Eine Fortschreibung
Ein neuer Trainer sucht etwas mehr Stabilität, Bremen erfüllt das alte Klischee vom schwachen Pressing und der spielstarken Note, Roger Schmidts Grundgerüst war eigentlich ganz gut und Leverkusen bei ihren konstruktiven Ballbesitzansätzen letztlich zu inkonsequent – also eigentlich alles wie bekannt?
Für Bayer Leverkusen brachte Spiel eins nach Roger Schmidt strukturell viel Ähnliches, wurde etwas vorsichtiger geführt und zeigte einige vielversprechende Ansätze mit Ball, die man sich aber oft selbst wieder einriss. Trotzdem war es insgesamt doch ein ganz gutes Fußballspiel – auch weil beide Mannschaften mit gewissen Problemen im Pressing dies zuließen. Bei den Leverkusenern konnten die zuletzt verlorene Intensität und Konsequenz noch nicht wiedergefunden werden, wenngleich sie zumindest auch nicht darauf abzielten, aggressiv zu attackieren. Als gravierender erwiesen sich die Schwächen in der Defensive noch auf Seiten der Gäste.
Werder (wieder) ohne richtiges Pressing
Bei Bremen war das schon letzte Woche – und auch davor – ein massives Problem und hatte da zu einer fast katastrophalen ersten Hälfte gegen Darmstadt geführt. Das zu einfache Zurückdrängen der Flügelspieler stellte sich durch die formative Struktur nach der 5-3-2-Umstellung hier nicht, die generell viel zu geringe Kohärenz zwischen der ersten und zweiten Defensivlinie stellte aber erneut einen entscheidenden Faktor dar. Im Grunde genommen bestand eine systematische Unterstützung zwischen Mittelfeld und Sturm überhaupt nicht. Die Angreifer agierten ohnehin wenig intensiv und orientierten sich zu sehr einfach nur an den Innenverteidigern Bayers:
Fächerten diese breit auf, dann verstellten die Stürmer zwar lose den Passweg nach außen, aber verharrten in dieser Tätigkeit, schoben sich kaum gezielt asymmetrisch oder wieder zurück in die Mitte. Bei zurückfallenden Bewegungen eines Sechsers in den großen Abstand dazwischen formierten sie sich nicht kompakter, sondern behielten die Orientierung am „eigentlichen“ Gegenspieler. Wie schon gegen Darmstadt ließen sie Andribbeln zu, hier durch Kampl. Bei Pässen nach außen wiederum wurde nicht nachgeschoben, ebenso wie umgekehrt das Mittelfeld nur wenig aus dem Rücken unterstützte – wenn nicht einzelne Gegenspieler klar aufzunehmen waren.
In der Folge konnte Bayer also die erste gegnerische Reihe entweder durch- oder umlaufen. Dazu trug auch bei, dass vonseiten Werders kaum aus der Abwehr Herausrückbewegungen unternommen wurden – vermutlich, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Wenn Brandt dann durch einen geöffneten Passweg angespielt wurde, unternahm Gebre Selassie nur vereinzelt den Versuch, ihn durch schnelles Herausrücken sofort wieder zurückzudrängen, sondern ließ den Ballvortrag zu und fokussierte sich rein auf die Stabilität der hintersten Reihe. Lösten sich die äußeren Akteure doch mal weiter nach vorne, wirkten die absichernden Spieler etwas hektisch und schienen Präsenzverlust zu fürchten.
Durch die Organisation hinter dem Herausschieben kam beim Team von Alexander Nouri letztlich immer so eine – unterschwellig generell vorhandene – mannorientierte Tendenz hinein, die sich gerade im zweiten Durchgang verstärkt ausbreitete. Hinter dem Herausrücken des jeweiligen Flügelläufers – später teilweise auch der ballferne Akteur – setzte man statt eines harmonischen Nachschiebens eher darauf, die nominellen „Zehner“ Bayers klar den seitlichen Spielern der dahinter verbleibenden Viererverteidigung zuzuweisen. So ergaben sich mitunter schematische Zuteilungen, unter denen Konstanz und situativ die Gleichmäßigkeit in der Raumabdeckung schwinden konnte.
Ballbesitzspielversuche
Diese Effekte kamen situativ in verschiedensten Kontexten zum Tragen. Speziell auf das Pressingverhalten bezogen blieb zumindest im ersten Durchgang aber die vorsichtige Herangehensweise im Herausrücken der hinteren Linien vorherrschend. Das bedeutete, dass Leverkusen nach dem seitlichen Überspielen der Stürmer über Querpässe gut wieder ins Mittelfeldzentrum gelangen konnte. Zudem bot sich für die Außenverteidiger – speziell Wendell nach Verlagerungen oder Einleitungen über Kampl – Platz, um über den Halbraumkanal nach vorne auf die 5-3-Staffelung zu marschieren. Solche Szenarien mit breiterer Sturmlinie waren etwas häufiger, aber noch ungeschärft.
Nachdem Leverkusen ins Mittelfeld gelangt war, hatten sie eigentlich viele recht konstruktive Ansätze. Damit reihte sich der erste Auftritt unter Tayfun Korkut zunächst einmal in die Entwicklungen der letzten Wochen ein, als Bayer in Ballbesitz Aufbau- und Kombinationsqualitäten anzudeuten vermocht hatte. Über Kampl und Baumgartlinger gab es einige effektive Phasen in der Zirkulation, da sich die Sechser gut zwischen der Bremer Spitze bewegten und einzelne mannorientierte Nachrückbewegungen aus dem Mittelfeld durch gegenseitige kleinräumige Unterstützung auflösten. Daraus ergaben sich dann gute Stafetten im zweiten Drittel.
Ein erster Wermutstropfen bestand jedoch in der ungeduldigen Umsetzung. Das war ein Grund für die Inkonstanz in der Aufrechterhaltung dieser Zirkulation. Neben hektischen zeigten sich vor allem viele einfach seltsam gewählte Entscheidungen etwa beim Timing für Verlagerungen. Grundsätzlich sah man bei den Gastgebern schon, dass sie durch zentrale Bereiche zu spielen versuchten. So gab es vom gerade breiteren Außenspieler häufig diagonale Eröffnungen in die Sturmreihe, wo ein ausweichender Angreifer dann wieder in den Halbraum ablegte. So zeigten sich in der taktischen Schwerpunktsetzung schon einige Unterschiede zu Roger Schmidt:
Zu undefinierte Spielstärke findet nur partiell in die Bahn
Prominent wirkte sicherlich der deutlich geringere Anteil langer Bälle, wozu Bremens Spiel ohnehin einlud. Desweiteren zeigte sich die Auslösung der Anspiele nach vorne, also der Übergang in die vorderen Zonen, etwas verändert: Als Grundmechanismus wurden viele Aktionen durch Dribblings von außen und besonders durch kleine Pärchenbildungen eingeleitet, indem sich einzelne Offensivspieler mit teils längeren und aufwändigen Läufen anboten. Diese schalteten sich oft aggressiv ballfordernd und ließen das Leder wiederum weiträumig klatschen. So spielten sie zwar insgesamt recht schnell zwischen den Positionen, der Fluss innerhalb von Aktionen wurde aber ebenso schnell wieder aufgegeben.
Damit konnte sich strategisch wie rhythmisch keine so richtig definierte Klarheit bei Bayer entwickeln. Dazu trug auch bei, dass neben dem ballfordernden Akteur die anderen offensiven Kollegen etwas zu hoch – teilweise auch breiter –orientiert bleiben. Obwohl die Bewegungsmuster in den Einzelfällen eigentlich gut passten, wurden sie kaum mal gemeinsam abgerufen. So durchschnitt Bayer oft gefällig die Bremer Linien, ohne aber regelmäßig Abschlüsse durchbringen zu können. Symptomatisch stand das Führungstor, das eigentlich durch ein sehr gutes Passmuster eingeleitet, dann aber erst durch eine etwas unglückliche Aktion Gebre Selassies mit Folgeabpraller nochmals gefährlich wurde.
Aus den zunehmend höheren Positionen entstehender Anbindungsmangel entwickelte sich im zweiten Spielabschnitt zum Problem. Die drei Angreifer sorgten zwar für viel Bewegung, rochierten horizontal, starteten immer wieder Läufe in die Tiefe, deuteten sie an und brachen sie ab. Das beschränkte sich aber auf die vorderen Zonen und war entsprechend schwierig kontrolliert anzuspielen. Über die Havertz-Position halbrechts konnte gelegentlich Raumgewinn und dann Folgeaktionen eingeleitet werden, wenn dieser die Lücke vom ballnah gegen Henrichs herausgerückten Bauer zum Halbverteidiger hin anlief oder für einen Stürmer öffnete. Gegenüber den nun oft versandenden Aufbauaktionen im Übergang nach vorne blieben das aber eher punktuelle Ausnahmen.
Passiver nach Roger
Die Spielweise im Pressing bildete eigentlich so etwas wie das allgemeine Markenzeichen von Roger Schmidts Team, wurde in den letzten Wochen aber zunehmend von Störungen durch Intensitätsprobleme erschüttert. Von daher versprach sich ein interessanter Vergleich zur ersten Partie unter Korkut (auch wenn man keine Knopfdruckbehandlung langfristiger Hintergrundentwicklungen erwarten konnte). Insgesamt ließ sich konstatieren: Auch in dieser Partie arbeiteten die Gastgeber im Pressing nicht optimal. Von den taktischen Elementen erinnerte einiges an die letzten Jahre, insbesondere in den seitlichen Bereichen – ob durch diagonale Bewegungsmuster der nominellen „Zehner“ oder das weite Herausrücken des ballnahen Außenverteidigers.
Das Pressing fand insgesamt aber deutlich tiefer und verhaltener statt als es im Normalfall unter Roger Schmidt war. Gegen die Bremer Dreierkette überwog strukturell eine 4-3-3-Anordnung, indem sich Bellarabi und Brandt – in der Grundstaffelung zunächst eher 4-4-2-haft organisiert – weiter nach vorne orientierten, wo Volland generell eher versetzt – also schon 4-2-3-1-ähnlicher – hinter Chicharito agierte. Die stärker Richtung Stabilität orientierte Herangehensweise zeigte sich auch im Mittelfeld, das nicht so dynamisch herausrückte. Zumal die Organisation zwischen Volland und den Sechsern recht klar strukturiert war, fand die zweite Linie bei jenen engen Staffelungen des Dreiersturms nicht so wirklich zu natürlicher Präsenz hinter den Schnittstellen der vorderen Anordnung.
Werders heimliches(?) Prunkstück
Letztlich fand Werder manche Lösungsmöglichkeit, die erste Reihe zu überwinden: Die Bälle nach außen auf den Flügelverteidiger weiterzuspielen und den Leverkusener Außenverteidiger etwa über gleichzeitige Diagonalbewegungen eines Offensivmannes – wie Bartels rechts – am konsequenten Herausrücken zu hindern, war so nicht die einzige Möglichkeit. Zudem suchte gerade Grillitsch als ballnaher Achter mit kurzen Zurückfallbewegungen gezielt die Lücken im Dreieck zwischen Chicharito, Volland und Brandt respektive Bellarabi. Von dort konnte er dann nach außen weiterleiten, da die Werkself in dieser Konstellation aus dem defensiven Mittelfeld nicht so riskant zusätzlich nachrücken wollte.
Insbesondere bei der Positionsfindung von Kampl war interessant, dass dieser schon frühzeitig etwas breiter nahe an der Abwehrlinie agierte, möglicherweise um Wendell besser absichern zu können. Diese Seite fokussierten die Bremer bei ihren Angriffsbemühungen. Vor dem als Fixpunkt das Mittelfeld haltenden Eggestein agierte die Doppel-Acht der Werderaner sehr offensiv ausgerichtet, aber leicht asymmetrisch. Während Grillitsch über den rechten Halbraum einleitete oder von dort situativ den Flügel für kurze Verlagerungen übernahm, band sich Junuzovic weiträumiger ein – entweder als zusätzliche Hilfe auf rechts oder mit ausweichenden Aktionen zur Besetzung der ballfernen Zonen.
Das Pendant – in Bezug auf die Bewegungsmuster – eine Linie davor bildete gewissermaßen Max Kruse. Auch er versuchte sich punktuell gegnerbindend oder für längere Verlagerungen abzusetzen, suchte aber ebenfalls seine präsenten Phasen im rechten Halbraum. Dort forderte er Bälle, um anzudribbeln und Aktionen anzukurbeln. Insgesamt konnte man sagen: Spielerisch und gruppentaktisch war Bremen gut und kam entsprechend zu sehenswerten Szenen – diesbezüglich nicht wie ein Abstiegskandidat. Über die hohen Flügelverteidiger hatten sie auch ballfern sehr viel Präsenz und Druck in vorderster Front, wenngleich der Offensivdrang der Achter auch schon mal unbalanciert wurde.
Leverkusens Tiefenverteidigung rutscht später ins 4-5-1
Leverkusen fand auf den vertikalen Flügelzwischenraum neben dem defensiven Mittelfeld zwar keinen Zugriff, konnte die letzte Linie aber noch ganz gut verteidigen. Die breitere Staffelung Kampls gab mehr Präsenz gegen die Bremer Überladungsversuche und stellte – auch wenn etwas unausgewogen – eine nicht so intuitiv bespielbare Struktur her. Auch wenn sie von den Kombinationsansätzen der Norddeutschen immer mal überrascht und auch mehrmals in Unordnung gebracht wurden, hielten sie spätestens mit der zwar nicht so stabilen, aber dynamischen Endverteidigung die klaren Chancen in Grenzen.
Vor allem im zweiten Spielabschnitt fokussierten sich die Mannen von Korkut dann endgültig auf diesen Spielmoment. Nach der Einwechslung von Havertz entstand sogar ein 4-5-1 in der Leverkusener Verteidigungsarbeit, ordnete sich der junge Mittelfeldmann doch eigentlich neben die Sechser ein. Nun verkörperten zudem Volland und Brandt bzw. später Mehmedi wirkliche Offensivaußenspieler, die sich häufiger auch an den gegnerischen Flügelverteidigern nach hinten orientierten und dann situativ erst wieder aus tiefer Position heraus in die häheren Reihen pendelten. Das leichte Herausschieben gegen die vorrückenden Halbverteidiger leistete aber der ballnahe Achter aus der Dreifach-Sechs.
Anknüpfend an die Ansätze aus dem ersten Durchgang nutzte Bremen die zurückgezogene Spielweise der Gastgeber für eine zunehmend dominante Anlage, und dabei insbesondere die Räume um den einzelnen Stürmer konsequent. Neben den Bewegungen der Halbverteidiger war beispielsweise auch die oft leicht verschobene Position Eggesteins ein wichtiges Element, um diagonal in die Zwischenräume eindringen zu können. Gerade aus halblinken Zonen leitete der junge Mittelfeldakteur einige ansehnliche Szenen mit seinen Zuspielen ein, wie es gegenüber unter anderem Bartels mit kombinationsstartenden Dribblings tat. Nach dem 1:1 als Belohnung gab es in der Nachspielzeit noch die sehr gut herausgespielte Riesenchance durch den eingewechselten Kainz, die nachher jedoch vom Elfmeter-Vorfall überstrahlt wurde.
Fazit
Es fällt ein bisschen schwer, dieses Korkut-Debüt so richtig klar und aussagekräftig einzuordnen: Sicherlich gab es manche Veränderungen im Detail, eine teilweise 4-3-3-haftere Rollenverteilung und die eine oder andere Fokusverlagerung, etwa weniger lange Bälle. Im Großen und Ganzen zeigten sich strukturell aber vor allem die Anknüpfungspunkte. So bleibt hauptsächlich die strategisch stärker zurückhaltende Ausrichtung haften. Insgesamt wirkte die gewählte Anlage bei den Hausherren noch nicht so besonders konsequent.
Bei Bremen ergibt sich ein ungleich klarer konturiertes Bild, das sich an die jüngere Vergangenheit anschließt: So schwach ihr Pressing daherkommt, so viel Potential gibt es im Offensivspiel – also quasi das alte Werder-Klischee. Aufgrund – erstens – des geringen Zugriffs in der Defensivarbeit und deren überhaupt sehr passiver Charakteristik und – zweitens – des häufigen Konterfokus kam der Ballbesitzmoment zuletzt nur selten zum Tragen. Diesmal wurde er stärker fokussiert, in Halbzeit eins über die definiertere Struktur, in Halbzeit zwei durch die angenommene Dominanz. Von daher dürfte man die Partie eher als Fortschritt für die Gäste werten.
15 Kommentare Alle anzeigen
Schorsch 3. April 2017 um 10:59
Jo. Was die Sache für Werder aber nicht schlechter macht… 😉
Wobei gilt das mit dem ‚Totsagen‘ für Schalke eigentlich auch? Ich persönlich habe da eher den Eindruck, dass die Knappen seit Jahren (Jahrzehnten?) immer ‚lebender‘ gesprochen wurden, als sie es tatsächlich waren… 😉 Gut, in dieser Saison mag das etwas anders sein, ich weiß es nicht. Jedenfalls kommt es gegen Werder zu einem ’50 – 50′ – Duell. Wie es dann letztlich ausgehen wird, werden wir sehen. Für Werder ist das auf jeden Fall eine Ausgangsposition, die zu Beginn der Rückrunde auch so mancher Experte nicht auf der Rechnung hatte. Wie auch immer, ich finde es gut… 🙂
Für den HSV trifft es mit dem ‚Totsagen‘ wohl in den letzten Jahren wie auf kaum einen anderen Club zu. Aber wie sang Udo Jürgens schon? Und immer, immer wieder geht die Sonne auf… 😉 Wäre doch auch wirklich schade, wenn der Bundesliga-Klassiker schlechthin nicht mehr stattfinden würde. Nur meine persönliche Meinung. Und ganz wurscht, wie nun die Partie gegen Schalke endet, ich habe mich schon lange nicht mehr so auf das Nordderby gefreut! 🙂 Jenseits aller taktischen Aspekte, ich hoffe auf ein faires, aber dennoch emotionales Spiel. Irgendwie habe ich dies am Samstag beim Westfalenderby ein klein wenig vermisst. Aber das nur am Rande.
Schorsch 3. April 2017 um 18:42
War als Antwort auf @Daniel gedacht.
Rudi V. 14. März 2017 um 09:29
Der hirnlose Attacke-Fußball von Schmidt hat halt seine Spuren hinterlassen. Spieler wie z.B. Wendell sind meiner Meinung nach total versaut und werden nie taktisches Verständnis erlangen. Ich hoffe, dass Bayer einen Trainer findet oder vielleicht sogar gefunden hat, der dafür sorgt, dass die Spieler clever, abgezockt und selbstbewusster werden. Dies habe ich bei der Arbeit von Favre in dem fast Abstiegsjahr von Gladbach gesehen. Er hat den Leuten erst beigebracht nicht zu verlieren. Dann pressing resistenter zu wedern, dann erst kam das denken nach vorne. In Leverkusen wurde zuletzt und lange garnicht mehr gedacht nur noch gerannt.
Schorsch 16. März 2017 um 21:59
Über den Schmidtschen Pressingfußball lässt sich trefflich streiten und letztlich ist eine Bewertung immer auch geprägt von persönlichen Vorlieben oder Antipathien. Wenn der Fußball Schmidts funktioniert (= zu 100% von der Mannschaft bei sehr niedriger Fehlerquote umgesetzt wird), dann finde ich ihn schon attraktiv. Die Frage für mich ist nur, wie oft über eine gesamte Saison gesehen dieser Fußball tatsächlich zu annähernd 100% umgesetzt werden kann. Und ob taktische Fouls nicht sytemimmanent sind bei dieser Art von Fußball, weil dieser Fußball eben doch nicht von den Spielern permanent durchzuhalten ist.
Was Favre anbelangt, so nötigt mir seine damalige Rettung der Fohlen nach wie vor allerhöchsten Respekt ab. Klare Formationsvorgaben (4-4-2 bzw. 4-4-1-1), klare gruppen- und mannschaftstaktische Vorgaben (z.B. Verschieben), individualtaktische Schulung und Optimierung der einzelnen Spieler (Stranzl und Hanke hatten dies einmal sehr anschaulich geschildert). Defensive Kompaktheit, Tore durch Konter. Aber eben kein ‚Grasfressen‘ etc.. Und darauf aufbauend die weitere Entwicklung, immer beruhend auf diesen basics. Favre wurde eigentlich für den Neuaufbau in der 2. Bundesliga geholt. Dass (und wie) er Gladbach noch in der Bundesliga halten konnte (wenn auch nur sehr knapp in der Relegation), sehe ich als eine der besten Trainerleistungen der letzten 10 Jahre in Deutschland an. Was aber auch nur eine rein persönliche Einschätzung ist.
Korkut hat (in einer gänzlich anderen Situation) im Spiel bei Atlético nun auch auf ein 4-4-2 zurückgegriffen. Was dann auch ganz manierlich aussah. Auch wenn Atlético vielleicht nicht gerade im ‚Schongang‘, aber doch etwas verhalten spielen konnte. Möglicherweise ist dieses System, gepaart mit mehr Ballzirkulation, genau das richtige für die Leverkusener, um defensiv weniger Schwankungen unterworfen zu sein und insgesamt ein Mehr an Sicherheit zu gewinnen. Dann klappt’s vielleicht auch noch mit der EL… 😉
Koom 17. März 2017 um 15:05
Das dedizierte Pressingteams ab einem gewissen Punkt immer irgendwann nur noch hektisch/chaotisch werden, ist auch meine Beobachtung – unabhängig von Leverkusen. Gerade in den letzten Jahren sieht man bei den typischen Umschaltteams eine gewisse Fickrigkeit. Klopps BVB, Mainz 05, Bayer Leverkusen – bei RB Leipzig geht das noch. Diese Spielweise macht aus meiner Sicht sehr fahrig, weil es dauernd nur ums Umschalten, Reaktion, Tempo geht. Ballgewinn, ab nach vorne. Und das 90+ Minuten, 34 Spieltage und mehr und auch in jedem Training. Das ist eine permanente Unruhe und „Noise“ was IMO auf Dauer nicht unbedingt gut ist.
Nicht falsch verstehen: Ich liebe Gegenpressing/Umschaltfußball. Aber IMO muss man bewusst im Training gegen diesen Hektikeffekt manchmal gegensteuern. Den Spielern also beibringen, wie man mal die Kakophonie des Balles verstummen lässt und das Spiel wieder beruhigt und steuert.
YZ 13. März 2017 um 20:26
Liegen den Bremer Unsicherheiten im Pressing grundlegende taktische Fehlentwicklungen zugrunde oder ist die notgedrungene Dauerrotation auf 6 und 8 da bedeutsamer?
MR 13. März 2017 um 21:16
Die grundsätzliche Mannschaftsorganisation sollte normalerweise unabhängig vom Personal funktionieren.
HD4 11. März 2017 um 21:49
Am Anfang der zweiten Halbzeit sah Werders Pressing in zwei Situationen recht vielversprechend aus, als Junuzovic und Grillitsch weit herausrückten und 3322 Situationen entstanden. Auch Vejlkovic hat in diesen Situationen den Zugriff nach vorne gesucht und das Loch neben Eggestein bei Bespielen sofort attakieren zu können. Allerdings fand ich das Anlaufverhalten der Stürmer wie beschrieben nicht intensiv genug und auch nicht in der, für die Staffelung passende, enge Struktur in erster Linie. Ich sehe aber in der Idee für Werder gute Möglichkeiten ein System zu entwickeln welches gegen viele Systeme gut agieren kann, auch sind die Spieler recht passend (+Augustinsson zu neuen Saison). Könnte mir hier auch Bartels in der Achter/Zehnerrolle vorstellen um Offensiv dann ein 3-4-3 zu schaffen, indem der ballnahe Achter und Flügelläufer vorschiebt. Würde zu einer ähnlichen Anordnung kommen wie sie als Idee Bvb-B04 gezeigt wurde um, dort mit klarem Fokus auf links.
Mit Vejlkovic und Moisander stehen die richtigen Halbverteidiger bereit, wo ich ersteren gegen B04 stark fand, auch in der domintanten Phase, wo er die Verbindung zu den Offensivspieler bis ins letzte Drittel suchte und so in der Folge das Spiel klug verlagern konnte.
Schorsch 11. März 2017 um 20:02
Vielen Dank an TR für die (wieder einmal) sehr detaillierte Analyse!
Mir hat Werder spielerisch phasenweise gut gefallen und ich habe sie diesbezüglich z.T. auch B04 überlegen gesehen. Und ja, man kann auch mMn diesbezüglich von einer Steigerung sprechen. Und die ‚passive Charakteristik‘ der Defensivarbeit muss nicht zwingend ein Nachteil sein.
Es lebe das Klischee! 😉
Schorsch 18. März 2017 um 20:07
…und das Klischee lebt!
Werder lässt sich einfach nicht aus-pressen… 😉
…und gehört zu den Teams der Stunde in der Bundesliga. Drei Tore als Dosenpfand für die Leipziger, da darf man gerne unmodern spielen. Irgendwie muss das alles gar nicht so verkehrt sein, was Werder da gerade macht, trotz allem Massel (gegen die Wölfe und die Lilien und zu Beginn des Spiels auch heute): 5 Spiele, 4 Siege, 1 Remis, 10 Tore, 2 Gegentore. Heute wieder defensiv zentral kompakt, gute Endverteidigung, ein WiedWall in Topform, offensiv geschicktes Kombinationsspiel und gefährliche Konter. Die Tore einmal durch einen ‚zweiten Ball‘, dann durch einen cleveren Standard und schließlich durch einen Konter. Reicht. Das Pressing der Leipziger lief durch das (gewollte oder ungewollte) tiefe Kurzpassspiel Werders nicht immer, aber oft genug ins Leere. Und das ganze taktisch gar nicht einmal so uninteressant mit einer Dreierkettenformation.
Diese Serie hätte ich Werder so nicht unbedingt zugetraut, wobei sie auch bitter notwendig war/ist (siehe Punktesituation im unteren Tabellendrittel). Nouri hatte schon sein ‚Entscheidungsspiel‘, in einer Negativserie ging ein Spiel nach dem anderen trotz (oder wegen?) taktisch-spielerisch relativ ansprechendem Auftreten knapp verloren, Wiedwald immer wieder wackelig. Und seit der Umstellung die offensichtliche Trendwende. Crazy football oder einfach nur logisch? Zumindest spielt die Mannschaft das, was sie kann und nicht das, was sie nicht kann. Wie auch immer, mir macht Werder aktuell wirklich Spaß!
Jo 20. März 2017 um 14:09
Ich schaue Werder auch gerade gerne wieder zu, insbesondere offensiv wird gerade einiges geboten. Das Problem was ich aber noch sehe ist, dass letztlich viel in der Offensivleistung mehr nach individueller Qualität als nach trainierten Abläufen ausschaut. Zudem mögen zwar gerade weniger Gegentore fallen und die Endverteidigung funktioniert deutlich besser, aber trotzdem hätte auch Leipzig in dem Spiel locker vor dem Konter der dann alles klar gemacht hat 2-3 Tore machen. Auch gegen Wolfsburg und Darmstadt ist da viel Spielglück mit dabei gewesen dass die Gegner nicht die Tore gemacht haben (und auch eine Portion WiedWall).
Deshalb bin ich noch nicht wirklich überzeugt ob es so positiv weitergeht. Ich sehe unter Nouri noch keine klare Entwicklung wo es hingehen soll und befürchte einen ähnlichen Verlauf wie unter Skripnik, da hat es auch eine zeitlang gut funktioniert. Vom Kader ist Werder definitiv für mich kein Absteiger, andererseits spielen auch gerade der HSV und Wolfsburg mit gegen den Abstieg (wie die halbe Liga), aber irgendjemand wird halt in die Relegation müssen. Deshalb, auch wenn ich mich freue dass es bergauf geht, die Relegationskirsche ist noch lange nicht gegeseen und ob der Aufwärtstrend so hält muss man mal schauen…
Was Mut macht ist dass sowohl Delaney als auch Moisander gute Transfers sind. Wenn man einen Trainer hat der ne klare Richtung vorgibt, könnte man mit so Spieler und den Offensivgranaten die wir gerade haben auch mal wieder in die obere Tabellenhälfte vorstoßen…
Schorsch 20. März 2017 um 18:29
Absolut d’accord. Habe ich so ähnlich hier mehrfach angeführt. Was meine Freude über die Punktgewinne und die quasi Halbierung der Gegentore in den letzten Spielen nicht mindert… 😉
Klar, ohne diese Serie wäre der Relegationsplatz sozusagen zementiert und/oder man würde sich mit den Lilien und den Schanzern um diesen prügeln. Aber genau betrachtet, waren es das Spiel bei den Wölfen und die erste HZ gegen die Lilien, in denen Werder richtiggehend Massel hatte. In Mainz war man das bessere Team, gegen Leverkusen war das Remis durchaus folgerichtig und gegen Leipzig war es nur die Anfangsphase, in der man wackelte. Tatsache ist, dass die Endverteidigung sich sehr deutlich verbessert hat und sich das defensive/zentrale Mittelfeld sowohl hinsichtlich Kompaktheit, als auch Passsicherheit klar optimiert zeigt. Letzteres ist sicherlich in erster Linie der Top-Verpflichtung Delaney zu verdanken. Aber in Leverkusen ging es auch ohne ihn. Ja, Spielaufbau und Offensivspiel lassen da noch eine Menge zu wünschen übrig und leben momentan zuvörderst von individueller Klasse. Dass man dabei den Ausfall der weiteren Topverpflichtungen Gnabry und Kruse verkraften kann, spricht ja nicht gegen Nouri… 😉
Sicherlich hatte und habe ich auch weiterhin meine Bedenken hinsichtlich Nouri. Aber er hat mMn sozusagen in letzter Sekunde (mit dem Spiel in Mainz) die richtigen Entscheidungen getroffen. Vorher gingen vier Spiele in Folge verloren, in denen man zwar spielerisch und taktisch relativ anspruchsvoll agiert hat, späte Gegentore und damit die Niederlagen aber nicht verhindern konnte. Insofern war hier ein Rückschritt ein Fortschritt.
Inwieweit sich daraus ein strukturiertes, planvolles Gesamtkonzept ergeben kann und wird, bleibt abzuwarten. Baumann scheint hier auch gelernt zu haben; Gespräche über eine Vertragsverlängerung werden mit Nouri erst nach Sicherung des Klassenerhalts geführt (von dem ich persönlich ausgehe). Bei diesen Gesprächen wird Nouri bestimmt u.a. ein Spielkonzept präsentieren müssen.
Es ist halt in dieser Saison ein wenig verrückt. Die halbe Liga kann sowohl noch auf den Relegationsplatz rutschen oder sich für die EL qualifizieren. Möglicherweise wird man tatsächlich erstmals 40 Punkte benötigen, um nicht auf Rang 16 zu landen. Für Ingolstadt und Darmstadt sehe ich hingegen kaum noch Chancen, diesen Platz zu erreichen. Aber möglich ist alles. Werder muss nun gegen Freiburg und Schalke punkten, sonst sieht es wieder schlechter aus. Favorit ist man sicherlich nicht, aber so leicht ist es andererseits augenscheinlich nicht mehr, gegen Werder zu gewinnen… 😉
Jo 21. März 2017 um 22:12
„Werder muss nun gegen Freiburg und Schalke punkten, sonst sieht es wieder schlechter aus. Favorit ist man sicherlich nicht, aber so leicht ist es andererseits augenscheinlich nicht mehr, gegen Werder zu gewinnen…“
Halleluja!
Ich versuche mich von deiner insgesamt recht positiven Sicht anstecken zu lassen, da war viel Wahres dabei was du geschrieben hast 🙂
Schorsch 2. April 2017 um 20:46
Hosianna – in Freiburg war das schon einmal nicht schlecht mit dem Punkten! 🙂 Und wieder einmal war es die Defensive, die das Spiel entschieden hat. Trotz verletzungsbedingter Umstellungen sowohl in der Defensivreihe, als auch im Mittelfeld. Die Endverteidigung steht, wieder in einer Dreierkette. Das Mittelfeldzentrum ist dicht und kompakt. Delaney diesmal als 8er (und Goalgetter!), Eggestein als erstaunlich abgeklärter 6er. Schade nur, das Grillitsch Werder verlassen wird. Er gefällt mir immer besser. Nach dem Spiel in Mainz habe ich Wiedwald noch etwas spöttisch kritisiert, weil seine langen Abschläge immer beim Gegner landen. Mittlerweile sind seine langen Bälle durchaus echtes Futter für die Offensivleute, sei es auch nur als ‚zweiter Ball‘. Kruse, Bartels – da läuft es z.Zt. einfach. Da kann man auch einen Ausfall von Gnabry verkraften.
Man muss die taktische Ausrichtung Werders nicht schön finden, sie ist in jedem Fall erfolgreich. Und die Abläufe innerhalb dieser taktischen Ausrichtung werden peu á peu auch abgestimmter. In diesem Zusammenhang muss ich Delaney noch einmal gesondert erwähnen, nicht nur wegen seiner Tore. Auch das immer wieder bemängelte Pressing Werders profitiert von seinen herausrückenden Bewegungen.
Selbstverständlich muss es so nicht weitergehen. 7 Chancen, 5 Tore – effizienter geht es kaum. Aber so lange man defensiv so steht wie in den letzten Spielen, wird es (und hier wiederhole ich mich gerne) nicht so einfach gegen Werder zu gewinnen. Gegen Schalke halte ich einen Punktgewinn nicht für unwahrscheinlich. Und dann ist da ja noch das Nordderby. Ostersonntag. Passend dazu kommt mir in den Sinn, dass Totgesagte oftmals länger leben – oder gar auferstehen… Womit wir wieder beim Hosianna wären… 🙂
Daniel 3. April 2017 um 00:15
Allerdings wurden Schalke und insbesondere der HSV schon mindestens genauso sehr totgesagt wie Werder 😉