Sambia – Elfenbeinküste 8:7 n.E.

Sambia hat es geschafft – die Mannschaft ist verdienter Afrikameister.

Grundformationen

Im Halbfinale hatte Trainer Hervé Renard noch überraschend Kasonde und Chamanga spielen lassen, doch nun war es wieder die Mannschaft, die im Viertelfinale gegen den Sudan überzeugt und nach der Pause auch das Halbfinale gegen Ghana entschieden hatte. Nach wenigen Minuten allerdings geschah ein herber Rückschlag, als sich Linksverteidiger Musonda verletzte und durch den etwas unsicheren, aber mit viel Einsatz kämpfenden Nyambe ersetzt wurde.

Die Ivorer hatten gegen Mali nach bisher durchwachsenem Turnierverlauf endlich mal eine starke Leistung abrufen können, überzeugend gewonnen und liefen nun mit der unveränderten Mannschaft auf.

In diesem Spiel kamen sie allerdings überhaupt nicht an die Leistung jener Partie heran, was sicherlich am Erwartungsdruck, anderen psychologischen Faktoren und auch der Tagesform gelegen haben mag, doch einen enormen Anteil hatte der Gegner Sambia, der sich keinesfalls wie der Außenseiter aufführte.

Pressing-Wellen

Phasenweise versuchten die Südafrikaner den großen Favoriten sogar mit frühem Pressing zu attackieren, was auch als Erfolg verbucht werden konnte, da die Ivorer den Ball nur träge spielten, sichtlich verblüfft wie verwirrt von diesen dynamischen und unregelmäßigen Pressing-Wellen waren und somit schon früh in der Partie den kompletten Rhythmus verloren und ihn im Laufe der Partie nie wiederfanden – nach diesem Prinzip bauen die Dortmunder ihr Pressing auf, auch wenn sie in der Ausführung natürlich viel besser sind.

Doch meistens zogen sich die Sambier zurück, überließen den ivorischen Verteidigern den Ball und riegelten ihren Defensivblock ab. Wie man es allerdings schaffte, die Elfenbeinküste mit taktischen Mitteln und unter Ausnutzung von deren Schwachstellen fast komplett zu neutralisieren, war schlichtweg genial.

Eingerückte Außenmittelfeldspieler wirken wahre Wunder

Als Schlüsselmaßnahme erwies sich dabei, wie das Mittelfeld bei gegnerischem Spielaufbau agierte und sich positionierte – die beiden äußeren Mittelfeldspieler Kalaba und Lungu zogen sich nämlich eng zusammen und spielten weit eingerückt, meistens leicht vor den beiden defensiven Mittelfeldspielern, was besonders aufgrund des zögerlichen Linksverteidigers Tiené sehr effektiv funktionierte und Sambier eine ganze Reihe an Vorteilen bescherte:

Erstens war der Raum im Zentrum damit generell enger und man war ebenso numerisch sehr kompakt bestückt, zweitens konnten sich Yaya Touré und der gelegentlich mit aufrückende Tioté nicht in den Halbräumen vor der zweiten Viererkette oder in ihren Schnittstellen positionieren, um dort angespielt zu werden oder eine Kombination zu starten, und drittens konnte man so die Passwege auf die beiden zur Mitte tendierenden Flügelstürmer sehr gut zusperren – dies war wohl die primäre Strategie der Ivorer gewesen, die beiden trickreichen Außen zwischen den Linien anzuspielen, doch diese Pässe wurden nun blockiert und damit das Konzept komplett lahm gelegt.

Vorne im Sturm stellten Mayuka und Katongo diszipliniert, arbeitsam und effektiv die Passwege der Innenverteidiger auf die Mittelfeldspieler zu, attackierten diese bei Bedarf und ließen sich oft noch tiefer fallen, um Zokora und Tioté alle Anspielmöglichkeiten zu blocken, während das Mittelfeld in obiger Manier den Rest erledigte – von den sechs defensiven Spielern der Ivorer rückten nur Gosso und gelegentlich Tiené auf,  so dass sechs Spieler hinter dem Ball waren und damit vorne sowieso nur wenige Optionen waren, die dann von Sambia effektiv zugedeckt wurden.

Zu wenige Optionen in Breite und Tiefe bei der Elfenbeinküste

Nachdem er kaum einen Ball bekam, ließ sich Yaya Touré immer tiefer fallen, um selbst zu gestalten, doch Sambia ließ ihn gerne machen, da sich damit die Optionen für den Favoriten noch weiter beschränkten. So waren Standards, seltene gegnerische Fehler oder individuelle Glanzlichter die einzigen wenigen offensiven Highlights der Ivorer.

Die Ivorer verpassten es, die gegnerische Defensive konsequenter in die Breite zu ziehen. Dafür waren die sporadischen Angriffsausflüge Gossos, welcher zudem durch Lungu, der teilweise wie ein zusätzlicher Außenverteidiger und insgesamt sehr polyvalent agierte, abgefangen werden konnte, zu wenig. Wie effektiv vermehrter Offensivdrang und Einbinden von Tiené auf der anderen Seite hätte sein können, zeigte sich bei der besten Chance der ersten Halbzeit, als nach seinem Vorstoß und seiner Flanke Drogba per Hacke auf Yaya Touré auflegte, der allerdings danebenzielte.

Sambia offensiv aktiv, aber ohne Durchschlagskraft

Es war allerdings diese etwas tiefere schematische Position und Doppel-Funktion Lungus, die den Außenseiter im Angriffsspiel etwas schwächte, da er nach vorne nicht mehr so viel beitragen konnte. Dadurch waren der sehr einsatzfreudige und spielstarke Mayuka, Kapitän Chris Katongo, der später zum Spieler des Turniers gewählt wurde, diesmal aber nicht seinen besten Tag, sondern einige Ungenauigkeiten im Spiel hatte, und der flinke und in die Mitte ziehende Kalaba somit ziemlich auf sich alleine gestellt gegen die Ivorer, die mit zwei tiefen Sechser die Mitte für Sambia so zustellten, wie man es vorher hatte vermuten können. Katongo wich immer stärker auf die Außen aus, aber wurde dadurch von den Mitspielern abgetrennt.

Zwar wirkten die Sambier aktiv und bemüht, aber so wirklichen Druck konnten sie nicht entwickeln. Sobald allerdings Lungu oder der hervorragend spielende Chansa aus dem zentralen Mittelfeld sich in den Angriff mit einschalteten, wurde es sofort spürbar gefährlicher, was zu einigen sehr schönen technischen Spielzügen über die halblinke Seite führte.

Zweite Halbzeit, Verlängerung und Elfmeterschießen

Nach der Pause modifizierten dann die Ivorer ihre Strategie in zweierlei Punkten. Zum einen versuchten sie nun verstärkt über die Dribblings ihrer Flügelstürmer zum Erfolg zu kommen, die sich weit nach außen fallen ließen, dort den Ball annehmen und dann eine Einzelaktion starten konnten, was sie selbst gegen drei Gegenspieler probierten.

Der eingewechselte Gradel (63., für Kalou) konnte sich hier einige Male gut in Szene setzen und bot sich auch tiefer und einfacher für einen Pass an, während Gervinho nach einem solchen Solo sogar einen Strafstoß herausholte, den Drogba aber vergab (70.). Zum anderen überließ man nun Sambia häufiger den Ballbesitz und zog sich zurück, um ähnlich wie gegen Mali auf einige Konter zu lauern, bei denen es für die Dribblings der Flügel mehr Platz geben sollte.

Doch wieder hatte Renard die richtige Antwort parat – es gelang ihm, die Gefahr der Flügel einzudämmen und selbst nach vorne zu mehr Chancen zu kommen, ohne dass man hinten offen wurde. Eine Viertelstunde vor Schluss musste Nyambe wieder gehen und wurde durch den kleinen Katongo-Bruder Felix ersetzt. Dieser bekleidete eine sehr breite Rolle im rechten Mittelfeld und spielte in seinen Dribblings Tiené immer wieder aus, was in der Verlängerung zur besten Chance jenes Spielabschnittes führen sollte, als Barry den Abschluss von Chris Katongo nur im Verbund mit dem Pfosten entschärfen konnte. Auf diese Weise wurde Gradel zur Unterstützung in der Defensive gezwungen und vorne weniger gefährlich, während der nun als Linksverteidiger spielende Lungu zusammen mit Kalaba Gervinho beschäftigte und die Defensivschwächen von Gosso attackierte.

Schließlich ging es dann – durchaus berechtigt nach einem ausgeglichenen Spiel – ins Elfmeterschießen, welches durch einen wiederholten Strafstoß von Bamba sowie die Anzahl der Schüsse weitere Dramatik gewann, letztlich von Sambia für sich entschieden wurde.

Fazit

Vor 19 Jahren erlebten die Sambier an gleicher Stelle, in Libreville, die größte Tragödie ihrer Fußball-Geschichte, als die begabteste Generation des Landes auf dem Weg zu einem WM-Qualifikationsspiel in Senegal aus ungeklärter Ursache mit dem Flugzeug verunglückte. Nun ist dieses Trauma überwunden, indem man ausgerechnet an diesem dunklen Ort den ersten Titel bei der Afrikameisterschaft überhaupt gewinnen kann.

Errungen wurde dieser Erfolg durch gute Taktik, Defensivstärke und vor allem den in Afrika nicht selbstverständlichen Plan zum Aufbau einer Mannschaft. Seit nunmehr etwa sechs Jahren befindet sich dieses Team im Wachsen und wurde seither immer wieder durch die Produkte aus den Nachwuchsschmieden und Juniorenabteilungen, die gewissenhaft geführt und organisiert werden und bei U-Turnieren gelegentlich dabei sind, ergänzt. So gesehen ist es wohl auch ein Sieg des modernen Fußballs.

Über die im Finale unterlegenen Ivorer muss man in diesem Zusammenhang kritischere Worte finden. Eine wirkliche Struktur hatten sie über den Verlauf des Turniers kaum und auch nach vorne setzten sie weitgehend auf die individuelle Klasse und Standardsituationen – es war nicht genug. Damit ist wieder einmal der Traum vom Titel für die goldene Generation der Ivorer ausgeträumt und vielleicht könnte es die letzte Chance gewesen sein – es ist ihr Glück, dass das nächste Turnier schon in einem Jahr in Südafrika steigt, doch wenn man dort nicht gewinnt, dürften Drogba und seine Mannen als die talentierten ewigen Zweiten in die Annalen eingehen – vielleicht auch genau das in diesem Spiel etwas hemmend.

Was die beiden Finalisten allerdings verbindet, ist ihre Defensivstärke – und es ist schon ein bisschen kurios, dass die Elefanten nun verloren haben, obwohl sie in den sechs Turnierspielen genau 0 Gegentore zugelassen haben.

Ein Schnitt von 2,38 Toren pro Spiel, gerade die Ergebnisse der letzten drei entscheidenden K.O.-Spiele sowie die Tatsache, dass die Elfenbeinküste, Mali und Ghana mit Yaya Touré, Seydou Keita und auch Kwadwo Asamoah eher defensivausgerichtete Akteure aus dem zentralen Mittelfeld auf der zentral-offensiven Mittelfeld-Position auflaufen ließen, zeugen von einer gewissen Orientierung auf Defensive und Vorsicht. Der afrikanische Fußball mag sehr athletisch sein, doch vielleicht fehlt es ihm etwas an Kreativität.

Die Ausnahme der vier Halbfinalisten war mit Kalaba, Lungu und auch Chansa der Sieger aus Sambia. Diese dynamische Spielstärke hatten sie fast allen anderen Teams voraus, welche sie vor allem deshalb zum verdienten Titelträger macht, weil die offensive Lust nicht zu Lasten der Defensive ging.

Und genau das ist wohl die echte Botschaft, die dieser „Überraschungssieg“ der Sambier von Afrika in die Welt hinaus trägt: Es war ein Sieg des Kollektivs über die Individulisten und ein Sieg der Taktik – vor allem ein Sieg der einheitlichen und mikrotaktischen Teamorganisation gegenüber einer (vor allem im Endspiel) in zwei Teile geteilten Mannschaft ohne Verbindungen.

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