Türchen 9: Jann-Fiete Arp

Lang lebe der Hype!

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung hat Jann-Fiete Arp vier Startelfeinsätze für den Hamburger SV absolviert. Zwei Tore konnte der 17-Jährige seit seinem Debüt bereits erzielen. Und schon wird er von allerlei Seiten als neuer Heilsbringer des in den vergangenen Jahren vielfach gescholtenen Clubs gefeiert. Das unvermeidliche Etikett des Uwe-Seeler-Enkels wird der junge Angreifer so schnell nicht abschütteln. Aber das sollte uns nicht davon abhalten, einen nüchternen Blick auf die Attribute Arps zu werfen und gleichzeitig zu hinterfragen, ob er einen Stürmertyp der Zukunft verkörpert.

Äußere Einflüsse

Die spieltaktische Umgebung, die Arp beim HSV vorfindet, wäre für viele Stürmer – gerade die spielstarken und kombinationsorientierten – nicht optimal. Die Hamburger präferieren einen physischen Stil, ein sehr geradliniges Angriffsverhalten. Die Ballzirkulation liegt der Mannschaft von Grund auf nicht. Und ihr Trainer, der 48-jährige Markus Gisdol, macht keinerlei Anstalten, etwas daran zu ändern. Meint man es gut mit dem HSV, so darf den Hanseaten unterstellt werden, dass sie kontrolliertes Chaos erzeugen möchten – obwohl die Kontrolle in der Realität doch so manches Mal abhandenkommt.

Diesem Umstand liegt eine gewisse Notwendigkeit inne, dass der Stürmer – salopp gesagt – die „ärmste Sau“ auf dem Rasen ist. Er muss sich passend positionieren, bestenfalls bereits vor der Ballannahme die nächste Passstation erkennen und zudem noch mit dem Rücken zum Tor den einen oder anderen Trick auf Lager haben. Dabei sind die in der Nähe postierten Spieler nicht unbedingt eine große Hilfe. Der eine ist etwas zu vertikal, der andere nicht clever im Ausrichten für Ablagen, der nächste sucht zu schnell den Durchbruch.

Innere Konfiguration

Arp bringt praktischerweise eine athletische Grundkonstitution mit, die ihn für das Spiel der Hamburger auch ohne seine eigentlich hervorstechenden Attribute qualifizieren würde. Er ist groß gewachsen, für einen 17-Jährigen nicht ungewöhnlich schlaksig und für 187 Zentimeter Körpergröße nicht ungeheuer staksig. Er kann in Tempo- wie auch Umschaltangriffen die notwendige Geschwindigkeit aufbauen und zwischen den Linien oder in Verteidigernähe die eigene Körperstellung verändern.

Arp ist das, was man gemein hin einen Bewegungsstürmer nennt. Aber im Gegensatz zu einem Kylian Mbappé etwa, der ebenfalls in diese Kategorie fällt, definiert sich das HSV-Talent vor allem durch sein freigeistiges – und doch ebenso strategisch kluges – Verhalten gepaart mit einer Positionierungsgabe, die für einen Spieler seines Alters ungewöhnlich ist. Arp ist ein Angreifer mit Kombinationslust.

Trotzdem darf nicht der Eindruck entstehen, Arp würde sich seines Hauptberufs entziehen und einen Zehner oder dergleichen imitieren. Er versteht innerhalb des Hamburger Systems schlichtweg die Notwendigkeit für tiefergehende Bewegungen und Ablagen. Auf die gleiche Weise, wie er es in spielstärkeren U-Nationalmannschaften in der Vergangenheit unterlassen hat und vornehmlich durch seine Finalisierungswucht herausstach.

In diesem Kontext kommt sein Spielverständnis noch um einiges stärker zum Tragen. Arp verfügt über ein ausgezeichnetes Gespür für Lücken, Dynamiken und Verteidigerverhalten im letzten Spielfelddrittel und ganz speziell ab der Strafraumgrenze. Durch seine Positionierung, die eben nicht durchweg dem typischen Muster eines Bundesligastürmers entspricht, kommuniziert er mit seinen Mitspielern und verhilft diesen zu einem verbesserten Passspiel in die tornahe Zone.

Hamburger SV – VfB Stuttgart (4.11.2017): Leichtes Chaos verursacht durch einen Ballgewinn wird von Arp durch sein Zurückfallen und die daraus resultierende Ablage aufgelöst.

Er erhält Unterstützung von seinem Mitspieler. Zwei Verteidiger werden aus dem Zentrum gezogen und Arp fordert die kurze Flanke.

Außergewöhnliche Begabung

Eine astreine Technik wird heute und ganz sicher auch morgen von jedem Offensivspieler erwartet. Der hölzerne und unsaubere Mittelstürmer stirbt aus. Das beweisen gerade jene Neuner, die vielleicht ihre Physis in die Waagschale werfen, aber nicht allein auf dieses Attribut beschränkt werden können. Arp ist technisch begabt und hat gewiss an seinen Fähigkeiten in den vergangenen Jahren gearbeitet. Passend zu seinem und dem beim HSV präferierten Stil beherrscht er makelloses Direktspiel.

Die Eigenschaft, welche ihn von der Masse der Stürmer abhebt und die Prophezeiung einer vielversprechenden Zukunft erlaubt, ist Spielübersicht gepaart mit Antizipationsfähigkeit. Etwa eine Situation aus dem Spiel beim SC Freiburg unterstreicht, wie Arp im Gedränge einen Passweg erkennt und sich geistesgegenwärtig vom Manndecker absetzt. Bis der Freiburger realisiert, was geschieht, ist Arp bereits an der Grundlinie und führt den Ball am Fuß.

SC Freiburg gegen Hamburger SV (1.12.2017): Trotz des Gedränges entsteht Kommunikation zwischen Arp und Aaron Hunt.

Andere Szenen erfordern absolute Ruhe, millimetergenaue Präzision und klare Übersicht unter großem Druck und bei hohem Tempo. Auch das stellt für Arp keine sichtliche Schwierigkeit dar, was nicht bedeutet, seine Fehlerquote würde im einstelligen Bereich liegen. Aber angesichts des Alters und der bereits eindeutig sichtbaren Eigenschaften ist der Hype nicht unbegründet.

FC Schalke 04 – Hamburger SV (19.11.2017): Arp könnte sich auch für eine Bewegung zurück entscheiden, erkennt aber den drohenden Ballverlust.

Mit Tempo dribbelt Arp auf die Ballung zu und erkennt den Lauf seines Mitspielers sowie die kleine Lücke zwischen den gegnerischen Verteidigern.

Die Zukunft

Arps Verkörperung – oder Interpretation – des Bewegungsstürmers ist nicht nur beeindruckend im Kontext seiner Biographie, sondern stellt eine Wegweisung für die Zukunft dar. In dominanten Spielsystemen ohne festverankerten und gleichfalls taktisch unbeweglichen Neuner ist der Arp’sche Stürmertyp ein Kompromiss zwischen gelegentlich kompromittierender und unter allen Umständen erforderlicher Fluidität.

Dass Arp zudem bereits in diesem Moment einem Spielsystem zu neuer Durchschlagskraft verhilft, das es angesichts seiner Grundkonstitution nicht verdient hätte, beweist Einfluss und Anpassungsfähigkeit des Bewegungsstürmers, der dadurch – als Vorteil verstanden – keine überbordende Dominanz verströmt, aber als eines der einflussreichsten Teilchen im Gesamtkonstrukt fungiert.

Schorsch 10. Dezember 2017 um 11:11

Sehr passende Beschreibung des jungen Arp. Wenn man ihn diverse Male in den U-Mannschaften des HSV oder des DFB gesehen hat im Vergleich zu seinen bisherigen (wenigen) Auftritten bei den Profis, kann man die von CE erwähnte Anpassungsfähigkeit des ‚Bewegungsstürmers‘ nur unterstreichen. Schaun mer mal, wie lange er dem HSV erhalten bleibt. Aber was soll jemand, der Jann-Fiete heißt, in München? 😉

CE übrigens wieder mit einem bonmot: ‚gelegentlich kompromittierende Fluidität‘ – darauf muss man erst einmal kommen…! 🙂

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HR5 9. Dezember 2017 um 11:57

Toller Spieler ,aber wo sind Ödegaard und Varane ???Vallejo wäre genauo einer wie Varane.
Wieso wird z.B auch Guedes von Valencia oder Ruben Neves nicht vorgestellt ?
Stattdessen ein Platzverschwender wie Dunga.

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tobit 9. Dezember 2017 um 16:21

1. Es ist gerade Mal ein Drittel des Kalenders rum, die Gewünschten könnten also noch kommen. Man will ja sein Pulver auch nicht zu früh verschießen.

2. Es geht um Spielertypen der Zukunft. Vielleicht gehören Guedes und Neves (die ich beide kaum kenne) da für die Autoren einfach nicht dazu. Oder keiner der Autoren hat(te) Lust, sich englischen Zweitligafussball anzugucken – was ich angesichts der Hobbymäßigkeit des Blogs voll verstehen könnte.

3. Dunga fand ich sogar ziemlich interessant und passend, da er fast diametral entgegengesetzte Rollen gleichsam als Spezialist ausfüllen konnte. Ein seltener aber superinteressanter Spielertyp, der in Zukunft potentiell noch wertvoller sein könnte als damals – also prädestiniert für diesen Adventskalender.

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Em es 10. Dezember 2017 um 15:47

Glaub mir
Die schauen unterklassigeres als die 2. Englische Liga.

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tobit 10. Dezember 2017 um 17:39

Klar – trotzdem verpflichtet es niemanden, Championship zu schauen. Auch in unterklassigeren Ligen gibt es taktisch oder persönlich interessantes zu sehen.

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Daniel 9. Dezember 2017 um 02:08

„Eine astreine Technik wird heute und ganz sicher auch morgen von jedem Offensivspieler erwartet. Der hölzerne und unsaubere Mittelstürmer stirbt aus.“

Ist das so? Ich find ja fast, dass dieser Spielertyp momentan grad eine kleine Wiedergeburt feiert. Sandro Wagner hat es wegen seiner technischen Unsauberkeit jahrelang nicht zum Buli-Stammspieler geschafft-heute ist er das bei einer erweiterten Spitzenmannschaft und ist Nationalspieler! Wer das vor drei Jahren prophezeit hätte wäre wohl in die Anstalt verwiesen worden. Auf Schalke spielen teilweise mit Burgstaller und di Santo gleich zwei recht hölzerne Mittelstürmer gleichzeitig-und das mit Erfolg. Auch Mario Gomez wirkt am Ball regelmäßig relativ hölzern (aber nicht so extrem, wie viele gern behaupten). Selbst ein Aubameyang ist find ich in der Ballbehandlung keiner aus dem obersten Regal, der lebt vor allem von seiner unfassbaren Geschwindigkeit.

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Todti 9. Dezember 2017 um 04:03

Naja, bei Wagner und den beiden Schalkern ist es doch aber so, dass sie trotz ihrer technischen Unzulänglichkeiten spielen. Ich denke nicht, dass sie einen Trend abzeichnen. Als ich das Interview mit Tedesco las, kam mir der Gedanke, dass die beiden Stürmer andere Komponenten einbringen, die nur gerade wichtiger sind. Ich denke, das ist eher der Situation geschuldet als eine bewusste Entscheidung.

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CE 9. Dezember 2017 um 06:23

Also bei Wagner könnte ich den Gedanken noch verstehen. Den hatte ich bei der Aussage auch im Kopf, aber er hat sich klar gesteigert. Bei Aubameyang ist es in meinen Augen nicht korrekt und ein weit verbreiteter Irrtum.

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tobit 9. Dezember 2017 um 07:41

Als hölzern würde ich Aubameyang auch nicht unbedingt bezeichnen. Er ist oft (von der Idee her) technisch sehr anspruchsvoll unterwegs – aber in der Umsetzung ziemlich unkonstant und (friendly-speaking) „weiträumig“. Sobald er ein bisschen Raum und ein offenes Sichtfeld hat, spielt er durchaus ordentliche (wenn auch eher unpräzise) Pässe oder dribbelt zügig (und zielgerichtet) – je enger es wird (oder wenn er sich drehen muss), desto mehr Probleme bekommt er sowohl in der Ballannahme als auch bei der Weiterverarbeitung.

Wagner und di Santo finde ich schon ziemlich hölzern, wobei Wagner teilweise echt anspruchsvolle Dinge kann, die man ihm koordinativ nicht zutrauen würde. Burgstaller sehe ich ähnlich zu Aubameyang, er nutzt halt weniger sein (für seine Konstitution ziemlich hohes) Tempo und mehr seine Bulligkeit um an Gegenspielern vorbeizukommen.

Gomez war früher richtig hölzern, mittlerweile hat er sich da sehr gesteigert. Gerade mit dem Rücken zum Tor kann er jetzt viele Bälle halten und sinnvoll weiterleiten. Aber auch bei seinen Abschlussbewegungen merkt man ihm das an. Er muss nicht mehr zwingend „frei durch“ geschickt werden.

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RoyalBlue 9. Dezember 2017 um 12:25

Bei Auba habe ich manchmal so das Gefühl, dass er schlechter wird umso „ruhiger“ das Spiel ist. Kann das nicht besser beschreiben, aber ich glaube er braucht ein wenig Hektik/ Geschwindigkeit und auch eine gewisse Weiträumigkeit, dann ist er technisch durchaus gut. Hölzern finde ich ihn absolut nicht, unkonstant würde ich aber definitiv unterschreiben.

Burgstaller, Wagner und Gomez würde ich da schon als (deutlich) schlechter einschätzen. Burgstaller hat vor allem ein ganz gutes Timing in seinen Bewegungen und stellt sich clever an, profitiert aber doch extrem von seiner Bulligkeit und wirkt mMn oft hölzern. Im Gegensatz zu Di Santo ist er aber bedeutend besser vor dem Tor und hat vor allem auch ein vernünftiges Spiel abseits des Balles. Di Santo kann eigentlich nicht viel mehr als aggressiv pressen und Meter machen sowie (halb-)hohe Bälle festmachen. Das kann er erstaunlich gut für seine echt schwache Ballbehandlung, aber das wird nicht mehr lange reichen um auf Schalke zu spielen. Heute kam ja ein Gerücht zu Uth und Schalke, das wäre eine sehr coole Geschichte.

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Daniel 9. Dezember 2017 um 12:34

Nein, hölzern ist Auba nicht. Aber halt inkonstant und nicht gänzlich „astrein“. Ich hab überlegt, ob ich ihn hinzuziehen soll, hab schon vermutet, dass das Widerspruch hervorruft 😉

„Naja, bei Wagner und den beiden Schalkern ist es doch aber so, dass sie trotz ihrer technischen Unzulänglichkeiten spielen…Als ich das Interview mit Tedesco las, kam mir der Gedanke, dass die beiden Stürmer andere Komponenten einbringen, die nur gerade wichtiger sind.“
Natürlich spielen sie trotz ihrer technischen Unzulänglichkeiten, weil sie andere Komponenten einbringen. In der Geschichte des Fußballs wurde noch nie jemand WEGEN seiner technischen Unzulänglichkeiten aufgestellt 😉

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JayJay 9. Dezember 2017 um 14:30

Wie würdet ihr in diesem Zusammenhang denn Haller von Frankfurt sehen?

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rodeoclown 10. Dezember 2017 um 12:48

Meiner Ansicht nach ein völlig überschätzter Spieler. Er hat durchaus eine gewisse Eleganz für seine Größe, aber sein Bewegungspiel schwankt zwischen überamtioniert und einfallslos und auch sein Abschlussverhalten ist erstaunlich schwach. Ich kann mit vorstellen, dass ein guter Trainer ihn deutlich verbessern würde, aber bisher weiß er überhaupt nicht, wie er seine Technik und Körper für die Mannschaft einsetzen sollte.

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CHR4 9. Dezember 2017 um 00:33

Danke. – klingt ein wenig nach Anakin 2.0 – das verspricht viel Freude zukünftig 🙂

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