Vorschau: Juventus – Real Madrid

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Das Match zwischen Juventus und Real Madrid steht etwas im Schatten des anderen Halbfinals. Auch hier ist aber ein ausgeglichenes und interessantes Duell zu erwarten. Sowohl die nach langer Zeit wieder auf die große Bühne zurückgekehrte „Alte Dame“ als auch der spanische Titelverteidiger haben das Potential, für den jeweils anderen sehr unangenehm zu werden.

Ein großes Duell bleibt diesem Halbfinale aus Verletzungsgründen versagt – Pirlo und Pogba gegen Modric und Kroos wird aufgrund des Fehlens des Franzosen und des Kroaten nicht zustande kommen. So müssen beide Mannschaften kleinere Umstellungen vornehmen.

Ohne Mittelfeldschlüssel, aber mit formativen Fragen

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Mögliche Grundanordnungen, wenn Juve im 3-5-2

Bei den Madrilenen waren zudem noch einige weitere Schlüsselspieler bis zuletzt angeschlagen, sollten jedoch für die Begegnung zur Verfügung stehen. Gerade die Frage nach der genauen Offensivanordnung ist nach der vermutlichen Rückkehr von Gareth Bale offen: Mit Isco und James Rodríguez gab es zuletzt, auch beim erfolgreichen Viertelfinale im Stadtduell, ein ansehnliches und variables 4-4-2 mit potentiell viel spielstarker Präsenz in den Halbräumen. Zwar könnte es bei Ancelottis Team auch in einer solchen personellen Besetzung auf ein dann etwas vielseitigeres 4-3-3 hinauslaufen, indem einer der beiden wechselnd nach vorne zum frei hinter dem Mittelstürmer agierenden Cristiano Ronaldo aufrückt. Doch wahrscheinlicher ist hierbei eine 4-4-2-hafte Variante, gegenüber der die 4-3-3/4-4-2-Mischformation stärker von Bales Aufstellung abhängt. Der Waliser würde die rechte Offensivposition bei Ballbesitz direkter, höher und durchbruchsorientierter auslegen, aber in der Defensivarbeit wohl in typischer Manier zurückfallen, das asymmetrische Mittelfeld zu einer zweiten Viererkette ergänzen und Cristiano Ronaldo gewisse Freiheiten erlauben. Eventuell könnte es gar ein 4-4-2 mit allen vier Spielern geben – gegen Sevila am Wochenende agierte phasenweise Bale als vorderster Angreifer. Auch nach dem äußerst schwerwiegenden Ausfall von Modric dürfte Real trotz Pirlo und der starken Zentrumspräsenz ihres Gegners die etwas dominantere Mannschaft sein.

Bei Juventus stellt sich zunächst einmal die Frage, welche Formation Massimiliano Allegri wählen wird. Aufgrund der Verletzung von Pogba könnte das zuletzt häufiger genutzte 3-5-2 gegenüber dem eigentlich bevorzugten 4-3-1-2 wahrscheinlicher scheinen, doch sollte dies nicht der alleinige Entscheidungsfaktor sein. Mit einer Dreierkette machte in dieser Rückrunde Valencia gute Erfahrungen gegen die Madrilenen. Beide Formationen ähneln sich in vielen Aspekten und verändern zwar die genaue Schwerpunktsetzung – beispielsweise defensive Stabilität und mehr Linearität vs. umfassendere Kontrolle und mehr Anpassungsfähigkeit – leicht, doch bleibt das Grundprinzip des Turiner Spiels jeweils bestehen. Gerade in der Raute zeigt sich die starke Fixierung auf die Mitte, die besonders vom entscheidungsdominanten und weiträumigen Taktgeber Pirlo ausgeht. Ohne Pogba dürften der sich vielseitig anpassende Allrounder Marchisio und der ebenfalls sehr flexible, dynamische Vidal mit seinen starken Läufen die Achter-Positionen bekleiden. Im Gegensatz zum oft zurückfallenden Chilenen würde der junge Dribbler Roberto Pereyra die Zehnerposition etwas klassischer und höher auslegen. Mit dem wühlenden, kreativen und individuell sehr gefährlichen Tévez sowie dem ausweichenden und situativ ablegenden Morata gibt es vorne ein starkes Sturmduo. Dabei agiert der ehemalige Madrilene häufig reagierend und zuarbeitend für den offensiven Fokusspieler Tévez. Während es im Angriff viele personelle Alternativen gibt, sieht es im Mittelfeld dünner aus – der junge Sturaro oder der etwas unsichere Allrounder Padoin wären noch Kandidaten.

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Mögliche Grundordnungen, wenn Juve in der Raute und Real mit einem ungewohnt besetzten 4-4-2. Es wären auch Marchisio links und Vidal rechts möglich.

Madrider Anlocken gegen die Raute?

Gerade gegen das 3-5-2 könnten die Madrilenen die erste gegnerische Linie wohl umspielen und zu einer sicheren Ballzirkulation in der Mittelfeldreihe kommen. Insbesondere die oft etwas nach rechts in den Halbraum kippende Einbindung des jeweiligen Kroos-Partners – wohl Ramos oder Illarramendi – spielte dabei zuletzt eine wichtige Rolle. Von diesem Akteur geht insgesamt aber nicht so viel Kreativität aus. Deswegen wäre in erster Instanz eine lose Mannorientierung eines Stürmers auf Kroos – vor allem bei passiver Ausrichtung – für Juventus eine Überlegung, die dessen Kollegen freilassen und Real Probleme machen könnte. Allerdings kommt es bei der gesamten Thematik auch auf die genaue Anordnung im Pressing der Italiener an – agieren die Stürmer enger zusammen und wie weit schieben sie jeweils zur Seite mit oder bewegen sie sich, falls das 3-5-2 den Vorzug erhält, versetzter in einer Art 5-3-1-1/3-5-1-1-Ordnung, die den Gegner noch stärker nach außen lenkt? Letzteres muss balanciert sein, wenn der Gegner über Marcelo oder James gegen passive Engen dribbeln kann.

Andernfalls ist die Frage, wie Real mit der Raute umgehen würde: Versuchen sie vor allem die tiefen Halbräume für sich zu gewinnen und diese Bereiche als Ankerpunkt nach vorne zu nutzen oder wollen sie über die Flügelzonen direkt höher ins letzte Drittel aufrücken? Letzteres wäre für Juve nicht unbedingt angenehm, da es ihnen Kontrolle nähme. Die Madrilenen könnten versuchen, aus der Zirkulation sehr plötzliche Tempowechsel vorzunehmen und dann direkte Überladungen in den seitlichen Halbräumen einleiten – zuletzt hatten sie hier beispielsweise gegen Celta einige gute Momente und zogen die Versuche dann sehr schnell in die Spitze durch, um anschließend diagonal hinter die Abwehr oder weiträumig in den Rückraum zu kommen. In jedem Fall müssen die Italiener im Verschieben aufpassen, nicht kurzzeitig die Halbräume zu öffnen, was Real beispielsweise mit schnellen diagonalen Dribblings vom Flügel, auch durch die Außenverteidiger, attackieren, vereinzelt dort zentrale Räume aufschieben und dann Dynamik aufnehmen könnte.

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Versucht Real mit tiefen Halbraumüberladungen, die Positionierungen des Zehners und/oder ballnahen Halbspielers lockend zu beeinflussen, um dadurch Passwege in die Spitze zu öffnen?

Vor diesem Hintergrund wäre es für Ancelottis Team gerade bei einer 4-3-3-haften Aufstellung interessant, sich im Aufbau auf den linken Halbraum zu fokussieren, indem Isco bzw. James tiefer agiert oder gar herauskippt und auch Kroos sich dort herüber bewegt. Damit hätte man zunächst einmal Kontrolle gegen die beiden Stürmer und könnte dann aus dem tiefen Halbraum wahlweise über den Achter oder den Außenverteidiger diagonale Eröffnungen versuchen. Die zusätzliche, pärchenhafte Einbindung von Kroos hätte dabei eine anlockend-raumöffnende Funktion. Einer der beiden sollte kurzzeitig ein leichtes Herausrücken aus dem Juve-Mittelfeld provozieren, um dadurch dem Kollegen vielleicht Pass- oder Dribblingwege in die Spitze oder zur Verbindung in gefährliche ballferne Lücken öffnen zu können. Besonders interessant wären die Folgewirkungen einer solchen Maßnahme, wenn Juventus auf der anderen Seite geplant haben sollte, immer wieder auch in hohe Angriffspressing-Phasen überzugehen.

Dieses Mittel wird bei ihnen besonders über die eigene halbrechte Seite getragen. In einem solchen Fall könnte sich ein spektakuläres und hochklassiges Duell um diesen Halbraum ergeben. Neben der Variante, durch den zentral (Vidal) oder auch halblinks (Pereyra) vorrückenden Zehner in ein 4-3-3 umzuformen, nutzt Allegris Team häufig auch die Möglichkeit, den Gegner durch eine versetzte Anordnung der Stürmer nach außen zu leiten und dann dort über eine frühzeitig hochgeschobene Position des Halbspielers in eine Art 4-2-1-3 überzugehen. Diese Formation bietet gute Staffelungen für aggressives Pressing und kann von den Turinern durch diese herausrückenden Bewegungen sehr dynamisch hergestellt werden. Im Normalfall könnte sich dieses Mittel zu einer wirksamen und überraschenden Waffe entwickeln, die Real nicht ins Spiel kommen lässt, doch sollten diese sich gerade auf ihre linke Seite fokussieren, würde das natürlich schon anders aussehen – mit einem schwer vorauszusehenden Ausgang in diesem lokalen Duell.

vorschau juve real madrid cl 2015 3-5-2

Mögliche Verteidigungssituation des 3-5-2 verschoben zum Flügel

Stärken und Schwächen des 3-5-2

Ansonsten wäre in Bezug auf die defensive Grundstellung die Frage, ob Juventus über herausrückende Bewegungen des ballnahen Achters und Nachrücken des Flügels immer mal versuchen wird, Druck zu machen, und wie gut ihnen dies gelingt, oder ob sie sich abwartender zurückziehen und auf ihre starke Strafraumverteidigung verlassen. Diese wäre in der 3-5-2-Variante mit den drei Innenverteidigern sicherlich das größte Plus des Teams und potentiell eine wichtige Waffe gegen die Madrilenen. Zum einen nützt solche Präsenz gegen die kraftvoll ins Sturmzentrum ziehenden Läufe von Cristiano Ronaldo, den man damit möglicherweise auch generell aus der eigenen Formation herausdrängen könnte, ebenso wie gegen das Ausweichen von Chicharito oder – falls schon wirklich fit – Benzema, das somit nicht so große Löcher reißt.

Zum anderen ergeben sich viele Möglichkeiten für herausrückende Bewegungen, was – im Verbund mit dem verschiebenden Mittelfeld davor – gegen vom Flügel oder aus dem Halbraum startende Dribblings mit anschließenden Schnittstellenpässen, so von Isco oder James, eventuell auch von Bale, sehr wertvoll sein dürfte. Schließlich ist eine präsente letzte Linie – vor allem wenn man Bonucci und Chiellini dort aufbieten kann – auch gegen Flügelangriffe sowie Verlagerungen und lange Bälle sinnvoll und stabil – ein Mittel, das den Königlichen nicht fernliegt. Die Mannschaft von Ancelotti macht in der Offensive insgesamt einen etwas schwankenden Eindruck zwischen sehr starken Auftritten und schwächeren Phasen, wo sie teilweise kaum Zentrumspräsenz entwickeln und dort große Löcher aufweisen. Von daher wäre das 3-5-2 der Turiner mit seinem Fokus auf die Mitte vielleicht schon zu viel des Guten – nicht, dass man sich in von Real ignorierten und leer gelassenen Bereichen kompakt bewegt, mit einfacher Flügelbesetzung aber die Durchbrüche an den Seiten nicht vernünftig verhindern kann.

Zwar ist die Flügelverteidigung in dieser Formation sehr gut abgestimmt und in der Tiefe stabil, aber trotzdem könnten Marcelo, Carvajal oder James Unheil anrichten. Es ginge darum, ob sich die dribbelstarken Einzelkönner der Madrilenen am Flügel durchsetzen bzw. wie stabil Juventus das Zuschieben und eventuell die seitliche Isolation gestalten könnte – Schalkes 5-3-2 zeigte gegen den Titelverteidiger gute Ansätze, dessen Bemühungen am Flügel festzuhalten und die Wege zur Mitte zu versperren. Entscheidend wären in jedem Fall potentielle Asymmetrien zwischen den Achtern, ausreichendes Nachschieben der Stürmer und vielleicht manche Umformung zwischen Abwehr- und Mittelfeldlinie. So könnte beispielsweise Evra als linker Flügelverteidiger etwas höher bleiben, situativ frühzeitig auf den gegnerischen Rechtsverteidiger herausrücken und im Zusammenspiel mit dem etwas verschobenen Mittelfeld 4-4-2-hafte Tendenzen herstellen, während Chiellini eine Außenverteidigerposition übernähme. Nicht nur in diesem Fall würde den Halbverteidigern eine Schlüsselrolle zufallen, die im Nachschieben auf außen sehr aufmerksam sein müssten.

Jeweils potentielle Gegenmittel füreinander

Die Raute wäre in dieser Hinsicht vielleicht stabiler, wenngleich das für das Verteidigen von Flügelangriffen etwas seltsam klingt. Doch die flexible und häufig sehr flach interpretierte Art, in der Juve im 4-3-1-2 nach außen verschiebt, scheint gut gegen das Spiel der Spanier gewappnet zu sein. Man hat genügend Stabilität an der Seite,  kann die eigene Vielseitigkeit in formativen Umformungen einbringen, ist nicht zu anfällig für Seitenwechsel und lässt zentral nur unangenehm flache Löcher, während die Verbindungszonen potentiell verschachtelt zugestellt werden können. Gerade ihre enorme Anpassungsfähigkeit und Bewegungsvielfalt ist gut geeignet, um die im Angriffsrepertoire äußerst breit und umfassend aufgestellten Madrilenen, die auch sehr schnell und sauber zwischen verschiedenen Zonenbesetzungen und -foki wechseln können, zu stoppen. Andererseits könnte es für Real durchaus Chancen durch kleinere Unsauberkeiten innerhalb der funktionierenden Turiner Grundorientierung geben, da die dortige Stabilität sie bisweilen etwas nachlässig im anpassenden Detail der Positionierungen macht.

Zwischendurch gehen dadurch mal kurzzeitig kleinere Räume auf, die aber sehr spontan bei wechselhaften Umgebungen durchgespielt werden müssen. Mittelstarke, in der Grundabstimmung solide, aber ansonsten nicht wirklich spezielle Teams haben oft Probleme, solche Ansätze erfolgsstabil gegen sämtliche Absicherungs- und Rückzugsmechanismen von Juve durchzutragen. Doch eine so vielseitig wuchtige, individuell auch herausragende Truppe wie Real ist eigentlich genau dafür prädestiniert, mit variabel eingeleiteten, auch mal instabil riskanten Angriffen zwischendurch überraschend für Durchbrüche zu sorgen. In dieser Hinsicht könnten sie Juventus also sehr unangenehm werden und trotz weniger Torchancen gelegentlich für einzelne plötzliche, großartige Momente sorgen, die aus dem Nichts massive Gefahr erzeugen. Das ist insgesamt eine sehr ausgeglichene Situation, in der nur schwer klar ist, ob gerade die ungewöhnlich angelegte, explosive Real-Offensive vereinzelt geeignet ist, Juves Anpassungsfähigkeit zu überlisten, oder ob andersherum genau diese Flexibilität der Schlüssel wird, um die breite Palette an Madrider Angriffsmöglichkeiten unter Kontrolle zu bringen.

Eine Gefahr bei alledem liegt für die Italiener stets darin, dass die schon gegen Atlético enorm geduldige Ancelotti-Truppe sich auf das Ausspielen der Kontrolle verlegt, Juventus nach hinten drückt, das Leder laufen lässt und dem Gegner zunehmend den Zugriff raubt – auch wenn Allegris Team im Tiefstehen psychologisch stabil und stressresistent ist, wäre das doch recht unangenehm. Im Anschluss daran dürfte es unabhängig von der genauen Formation für Juventus jeweils schwierig werden, in vernünftige Konterpositionen zu gelangen. Zwar haben sie zwei bewegliche, ausweichende und auch in individuellen Belangen sehr effektive – Stichwort: wühlender Tévez – Angreifer auf dem Platz, treffen aber auf eine Elf, die auch bei schwankendem Gegenpressing hinten gut abgesichert steht. Dies funktioniert vor allem über die tiefen Positionierungen im defensiven Mittelfeld, wo häufig zwei Akteure hinter dem Ball bleiben, das situative Halbraum-Einrücken eines Außenverteidigers und die individuelle Klasse der zentralen Defensivakteure.

Die Thematik der Diagonalverbindungen

Es wird für die Italiener also sehr schwierig, aus dem Umschaltmoment zu Chancen zu kommen, zumal die tiefe Ausrichtung des eigenen Mittelfelds die Verbindungen zu den Angreifern schon mal abreißen lässt. In dieser Disziplin müssten sie vieles aufbieten und von starken Anpassungen Allegris leben, so dass insgesamt der Weg aus dem Aufbau vielversprechender erscheint. Meistens nehmen die Madrilenen für die Arbeit gegen den Ball eine 4-4-2-hafte Defensivformation ein. Dagegen sollte Juventus mit der Einbindung Pirlos und – je nach Formation – den halbräumig hinter die Außenverteidiger zurückfallenden Achtern oder der tiefen Präsenz durch die Dreierkette genügend Kontrolle erzeugen und wirkungsvoll zirkulieren können, zumal die beiden vorderen Akteure bei den Spaniern manchmal etwas isoliert und unbeteiligt agieren. Es geht also vor allem darum, wie gut Juventus ihre stabile und weiträumige Zirkulation nutzen und das Mittelfeldband der Madrilenen knacken kann.

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Bei solchen diagonalen Angriffsverlaufen müsste Juventus genügend Unterstützung und Optionen in die umliegenden Bereiche bringen, um dann von Morata weiterspielen zu können und nicht direkt von Reals Nachschieben am Flügel isoliert zu werden

Diese dürften sich vermutlich wieder auf Passwegsversperrung und kleine Lokalkompaktheiten um den Ball konzentrieren. Versucht Juve dagegen über die Flügel aufzurücken, wollen sie nach Verlagerungen im ballfernen Halbraum Löcher öffnen oder sind Zuspiele auf Tévez in den Zwischenlinienraum das erste Mittel? Vermutlich werden die Madrilenen die Flügel etwas offener lassen und sich auf den zentralen Block konzentrieren. Mit der einleitenden Nutzung der Flügelzonen hatten die Turiner in dieser Saison schon einige Male Probleme. Sie benötigen nun eine druckvoll und balanciert genug ablaufende Zirkulation – und wenn sie durch die Mittelfeldlinie nicht hindurch kommen, müssen sie über außen ins Zentrum einzudringen versuchen. Zuletzt gab es in dieser Hinsicht auch einige Steigerungen im Bewegungsspiel der seitlichen Akteure, für die sich die Stürmer aktiver ausweichend in die äußeren Halbräume fallen ließen, um dort kurze Weiterleitungen zu erhalten.

Dabei unterstützten manchmal auch die breiten Achter, die ansonsten in aufbauender Rolle aus den Halbräumen vor der gegnerischen Mittelfeldkette gefragt sein werden und dort genügend Präsenz entwickeln müssen. Interessant wird daneben der genaue Fokus der längeren Bälle von Pirlo und den Innenverteidigern. Direkte Zuspiele in den Raum hinter der Abwehr dürften gegen die Viererkette der Königlichen nur schwankende Effektivität erzeugen, weshalb Zuspiele in seitliche Ausweichbereiche mehr Sinn machen. Auch hier braucht man aber konsequente Nachrückbewegungen, beispielsweise von Vidal, um den Stürmern schnell Unterstützung gegen Varane und Co. zu liefern. Die entstehenden Dynamiken im Folgenden wären durchaus ähnlich zu jenen, die bei Einleitungen über außen auftreten, so dass die diagonalen Anschluss-Verbindungen zwischen Stürmern und Mittelfeld für Juve zum zentralen Offensivaspekt werden könnten.

Die Gegenpressing-Alternative?

In diesem Zusammenhang wäre zu überlegen, ob die Turiner vielleicht auf einen Gegenpressing-Fokus setzen, der sich zentral über ihre natürliche Mittelfeldpräsenz und seitlich in Form des Spiels auf zweite Bälle mit ausweichenden Stürmern und Achtern realisiert. Die erste Variante dürfte gegen Kroos, Isco und Co. wohl nur punktuell durchzudrücken sein. Im letzteren Fall könnte man die Madrilenen – nach einer sauberen Vorbereitung der Szenen über Pirlo und seine Helfer – am Flügel aber überraschen und dynamisch im seitlichen Halbraum durchbrechen. Dazu wären noch kleinere ergänzende Maßnahmen möglich, wie verschiedene Rollen der Außenspieler, die unterstützend oder bei gegnerischen Mannorientierungen vielleicht raumöffnend auftreten könnten. Riskanter als beim Fokus auf zentrales Gegenpressing in der Raute wäre aber die Tatsache, dass man mannschaftlich etwas aggressiver diagonal nach außen nachschieben müsste, was nicht unbedingt zum trägen, eher tiefstehenden Aufbaurhythmus der hinteren Mannschaftsteile passt.

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Spielt Juventus möglicherweise (auch) auf zweite Bälle (so wie hier beispielsweise nach rechts vorne)? Sollte es dazu kommen, müssten sie hinter dem Ballungsraum auch die zweite Nachsicherungszone (grün) im Auge behalten

Sollte es hier zu Inkonsequenz kommen, würden die absichernden Verbindungen abreißen, der Gegenpressing-Fokus gerade das Gegenpressing schwächen und die eigentlich große Turiner Stärke der starken Absicherung verloren gehen. Dann würden Reals Konter eine große Rolle spielen, gegen die Juve ansonsten trotz kleinerer jüngerer Schwächen gut gerüstet sein sollte. An dieser Stelle sähe es – sollte es zu einer solchen Methode kommen – nach einem Dilemma aus: Gerade wenn man die längeren Bälle nach außen aus etwas statischen, trägen und kontrollierten Ausgangslagen, die Juventus gut herstellen kann, spielt, sind sie für die Madrilenen theoretisch sehr unangenehm, weil sie ihre horizontale Sauberkeit in der Mittelfeldlinie und die Umfassendheit der mannschaftlichen Bewegungsdynamik nicht so gut einbringen können, während gleichzeitig die manchmal zu großen Vertikalabstände aufgedeckt werden.

Damit kann man festhalten: Eigentlich ist ein solches Mittel für den Gegner also gefährlich und eigentlich hat Juventus nicht zuletzt mit Pirlo sehr gute Grundlagen dafür, zumal es insbesondere dann sehr verlockend wäre, die Strategie der zweiten Bälle einzusetzen, wenn man ansonsten durch das gegnerische Zentrum nicht vernünftig durchkommt und offensiv vielleicht etwas frustriert wird – doch in der Ausführung liegt darin, bei kleineren Problemen in der Umsetzung, auch ein großes Stabilitätsrisiko. Wenn man bei langen Bällen gezielt mit dem Mittelfeld weiter nach außen verschiebt statt etwas passiver aufsammelnd zu stehen, muss eben auch der hintere Teil des Teams weiter anschließen – was ihm nicht so liegt, doch wenn dies nicht passend geschieht, gibt es für Real Zwischenlücken im Umschalten, die in Verbindung mit deren Gegenpressingresistenz bestraft werden können. Haben die Madrilenen die erste Sicherungslinie der Italiener erst einmal geknackt, können sie mit den zuletzt sehr breit angelegten Positionierungen und Läufen von Cristiano Ronaldo und dem Mittelstürmer enorm gefährlich sein.

Juventus und die Durchschlagskraft

Daneben stellt sich im Offensivspiel der Turiner die Frage, wie sie zu Durchbrüchen kommen wollen, nachdem sie die Mittelfeldlinie mal geknackt haben: Schnelles Fertigspielen mit Tempo ist gegen die spanische Viererkette nicht so einfach. Sofortige Dynamikaktionen wären wohl nur durch Rochaden der Achter oder des Zehners in die Abwehr-Schnittstellen und schnelle Rücklagen an die Strafraumkante gefährlich – ein vertikales Zulaufen auf die letzte Reihe aber kaum. In vielen Fällen braucht Juve also das richtige Timing und stabile Rückwärtsverbindungen nicht nur zur Absicherung, sondern auch zum Halten des Ballbesitzes gegen die Rückzugsbewegung der Madrilenen. Im besten Fall würden Allegris Mannen den Gegner etwas nach hinten drücken und dann ruhig aus den Halbräumen die entscheidenden Szenen forcieren.

Dabei sind einleitende spielmachende Szenen oder Dribblings des ballschleppenden und dann antreibenden Tévez, kurze Chips des nachrückenden Pirlo – Schalke bespielte mit Pässen von Neustädter oder Höger kleinere Mannorientierungen im Strafraum Reals sehr geschickt – oder Grundliniendurchbrüche  zu erwarten. Wie viel Effektivität das alles hervorruft, ist sehr schwer zu sagen, da trotz kleinerer Veränderungen die Durchbruchsstrukturen weiterhin sehr stark auf die Individualität der verschiedenen Einzelspieler ausgerichtet und daher weder stabil noch konstant sind. Unüberwindbar scheint der Titelverteidiger aber keinesfalls: Celta Vigo zeigte zuletzt, wie man sie – nachdem man sie zum Strafraum zurückgedrängt hat – mit mutigen, gruppentaktischen, vom Flügel ausgehenden Kombinationen in kleinere Zwischenräume hinein oder situativ mit individuellen Dribblings knacken kann – nicht unähnlich den Ansätzen, die Juve beispielsweise gegen Monaco demonstrierte.

Weitere Fragen

Für die Gäste wäre es bei gegnerischer Dreierkette vielleicht eine gute Wahl, eher im 4-3-3 zu agieren und auch mal in höhere Pressingphasen zu wechseln. In Anlehnung an den Erfolg der Münchener Bayern im Viertelfinale vor zwei Jahren könnten sie Juventus´ zentrale Defensivakteure mit einer hohen und engen Sturmreihe attackieren und Pirlo mannorientiert verfolgen – eventuelle Löcher sollten die individuell starken Abwehrleute zulaufen, wenngleich man sich zu starke Inkonsequenz natürlich nicht erlauben kann. Unter Allegri sind die Turiner auf eine solche Vorgehensweise aber wohl besser vorbereitet als noch unter Conte, da sie nun die Einbindung von Buffon vielseitiger und konsequenter gestalten. Auch die dynamische Pressingresistenz von Marchisio wäre in solchen Szenarien wie generell in einem offenen Spielcharakter – bei genügender Fokussierung – ein wichtiges Gegenmittel.

Man könnte noch diverse weitere Fragen stellen: Agiert Ramos – falls er im Mittelfeld spielt – etwas tiefer, um die diagonalen Rückstöße von Tévez aufzunehmen? Wie mannorientiert verfährt Juventus in der Abwehrlinie und wie organisieren sie das? Hat Allegri einen besonderen Plan für effektive Konter? Nutzt Juventus vielleicht überraschend eine weiträumig und riskanter interpretierte Dreierkette, mit der Valencia gegen Real Erfolg hatte? Vergrößern sich die personellen Sorgen bei den Madrilenen weiter und Norwegens Entscheidungswunderkind Martin Ödegaard erhält einige Minuten, um als Joker eine besondere Synergie oder einen entscheidenden Moment zu erzeugen? Was macht Juves Personaldecke? Wie auch ihr Gegenüber weist der italienische Meister nicht den breitesten Kader auf, weshalb in dieser Hinsicht überhaupt kleine Fragezeichen gesetzt und Unwägbarkeiten erwogen werden müssen.

Es könnte ein ausgeglichenes Duell werden, in dem bestimmte, vielleicht unerwartete Personalien die Partie in die eine oder andere Richtung beeinflussen. Diese Ausgeglichenheit sollte sich dabei insgesamt auf hohem Niveau abspielen. Wenn Allegri nicht noch eine bahnbrechende Neuerung für eine äußerst zielgerichtete Ausführung der Angriffsmöglichkeiten aus dem Hut zaubert, sollte die entscheidende der vielen Fragen sich darum drehen, was sich durchsetzt: Juventus´ leicht unsaubere Anpassungsfähigkeit und ihre Endverteidigung oder die umfassende, explosive Offensivmaschine des Titelverteidigers – die füreinander jeweils unangenehm und gefährlich, aber auch jeweils ein wirkungsvolles Gegenmittel sein könnten.

 

Genaue Mannschaftsporträts zu beiden Teams gibt es hier in unserem im Februar erschienenen CL-Achtelfinal-Spezial-Magazin.

Die Spielanalysen der Achtel- und Viertelfinalduelle der Teams: Schalke – Real Madrid 0:2, Real Madrid – Schalke 3:4, Dortmund – Juventus 0:3, Atlético – Real Madrid 0:0, Real Madrid – Atlético 1:0

Die jüngsten Spielanalysen zu den Teams: Juventus – Lazio 2:0, Juventus – Milan 3:1, Napoli – Juventus 1:3, Barcelona – Real Madrid 2:1, Real Madrid – Deportivo 2:0, Atlético – Real Madrid 4:0, Real Madrid – Sevilla 2:1, Getafe – Real Madrid 0:3, Atlético – Real Madrid 2:0, Valencia – Real Madrid 2:1

kolle 5. Mai 2015 um 17:18

Eine Bitte: Könnt Ihr in der nächsten Saison vieleicht jede Woche eine „News“ bringen, welche Spiele in der kommenden Woche sicher analysiert werden? Mir ist klar, dass Ihr nicht alle Spiele die Ihr dann analysiert ankündigen könnt, aber „ein paar“ wären geil. Das gibt einem die Möglichkeit bewusst auf ein bestimmtes Spiel zu achten, um dann im Anschluss einen Artikel zu lesen (und so zu lernen..)

Danke

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RoyalBlue 5. Mai 2015 um 20:36

Darüber würde ich mich auch sehr freuen!!

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PNM 5. Mai 2015 um 21:49

Wäre wirklich super.

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Heimat 5. Mai 2015 um 08:18

Gute Analyse. Ich denke allerdings, dass Real mit folgender Aufstellung antreten wird. Casillas, Carvajal, Pepe, Varane, Marcelo, Kroos, Ramos, Isco, James, Bale, Cristiano.
Die letzten Spiele fehlte die offensive Durchschlagskraft über die Aussen ein wenig wenn James und Isco diese besetzten.
Benzema fällt ja weiterhin aus, somit tendiere ich zu einem 4-4-2.
Ramos wird ziemlich sicher im ZM auflaufen, da er dort körperlich dagegenhalten kann gegen Vidal und co.
Zusätzlich ist er mit seiner Kopfballstärke eine super Waffe auch aus dem Spiel gegen Juve, welche uns sehr wahrscheinlich zu Flanken zwingen wollen.

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AM 5. Mai 2015 um 20:20

Aufstellung genau getroffen!

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Gh 5. Mai 2015 um 20:21

Treffer, versenkt!

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Valentin 5. Mai 2015 um 00:09

„Vergrößern sich die personellen Sorgen bei den Madrilenen weiter und Norwegens Entscheidungswunderkind Martin Ödegaard erhält einige Minuten, um als Joker eine besondere Synergie oder einen entscheidenden Moment zu erzeugen?“

Verletzungen sind ja absolut niemandem zu wünschen, aber wenn dadurch wirklich Ödegaard zum Einsatz kommen sollte, wäre in diesem Fall ja fast darauf zu hoffen 😉

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HW 5. Mai 2015 um 08:23

Als wäre Ödegaard der Messias. Wenn sich erst ein paar Spieler verletzen müssen damit er vielleicht eingewechselt wird, dann erwarte ich keine Wunder in einem Champions League Halbfinale (wenn er überhaupt für die CL gemeldet ist). Besonders nicht gegen Vidal & Co.

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Rembo 5. Mai 2015 um 08:32

Der wurde im Winter nachgemeldet. Ich meine, dass er auch im Kader steht, bin mir da aber nicht sicher.

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studdi 5. Mai 2015 um 11:45

Er ist nicht bei den 20 Spielern dabei die nach Turin geflogen sind.

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Max 5. Mai 2015 um 08:50

Ödegaard hat in der Natio durchaus gezeigt, dass er auf hohem Niveau Leistung bringen kann. Erinnere mich da an das Spiel der Norweger gegen Kroatien. Ödegaard einer der besten auf Norweger Seite. Ich denke schon, dass Juve da nochmal ein höheres Level darstellt, aber auch hier könnte Ödegaard durchaus einen gewissen Impact haben. Ist ja auch ein besonderes Spieler vom Spielertyp her.
Soweit ich weiß ist er aber nicht für die CL gemeldet.

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Isco 5. Mai 2015 um 08:58

Doch, ist er: http://de.uefa.com/uefachampionsleague/season=2015/clubs/player=250081341/index.html

Die Wahrscheinlichkeit, dass Carlo Ancelotti – seinerseits Meister des Experiments – Ödegaard im CL Halbfinale auswärts in Turin zu seinem Debüt kommen lässt, ist ungefähr so groß, wie die, dass Barca morgen durch ein Kopfballtor von Messi gewinnt, bei dem er sich im Luftzweikampf gegen Boateng durchsetzt.

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HW 5. Mai 2015 um 12:50

Ein Kopfballtor von Messi ist nicht so unwahrscheinlich. Das mit dem Zweikampf ist dann eine Definitionssache.

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CR4 6. Mai 2015 um 03:43

bitte schön: Luftzweikampf/Kopfballduell: beide haben einen Abstand von höchstens einer Armlänge (von mir aus Boatengs Armlänge; -> Schlagdistanz) und beide springen zum Kopfball hoch („hohe Beine“ kann mal hier denke ich rauslassen – obwohl …)

Valentin 5. Mai 2015 um 22:46

Natürlich erwartet niemand sofort Wunderdinge von ihm. Aber was man von den Autoren hier über ihn hören konnte, klang ja sehr vielversprechend. Und da ich ihn bisher leider noch nicht live gesehen habe, würde ich mich mal über einen Einsatz von ihm bei Real freuen. Für erste Eindrücke braucht es ja nicht spielentscheidende Szenen.

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MR 6. Mai 2015 um 00:57

„Als wäre Ödegaard der Messias.“

Als ob nicht.

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HK 6. Mai 2015 um 12:19

Genau. Mit Ödegaard wäre das nicht passiert.
Real ohne Ödegaard ist wie Bayern ohne Strieder. Kaum vorstellbar.

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CST 4. Mai 2015 um 16:43

Traum-Artikel 🙂

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woifmoa 4. Mai 2015 um 12:09

Juventus wächst normalerweise mit der Aufgabe, ich denke also auch, dass es ein 50:50-Spiel wird.
Benzema ist übrigens nicht mit nach Turin gekommen.

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getuerkt 4. Mai 2015 um 10:47

Wunderbarer Artikel. Eine umfangreiche und detaillierte Analyse, was kann man mehr verlangen.

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studdi 4. Mai 2015 um 10:30

Super eure beiden Artikel! Ich freue mich einfach riesig auf die Halbfinalspiele 🙂
Wäre es nicht auch möglich das Isco neben Kroos aufläuft anstatt Ramos oder Illara? Wurde doch diese Saison auch schon gespielt und würde für mehr Kreativität sorgen wodurch man Kroos wohl nicht Manndeckend verfolgen könnte.

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Lenn 4. Mai 2015 um 13:07

Isco mit Kroos wurde nur im 433 gespielt, im 4411 ist Isco dann auf dem linken Flügel.
Isco mit Kroos im 4411 wird es also wohl eher nicht geben, evtl halt in Verbindung mit Ramos. Ist in meinen Augen eh schwach VOB Carlo, dass er Illara meistens nur auf der Acht spielen lässt und kaum mal versucht, ihn dauerhaft einzubinden, Gelegenheiten hätte es genug gegeben.

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Matze 4. Mai 2015 um 09:01

Sehr schöner Artikel! Hatte mich schon länger gefragt, wann es mal eine Analyse über Juve in dieser CL-Saison gibt. Top!

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