Szenen ermöglichten. Auch Thiago entwickelte viel Zugriff, durch frühe Antizipation und schnelle Reaktionen bei temporeichen Ballwechseln.

Pressing und allgemeine Zugriffsbildung

Diese beiden Spieler nahmen entscheidende Rollen auch im Pressing der Gastgeber ein. Im erhöhten Mittelfeldpressing zielten die klassischen Abläufe des aus etwas tieferer Position startenden und dann anlaufenden Halbstürmers meistens darauf ab, Zagadou zu isolieren. Wenn Lewandowski die halblinke und Müller die halbrechte Position bekleidete, ging der Ball eher auf den linken Dortmunder Innenverteidiger. Der typische Verlauf: Müller Halbstürmer ging nach vorne, versperrte den Sechserraum, die umliegenden Kollegen rückten nach – Thiago bis zu Delaney – und der Ballführende kam unter Druck.

Zu der Klarheit der Anlage kam die passende Umsetzung hinzu: Müllers Bewegungen waren gut und ausgewogen, ähnlich dem günstigen Maße, wie er – und auch Lewandowski – punktuelle Unterstützungsaktionen in den Halbräumen für das Kombinationsspiel dezent gestaltete. Ebenso führte Thiago das Nachrücken im Halbraum gut aus. Generell hatten die Münchener ihre Vorteile bei der Zugriffsfindung im Mittelfeld: Diese speiste sich vor allem aus der individuellen Vororientierung, für die Thiago ein herausragendes Paradebeispiel darstellte.

Darüber hinaus fanden sich die Vorteile im großräumigen, gruppentaktischen Situationsmanagement der Zentrumsspieler untereinander. Auch wenn sie größere Abstände untereinander hatten, hielten sie untereinander noch gute Staffelungen aufrecht, passten ihre Entscheidungen zueinander. Im Gesamten war die Borussia fast sogar etwas kompakter im Verhalten der zweiten Reihe. Das äußerte sich in manchen Abprallerszenen. Vor allem führte es aber zu zwischenzeitlich manch gelungener Szene in der Rückwärtsbewegung mit lokal drei bis vier Spielern. Das waren einfach Effekte ihrer Grundorganisation, die auch bestehen blieben, nachdem in der ersten Pressingreihe leichter mal Unkompaktheiten auftraten. Mitte der ersten Halbzeit hielt der BVB die Partie nicht zuletzt über solche Szenen etwas ruhiger.

Dortmund ohne Klarheit nach vorne

Bei den Freilaufmustern des Mittelfelds in Ballbesitz fehlte jedoch die zusammenhängende Klarheit zwischen den Akteuren, um die nicht ganz sauberen (aber in der letzten Rückzugsphase dann starken) Anbindungen der Münchener Flügel nach innen zu bespielen und hinter Thiago zu kommen. Die Zentrumsspieler ließen sich einige Male zu früh zum ballfordernden Zurückfallen hinreißen. Grundsätzlich lockte das die Mannorientierungen der Münchener zwar etwas heraus und schuf prinzipiell Räume.

Aber es sorgte in der Anlage unnötig früh für vollendete Tatsachen, wenn man noch kurz hätte abwarten können, ob die Dynamik der Situation andere vielversprechende Bewegungsvarianten herausgestellt hätte. In diesen Zonen folgten die Borussen zu direkt dem Muster der Normalität. Hatten sich Spieler in den ballferneren Bereichen gerade gelöst, besetzten diese wiederum konkrete potentielle Lücken um Martínez herum nicht spezifisch und fokussiert genug. Das schien vor allem eine Frage unklarer Orientierung und unbewusster Detail-Raumwahl. An diesem Knackpunkt zeigte sich, welche Möglichkeiten noch da gewesen wären.

Auch Überladungsbildungen am Flügel wurden nur zögerlich hergestellt, mit denen es im 4-3-3 schon häufiger mal Probleme gab. Das hätte in diesem Fall etwas anders, noch mehr über explosive Bewegungen im Anschluss an den ersten oder zweiten Pass geschehen müssen, aber in möglichen Szenen für solche Versuche unterblieben die entsprechenden Entscheidungen. Nur ganz am Anfang beim Pfostenschuss deutete sich mal die Gefahr des mannorientierten Herausrückens an, nicht unähnlich des zweiten Gegentors vom Pokalspiel gegen Heidenheim. Hinter der ballnahen Weiträumigkeit musste Hummels entsprechend horizontal nah anschließen, so dass der ballferne Bereich selbst noch in der Folgeaktion geöffnet blieb.

Innerhalb des Zwischenlinienraums bewegte sich Reus sehr tief und forderte schnell die Bälle, sofern Dortmund dort mal gerade hinein spielen konnte. Das zog viel Präsenz und das Spiel der Borussen in diesem Bereich auch fast etwas zu stark auf ihn, gegenüber möglichem Einrücken der Flügel. Zwar konnte Reus einige Bälle so recht gut sichern und anschließend verteilen, aber fast immer blieb als Anschlusspass nur die einfache Verlagerung, zumal die unmittelbaren Tiefenbewegungen noch nicht hergestellt werden konnten.

Fazit

In gewisser Weise machte Dortmund strukturell und systematisch gar nicht mal so viel anders als sonst, aber verlor sich in den Standardmustern, im bloßen Programm der letzten Wochen und der Orientierung daran. Das mündete in zunehmend unspezifischen Bewegungen und individuellen Entscheidungen von nur halbgarer Allgemeingültigkeit. Ungewöhnliche Fehler kamen sicher hinzu, viele Einzelleistungen zeigten sich überraschend schwach. Eine besondere und/oder unerwartete Anpassung als Extra im Gipfeltreffen blieb aus, nicht in einem größerem Maße als bei der Rollenverteilung des Mittelfelds gegen den Ball.

Mit innerhalb der zweiten Linie geschickter Spielfortsetzung und insgesamt gelungener Absicherung waren die Bayern gut in der Partie, die bei den meisten Akteuren starken Leistungen im Bewegungsspiel und insbesondere teilweise in der Vororientierung zum Ball erhöhten nochmal den Zugriff, gerade die Standardstärke sorgte von dieser Basis aus für besondere Torgefahr. Nach der Halbzeit hielten die Bayern die Höhe des Mittelfeldpressings weitgehend aufrecht, statt sich wesentlich tiefer fallen zu lassen.

Nur ein schnelles Anschlusstor hätte den Dortmundern noch einmal eine kleine Aussicht auf eine Wende geben können, die erste kritische Phase überstanden die Münchener aber. Nun ging es weitgehend um kontrolliertes Verwalten des Ergebnisses. Während der BVB beispielsweise bei den Aufrückbewegungen gegen den Ball kleine Justierungen versuchte, fiel bei den Mannen von Niko Kovac das häufigere Hereinkippen von Kimmich auf. Dies schien nun für mehr Stabilität in der Absicherung und zum Öffnen einfacher Passwege forciert zu werden, über die der Ball sicher nach außen zirkuliert werden konnte.

smoc 8. April 2019 um 01:39

hab das im groben ähnlich gesehen… danke,
für sancho und witsel ist die saison wohl einfach zu lang… beide schienen mir übermüdet… hätten wohl mehr pausen zwischendurch haben müssen.
das aber delaney im mittelfeld so unterging war enttäuschend… seltsames zombiespiel von allen bis auf bürki…

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