Das Elfmeterschießen entscheidet defensives Duell um Afrikas Krone
Die zwei stabilen Defensiven von Ghana und der Elfenbeinküste sorgen zusammen mit jeweils vorsichtigen Ausrichtungen für wenige Chancen, ein 0:0 und ermöglichen ein denkwürdiges Elfmeterschießen.
Defensive Stabilität dominiert
Das 5-2-3/5-4-1 der Elfenbeinküste von Hervé Renard, der vor drei Jahren mit Überraschungsteam Sambia gegen seine jetzige Truppe siegreich gewesen war, traf auf das 4-4-2/4-4-1-1 von Avram Grants Ghana. Es war zu erwarten gewesen, dass es ein ausgeglichenes und von den stabilen Defensivreihen dominiertes Finale werden würde – und das wurde es. Beide Kontrahenten hatten auf die jeweils präferierten Angriffsmuster ihres Gegenübers die richtigen Mittel parat. Mit ihrer Fünferkette und den beiden herüberschiebenden Sechsern war die Elfenbeinküste beispielsweise gegen die typischen Linksüberladungen Ghanas stabiler als die vorigen Gegner und hielt sie somit über weite Teile ruhig. Auf der anderen Seite wurden die ivorischen Versuche kleiner gruppentaktischer Situationen oder dynamischer Flügelszenen von den beiden Viererketten Ghanas mit den engagiert mitarbeitenden Flügelspielern aufgefangen.
Hinzu kamen die spezifischen Ausrichtungen der Mannschaften, die sich vorsichtig und abwartend gaben. So hielten sie jeweils ihre Außenverteidiger bzw. bei den Ivorern Flügelverteidiger lange Zeit recht tief, scheuten weites Aufrücken, konnten mit dieser konservativen Ausrichtung aber auch nur selten genügend Präsenz in den vorderen Bereichen herstellen. Dieser Punkt ging auch mit einem beidseitig nicht immer konsequenten Auffächern der hinteren Mannschaftsteile einher, was nur inkonstant geschah und damit die gegnerischen Verschiebemechanismen nicht immer vor größere Herausforderungen stellen konnte. Die Ivorer verloren dadurch zudem weitgehend die Möglichkeit aufrückender Bewegungen der Halbverteidiger, was im Viertelfinale gegen Algerien noch ein wichtiges Mittel für gelegentliche Offensivszenen gewesen war und damals auch das 1:0 eingeleitet hatte. Allerdings wäre dies ohnehin schwieriger geworden, da Appiah sich engagiert bewegte und stärker horizontal verschob als die algerische Doppelspitze in jener Begegnung.
Simple Mechanismen und gute Sechser-Abstimmung
Ghana ließ erneut die beiden Sechser situativ mannorientiert etwas herausrücken, was gelegentlich als dynamische Pressingfalle gegen Yaya Touré oder Serey Die mit zugreifenden Bewegungen der umliegenden Akteure kombiniert wurde. Anfangs hatten sie damit kleinere Teilerfolge und provozierten immerhin eine frühe Gelbe Karte für den Neu-Stuttgarter, doch später mieden die Ivorer vermehrt solche Passwege. Stattdessen suchten sie sehr simple Angriffsmittel: Ein klarer Fokus lag auf langen Bällen nach links, wo Bony immer wieder sehr weit bis zu Afful schob, um in Kopfballduelle zu gelangen, doch in den umliegenden Staffelungen stand die Mannschaft eher absichernd als aktiv nachpressend. Nur die beiden Sturmkollegen waren potentiell in der Nähe, so dass diese Szenen eben so wenig Zählbares brachten wie die etwas ungeordneten typischen Unterzahlszenen. Insgesamt ergänzten sich das situative Vorschieben der Sechser und die engen Positionierungen der Außen bei Ghana gut und sperrten die Anbindungen nach vorne zu, wo man ohnehin Mannorientierungen auf Gervinho und Gradel aufnehmen konnte. Phasenweise verlief sich die Partie tatsächlich in diesen klaren, simplen Zuordnungen, die einfach zwischen den Formationen entstanden – vier Außen gegen vier Außen und zwei Sechser gegen zwei Sechser.
Bei den Ivorern war Ähnliches der Fall und so konnten sie von ihrer tiefen Überzahl mit der Fünferkette gegen die Viereroffensive Ghanas zehren. In der vordersten Linie positionierte sich Bony häufig etwas rechtsseitig, um die gegnerischen Bemühungen von deren starker linker Seite wegzuleiten. Dazu standen auch die Außen etwas asymmetrisch, wie Max Gradel ohnehin in tieferen Zonen gelegentlich im Halbraum mitarbeitete und hier an einigen guten gruppentaktischen Momenten beteiligt war. Yaya Touré rückte gelegentlich mannorientiert auf Acquah heraus und stellte diesen zu, weshalb Wakaso etwas nach rechts fiel und stattdessen den Aufbau übernahm – eine sinnvolle Anpassung, durch die Ghana aber ebenso von links weggedrängt wurde, wenngleich die andere Außenbahn nicht vergessen werden sollte. Schließlich wusste die Abstimmung zwischen den beiden Sechsern im Team von Renard ebenso weitgehend zu gefallen, wenn beispielsweise Serey Die absichernd hinter dem vorgerückten Yaya Touré den Sechserraum absperrte und dort auch halblinks defensiv einige Szenen um eben jene rechte Seite Ghanas mit Atsu klären konnte. Gerade in der ersten Halbzeit passten diese verschiedenen versetzten Staffelungen zwischen den ivorischen Sechsern gut.
Nur einzelne Offensivszenen
So kamen aufgrund dieser jeweiligen Abwehrleistungen beide Teams kaum zu Chancen – zur Halbzeit standen 4-2 Abschlüsse und nur ein Ball auf den Kasten, jedoch einer Standardsituation. Neben der soliden Dominanz der Defensivreihen und der jeweils geringen Offensivpräsenz waren es aus den recht simplen Strukturen zwischendrin auch immer wieder übertriebene Flanken, einzelne schlechte Entscheidungen oder etwas seltsame Fehlpässe, die das Spiel in seiner Entwicklung hemmten und konstant bessere Momente verhinderten. In der Anfangsphase schienen Konteraktionen der Ivorer am vielversprechendsten für gelegentliche Gefahr sorgen zu können, da Gervinho nach Ballgewinnen auf der rechten Defensivseite ein paar Mal diagonalen Raum fand, hinter dem Gegenpressing und Acquah eingebunden werden und dann nach vorne starten konnte. Dies wurde zwar einige Male gut genutzt und leitete eine Halbchance für Gradel ein, aber war letztlich doch zu simpel, um sich gegen die besser werdende Absicherung Ghanas später noch durchsetzen zu können.
Wenn die jeweils wenige Chancen verbuchenden Teams dann gelegentlich etwas Gefahr ausstrahlten, waren es bei der Elfenbeinküste kleine zentrale Kombinationen mit zumindest sehenswerten Momenten über Bony, Gradel und den insgesamt selten aufrückenden Yaya Touré, sowie auf der anderen Seite bei Ghana Szenen mit besserer Atsu-Einbindung. Diese gab es entweder durch seine inversen Dribblings von rechts, für die sich Appiah als Ablagestation in den Halbraum herüber bewegte, oder wenn man ihn mal in den Versuchen über links zu integrieren vermochte. Einmal war dies im Ansatz der Fall – und Atsu dankte es mit einem Pfostenschuss aus der zweiten Reihe. Überhaupt schien es, dass die Ghanaer in der Endphase des ersten Durchgangs noch einmal aktiver wurden. Auf halbrechts gelangen ihnen vereinzelte Öffnungen des gegnerischen Pressings, wodurch gerade Atsu diagonal häufiger freigespielt werden konnte. Zudem wussten sie auf dem anderen Flügel nun die Angriffe etwas direkter durchzuziehen, was die eine oder andere simple, offene, isolierte Flügelszene gegen die dann nicht optimal unterstützte Fünferkette und auch einen glücklich zustande kommenden Pfostentreffer von Ayéw brachte.
Zweite Halbzeit und Verlängerung ebenfalls ereignislos
In der zweiten Halbzeit gab es über weite Strecken kaum größere Veränderungen und so setzte sich das Bild der dominierenden Defensivreihen im Großen und Ganzen fort. Beidseitig ging etwas an Fitness und Konsequenz verloren, was die Mannschaften formativ etwas streckte und zusätzliche Räume eröffnete. So stieg die Anzahl der Abschlüsse auch an, wenngleich nicht die ganz großen Möglichkeiten dabei waren. Ghana hatte die eine oder andere Szene, da sie unter anderem nach direkten Pässen nun ihre Viereroffensive um den engagierten Atsu etwas klarer in Situationen gegen die gegnerische Fünferkette bringen konnten – diese mannschaftsteiligen Duelle nahmen zu. Auf der anderen Seite blieben die sie selbst vertikal ein wenig kompakter wie zusammenhängender, mussten aber dennoch den einen oder anderen aufrückenden Lauf eines Halbverteidigers zulassen. Dies wurde jedoch kaum gefährlich, da Ghana sich in tieferen Stellungen später durchaus geschickt in asymmetrische Fünferketten mit einem nach hinten fallenden Außenstürmer zurückzog, die Optionen verstellte und auf Stabilität ging. Über direkte Dribblings oder kraftvolle, außen unterstützende Läufe und Vorstöße von Yaya Touré hatten die Ivorer ihrerseits die eine oder andere Szene, wenngleich seltener und letztlich von Ghanas Endverteidigung noch zu entschärfen.
In einer kurzen Phase zeigten sich durch Auriers Aufrücken leichte 4-4-2-Ansätze bei den Mannen von Renard, doch hatte dies kaum einen Effekt. Als beide Teams im Herausrücken von den Sechserpositionen in den allerletzten Minuten unsauberer und inkonsequenter wurden, gab es noch einmal die eine oder andere ansatzweise Halbchance durch entstehende Freiräume, doch mehr als eine gute Freistoßposition nach Acquahs Kombinationsintention sprang nicht heraus. Nach 90 Minuten hatte Ghana sich in der Abschlussstatistik leicht nach vorne gesetzt, aber immer noch keinen Versuch aufs Tor verbucht, wo die Ivorer auch nur einen einzigen – per direktem Freistoß – aufweisen konnten. Dass die Verlängerung weitgehend ereignislos – wenig gefährliche ghanaische Abschlüsse waren jedoch dabei – verlief, war dann keineswegs eine Überraschung. Erwähnenswert sei noch die Umstellung der Ivorer für die letzten fünf Minuten auf eine Art 4-2-4 mit der Offensive aus Kalou, Gervinho, dem zurückfallenden Bony und Doumbia, das über Offensivpräsenz fast noch einen Treffer erzwungen hätte. Letztlich war das Elfmeterschießen aber unausweichlich und sollte noch einiges an eigener Dramatik bereithielten, ehe sich letztlich die Elfenbeinküste die Krone aufsetzen durfte.
Fazit
Es war das erwartete Spiel mit den jeweils stabilen und dominanten Defensiven im 5-2-3/5-4-1 bzw. 4-4-1-1 sowie wenigen Torchancen, das sich auch erwartet ausgeglichen gestaltete. Von daher deutete sich das Endergebnis fast schon ein wenig an – und die Ivorer waren eben der glücklichere Sieger. Ausgerechnet im ersten Turnier nach Leitfigur Didier Drogba gelingt damit der Elfenbeinküste nach so vielen vergeblichen Anläufen nun der ersehnte Gewinn der Afrikameisterschaft – nicht mehr mit der „Goldenen Generation“, sondern mit einer Art Übergangsteam. Symbolisch könnte man sagen, dass es wichtig war, sich einmal von dem so lange ähnlich praktizierten 4-3-3 – auch wenn es bei der WM noch einmal seine guten Momente hatte – zu lösen und in dieser Hinsicht mit der Fünfer- bzw. Dreierkette etwas Neues zu machen.
Was bleibt nun in sportlicher Hinsicht von diesem Afrika-Cup 2015 und wie lässt er sich einordnen? Insgesamt lässt sich eine kleine, aber doch keinesfalls unwichtige Gesamtsteigerung des Turnierniveaus im Vergleich zu den vorigen Ausgaben konstatieren. Diese beiden Teams dienen dabei – gerade im abschließenden Finale – als Beispiele für defensive Stabilität und einige gute Mechanismen. In der Gruppenphase und den meisten K.O.-Spielen fielen mehr Tore als zuletzt, wenngleich nicht immer spielerisch herausgearbeitet. Dennoch gab es einige gute Momente im kollektiven Zusammenspiel, die mehrere Teams aufblitzen ließen – ob Ghanas Angriffe über links wie gegen Guinea oder durch die Einbindung Atsus, die kleinen Überladungen der Ivorer, die Kombinationsversuche von Äquatorial-Guinea, gerade von Brahimi angetriebene Angriffe Algeriens, durchaus die weitgreifenden Aktionen Tunesiens, selbst die versuchten Halbraumangriffe Kameruns oder die Diagonalspielzüge vom Kongo. Auch das vermehrte Abweichen von recht gestreckt interpretierten 4-4-2/4-1-3-2-Formationen – oft zugunsten von Dreierketten-Varianten – sollte Erwähnung finden. So zeigte sich dieser Afrika-Cup verbessert, manchmal nicht so stark und manchmal erstaunlich gut. Von daher ist das Finale vielleicht nicht der beste Abschluss, da es mit seiner extremen Orientierung auf Defensive und dem Ergebnis von 0:0 nicht unbedingt in diese Reihe passt. In mancher Hinsicht deutete es mit den simplen Mechanismen und den etwas geteilten Offensiv-Defensiv-Verhältnissen auf vorige Ausgaben hin – jedoch konsequenter und stärker.
Übersicht über Analysen zu den Turnier-Ausgaben 2012 und 2013 sowie nun 2015
2 Kommentare Alle anzeigen
Stockfehler 9. Februar 2015 um 13:04
Mal abgesehen von der Taktik, einen großen Dank von mir das ihr überhaupt eine Bericherstattung zum Afrika-Cup macht die jenseits von Agenturmeldungen liegt.
LM1895 9. Februar 2015 um 12:23
Defensivtaktisch wirklich durchaus ansehnlich, aber insgesamt eigentlich ein Spiel zum einschlafen. Bei der Elfenbeinküste waren das bis kurz vor Schluss eigentlich immer nur so „macht ihr da vorne mal“-Bälle, die nur aufgrund der individuellen Qualität ansatzweise gefährlich werden konnten. Ich war in der Hinsicht auch ziemlich enttäuscht von Yaya Toure, viele der „etwas seltsamen“ (top Beschreibung!) Fehlpässe kamen von ihm. Defensiv war die Doppelsechs allerdings wirklich stark, ich denke Stuttgart kann sich auf Die freuen…Ghana wenigstens mit etwas kollektiveren Ansätzen nach vorne, aber so richtig was war das auch nicht. Alles fürchterlich risikoarm…Finale halt. Das Elfmeterschießen war dann natürlich brutal spannend und für Barry freut’s mich wirklich!
Und auch wenn es untaktisch ist, das war für mich eine unterirdische Schiedsrichterleistung, nicht nur wegen der 2 klaren Tätlichkeiten von Baba und Gyan, sondern auch in der Zweikampfbewertung und der mangelnden Fähigkeit, Ruhe in die Grüppchen bei Standards zu bringen. Bailly ist ja wirklich ein vielversprechender IV, aber diese Aktionen da muss er sich schleunigst abgewöhnen, sonst sitzt er bei Villareal dauern gesperrt auf der Tribüne…allerdings musste der Kerl auch viel einstecken…