Erfolge der Stabilität

1:1

Die gute Umsetzung ihres 4-1-4-1 in der Defensive ermöglicht dem Iran zähen Widerstand gegen den portugiesischen Favoriten – aber nicht mehr. Die Offensivanlage des Europameisters generiert wenig Durchschlagskraft, aber viel Absicherung.

Am letzten Spieltag der Gruppe B bot sich für den Iran noch eine kleine Chance, einen der iberischen Favoriten zu ärgern. Die Mannschaft von Carlos Queiroz schien icht zu früh ins Risiko gehen zu wollen und zog sich zunächst zurück: So kam Portugal zu hohen Ballbesitzquoten. Der amtierende Europameister von Fernando Santos stand in dieser Konstellation nicht unter Zugzwang, da sie immer die Sicherheit hatten, dass ein Remis ihnen reichen würde. Bei den Anstrengungen, die die Portugiesen trotzdem unternahmen, taten sie sich sehr schwer gegen das 4-1-4-1 der Iraner. Erwartungsgemäß setzten diese jene Spielweise, mit der sie problemlos und ohne viele Gegentore durch die Qualifikation gekommen waren, wie schon in den beiden ersten Gruppenspielen organisiert und diszipliniert um: insgesamt recht flexibel, mit soliden Herausrückbewegungen der Mittelfeldkräfte, manchen 4-5-1-haften Staffelungen, gleichzeitig vor allem mit engagierter Rückzugsbewegung, auf den Flügeln bisweilen in Form mannorientierten Verfolgens in die letzte Linie.

Portugal über links, aber nicht optimal gestaffelt

Etwas höher agierte im Pressing zunächst für gewöhnlich der linke Achter, dessen Herausrücken den Grundraum Adrien Silvas versperren sollte. Wenn dieser eingebunden werden wollte, musste er sich tiefer die Bälle abholen, was den Schwerpunkt der portugiesischen Präsenz nach hinten verlagerte – also nicht schlecht aus der Sicht der Iraner. Schob sich Amiri also etwas weiter nach vorne, brach der Favorit den Aufbau kurz ab und brachte den tiefen William Carvalho im anderen Halbraum ins Spiel oder Pepe griff umgehend zu sehr aggressiven verlagernden Flugbällen diagonal auf den anderen Flügel. Auf dieser Seite entwickelte sich ohnehin, zumal auch noch der linke iranische Außenstürmer in passenden Situationen diagonal ins Pressing Richtung erster Linie aufrückte, der Fokus im Spiel der Portugiesen.

Das spielstarke Duo aus João Mário und dem häufig einrückenden Raphael Guerreiro war dort weit präsenter als die Besetzung auf rechts, besonders Letztgenannter versuchte oft anzukurbeln. Auf diese nominelle Seite Cristiano Ronaldos wichen im Wechsel auch beide Stürmer bevorzugt aus, wenngleich in unterschiedlichen Konstellationen: Der portugiesische Superstar hatte mehr Freiheiten, durfte aggressiver agieren und sich etwas tiefer bewegen. Demgegenüber sollte André Silva primär Zuspiele in Ausweichräumen festmachen und in die hohe Zirkulation zurückliefern oder sich zwischen den Linien als Übergangsspieler anbieten, um das Leder neu an die Kollegen zu verteilen. Insgesamt ergab sich in diesen Strukturen aber ein größeres Problem, das die Portugiesen schon in der Vorbereitung auf das Turnier begleitete: Die Staffelungen wurden oft zu flach, in 4-2-4-artiger Manier.

So erfolgte die abwechselnde Einbindung zwischen den beiden Angreifern beispielsweise sehr schematisch in dem Sinne, dass der gerade nicht beteiligte Akteur hauptsächlich vorne im Sturmzentrum lauerte. Untereinander Dynamiken aufzubauen, wurde dementsprechend erschwert. Auch auf der rechten Seite blieb Quaresma häufig breit in hoher Position. Zumindest hatte er von dort eine sehr klare und übersichtliche Ausgangslage, um mal in individuelle Horizontaldribblings an dieser flachen Staffelung entlang zu starten und kurze Doppelpässe oder Abschlüsse zu suchen, wie beim 0:1 auch mit Erfolg. Auch wenn diese Versuche ansonsten meistens versandeten, bedurfte es dafür recht wenig „Investition“, da die initiale Einzelaktion nicht noch kompliziert vorbereitet werden musste.

Aufrückeffekte bis zur Rückzugsbewegung

Etwas anders stellte sich das nach festgemachten Bällen in Ausweichzonen dar, die etwa André Silva ins Feld zurücktragen sollte. Er kam quasi aus einem Raum „hinter“ der letzten Linie, musste das Leder im Bogen nach außen mitnehmen und sich dann wieder nach innen drehen. Dies passierte also in einer breiten, hohen Position und fügte sich damit wieder in die ohnehin tendenziell flachen Staffelungen ein. Wegen der veränderten Dynamik konnte er aber nicht den direkten Weg in Richtung Mitte nehmen, da die Horizontale durch die unmittelbare gegnerische Rückzugsbewegung versperrt war.

So musste er einen kurzen Umweg laufen, also noch ein zusätzliches Stück nach hinten gehen, wodurch Portugal fast wieder komplett aus der Formation hinausgedrängt wurde. Hauptsächlich brachte dies also stabiles Aufrücken, Torgefahr war aus den flachen Anordnungen jedoch schwierig. Dass die Sechser sich weitgehend im Rückraum in absichernden Positionen hielten und dies rollenmäßig oft recht gleichmäßig, hatte ähnliche Auswirkungen: kein zusätzlicher Schub für die Durchschlagskraft, aber sehr viel Stabilität. Beide Teams verbuchten also einen „defensiven“ Erfolg, wobei jener des Favoriten mit Blick auf die Ausgangssituation zunächst mehr Wert war: Portugal hatte die Partie weitgehend im Griff, der Iran ließ zumindest wenig Gefahr zu.

Wichtig dafür war die starke Rückzugsbewegung der Mittelfeldreihe, die nach zweiten Bällen und nach kleinen Schnellkombinationen der Portugiesen halblinks griff: Auf jenem Wege konnte zwar Cristiano Ronaldo einige Male Tempo zum Strafraum aufnehmen, aber die zweite Linie der Iraner unterstützte die Abwehr enorm schnell und intensiv mit Rückwärtspressing. Überhaupt zeigte sich bei diesem Turnier, dass die Mannschaft von Carlos Queiroz im Vergleich zur letzten WM, als sie mit ihrer Defensivarbeit schon ein wenig hatten aufhorchen lassen, einige Schritte vorwärts gemacht hat: Gerade das athletische Grundniveau wurde verstärkt und auch die Intensität befand sich diesmal auf einem höheren Level. Vor allem in der Strafraumverteidigung war das hilfreich, um mehr Druck in der Kompaktheit zu haben.

Konter und lange Bälle

Aus ihrer defensive Grundausrichtung heraus fiel es den Iranern in dieser Begegnung schwer, ins Konterspiel zu kommen, wenngleich sie auch in dieser Disziplin in der Gesamtbetrachtung des Turniers mehr Möglichkeiten hatten als noch vor vier Jahren. Gerade aus den 4-5-1-Staffelungen gab es das typische Problem der schwierigen Anspielstationen, während Portugal oft beide Sechser hinter dem Ball und auch sehr sauber gestaffelt im Rückraum hatte. Für den Iran musste es im ersten Moment nach Ballgewinn über einleitende Dribblings der Mittelfeldakteure gehen, um sich so erst einmal etwas Zeit und Platz zu verschaffen.

Auch das setzten die Spieler recht gut um, suchten gelegentlich mal das Risiko und setzten in den folgenden Übergängen das Passspiel sehr attackierend an, insbesondere Rechtsverteidiger Rezaeian. Ein Paradebeispiel gab es direkt zu Beginn: enorm scharf gespielter Direktball auf Azmoun, mutige Ablage auf den gut umschaltenden Jahanbakhsh. So fand der Iran doch zu der einen oder anderen Szene, die aber schließlich im letzten Drittel gegen die Strafraumverteidigung oft zu hektisch abgeschlossen wurden. Aus dem eigenen Aufbau nutzte das Team viele lange Bälle. Konsequent zeigte sich dabei die Struktur: Entweder agierte der ballnahe Außenverteidiger für zusätzliche Präsenz hoch aufgerückt und/oder der ballferne Kollege bewegte sich sehr eng zur Verknappung des Feldes. Ebenfalls ging der ballferne Flügelspieler stets hoch in die letzte Linie und dort nach innen.

Allerdings standen die Iraner dafür vertikal häufig etwas zu gestreckt, auch wenn sie abermals die Athletik einiger Spieler gut einbrachten und so viel Druck erzeugten. Zwar wurde Portugal in der Folge auch ein Stück weit auseinandergezogen, kam durch den typischen improvisierten Verteidigungsstil aber gut damit zurecht, während dem Außenseiter oft die letzte Kontrolle in den Szenen abging. Der späte Ausgleich war sicher nicht unverdient und eine Belohnung für den enormen Aufwand, ein weiterer Treffer zum Weiterkommen wäre aber zu viel gewesen, zumal Portugal trotz der Probleme im Schussverhältnis klar vorne lag.

Fazit

Portugal nahm letztlich eine Pflichtaufgabe, das knappe Ausscheiden bedeutet für den Iran einen Achtungserfolg. In einer vor allem aufgrund der Intensität und der Konsequenz in der Umsetzung mancher Basisabläufe interessanten Begegnung bestimmen jeweils die „defensiven“ Aspekte. Nachdem sie gegenüber Spanien beim Torverhältnis den Kürzeren zogen, hat Portugal im Achtelfinale mit Uruguay wohl den unangenehmeren Gegner. Zumal könnten sich in jener Partie die noch vorhandenen Probleme in der Offensivausrichtung für das Team von Fernando Santos unangenehmer auswirken, auch wenn die bisher gegentorlosen Südamerikaner gegen ein konsequentes, individuell so starkes Flügelspiel in der Vorrunde noch nicht antreten mussten.

Aliou Bob Marley Cisse 27. Juni 2018 um 13:43

Für mein Empfinden verstand es Portugal trotz Schonkost besser den Iran aus dem Spiel zu halten, als die glorreichen Spanier. Der Iran hatte in den ersten 45 Minuten fast gar keinen Zugriff auf den Ball und kam nur in die Partie zurück, weil der vergebene Elfer die Portugiesen noch lethargischer machte und Portugal in den Minuten nach dem Ausgleich verwirrt war. Ich weiß, dass Santos immer wieder vorgeworfen wird, dass er das kreative Potential der Mannschaft nicht ausschöpft, aber in Hinblick auf eine reife Spielweise, die man für einen Titel benötigt, sehe ich bei Portugal sogar Vorteile gegenüber Spanien. Der Iran hat für mich gegen Spanien taktisch nahezu perfekt gespielt, allerdings war es nicht das erste Mal, dass Spanien ein Wasserballspiel mit nur einem Tor Unterschied gewann.

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