Türchen 16: Florian Grillitsch

Florian Grillitsch hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung hingelegt. Vom Stürmer in der Fußballakademie St. Pölten zum Teilzeit-Solo-Sechser unter Julian Nagelsmann. Sowohl Grillitschs Spielweise als auch sein taktisches Profil sind komplex und schienen seine Trainer in der Vergangenheit zuweilen sogar ein wenig zu überfordern. Dabei könnten Spielertypen wie er in der Zukunft von entscheidender Bedeutung sein.

Die ersten Monate von Florian Grillitsch bei der TSG 1899 Hoffenheim waren durchwachsen. Trainer Nagelsmann forderte bereits in der Sommervorbereitung „mehr Temperament“ vom Neuzugang aus Bremen. Nachdem der junge Österreicher dann in der Europa League sein erstes Tor erzielen konnte, kam die große Glanzleistung beim 3:0 gegen den 1. FC Köln.

„Flo Grillitsch hat ein unfassbar gutes Spiel gemacht. Er hat heute auf der Sechs gespielt. Auf dieser Position kommt er eher aus dem Ballbesitz und muss nicht ständig attackieren wie auf der Acht“

– Julian Nagelsmann nach dem Spiel gegen Köln

Es ist der vorläufige Höhepunkt einer bemerkenswerten Entwicklung, welche der Österreicher in den letzten Jahren durchgemacht hat.

Vor seinem Wechsel nach Bremen 2013 spielte Florian Grillitsch in der Fußball-Akademie St. Pölten in Österreich. Dort kam der damals 17-jährige hauptsächlich als Zehner – nicht selten sogar an vorderster Front – zum Einsatz. Sein damaliger Trainer war besonders von den Offensiv-Qualitäten seines Schützlings angetan. Durch geschickten Einsatz seines Körpers und großer Qualität im Abschluss wurde Grillitsch zum Top-Scorer seiner Mannschaft. Dabei wurde jedoch auch immer wieder die aufreizend lässige Art des Neunkirchners getadelt. Viele monierten, dass Grillitsch den Ball zu lange hielt. Zu behäbig und lethargisch wirkte sein Spiel auf Außenstehende. Vereinzelt wurde ihm deshalb sogar Arroganz unterstellt: Ein Spieler der aufgrund seines Talentes nicht voll mitzieht, zuweilen desinteressiert wirkt. Doch es scheint als hätte man die Stärken und die generelle Spielweise von Florian Grillitsch damals noch nicht ganz durchschaut.

In den folgenden Jahren sollte sich das Positionsprofil des inzwischen 22-jährigen drastisch ändern, an der Spielweise jedoch nicht unbedingt so viel. Bei Werder Bremen kam er unter Alexander Nouri öfter als Achter zum Einsatz, Einsätze auf der Zehn waren weiterhin keine Seltenheit. Bei Hoffenheim setzte ihn Julian Nagelsmann zuletzt vermehrt als Sechser ein. Sowohl als Achter als auch auf der Sechs kommt Grillitschs variables und facettenreiches taktisches Portfolio besser zum Vorschein.

Der pressingresistente Verzögerer

Von der Redaktion wurde Grillitsch zum „Spielverzögerer“ getauft. Tatsächlich ist es oft so, dass Grillitsch im Spielfeldzentrum auf den ersten Blick langsam wirkt, das Spiel scheinbar verschleppt und verlangsamt. Dabei wird er immer wieder vom Gegner angepresst. Dieser identifiziert ihn als scheinbar ideales Pressingopfer und gibt zuweilen sogar die eigene Stabilität in der Defensivstaffelung auf, um Grillitsch anzupressen. Der junge Österreicher ist dem Gegner hier jedoch meist bereits einen Schritt voraus. Bereits mit dem ersten Kontakt verschafft er sich geschickt einen taktisches Vorteil gegenüber dem pressenden Gegner, lockt ihn dann mit seiner – für diese Spielfeldzone relativ langwierigen – Ballführung an und „zer“spielt im richtigen Moment die Staffelung des Gegners. Der zum Pressing ermutigte Gegner wird überspielt und in seinem Rücken können sich Grillitschs Mitspieler in der Zwischenzeit freilaufen.

Oft braucht Grillitsch jedoch gar keinen Ballkontakt, um sich gegen den pressenden Gegner den entscheidenden Vorteil zu verschaffen. Der Neunkirchener greift hierfür vermehrt auf Körperfinten und Täuschungen zurück. Mithilfe seiner schlaksigen Physis schafft es Grillitsch immer wieder seinen wuchtigen Körper zwischen den Ball und den vordeckenden Gegner zu stellen, sich an Letzterem vorbeizudrehen und dabei gleichzeitig den Blick zum gegnerischen Tor zu richten. Dabei wirkt er aufgrund seines Körperschwerpunktes auf den ersten Blick oft unbeholfen, doch schafft es mit einer bemerkenswerten Konstanz seinen ersten Ballkontakt hinter dem rausrückenden Gegenspieler zu spielen.

Gefühlt haben zuerst die Kölner auf die Seite des rechten Innenverteidigers verschoben. Grillitsch orientiert sich jedoch gerne am Gegner und positioniert sich zwischen die Gegenspieler. Hier fordert er vehement den Ball.

Während nun der Gegner langsam aber sicher die Raute um Grillitsch zuschnürt, hat der Österreicher bereits eine semi-offene Stellung zum Ball eingenommen und schafft es mit geschickter Körperführung und gutem Timing seinen Körper zwischen Ball und Gegenspieler zu bringen und sich in weiterer Folge am rauspressenden Kölner vorbeizudrehen. Grillitsch hat, ohne auch nur den Ball berührt zu haben, einen Kölner überspielt und seinen Mitspieler freigespielt.

Interessant ist in diese Zusammenhang, dass Grillitsch die Formation des Gegners immerzu zu suchen scheint, um sich in dieser positionieren zu können. Der 22-jährige weicht auch bei starken Druck nicht aus und wählt seine Position, sodass er zwischen die dichten Linien des Gegners kommen kann und sich dadurch konstant in der Staffelung des Gegners befindet.

Was besonders auffällt: Grillitsch verzichtet mit dem Rücken zum gegnerischen Tor fast gänzlich auf nennenswertes Freilaufverhalten, sondern fordert trotz hohem Gegnerdruck immer wieder den Ball. Für den Gegner stellt Grillitsch auf den ersten Blick eine ideale Pressingfalle im klassischen Sinne dar.

Wie sehr Grillitsch das Innere der gegnerischen Defensivstaffelung sucht beweist vor allem das Spiel Österreichs gegen Serbien, bei dem Grillitsch nominell als rechter Flügelspieler in einem 4-4-2 zum Einsatz kam. Die Flügelspur besetzte der Hoffenheimer in diesem Spiel jedoch praktisch nie, vielmehr wurde die gesamte Rechte Außenbahn von Rechtsverteidiger Moritz Bauer beackert. Grillitsch hielt sich fast ausschließlich im Zentrum auf und bildete mit Julian Baumgartliner eine verkappte Doppelacht vor dem Leipziger Stefan Ilsanker. Österreich spielte dabei konstant ohne rechten Breitengeber.

Grillitsch besetzte die zentralen Räume aber eben nicht dynamisch im Laufe des Angriffes, sondern hielt sich konstant in der Spielfeldmitte auf. Je nach Position des Balles und des Gegners pendelte er höchstens zwischen den beiden Halbräumen – jedoch stets innerhalb der gegnerischen Defensivformation. Geschuldet war das erneut dem Verlangen Grillitschs in die gegnerische Defensivformation zu stoßen. Dadurch, dass Grillitsch diesen Raum aber aus gegnerischer Sicht wider erwarten besetzte, führte es in weiterer Folge dazu, dass dieser seine Defensivstaffelung noch stärker aufgeben musste und dadurch massiv an Stabilität einbüßte.

Österreich spielt konstant ohne rechten Flügel. Grillitsch spielt eine Art rechten Achter und bekommt hier den Ball von Rechtsverteidiger Bauer. Die pendelnde Vierer/Fünferkette der Serben ist massiv desorganisiert.

Der bipolare Tiefenläufer

Was Florian Grillitsch außerdem auszeichnet ist seine bivalent/bipolare Spielweise, welche sich vor allem dann äußert, wenn der Österreicher erfolgreich aufdrehen konnte und nicht mehr mit dem Rücken zum gegnerischen Tor steht. In diesem Moment wird Grillitsch zu einem vertikalen Vorstoß-Achter, welcher immer wieder konsequent die Tiefe sucht und mit dementsprechenden Läufen hinter die Linie des Gegners drängt. Auch wenn er hierbei nicht immer den Ball bekommt, so zieht er trotzdem seine Gegenspieler mit und zieht die bereits destabilisierten Linien des Gegner noch weiter auseinander.

Grillitsch leitet den Konter mit einem einfachen Pass auf den Mitspieler ein und vorderläuft diesen dann bis in den gegnerischen Strafraum, wo er sogar zum Kopfball kommt.

Fazit

Die richtige Rolle beziehungsweise die ideale Einbindung für den Spielertypen Florian Grillitsch ist trotz jahrelanger Suche noch immer nicht gefunden. Nach wie vor scheint er seinen Trainern leichte Rätsel aufzugeben, die synergistischen Effekte zwischen seinen dynamischen Tiefenläufen und seinen statischen Pressingeinladungen sind aber potenziell gewaltig. Vor allem im kontemporären Fußball könnten sich Spielertypen wie Grillitsch bald als Geheimwaffen entpuppen. Einerseits destabilisiert Grillitsch durch seine pseudo-lässige Spielweise, seiner bemerkenswerten Körperführung sowie seiner überdurchschnittlichen Pressingresistenz den Gegner, andererseits kann er auch den Schalter umlegen und die Tiefensicherung des Gegners attackieren. Durch seine konstante Suche nach den gegnerischen Defensivlinien, kann er die gegnerische Defensivstaffelung von innen zerstören und die freigespielten Lücken gleich selber anvisieren.

Die weitere Entwicklung dieses Spielers sollte mit großer Spannung weiterverfolgt werden.

Peda 18. Dezember 2017 um 12:12

Es war einer meiner (wenigen) Kritikpunkte an Marcel Koller, dass er Grillitsch so lange ignoriert hat.

Er bringt nämlich im zentralen Mittelfeld genau jene Fähigkeiten mit, die man bei einem David Alaba so schmerzlich vermisst – das ausgezeichnete Spiel mit dem Rücken zum Tor und die absurde Pressingresistenz.
Reichte bei Alaba oft eine simple Presingfalle aus, um unseren Spielaufbau komplett zu ersticken, wäre das mit Grillitsch in seiner Rolle wohl gar ein Schuss ins eigene Knie.

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tobit 18. Dezember 2017 um 13:48

Spielt Alaba eigentlich immer noch im Zentrum oder ist er nach Fuchs Rücktriitt auch in der Nationalmannschaft nach links hinten versetzt worden?

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Peda 18. Dezember 2017 um 16:09

Nein, das war in den letzten 1,5 Jahren selbstverschuldet eine enorme Baustelle:

Nach Fuchs‘ Rücktritt hat Koller zuerst mit Wimmer (Stoke) einen Innenverteidiger verheizt anstatt dem eigentlichen LV-Backup Suttner (Brighton) das Vertrauen zu schenken. Dieser erklärte im vergangenen Mai daher folgerichtig seinen Rücktritt aus dem A Team.
Dann hat er sich die Option Ulmer (Red Bull Salzburg) verbaut: Der Linksverteidiger hatte im EM-Jahr seine Hochzeit verschoben weil er sich auf der Abrufliste befand, und musste sich nach Suttners Rücktritt vom Teamchef eine verbale Watsche abholen, weil er für das Qualifikationsspiel gegen Irland dieses Kunststück nicht wiederholte.
Ab Irland durfte sich daher Hinteregger als Linksverteidiger abmühen, der zwar ordentliche Vorstellungen ablieferte, aber mit den athletischen Anforderungen ordentlich zu kämpfen hatte und als aufbaustärkster Innenverteidiger hinten schmerzlich vermisst wurde.
Nachdem Kollers Abschied beschlossene Sache war, experimentierte er als Lame Duck noch etwas herum (was auch zahlreichen verletzungsbedingten Absagen geschuldet war) und brachte in zwei asymmetrischen Formationen mit Wöber (Ajax) wieder einen Innenverteidiger als LV bzw. je nach Lesart als LIV mit Kainz als Wingback davor.

Long Story Short: Alaba hat unter Koller nur ein einziges Mal links gespielt und das war als Flügelverteidiger in einem 3-4-3, Linksverteidiger einer Viererkette war er nie.
Der Verdacht, dass sich der Bayern-Star dafür einfach viel zu gut ist, hat sich bei mir nach und nach erhärtet.

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tobit 18. Dezember 2017 um 16:57

Das scheint echt ein Problem bei ihm zu sein – wirklich geerdet wirkt er auf mich nicht mehr.
Wie würdest du Österreich aufstellen, wenn du könntest?
Sowas könnte ich mir vorstellen: http://lineupbuilder.com/?sk=fy1j7
Bestimmt habe ich jetzt wen wichtiges vergessen

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Peda 18. Dezember 2017 um 22:08

Da habe ich die letzten Monate viel darüber nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass die aktuelle (zukünftige) Spielergeneration wohl am besten performt, wenn sie nicht wie unter Koller in eine Standardformation gepresst wird, sondern in Personal, Intialstaffelung und Strategie stärker auf den Gegner eingegangen wird.

Aber unabhängig davon gibt es für mich ein paar grundsätzliche Überlegungen:
* Junuzovic und Harnik sind kürzlich zurückgetreten, das sollte man respektieren. 😉
* Arnautovic gehört an die Seite Alabas, deren Zusammenspiel ist zu stark, die sollte man nicht trennen.
* Für mich war immer Gregoritsch der legitime Janko-Nachfolger, Burgstaller funktioniert aus meiner Sicht nur wirklich neben einem Target Man. Also in einer Doppelspitze gern, aber neben wem?
* Schöpf gefällt mir zentral besser als auf der Außenbahn, zudem gibt es auf rechts mit Bauer (den ich nie im Verein gesehen habe, der aber starke Vorstellungen für sein Großvaterland abliefert), Lazaro (variabel einsetzbar, aber als Wingback mMn am besten aufgehoben) und Lainer (technisch eine Stufe darunter, dafür defensiv und offensiv mit dem stärksten Output) drei starke Alternativen.
* Die Fülle an starken Innenverteidigern schreit gerade zu nach einer Formation mit Dreierkette. Mit Danso, Wöber, Lienhart, Maresic drängt da ja schon die nächste Generation nach.

Meine Bestbesetzung (dazu gehört auch die originale Dress, aber das ist eine andere Geschichte) würde momentan so aussehen:
http://lineupbuilder.com/?sk=fy1k1

Schöpf für Danso und es wird ein 4-2-3-1, mit Ilsanker wird aus dem 3-4-2-1 ein 3-1-4-2.

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konzi 18. Dezember 2017 um 16:58

Wäre ja jetzt alles nicht so schlimm gewesen, wenn Alaba im Mittelfeld wenigstens an seine Leistungen in den beiden vorherigen Qualifikationen angeknüpft hätte. Aber bis auf die beiden Spiele gegen Wales haben ihm gegnerische Manndeckungen massiv zugesetzt. Man hat den Großteil der Quali mit einem Mittelfeld aus einem limitierten Baumgartlinger und einem Alaba gespielt, der entweder Rückpässe fabriziert oder probiert, aufzudrehen und prompt in seinen Manndecker hineinläuft.

Pikanterweise waren seine besten Leistungen in der Qualifikation die Spiele gegen Wales, wo er eben keinen Manndecker hatte und gegen Moldawien in Wien, wo er als linker Flügelverteidiger gespielt hat.

Ich hab Grillitsch ja schon vor der Euro in der Nationalmannschaft gefordert. Zu dem Zeitpunkt hatte er eine Saison als BL Stammspieler in den Beinen, und Österreich kann es sich einfach nicht leisten, Leute wie ihn komplett zu ignorieren. In Frankreich haben die Ungarn dann über den gesamten Platz nur den Mann gedeckt, und die Misere hat ihren Lauf genommen.

Na gut, Burgstaller wurde damals ja auch ignoriert, und man kann mir nicht erzählen, dass der Burgstaller des Jahres 2017 so brutal viel besser ist als der des Jahres 2016. Man hätte ja auch mit Onisiwo einen bulligen Außenstürmer haben können, oder mit Schöpf einen dynamischen, dribbelstarken Offensivallrounder oder mit Prödl einen Innenverteidiger der nicht im Minutentakt Böcke schießt. Der Gedanke, mit den verdienten Spielern, die in der Quali gut gespielt haben ins Turnier zu gehen ist ja grundsätzlich nicht falsch, aber es war auch diese „Nibelungentreue“, die Koller dann das Genick gebrochen hat.

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