Türchen 19: Frenkie de Jong
Dribbelachter? Dribbelsechser? Dribbel-Innenverteidiger? Switch-IV! …oder doch Dual-Threat Quarterback? Es ist fast unmöglich diesen Jungen in derzeit vorhandene Schubladen zu stecken oder anderweitig zu kategorisieren. Der 20-jährige Frenkie de Jong stellt viele Postulate im Weltfußball auf die Probe – und macht dabei ganz einfach nur sein eigenes Ding.
Paradigmenwechsel durch neue Spieler(typen)
Die Suche nach „Spieler(typen) der Zukunft“ setzt in meinen Augen voraus, dass besagte Spieler das gegenwärtige Konstrukt, die gegenwärtig postulierten Gesetze aufbrechen oder diese zumindest nicht im klassischen Sinne befolgen. Dementsprechend fordern diese Typen den – zu dem Zeitpunkt etablierten – Fußball gewissermaßen heraus. Sie sind ihrer Zeit schlichtweg voraus. Ob diese Avantgarde und ihre radikal-fortschrittliche Art sich dann durchsetzen kann, hängt von den verschiedensten Faktoren ab. Setzen sie sich durch so wird das definierte Konstrukt dahingehend modifiziert und gegebenenfalls müssen axiomatisch angehauchte Gesetze umgeschrieben werden – man könnte in diesem Zusammenhang dann gar von einem Paradigmenwechsel sprechen.
Nun ist es natürlich objektiv gesehen nicht ganz einfach Paradigmenwechsel im Fußball zu definieren. Ebenso ist es nicht so einfach „missverstandene“ Avantgardisten zu benennen, welche nicht in der Lage waren die Grundregeln des Fußballs auf die Probe zu stellen und dahingehend zu verändern. In meinen Augen soll unser Adventskalender daher auch einen Überblick zu einer Reihe von Fußballspielern, Fußballtypen geben, die über die mehrere Generationen hindurch allgemein akzeptierten „Regeln“ dieses Sportes auf die Probe gestellt haben. Dementsprechend gab es in unserem Adventskalender bereits Spieler denen der entscheidende Einfluss auf den Weltfußball als Spieler verwehrt blieb, Spieler die Paradigmen bereits erfolgreich umgeschrieben haben oder dies zurzeit machen.
Der dribbelnde Dual-Threat Quarterback
Wieso ich diese ewig lange Einführung geschrieben habe? Hinter dem heutigen Türchen versteckt sich nämlich ein ganz besonderer Spieler: Frenkie de Jong. Ein 20-jähriger, unbekümmerter, moderner, technisch herausragender… ja was denn eigentlich? Achter? Sechser? Innenverteidiger?
Auf Twitter reklamierte Jens Schuster bereits zurecht, dass man für de Jong eine eigene Position erfinden muss:
„Frenkie de Jong lehrt uns in einer gewissen Art und Weise gerade Fußball neu zu denken. Man sollte eine eigene Position für diesen Jungen definieren, abseits aller herkömmlichen Schemen wie 4-3-3, 3-4-3 oder sonst irgendetwas Althergebrachtem… in Anlehnung an American Football würde es wohl Dual-Threat Quarterback am ehesten treffen.“
– Jens Schuster
Der Dual-Threat Quarterback kommt wie bereits erwähnt aus dem American Football. Dort ist es klassischerweise eine Rolle welche zwar in den College-Mannschaften durchaus zum Einsatz kommt, in der NFL aber aufgrund der großen Gefahren viel seltener anzutreffen ist.
Ein sogenannter Dual-Threat Quarterback („doppelt gefährlicher Quarterback“) besitzt die Fähigkeiten und körperlichen Voraussetzungen den Ball nicht nur zu passen, sondern auch selbst damit zu laufen um Raumgewinn zu erzielen (…) und macht das Angriffsspiel weniger berechenbar.
Dual-Threat Quarterbacks haben im College-Football zumeist mehr Erfolg als in der NFL (…) wo er auf Grund des Verletzungsrisikos (…) relativ selten zum Einsatz kommt.
Achter oder Innenverteidiger? Hauptsache Dribbeln!
Frenkie de Jong (20) spielt seit Sommer 2016 wieder für Ajax Amsterdam. Er ist an und für sich gelernter zentraler Mittelfeldspieler, laut eigener Aussage ist die Achter- beziehungsweise die Sechser-Position seine Stärkste. Als Achter ist Frenkie de Jong überall anzutreffen. Dabei startet de Jong seine Angriffe meist aus ähnlichen Startposition. Der Start einer jeden Ballbesitzphase mit de Jong verläuft noch am Ehesten „nach Schema“. Entweder positioniert sich de Jong zwischen den ersten beiden Linien des Gegners und versucht sich von dort aus freizulaufen, oder er kippt links neben die Innenverteidiger ab und bringt die Angriffslawine von dort aus ins Rollen. Wie der weitere Angriff jedoch verläuft ist alles andere als schematisch. Keine zwei Pässe, keine zwei Laufwege, keine zwei Dribblings von de Jong sind gleich. Beim genaueren Zuschauen wird man das Gefühl nicht los, dass der Junge alles intuitiv entscheidet und dabei so intelligent agiert, dass er auf konstante Art und Weise stets die richtige Entscheidung trifft. Mit maximaler Fluididtät visiert er Räume an, welche zunächst gar nicht offen zu sein scheinen. Jeder seiner Pässe hat einen tiefergehenden Sinn. Dabei verzichtet er nicht nur auf den verzweifelten hohen Ball unter Druck, sondern sogar auf die Pseudo-Sicherheitspässe zum drei Meter weiter postierten Mitspieler. In solch festgefahrenen Konstellation initiiert er dann mit einem Dribbling oft eine neue Situation und zwingt den Gegner in neue und potenziell schlechtere Staffelungen. Ähnlich wie der Dual-Threat Quarterback wird auch de Jong für seine gewagten Dribblings immer wieder stark kritisiert. Diese sind für viele nämlich schlichtweg „zu riskant“. Frenkie de Jong ist von dieser Kritik jedoch gänzlich unbeeindruckt. Und das zurecht:
Wenn ich im hinteren Abschnitt des Feldes den Ball bekomme, habe ich nicht das Gefühl, dass ich ihn wegschießen muss oder dass ich erstmal einen sicheren Pass spielen muss. Es wird gesagt, dass meine Handlungen riskant sind, aber es geht darum, sie zur richtigen Zeit zu machen.
Juanma Lillo sagte unlängst: „Wenn du ein toller Dribbler bist aber nicht weißt wann du dribbeln sollst, dann bist du kein toller Dribbler!“
Diese Aussage trifft auf Frenkie de Jong besonders gut zu. De Jong wird nicht vom Gegner zum Dribbling genötigt, sondern entscheidet immer selbst wann er zu dribbeln hat und schätzt dabei Situationen, in denen ein Dribbling infrage kommt, fast durchgehend richtig ein. Selbst wenn seine Dribblings im Zentrum dabei oft waghalsig wirken, so sind sie oft sehr gut vorbereitet.
Entscheidend ist hierbei jedoch, dass sich de Jong scheinbar an keinerlei herkömmliche Positionstreue hält. Dies wird besonders klar, wenn der junge Holländer, wie in den vergangenen Wochen, als linker Innenverteidiger in einem 4-3-3 eingesetzt wird.
Mit einem Grinsen kommentierte er seine neue Rolle als Innenverteidiger unlängst bei Goal.com: „am Ende lande ich trotzdem im Mittelfeld. Es ist dann eine Art 3-4-3, also fühle ich mich immer noch wie ein Mittelfeldspieler.“
In der Tat rückt de Jong als Innenverteidiger oft eine Linie vor, dies passiert jedoch ganz und gar nicht schematisch sondern im wahrsten Sinne des Wortes situativ. Dadurch macht de Jong aus dem 4-3-3 wie von ihm erwähnt auch oft ein 3-4-3 bei dem dann der Links- und Rechtsverteidiger mit dem rechten Innenverteidiger eine Dreierkette bilden während de Jong die Mittelfeldzentrale dynamisch besetzt. De Jong entscheidet dabei autonom ob es Sinn macht eine Linie höher oder tiefer zu rücken. Dabei spielt es keinerlei Rolle ob der Linientausch durch ein Dribbling oder durch ein Freilauf-Manöver geschieht.
Dabei agiert er wie bereits erwähnt maximal flexibel, und rückt mal auf die Sechs, mal in die Halbräume und schiebt hin und wieder mal auch auf den Flügel raus. Dies passiert jedoch nur wenn es die Situation erlaubt und die Reststaffelung dadurch nicht destabilisiert wird – in der Regel ist dies erst im letzten Drittel der Fall. Die Aussage, dass er aus einem 4-3-3 als linker Innenverteidiger konstant ein 3-4-3 macht ist so nicht zu 100% zu unterschreiben. Man sollte hier wirklich nicht den Fehler machen und die Spielweise dieses Ausnahmespielers mit herkömmlichen Schemata beschreiben.
In einem Punkt muss man Frenkie de Jong jedoch Recht geben. Ob er nun im Mittelfeld oder in der Abwehr zum Einsatz kommt ist nicht von Bedeutung. Seine Spielprinzipien sind ihm eigen und kommen auf jeder Grundpostitionierung am Spielfeld gleichermaßen zur Geltung. Sowohl sein Passspiel als auch seine Dribblings und generellen Entscheidung in der Raumfindung sind konstant und dabei von jeglichen Positionsschemata separiert. Die zwei Hauptwaffen von Frenkie de Jong bleiben das Dribbling und sein Freilaufverhalten. Diese bringt er unabhängig von Position und anderen Schemata konstant auf das Feld.
Für solch einen Spieler gibt es keine „Position“ im herkömmlichen Sinn
Man müsste also wie eingangs vorgeschlagen eine eigene Position für Frenkie de Jong erfinden. Wobei ihm das wiederum auch nicht gerecht wird, weil seine Spielweise nicht eine eigene Position ist, sondern de Jong schlichtweg Fußball losgelöst von jeglichen Positionen zu spielen scheint. Idealerweise müsste man als Trainer eine Grundgerüst um Frenkie de Jong herum aufbauen und ihn losgelöst von Positionen, als die Art Freigeist die er ist, passend einbinden. Auf gewisse Weise könnte der 20-jährige Holländer also der Denkanstoß sein um den Fußball, so wie wir ihn heute kennen, in gewissen Bereichen zu überdenken.
Wie fluid seine Positions- und Raumfindung innerhalb eines Spielzuges sein kann beweist außerdem folgende Szene:
Frenkie de Jong wäre jedoch kein „Dual-Threat Quarterback“ wenn er alle Angriffe nur über Dribblings initiieren würde. Versucht der Gegner seine Vorstöße zu antizipieren, so schaltet de Jong blitzschnell um und visiert den Raum hinter der letzten Linie des Gegner direkt an und spielt mit einer furchteinflößenden Konstanz und Genaugkeit Flugbälle auf die einlaufenden Flügelspieler Justin Kluivert und David Neres.
Fazit
Man kann und sollte nicht versuchen Frenkie de Jong in ein herkömmliches Schema reinzupressen. Man kann die Grundordnung einer Mannschaft, welche Frenkie de Jong in ihren Reihen hat, auch kaum mit herkömmlichen Formationen – wie 4-3-3 oder 3-4-3 beschreiben – auch wenn de Jong selbst es versucht. Durch seine Spielweise besitzt der Junge das Potenzial das Fußballspiel ein Stück weit neu (oder zumindest anders) zu definieren. Das klingt natürlich ein wenig übertrieben. Aber die Art und Weise und die Dominanz mit der Frenkie de Jong unabhängig von Position, Rollenverteilung und Spielstand die Freigeistrolle beansprucht ist bemerkenswert.
Frenkie de Jong sieht Räume bevor sie aufgehen, seine Entscheidungsfindung ist auf einem konstant hohen Level. Seine größte Waffen sind neben seinem Freilaufverhalten ohne Zweifel seine Dribblings. Dabei wirken die Dribblings zwar auf den ersten Blick lebensmüde, sind es in der Regel jedoch nicht. Er dribbelt nur wenn man dribbeln kann. Er passt erst wenn es Sinn ergibt. Er verzichtet auf Alibi-Pässe zum nächstgelegenen Mitspieler wenn dieser Pass nicht ein klares Ziel verfolgt. Auch im Nachrücken beziehungsweise im Absichern der Angriffe hat er ein unglaubliches Raumgefühl und ein überragendes Timing. Was in dieser Analyse wahrscheinlich ein Stück weit zu kurz gekommen ist, aber an dieser Stelle unbedingt erwähnt werden muss, ist seine Arbeit gegen den Ball, vor allem beim Gegenpressing bei Ballverlust. Durch sein starkes Timing und seiner körperlichen Geschmeidigkeit ist er auch defensiv eine Bank.
Jedoch werden nicht wenige darauf pochen, dass seine Spielweise in einer stärkeren Liga nicht durchführbar ist und an Grenzen stoßen wird. Doch solche Argumente gab es bereits im Zusammenhang mit Guardiolas Spielweise und der Premier League.
15 Kommentare Alle anzeigen
Camp Mou 23. Dezember 2017 um 10:38
De Jong könnte ziemlich gut nach Barcelona passen.
Sg 20. Dezember 2017 um 20:31
Null Tore bis jetzt in dieser Saison. Und das in einer zweitklassigen Liga, bei einem Klub der die Liga beherrscht. Der Spieler würde in der Bundesliga keinen Fuß auf den Boden bekommen.
Gh 20. Dezember 2017 um 22:02
Mascheranos Torausbeute in seiner Karriere: für River Plate: 0 („zweitklassige Liga, dominierendes Team“), Corinthians: 0, West Ham: 0, Liverpool 1 (schönes Ding, muss man sagen, gegen Reading), Barcelona 1 (das entscheidende 6:1 gegen Osasuna, per Elfmeter) –> nix für die BuLi der Junge
tobit 20. Dezember 2017 um 22:35
Da kann man genauso Weigl nennen. In über 170 Profi-Spielen genau zwei Tore. Beides wunderschöne (und wichtige) Fernschüsse. Vor seiner Dortmund-Zeit im Herrenbereich sogar komplett ohne Tor mit nur drei Vorlagen (zwei davon in der RL-Bayern).
Oder Schmelzer – 5 Tore in fast 400 Profi-Spielen (aber immerhin etwa 30 Vorlagen).
Vielleicht sollte man einen Spieleröffner und Raumüberbrücker nicht zwingend an Scorerpunkten messen – vor allem, wenn er u.a. in der IV spielt.
mlisiewi 6. März 2019 um 16:54
Hoffe doch sehr, dass die Achtelfinalbegegnungen gegen den mehrmaligen CL-Sieger Real dich eines Besseren belehrt haben 😉
Christoph 20. Dezember 2017 um 19:29
Bitte 20 freigeben
Philipp 19. Dezember 2017 um 15:55
Würde sich Eures Erachtens de Jong in der IV Rolle mit einem 6er a la Paredes potenziell ergänzen?
tobit 19. Dezember 2017 um 17:08
Möglich. Wobei ich da eher auf eine 3er-Ketze mit de Jong als Halbverteidiger und Paredes davor setzen würde. Paredes ist mir defensiv zu schwach (und teilweise unintensiv) um situativ zu zweit zu verteidigen.
Wenn man dann Kehrer noch als zweiten Halbverteidiger dazunimmt, wäre das eine sehr starke Besetzung.
Philipp 19. Dezember 2017 um 20:40
so ähnlich war das auch gedacht. Wollte Paredes natürlich nicht als RIV sehen.
tobit 20. Dezember 2017 um 18:02
Sowas wäre schick: http://lineupbuilder.com/?sk=fy1p0
Könnte man ins aktuelle Schalke wahrscheinlich ganz gut einbauen – da braucht es dann aber Paredes gar nicht, weil man Meyer hat. Freiburg könnte vielleicht auch passen. Da würde de Jong dann halt fast permanent durchs Mittelfeld turnen.
Philipp 20. Dezember 2017 um 23:19
Glaubst du nicht man würde de Jong so den erweiterten passwinkel nehmen den er als LIV in der auftakt-dribblingbewegung als rechtsfuß auf der halb linken Seite hätte?
tobit 20. Dezember 2017 um 23:25
Keine Ahnung. Habe ihn einfach Mal nach rechts gepackt, weil Kehrer eigentlich immer links spielt. Ihm würde ich aber eher als Kehrer zutrauen, seine Stellung im Lauf des Dribblings passend zu ändern, so dass dieser kleine Nachteil (hoffentlich) eher selten wirklich auffällig würde.
idioteque3 21. Dezember 2017 um 00:04
Kehrer spielt normalerweise als rechter HV. Auf links war er eine Zeit lang eigentlich nur, weil Nastasic gefehlt hat.
PK 19. Dezember 2017 um 13:27
Könnte de Jong eventuell sogar eine Art offensiveren Hasebe in einer pendelnden 4er Kette spielen?
LT 19. Dezember 2017 um 04:59
Vor Ewigkeiten gab es hier mal in einem der Artikel (wegen des BVB-Bezuges vermute ich jetzt mal, es war MR, bin mir aber nicht mehr sicher) das Versprechen, sich etwas mit Jürgen Klopps „Suche nach dem totalen Spielmacher“ zu beschäftigen. Ist Frenkie de Jong dann ein noch „totalerer“ Spielmacher als Jürgen Klopp ihn suchte? Defenive Stabilität und gutes Verhalten im Gegenpressing wären ja nur weitere Argumente „pro Klopp“? Kannte den Jungen auf jeden Fall überhaupt nicht und bin absolut begeistert. Nebenbei ist er auch noch der jüngere Bruder von Siem und Luuk, oder?