Nicht nah genug am Limit

0:3

Leipzig macht es dem Meister im Kampf um den Pokal unangenehm, aber ist nicht so geschärft im Pressing wie schon gesehen. Letztlich kommt für die Bayern etwas zu viel Raum zusammen erst hinter Adams hohem Herausrücken und später gegen uneinheitliche Folgebewegungen aus der Dreierkettenformation.

Ausgeglichenheit mit Abweichungen

Eine hohe Grundintensität fand in dieser Partie ihren – wenn auch nicht uneingeschränkten – Ausdruck auf eine natürliche Art und Weise. Das hieß, die Mannschaften waren dicht und komplett aufgestellt, gerade im Zentrum. Wenn der Ball sich nicht in den eigenen Reihen – in „offener“ Situation oder beim Gegner – befand, schoben die beiden Pärchen im defensiven Mittelfeld druckvoll in die Halbräume und häufig auch bis zum Flügel durch. In der nächst höheren Reihe verblieb seitens der Offensivakteure eine recht eng gestaffelte Anordnung. So waren die Wege innerhalb des Zentrums kurz und die Teams hatten einen guten Grundzugriff.

Bei Leipzig gab es stärkere Asymmetrien, insbesondere zwischen den beiden Seiten. Sabitzer agierte tiefer als Forsberg und füllte in den hinteren Zonen zudem viele mittige Räume. Demgegenüber durfte der Schwede höher bleiben und teilweise auch richtiggehend zocken. Seine Bewegungen zum Zehnerraum hin wurden häufiger längerfristig angelegt und gingen dann mit klareren Positionsübernahmen der linken Bahn durch einen Stürmer einher statt nur mit Verschiebungen innerhalb der Staffelungen. Gerade die vertikale Asymmetrie zwischen Forsberg und Sabitzer geriet mit der Zeit allerdings etwas zu klar und prägte sich festgefahrener heraus.

Indem sie zwischenzeitlich zu stark hervortrat, schädigte sie die Kohärenz des Teams. Dadurch wurden die Abstände größer und dies schwächte die Leipziger, gerade beim Umschalten. Im mannschaftstaktischen, übergreifenden Rahmen waren also die Wege weiter, während die Verhaltensmuster im Zusammenspiel noch geschlossen daherkamen und so nicht zuletzt in gruppentaktischen Umgebungen weiter gute, kompaktere Zugriffsmomente möglich waren. In solchen Zwischenlücken gelang es dem Bayern-Mittelfeld aber, einige zusätzliche Bälle für sich aufzusammeln und der Partie stärker den eigenen Stempel aufzudrücken.

Bayerische Möglichkeiten

Einige Problematiken hatten sich bei Leipzig schon in der unmittelbaren Anfangsphase angedeutet, eigentlich stellte ihre zunächst stärkste Phase das zweite Drittel der ersten Halbzeit dar. In der Ausgsangslage des Pressings stellte Adams oft sehr hoch und weiträumig unmittelbar hinter der ersten Reihe zu, meist gegen Thiago. So hatte einerseits Bayerns für die spielerischen Akzente prägendster Mittelfeldakteur wenig Entfaltungsspielraum. Dafür gab Leipzig andererseits aber recht viel Raum in hinteren Bereichen des Feldzentrums preis, auch wenn Sabitzer von halbrechts sich tiefer einschaltete und noch Bereiche nach innen mit abdeckte.

Insbesondere mit Bewegungen aus der nominellen Offensivabteilung heraus zeigten die Bayern gelegentlich einige Mechanismen, um dies zu bespielen. Basis dafür bildete ein leichter Fokus auf die Bereiche rechts und halbrechts, die Müller und Lewandowski bevorzugt ergänzten. Zwar startete Ersterer aus einer recht hohen Grundposition heraus, ließ sich aber weiträumig zurückfallen und lauerte mit gutem Timing für Einbindungen an der Außenbahn von Kampl vorbei nach vorne. Lewandowski ging hauptsächlich im inneren Halbraum nach hinten und fokussierte sich recht stark auf zügige Weiterleitungen nach außen.

Über die Außenstürmer kamen die Münchener zwar selten in die Halbräume, da Kampl und Adams sich sehr schnell aus Vorwärtsbewegungen lösten, um die verfolgenden Außenverteidiger von innen zum Doppeln zu unterstützen. Beim Zusammenziehen der Formation und ergänzenden Bewegungen hatte Leipzig hier einige lokal sehr dynamische Momente, auch in Duellen um zweite Bälle, wo Bayern unter anderem über Thiagos Timing und anpassungsfähige Mitnahmen dagegen halten konnte. Auch herausgerückte Positionierungen Konatés zur Aufnahme von Gegnern erhöhten punktuell die Kompaktheit, zumal der antrittsstarke Verteidiger enorm schnell wieder in die Kette zurückkam. Schließlich konnte aber kleinräumiges Spiel über Martínez das Pressing entzerren: Der Sechser positionierte sich häufiger mal gerade näher an der Grenze zu Ballungen statt in mögliche Freiräume.

Das konnte etwa der Fall sein in unmittelbarer Nähe der Stelle, an der Thiago sich aufhielt und eng von Adams zugedeckt war. Bewegte sich auch Martínez dorthin, schien dadurch die Situation eigentlich kompakt genug kontrolliert: Doch wenn beispielsweise nur ein Leipziger Mittelfeldspieler in diesem Zusammenhang etwas zurückhaltender ins Zusammenziehen nachrückte, während sich gleichzeitig Adams durchgehend an Thiago hielt, wurde der defensive Mittelfeldmann so doch anspielbar. Das erkannten die Abwehrspieler der Münchener auch geschickt, gerade die Innenverteidiger. Sie fokussierten sich nicht nur auf Verlagerungen gegen Kompaktheiten. Aber auch Kimmich spielte kluge Pässe kleinräumig, Alaba zeigte die gesamte Partie über herausragende Auftaktbewegungen.

Konstruktive Innenverteidiger eröffnen

Wichtig für die Bayern waren in diesem Zusammenhang also gute Auftritte ihrer Innenverteidiger und eine konsequente, unaufgeregte Einbindung Neuers. Bei Süle und Hummels war ihre Ruhe der maßgebende Punkt und erleichterte die Entscheidungsfindung. Gerade Letztgenannter konnte schon mit starken Auftaktbewegungen den Leipzigern das genaue Anlaufverhalten erschweren. Mit einer gelungenen Vororientierung ergaben sich in der Folge bessere Aussichten, um eine letztendliche Entscheidung nochmal ein oder zwei Momente länger herauszögern zu können. Auch antäuschende Aktionen in der Ballführung hatten einen ähnlichen Effekt. Hauptsächlich sorgten die Innenverteidiger also für strategisch geschicktes Abwägen vor und bei Pässen selbst.

Daneben nutzten sie vereinzelt die Chance, selbst in den Raum zu starten, sofern es sich wirklich anbot. Die Räume hinter Adams und um Kampl hätten nicht notwendig so für die Bayern zugänglich sein müssen, wie sie es manches Mal waren. Dass Leipzig es nicht konstant gelang, diese abzuschirmen und somit zu kaschieren, war nur auf einer Seite dem ausgewogenen Verhalten der gegnerischen Innenverteidiger geschuldet. Die andere Seite machten auch sie selbst aus: Insgesamt zeigte sich bei der Mannschaft von Ralf Rangnick die Umsetzung des Pressings nicht so geschärft, wie es sich in anderen Auftritten der Rückrunde schon hatte beobachten lassen.

Ein wichtiges Element bei RB waren der schnelle Rückzug und das – teilweise bogenförmige – ebenso zügige (wieder anschließende) Herausrücken des ballfernen Stürmers bei (mehrmaligen) Verlagerungen. Gerade auf der linken Seite verband sich das mit höheren Ausgangspositionen Forsbergs, aus denen dieser sich dann diagonal hinter den Angreifer fallen lassen konnte. Auch auf der anderen Seite gab es, nicht zuletzt bei tieferen Positionierungen Sabitzers, einige gute Anlaufbewegungen des Stürmers aus etwas breiteren Zonen diagonal nach innen. Die im Zuge solcher Abläufe entstehenden Staffelungen auf Leipziger Seite gestalteten sich erst einmal nicht schlecht.

Pressingunschärfen wirken sich aus

Das Problem bestand allerdings in der Konsequenz der Ausführung, insbesondere der Wahl der Intensität im Durchlaufen und im Timing. So passend sich die vorderen Spieler zunächst häufig bewegten und so detailliert Körperstellung und Richtungsauswahl in der individuellen Aktion vorbereitet wirkten: Letztlich schienen die Akteur unsicher, wie viel Druck sie machen sollten und konnten, blieben mitunter ungewohnt zögerlich. Die Abstimmung für das Nachrücken wirkte nicht so geschärft. Daher gab es häufiger potentiell gute Bewegungen, die abgebrochen oder zumindest nicht klar zu Ende geführt wurden, zumal im Zusammenhang mit einigen vernachlässigten Kontrollblicken zur gegenseitigen Orientierung an den umliegenden Mitspielern. Nachdem Leipzig eigentlich erst einmal recht gut stand, fehlte irgendwo dann eine Folgebewegung.

Auch nach der Umstellung auf eine Art Dreierkette später in der zweiten Halbzeit drohten ähnliche Komplikationen. Die für den Formationswechsel verringerte Präsenz im defensiven Mittelfeld machte Leipzig zu schaffen, wenn die Sauberkeit der Orientierung im Pressing nicht so stabil funktionierte wie üblich. Insgesamt wurde die neue Anordnung nicht einheitlich genug gespielt, zumal bei – wie es schien – nachlassender Frische: Wenn ein Mittelfeldspieler, vor allem Sabitzer, höher presste, erfolgte kein konsequenter Ausgleich durch tiefere Positionierungen eines anderen Offensivakteurs. Den Gegner dann nach außen zu leiten, um mit dem herausrückenden Flügelläufer aggressiver attackieren zu können, funktionierte nicht so gut, weil nach innen nur noch ein wirklicher Sechser da war.

In anderen Szenen hatte Leipzig mit den drei nominellen Mittelfeldakteuren zwar lokal viel Präsenz und gute Staffelungen, im Nachschieben nach außen kam aber das dortige Herausrücken des Akteurs am Flügel nicht konsequent genug. Ballnah wirkte die Ausführung hier mitunter zögerlich, vor allem wohl deshalb, weil das ballferne Pendant teilweise lange in einer Mannorientierung verblieb statt sauber durchzuschieben und diese Konstellation bei den Nebenleuten für Unsicherheit sorgte. Hinten verhielten sich die Verteidiger doch oft wie in einer eigentlichen Viererkette mit Lainer als breitem, tiefem Mittelfeldmann knapp davor. Kleinere Lücken besetzten die Bayern in dieser Phase konsequent, nahmen dafür mitunter auch mehr Angriffspräsenz heraus und schufen so Ballsicherheit. Insofern hatte die lange Ballstafette vor dem vorentscheidenden 0:2 einen exemplarischen Zug.

Starke Leipziger Phase zeigt Potential

Zu Anfang der zweiten Halbzeit hatte es Leipzig in einem nochmal erhöhten Pressing und klareren 4-4-2 mit stärkeren Mannorientierungen versucht. Das erleichterte die direkte Umsetzung im Anlaufen. Tatsächlich standen die Münchener in dieser Phase stärker unter Druck, als Leipzig offensiver hinterher schob. Teilweise gab es in diesem Zusammenhang auch tatsächlich die Variante mit engeren Offensivleuten und neben dem Zentrumsblock vorrückenden Außenverteidiger – nur eben noch aus einer Viererkette heraus. Auch wenn sich in Timingfragen die kleinen Ermüdungsanzeichen hier schon andeuteten, generierten die Leipziger einige wirksame Momente.

Außerdem zeigte sich die Möglichkeit einer schnellen Verschiebung der Verhältnisse, sobald vonseiten des Rekordmeisters die raumsuchenden Tiefenbewegungen aus der Offensive ins Mittelfeld passiver wurden. Alles in allem lag zu jenem Zeitpunkt auch eine der stärksten Leipziger Phasen. Diese fiel wiederum mit einem derjenigen Momente zusammen, in denen sich mehr Spielanteile zu ihren Gunsten verschoben – mit Neuaufstellung nach dem Wiederbeginn und dem eigenen Rückstand, während die in Führung liegenden Bayern sich leicht zurücknahmen.

Potential bot sich für Leipzig insbesondere, wenn Sabitzer schon in früheren Aufbauzonen tiefer zurückfiel – mittiger in die sich zwischen den ersten Pressingspielern anschließenden Bereiche und damit eher achtermäßig. Zum einen erschwerte das den Bayern-Spielern die genaue Positionsfindung für Situationen nach längeren Bällen. Zum anderen konnte Sabitzer bei Aufbauverläufen über den Außenverteidiger gerade im ballfernen Halbraum eine zusätzliche Option diagonal bieten. Das machte schwierige Herausrückbewegungen für einen gegnerischen Sechser erforderlich, dessen Raum sich so für Forsberg womöglich effektiver attackieren ließe.

Überladungen unvollendet, Gefahr über Gegenpressing

Grundsätzlich sah die Situation – insbesondere wenn Bayern wie zu Spielbeginn etwas enger als klassisch verteidigte – so aus, dass die zwei engeren Offensivakteure des nominellen Leipziger 4-2-2-2 ballnah zunächst eher im Deckungsschatten des Münchener Außenspielers schwammen. Da die Außenverteidiger sich trotzdem schon etwas weiter nach vorne orientierten, ergaben sich einige Szenen mit frühen attackierenden Diagonalpässen in die Spitze auf einen Stürmer in deren Rücken. Ansonsten mussten sich Sabitzer und Forsberg oft etwas weiter nach außen freilaufen, um von dort anschließende Überladungen einzuleiten, zusammen mit einem oder beiden Angreifern.

Genau dagegen hatten die Mannen von Niko Kovac mit dem breiten Nachschieben des Sechsers – gerade bei Martínez – passende Ausgangslagen und konnten sich entsprechend frühzeitig zusammenziehen. Ebenso wirkten in die andere Richtung die engen Staffelungen zwischen defensiven und offensiven Mittelfeldspielern gegenüber wirklichen Flügelüberladungen gut. Über die gleichzeitige Unterstützung beider Stürmer hatte Leipzig zwar Ansätze, aber so wichen auch beide vom Tor weg. Problematischer war allerdings, dass im Falle breiterer Bewegungen nur eines Angreifers der jeweils andere oft nicht die Anschlüsse im Zentrum herstellte, sondern zu stark den ballfernen Halbraum suchte. Dort ergaben sich vertikal unpassende Anordnungen zum eingerückten Flügel.

Zur linken Seite hin zeigte Sabitzer einige unterstützende Läufe und zog diese häufig bis ganz zur Außenbahn durch – also breiter als der gerade ballführende Kollege. So konnte er in diesem von RB prinzipiell bevorzugt bespielten Bereich gelegentlich etwas mehr Raum für die Einbindung der Angreifer aufreißen. Abgesehen von solchen Elementen verströmte Leipzig bei Aktionen aus dem Offensivdrittel am meisten Gefahr über das Gegenpressing. Wenngleich sie aus Überladungen selten direkt durchkamen, hatten sie in unmittelbarer Ballnähe kurze Abstände und dadurch oft die Möglichkeit, schnell wieder nachzusetzen. Als gute Umschaltmannschaft nutzten sie das entsprechend und erzeugten so einige Male im zweiten Anlauf Druck auf den Münchener Strafraum.

Fazit

Mit dem Pokalsieg und zuvor der Meisterschaft am vergangenen Wochenende hat der FC Bayern die Saison versöhnlich abgeschlossen, oder auch „gerettet“. Im Grunde genommen verlief die Spielzeit ähnlich – nur eben in etwas stärkerer Form – einer erfolgreichen Runde der 2000er-Jahre, als ein klassisches Double prinzipiell als Erfolg verbucht werden konnte und das internationale Abschneiden eher unterschwellig schmerzte. Insgesamt waren die Münchener diesmal gerade in der Rückrunde eine weitgehend starke, von Solidität geprägte Mannschaft, aber kaum irgendwo herausragend auf dem absoluten Top-Level. Punktuell gelangen Annäherungen an Spitzenleistungen in bevorzugten Kerngebieten, wie etwa der tiefen Ballsicherheit oder bestimmten Timingfragen. Ansonsten spielte die Mannschaft eigentlich recht oft gleich gut. Durch die Anfälligkeit für strategische Veränderungen aber entstand von dieser Basis mitunter diskussionsstiftende Wechselhaftigkeit, sofern sich Spielanteile phasenweise zu sehr in eine Richtung verschoben.

Ein Zuschauer 29. Mai 2019 um 09:13

Danke TR, dass du immer noch so treu hier deine Analysen veröffentlichst! Freut mich jedes Mal.

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Atter 4. Juni 2019 um 15:27

Ich lasse auch mal einen Kommentar hier: Danke an alle, die auf Spielverlagerung aktiv sind: Neben den tollen Autoren (wie TR) auch alle Kommentatoren wie bspw. Tobit, um nur einen zu nennen. Ich lese die Diskussionen immer sehr gerne mit! Bleibt aktiv!

Liebe Grüße 🙂

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Noch ein Zuschauer 4. Juni 2019 um 23:25

Dem kann ich mich nur anschließen!

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LB 6. Juni 2019 um 15:49

Dem möchte ich mich von ganzem Herzen anschließen: Danke, TR!

Schade, dass durch die längere Flaute inzwischen auch in den Kommentaren hier kaum noch spannende Diskussionen stattfinden…

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