Spielerische Wucht überwindet ungemütlichen Organisationsplan

Sechserkettenansätze und umgekehrtes 4-2-3-1: Darmstadt verteidigte in München recht gut, ließ gegen die offensivstarken Bayern trotzdem viele Chancen zu und stellte das Ergebnis kurzzeitig auf den Kopf. Nach der Pause musste sich die Einbahnstraße dann im Resultat ausdrücken.

Ein offensives 4-1-4-1 mit 2-3-5-artiger Logik – das hat es bei den Münchener Bayern in der jüngeren Vergangenheit häufiger gegeben. Auch diesmal entschied sich Pep Guardiola wieder für dieses Grundschema, in der Innenverteidigung kam dabei Tasci zu seinem Debüt. Trotzdem gab es einige kleine Besonderheiten in der Anordnung und Rollenverteilung der Offensivreihe. Nachdem Arjen Robben bei seinen bisherigen Einsätzen in der Rückrunde fast ausnahmslos auf dem rechten Flügel eingesetzt worden war, bekleidete er diesmal zusammen mit Thomas Müller die Achterplätze, während Coman und Douglas Costa auf Außen dribbelten.

Bereits in den ersten Minuten zeigte sich, dass die Münchener grundsätzlich einen sehr schwungvollen, spielstarken Auftritt an den Tag legten. Zu Beginn spielte Douglas Costa noch enger, rückte bei Angriffen über rechts häufig in eine zentrale Rückraumposition für Abpraller oder Ablagen. Die beiden nominellen Achter zeigten verschiedene Bewegungen, gingen mal zur Seite, suchten aber oft den Zwischenlinienraum. Beide zogen oft gemeinsam nach halbrechts, um dort lokales Kombinationsspiel aufzuziehen, zwar teils unsauber, aber sonst stark. Dafür wurden sie von vielen Direktpässen aus der zweiten Aufbaureihe bedient, die grundsätzlich sehr gut gerichtet, teilweise aber etwas zu frühzeitig waren.

Fast noch mehr als bei den personell weiterhin eingeschränkten Münchenern hatte man bei Darmstadt auf die Startelf gespannt sein können. Die kuriose Gelbsperrenhäufung der Gäste beantwortete Trainer Dirk Schuster mit einigen überraschenden Namen, beispielsweise dem Debütanten Sandro Sirigu auf der rechten Offensivposition. Im defensiven Mittelfeld liefen mit den flexiblen Jungwirth und Holland zwei potentielle Außenverteidiger-Typen auf. Formativ blieb es zunächst einmal beim typischen 4-2-3-1/4-4-1-1, das gegen den Ball von tiefer Interpretation und Zurückfallbewegungen aus dem nominell zweiten Mittelfeldband geprägt war.

Tiefe Darmstädter Flügel übernehmen die Außenverteidigung

In der Art und Weise, wie diese gestaltet wurden, entstand eine prinzipiell gute Defensivorganisation. Die Außenspieler zogen sich schon früh weit nach hinten zurück, bewegten sich häufig nur knapp vor der eigenen Abwehrkette und gliederten sich im weiteren Fortgang der Münchener Aufbaubemühungen oft auch endgültig in eine Art Sechserreihe ein. Dabei waren sie sehr darauf bedacht, immer schnell ins Doppeln gegen die breiten Münchener Flügeldribbler kommen zu können, teilweise schienen sie in den hinteren Zonen gar die lose Mannorientierung ihrer nominellen Hintermänner zu übernehmen, die entsprechend etwas tiefer absichernd bleiben durften.

So sollten die beiden Außenverteidiger enge Stabilität an den zentralen Defensivakteuren geben bzw. deren Herausrücken bei Bedarf fokussierter absichern, andererseits aber auch die verschiedenen nach außen gehenden Rochaden der nominellen Münchener Achter situativ aufnehmen können. Halblinks war dies seltener zu sehen, schwankte in seiner Effektivität gegen Arjen Robbens verschiedene Diagonalsprints in die dortigen Schnittstellen. Gegenüber gab es mehrere Szenen, in denen recht eindeutig wurde, wie sich Júnior Díaz immer mal am Ausweichen von Thomas Müller orientierte.

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Bayern offensiv, Darmstadt defensiv. In den ersten Minuten agierte bei den Münchenern tendenziell Robben halbrechts und Müller eher halblinks.

Wenn Sirigu und Kempe so tief spielten, anfangs noch nicht ganz nach hinten rückten, sondern zunächst leicht versetzt vor der Abwehrlinie standen, achteten sie in diesen Szenen prinzipiell darauf, zusätzlich die Passwege auf die bisweilen fast schon zu breiten Coman und Douglas Costa zu versperren. Gerade links defensiv gelang das, wenn die Bayern dort aufrückten, gegen den Franzosen vereinzelt mal. Etwas problematisch war in diesem Zusammenhang für die Gäste jedoch, dass durch die nominell in der Systematik entstehenden „Freirollen“ der Außenverteidiger diese teilweise schon zu passiv blieben.

Bewegte sich der jeweilige Flügelspieler davor nicht ganz so tief, konnte Bayern einige Male mit längeren Direktbällen in diese Zwischenlücke hineinspielen und dem jeweiligen Dribbler an der Außenbahn schnellen Raumgewinn ermöglichen. Ein oder zwei Mal hatte Coman dadurch etwas zu viel Platz, so dass Anschlusspässe nicht so gut unter Druck gesetzt werden konnten oder im Ansatz direkte seitliche Durchbruchsmöglichkeiten angedeutet waren. Letztlich blieb dies aber doch nur ein kleines Detail am Rande, das insgesamt kaum wirklich merkbaren Einfluss entfaltete.

Wie ein „umgedrehtes“ 4-2-3-1

Überhaupt hörte die Darmstädter Organisationsanpassung auf das Bayern-Spiel keinesfalls mit den Rollen der Spieler auf den Außenpositionen auf. Auch die neu aufgestellten Sechser wurden davon gewissermaßen betroffen. Zunächst einmal ermöglichten jedoch wiederum die tiefe Ausrichtung von Mario Vrancic und Sandro Wagner – praktisch nie vor der Mittellinie in eine Pressingaktion gehend – deren Spielweise. Gerade der nominelle Zehner postierte sich schon in der Anfangsphase nur minimal vor der Doppel-Sechs, setzte zwar vereinzelt mal Vidal etwas unter Druck, konzentrierte sich aber vor allem auf die Absicherung des horizontalen Raums zwischen seinen Hintermännern.

Dadurch gab es für diese beiden etwas mehr Bewegungsfreiheit, um herauszurücken oder seitlich zu verschieben. Jedoch bestand die Aufgabe nicht bzw. kaum – wie noch nach dem Blick auf die Aufstellungen und vielleicht auch in den allerersten Sekunden der Partie zu vermuten – darin, bei Verlagerungen der Bayern mit nach außen zu schieben, um die gefährlichen Dribbler des Rekordmeisters präsenter stellen zu können. Stattdessen galt das gelegentliche Herausschieben des jeweils ballnahen Darmstädter Sechsers den beiden nominellen Außenverteidigern des FCB. Wie in der 2-3-5-artigen Logik der letzten Monate üblich, rückten diese oft in den Halbraum ein.

Diesmal taten Rafinha und Alaba das etwas symmetrischer als in den jüngsten Partien mit der speziellen Lahm-Rolle. In gewohnter Manier betätigten sie sich in engerer Grundposition entscheidend in Aufbau- und Zirkulationsarbeit. Genau dabei sollte das situative Herausrücken von Jungwirth und Holland sie stören, immer mal etwas Druck aufbauen, das Spiel nach außen zu leiten versuchen – und gleichzeitig bei Möglichkeit den Halbraum in ihrem Rücken im Deckungsschatten halten. Teilweise bewegte sich noch Wagner tief und passiv einfach als „anwesender“ Störfaktor im Bereich Rafinhas. Es war fast ein umgedrehtes 4-2-3-1 von Darmstadt: zwei tiefe, breite Flügel, davor ein de-facto-Dreiermittelfeld.

Gleichzeitig ständige Gefahr und gute Defensivmomente dagegen

Insgesamt war dieses Vorgehen der Gäste eine recht geschickte und vor allem auf die derzeitige Systematik des Guardiola-Teams passende Organisationsstruktur. Gerade jene Zuteilung der herausrückenden Sechser, die dann entsprechend harmonisch gleich den Halbraum mit abzudecken versuchen konnten, machte das deutlich. Entsprechend schlug sich Darmstadt auch prinzipiell sehr ordentlich, hatte einzelne gute Momente mit passenden Kompaktheiten und belohnte sich – bei der nötigen und auch nicht so kleinen Portion Glück – dann mit einer ersten Halbzeit ohne Gegentor in München.

Andererseits zeigten die Hausherren schon in dieser Phase, insbesondere der ersten halben Stunde, eine eigentlich sehr gute Vorstellung mit spielerisch gelungenen Aktionen, so dass sie die Darmstädter Defensive dennoch einige Male aufreißen und zu zahlreichen Abschlüssen kommen konnten. So war die Partie zunächst meistens von einem Duell zwischen einer grundsätzlich sinnvollen und auch funktionstüchtigen Anpassung des Underdogs sowie einem allerdings stark aufgelegten, insgesamt natürlich klar überlegenen Favoriten geprägt – es kamen dabei dann gewissermaßen beide zu ihrem Erfolg.

Das galt für die Bayern, die diese nicht so gewöhnliche Herausforderung der teils unangenehmen Darmstädter Spielweise eigentlich gut meisterten und die eigenen Angriffsversuche mehrmals gefährlich durchzubringen vermochten. Gleichzeitig standen die Gäste an der Basis aber doch recht ordentlich, zeigten eben manche gute Szene und mussten im Ergebnis zunächst einmal zwar viele Schüsse, aber keinen Treffer zulassen. Um zu erklären, wieso das trotz des prinzipiell starken Auftritts der Bayern möglich war, benötigt es noch mehrerer Faktoren. Die Chancenverwertung ist anzuführen, aber ebenso, dass ihr Vortrag auch von einigen Problemen begleitet war, die sich zwischendurch auswirkten.

Beidseitig kleinere Schwächen als Teilfaktor

Gelegentlich hatten sie immer mal Phasen, in denen sie zu sehr auf schnelle Durchbrüche abzielten und dann mit längeren, meist diagonalen Direktpässen auf verschiedene Tiefenläufe eines Offensivspielers arbeiteten. Das gestaltete sich in der Ausführung etwas zu hektisch, in den einzelnen Bewegungen eher unsauber und war gegen die präsente Darmstädter Abwehrlinie – trotz gelegentlicher Vorteile für solche Läufe wegen der vertikalen Ungleichmäßigkeit des Konstrukts der Hessen – nicht unbedingt hervorragend geeignet. Ein zweites Problem, das die Bayern gelegentlich plagte und ihnen zwischendurch das Leben schwer machte, hing eng damit zusammen:

Wenn gleichzeitig die Außenspieler zu breit und hoch blieben sowie ebenso Robben und Müller in ihrer attackierenden Art viele Rochaden nach außen starteten oder zu Schnittstellenbewegungen ansetzten, konnte das punktuell etwas ungestaffelt werden. Dann verloren die Münchener – da die gesamte Offensive quasi engagiert Bewegung zu erzeugen versuchte – kurzzeitig Präsenz im Zwischenlinienraum. Vereinzelt waren sie dort kombinationsstark und konnten lokale Überladungen erzeugen, in anderen Momenten verpassten sie in einigen offensiven Mittelfeldbereichen die nötige Besetzung und Ruhe, um gegen Darmstadts Mittelfeldbewegungen errungene Erfolge effektiv weiter zu veredeln.

Andererseits wurde auch Darmstadt durch die oft sechserkettenartige Organisation im Bereich der Abwehr zwischendurch selbst zu flach. Sie hatten dann Probleme, den nötigen Zugriff auf den Rückraum aufzubauen oder bei Tiefenaktionen der Münchener diese schnell und koordiniert genug aufnehmen zu können. In manchen Szenen konnten sie daher zügige Doppelpässe oder Dreieckskombinationen im Halbraum nicht gut verhindern, auffällig beispielsweise bei einer großen Möglichkeit der Hausherren, als Lewandowski eine Hereingabe von Coman nur knapp verpasste. Die Situation: Beide Teams machten viel richtig und doch manches falsch, weshalb dann die Korrelation zwischen Defensivarbeit, Offensivarbeit und Resultat seltsam wurde.

Bayern mit Mini-Anpassungen

Hinzu kamen auf beiden Seiten jeweils noch verschiedene kleinere Anpassungen im Laufe der ersten Halbzeit, die die genauen Umstände und Konstellationen immer ein wenig veränderten. Douglas Costa ließ sich zwischenzeitlich tiefer in den Halbraum fallen und kurbelte an, um die gegnerischen Zuordnungen aufzuweichen oder die mittigere Präsenz in Strafraumnähe zu erhöhen, wobei die normaleren Rochaden mit Alaba dann von Darmstadts Ordnung meist noch aufgefangen werden konnten. Halbrechts gingen die ohnehin oft dort zu Überladungen ansetzenden Robben und Müller phasenweise noch fokussierter auf kurze, kleinräumige Ablagen.

Diese sollten idealerweise zunächst einmal Holland aus dem Spiel nehmen oder schon das Herausrücken eines nahen Verteidigers zur Lückenöffnung provozieren. In manchen Momenten gab das den dortigen Kombinationsversuchen der Münchener den entscheidenden Schub, so dass die Ansätze besser zu Ende gespielt werden konnten. Schließlich ließ sich zwischenzeitlich noch Lewandowski etwas tiefer und häufiger fallen als in anderen Abschnitten der Begegnung. Das diente möglicherweise zur Unterladung der gegnerischen Abwehrreihe oder Verstärkung der Präsenz um den Zwischenlinienraum.

Gescheiterte „Normalisierung“ bei Darmstadt

Auf Seiten der Darmstädter gab es in der Phase unmittelbar vor dem Treffer zum 0:1 eine kurzzeitige Umstellung auf eine klassischere, 4-4-1-1-haftere Deckungsweise – ohne die ansonsten in dieser Partie genutzten Organisationsmechanismen. Es zeigte sich in dieser Phase aber schnell die Instabilität einer konventionelleren, gewissermaßen unangepassten und dabei losen mannorientierten Ausrichtung. Zwar konnten die offensiven Flügel nun etwas höher bleiben und vereinzelt die Präsenz im zweiten Drittel oder beim Nachrücken in Richtung Flügel dort leicht erhöhen.

Aber die Abstände innerhalb der Abwehrkette gegen die breite Grundformation der Münchener wurden offener und ließen immer mal Lücken, zumal nun die Sechser simpler bespielt werden konnten. Das beste und deutlichste Beispiel für die Probleme des unpassenden Darmstädter Systems in diesem Abschnitt zeigte die Riesenchance von Arjen Robben frei vor Mathenia, als der Lauf des Niederländers nicht aufgenommen werden konnte und er nach der starken Weiterleitung des zurückfallenden Lewandowski durch die offene Schnittstelle brach. Diese Umstellung der Gäste war also nicht so gut.

Andere Mittelfeldstruktur die bessere Variante

Etwa in der daran und an das überraschende 0:1 anschließenden Phase kehrte Darmstadt zunächst zum ursprünglichen Spiel zurück, strukturierte dabei aber nun das Mittelfeld ein wenig um. Dieses tendierte eher zu einer flachen 1-2-Anordnung, indem sich Vrancic etwas achterartig – meist rechts neben Jungwirth, vereinzelt auch mal andersherum – einsortierte. Das schien das Verschieben etwas zu erleichtern und sorgte für mehr Konstanz in der Präsenz am Sechserraum. Tendenziell mischte sich dies mit einer etwas konventionelleren Spielweise auf einer der beiden Seiten, gerade links, wo dann der jeweilige Flügelspieler wieder höher agierte und der Außenverteidiger breiter herausrückte.

Insgesamt sorgte dies für einzelne interessante Zwischenstaffelungen. Diese stellten sich bisweilen recht unsauber und improvisiert dar, waren im Zweifelsfall wieder stärker von mannorientierten Elementen durchzogen, wirkten vor dem taktikpsychologischen Hintergrund des Tores über eine kurze Phase jedoch sehr unangenehm für die Münchener. Sie agierten etwas zu hektisch, versäumten es teilweise, erst weit genug über die äußeren Halbräume aufzurücken, bevor sie ihre Pässe in den Zwischenlinienraum spielten. Zumal dieser nach der Darmstädter Mittelfeldumstellung etwas kompakter war, verfingen sich die kombinativen Bemühungen dort vermehrt. In der Phase ab der 30. Minute schien Darmstadt den Gastgeber frustrieren zu können.

Darmstadts Konter früher oder später abgefangen

Dass die Darmstädter zu diesem Zeitpunkt in Führung lagen, war natürlich schmeichelhaft und hatte sich nicht wirklich angebahnt. Den Treffer selbst erarbeiteten sie sich mit simplen Mitteln zwar engagiert und aufmerksam, doch darüber hinaus fehlte fast jegliche Gefahr nach vorne. Erwartungsgemäß riskierten die Lilien wenig, schoben oft nur ihre vordersten vier Spieler überhaupt in strafraumnahe Zonen, fokussierten sich auf die Defensivarbeit und wählten strategisch-rhythmisch den konstanten Rückzug in die tiefe Ordnung. Mit einer solch zurückgezogenen Spielweise gestalteten sich Konter gegen die gute Absicherungsmethodik der bayerischen 2-3-5-Systematik als sehr schwierig.

Vereinzelt konnten sie im Halbraum beispielsweise nach dem Herausrücken eines Sechsers kurzzeitig mal günstige lokale Voraussetzungen erzeugen und daraus einzelne Ansätze heraufbeschwören. Eventuell gelang es sogar, durch Vrancic´ Ballsicherheit und Ausweichen sowie ordentliche Folgebewegungen der umliegenden Spieler über mehrere, teils gefällige Stationen in Strafraumnähe zu kommen. Dort wurden sie jedoch stets noch abgefangen, zumal die Mehrheit der Umschaltmomente ohnehin früh im soliden Münchener Gegenpressing versiegte. Gerade die hinter der angriffslustigen Offensive für viel Raum verantwortliche „Screening“-Rolle des umtriebigen, kampfstarken Vidal schien einige Male passend.

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Bayern defensiv, Darmstadt offensiv – bei Abstößen

Unorthodox enges Defensiv-4-3-2-1 und ein überraschendes Tor

Für die seltenen Aufbau- bzw. eher Abstoßsituationen setzte der Aufsteiger dann auf sein bekanntes Konzept der langen Bälle, das sich erneut entscheidend um Zielspieler Wagner und Abpraller drehte. Insgesamt kam die Münchener Personallage mit diesem Stilmittel einigermaßen unbeschadet zurecht, einige Male unterstützte Vidal zurückfallend. Auffällig war die genaue Organisation der Bayern in diesen Spielmomenten, die sich – gerade im ersten Teil des ersten Durchgangs – nur selten wie ein wirkliches 4-1-4-1 darstellte. Stattdessen rückte einer der beiden Flügelspieler, häufig aber beide, gegen diese langen Bälle eng nach hinten ein, um in kurzer Distanz zum Sechserraum Vidal zu unterstützen.

Teilweise pressten sie auch von außen herein, zeigten sich insgesamt engagiert und diszipliniert. Demgegenüber gab es für Robben und Müller immer mal vereinzelte Freiheiten oder höhere Positionierungen im Umkreis der gegnerischen Sechser. Insgesamt erfüllte diese eng 4-3-2-1-artige Struktur ihren Zweck, allerdings erschien es schon etwas seltsam, weshalb die Flügel gegen die im Angriffsdrittel eher über außen kommenden Gäste prinzipiell doch leicht vernachlässigt werden. In Folgeszenen nach langen Bällen, also quasi in anschließenden zweiten Wellen, wurde dies ein oder zwei Mal problematisch – unter anderem beim Tor.

In der Entstehung sicherten sich die Darmstädter den zweiten Ball, verlagerten nach links – ohnehin bespielten sie diesen Bereich vermehrt – und hatten dort etwas Raum zum Aufrücken und für die Flanke. Hier schob auch mal Holland von der Sechserposition leicht unterstützend nach außen mit, was einen der wenigen Mechanismen im Darmstädter Offensivspiel darstellte. Die erste Flanke wurde verpasst, aber ballfern gelangte der Ball gegen die nicht ganz so präsenten Hausherren zu Sirigu, der das Leder noch einmal hereinbrachte und den Mittelstürmer am Fünfereck fand. In der Entstehung des Treffers waren also kleine strukturelle und numerische Inkonsequenzen der Münchener eingeflossen.

Zweite Halbzeit

Im Grunde genommen ist die Geschichte des zweiten Durchgangs schnell erzielt: Die Bayern drängten auf Tore, hatten weiterhin zahlreiche Abschlüsse und setzten sich gegen den zwar weiterhin ähnlich verteidigenden, jedoch etwas unkompakter und in seiner Ausrichtung normaler werdenden Gegner letztlich durch. Insgesamt schien der Gastgeber dabei punktuell noch kombinativer als vor dem Seitenwechsel, fokussierte sich zudem nun teilweise sehr klar gerade auf den linken Halbraum. Das zeigte sich nach der Einwechslung Ribérys noch einmal deutlicher und präsenter, war aber schon zuvor die betonte Route.

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In der zweiten Halbzeit wurden Bayerns Linksüberladungen immer stärker, Darmstadt hatte Probleme, die diagonalen Vorbereitungskanäle neben Jungwirth und Vrancic zu schließen. Hier die verschiedenen Bewegungsmuster der Bayernangriffe in der Darstellung.

So attackierte Robben immer wieder die Schnittstellen, Müller schob mit herüber und Lewandowski positionierte sich klug für schnelle Ablagen und Weiterleitungen auf diagonal durchbrechende Zwischenläufe. Auch Alaba rückte mit nach, später ebenso Bernat. Das normaler im 2-1 strukturierte und inkonsequenter werdende Darmstädter Mittelfeld konnte gegen diese Übermacht kaum Zugriff entwickeln. Immer wieder fanden die Münchener Pässe diagonal in die Zwischenräume Abnehmer, Platz und Überzahl. Gerade Robbens Timing und Sauberkeit in den Läufen beeindruckte, so dass er auch die besten Durchbrüche hatte.

Gelegentlich schienen etwas zu sehr die – individuell noch nicht ganz so effektiven – Dribblings von Ribéry fokussiert zu werden, doch die oft sehr ruhigen Pässe des Franzosen in den Überladungen brachten neuen Schwung und einige Überraschungsmomente, die die Bewegungen von Robben wie auch Müller ein weiteres Stück effektiver machten. Der Nationalspieler war es dann letztlich auch, der mit seinem spektakulären Doppelpack die beiden entscheidenden Strafraummomente hatte, nachdem viele andere Chancen liegen gelassen worden waren. Dass letztlich keiner der Treffer direkt aus einem Halbraumangriff auf links resultierte, war ein minimaler Wehrmutstropfen.

Fazit

36 Abschlüsse der Münchener Bayern sprechen natürlich eine klare Sprache über diesen verdienten Heimerfolg. Den für ihren Stil nicht immer beliebten und diesmal sehr stark auf die tiefe Verteidigung orientierten Darmstädter ist aber ein Kompliment zu machen. Sie spielten fast mit Sechserkette, aber es war vom Grundplan nicht plump, was sie machten: Da rückten nicht einfach bloß die offensiven Flügel mannorientiert nach hinten und der Rest improvisierte entsprechend irgendwie, sondern das Herausrücken der Sechser und die aus den tiefen Flügeln folgenden Rollen der Außenverteidiger – nicht in der letzten Linie herum stehend, sondern besonders für ausweichende Bewegungen der Achter verantwortlich – waren klar festgelegt.

Insgesamt hatte der Gast aus Hessen auch seine unharmonischen Momente in der Defensive und war oft noch sehr auf bestimmte Zuteilungsmuster eingestellt, aber die Darmstädter hatten sich vor der Partie ihre Gedanken gemacht und dem System der Bayern doch einen entsprechenden Prüfstein entgegengestellt. Es war insgesamt ein guter, teils sehr kompakter Auftritt des Aufsteigers beim Meister, auch wenn die Begegnung in der zweiten Halbzeit dann zwangsläufig darauf hinauslaufen musste, dass der überraschende Pausenstand noch gedreht werden würde. Die Münchener zeigten viele gefährliche Momente und gute Ansätze in der Offensive, so dass man sich vor dem schon viel besprochenen CL-Match bei Juventus in einer guten Ausgangsposition sehen kann.

Bernhard 22. Februar 2016 um 09:26

Kannst du, TR, mir erklären, wieso Vidal als alleiniger 6er besser zu spielen scheint, als ein attackierender Box to Box 8er?
Außerdem bin ich für das Match gegen Juventus ein wenig skeptisch, da die Auswärts-Bayern seit letzter Saison unter Pep immer für eine (negative) Überraschung gut sind.

Antworten

TR 22. Februar 2016 um 12:57

Meinst du, warum er konkret als alleiniger Sechser besser passt als er selbst in einer Achterrolle?

Wenn die Frage so gemeint war, würde ich sagen: kann sich raumsichernd und abräumend einbringen, muss durch die Außenverteidiger-Rollen nicht immer ganz so viel aufbauen, kann zwischendurch aber trotzdem auch als alleiniger Sechser verhältnismäßig gut abgesichert zwischendurch nachstoßen und im Rückraum mit attackieren. In seinen Spielen als Achter war natürlich auch die Einbindung nicht immer so gut für seine gelegentlich fahrige, etwas unsaubere Art, spielte zu oft diesen zurückfallend und dann mit aufbauenden Part, gerade in der Kombination mit Xabi Alonso kein ideales Duo dann.

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Bernhard 22. Februar 2016 um 13:41

Ja, genauso meinte ich es.
Bei Mittelfeldduo Alonso Vidal musste ich ein wenig an das Spielmacher-Paradoxon der spanischen Nationalelf denken.

Antworten

HK 22. Februar 2016 um 14:00

Bei dem Duo Vidal/Alonso muss ich immer öfter an das Ex-Duo Schweinsteiger/Alonso denken.

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Peter Vincent 22. Februar 2016 um 13:57

Ich denke auch, dass Vidal absichernd am besten aufgehoben ist.

Daraus ergibt sich die 6er-Rolle oder eine weiträumige 8er-Rolle im 2-3-5.
Gg. Juve erwarte ich ihn wieder in zweiterer Rolle und Alonso als DLP.
Die kompakte Dreier-MF-Kette ist mE wichtig gg. Juve, um bei Kontern die Halbräume nicht herzuschenken.

———Coman——-Lewy——–Robben———
Bernat——————————————–Lahm
———Thiago——Alonso———-Vidal———-
————-Alaba————–Kimmich————
————————Neuer————————–

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Koom 22. Februar 2016 um 13:48

Vielleicht mag Vidal auch nicht so sehr „Kompetenzen“ oder Zuständigkeiten abzugeben? Vidal ist ja ein ausserordentlich weiträumiger Spieler, vielleicht will er da lieber allein einen Raum beherrschen und abdecken, anstatt sich auf andere zu verlassen (oder dann sich ins Gehege kommen).

Grundsätzlich vermute ich aber mal, dass zumindest in der Spielweise Vidals der Grund liegt. Damit er (subjektiv) besser spielt, braucht er Raum. Er ist schnell, agressiv, aktiv. Die meisten modernen Sechser spielen eher antizipierend und mit Ruhe, sind mehr kombinatives Bindeglied, während Vidal sich weniger über Paß- und Stellungsspiel ausdrückt, als mehr durch Körperlichkeit, Sprints, Dribblings, Zweikämpfe.

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cj 21. Februar 2016 um 15:59

Bin zwar kein Autor, nehme mir aber die Freiheit trotzdem kurz zu antworten. Nimmt man die Quoten der Wettanbieter als Basis, ist der Ausgang des Hinspiels ziemlich offen an. Fürs Weiterkommen ist Bayern aber klarer Favorit (bei Betwin zum Beispiel 72%Bayern, 28% Juventus).

Taktisch gesehen sehe ich Bayern ebenfalls im Vorteil. Durch die Ausfälle der Innenverteidiger wird man veilleicht sogar ein bisschen zu seinem Glück gezwungen. Man wird versuchen so dominant wie möglich zu spielen, um das Spielgeschehen weg vom eigenen Tor zu halten. Auf der anderen Seite könnte Juve versucht sein, den eigenen Spielstil zu sehr anzupassen (zum Beispiel lange Bälle auf Mandzukic), was in meinen Augen oft aber kontraproduktiv ist. Standards sind natürlich eine Gefahr für Bayern, aber erstens sollte man den Grössenvorteil nicht überbewerten (ist ja nicht so, dass ‚kleine‘ Mannschaften ein Kopfballtor nach dem anderen kassieren) und zweitens wird Juve im Idealfall kaum welche haben. Letzlich wird die entscheidenende Frage sein, ob Kimmich, Alonso, Lahm und Thiago den Ball sicher in die für Juve gefährlichen Zonen im Halbraum und auf den Flügeln bekommen. Hauptgefahr für Bayern sehe ich darin, dass sie nach einem Gegentor das wackeln anfangen.

Antworten

Dr. Acula 21. Februar 2016 um 01:14

überaus detaillierte und gut verständliche analyse. habe das spiel gesehen und muss sagen die analyse trifft es wirklich gut. verfolge die italienische liga überhaupt nicht. räumt ihr autoren juve wirklich chancen ein?

Antworten

TR 22. Februar 2016 um 12:44

Ja, finde Juve schon prinzipiell unangenehm, sehe trotzdem Bayern zunächst einmal im Vorteil. Dieses Wochenende hat den Eindruck auch so bestätigt. Genaueres dann hoffentlich ab morgen vormittag in unserer Vorschau.

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