War Kiel doch chancenlos?

1:4

In der Vorschau auf die Relegationsspiele zwischen erster und zweiter Liga, die hier vor einer Woche erschien, haben wir uns recht optimistisch über die Chancen des Zweitligisten aus Kiel gezeigt. Inzwischen hat sich der Bundesligist VfL Wolfsburg mit 3-1 und 1-0 durchgesetzt. Wir fragen uns in einer Kurzanalyse: War Kiel also doch chancenlos?

Kiel minimiert seine Schwächen nicht

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Die Startaufstellungen im Hinspiel

Naja, nicht ganz. Zumindest das Hinspiel zeigte dagegen, das Kiel durchaus erfolgreich war, wenn es das umsetzen konnte, was wir hier als die Schlüssel zu einem Erfolg beschrieben haben. Aber das gelang den Holsteinern aber wirklich nur für 20 der 180 Minuten. Das war zu wenig, und während des Rests der Zeit, vor allem in der ersten Halbzeit des Hinspiels, konnte im Gegenteil Wolfsburg die Kieler Schwachstellen effizient ausnutzen.

Die größten Vorteile hatte Wolfsburg in eins-gegen-eins Situationen gegen die Kieler Defensive. Diese Situationen selten entstehen zu lassen musste einer der wesentlichen Teile in Kiels Plan sein. Doch das gelang nicht, vor allem, weil Kiels Pressing nicht aggressiv genug war, flache Spieleröffnungen Wolfsburgs zu verhindern. Dabei kamen zwei Weisen, in denen Kiel nicht aggressiv genug an das Spiel ging zusammen und verstärkten sich gegenseitig.

Zum einen ging Kiel mit seiner defensiveren Aufstellung im 4141 in die Partie, in der Dominic Peitz auf der Sechs und David Kinsombi auf der Acht spielte. Das war problematisch, weil der weniger athletische Peitz noch weniger als Kinsombi in der Lage war, die oft weit offenen defensiven Halbräume zu füllen. Mit Bewegungen von Malli in die Halbräume fiel es Wolfsburg leicht, dort Überladungen herzustellen. Dabei brauchte Wolfsburg nicht einmal wirklich Überzahlen: angesichts der individuellen Dynamik Vorteile, die vor allem Malli und Brekalo gegen Peitz und Herrmann hatten, genügte es eben, in eins-gegen-eins Situationen zu kommen. Wenn und als diese Duelle zu Wolfsburgs Gunsten ausgingen, kollabierte Kiels Restverteidigung häufig und konnte Kiel wenn überhaupt nur unkontrolliert klären, sodass Wolfsburg häufig auch zu Abschlüssen aus gewonnenen zweiten Bällen in Tornähe kam.

Angesichts der individuellen Nachteile in der Defensive war es auch nicht hilfreich, dass Kiels Verteidigung im eigenen Drittel oft personenorientiert funktionierte – oder funktionieren sollte. Im Herausrücken aus der Abwehrkette wurden die Kieler Verteidiger zwar nicht oft direkt ausgespielt, sie gewannen aber gegen Origi, der sich oft ins offensive Mittelfeld fallen ließ, auch kaum Bälle, weil sie in besagten Halbräumen oft isoliert waren. In solchen Situationen gelang es Origi immer wieder, Bälle auf die Außen oder die nachrückenden zentralen Mittelfeldspieler abzulegen, die im Anschluss mit Dribblings und Flanken die offenen Räume hinter den herausrückenden Kielern oder die noch nicht wieder organisierte Kette bespielen konnten.

Kontraproduktiver Weise wurden die defensiven Schwächen dieser nominell defensiveren Aufstellung durch das zurückhaltende Pressing noch verstärkt. Weil Kiel (in den ersten 60 Minuten des Vergleichs) fast nie ins Angriffsdrittel kam, konnte es Wolfsburg nur sehr selten zu unkontrollierten langen Bällen in den Sechserraum zwingen, für die Peitz die passende Besetzung gewesen wäre. Stattdessen war vor allem Knoche in vielen Aufbauphasen unbedrängt und konnte flache eröffnende Pässe direkt in das offensive Mittelfeld spielen. Wolfsburgs Probleme, das Spiel über die Sechs aufzubauen, fielen so kaum ins Gewicht

Kiels Offensivpotential

Auch wenn Kiel im Spiel gegen den Ball vielleicht etwas zu viel, oder fehlgeleiteten, Respekt vor der Aufgabe Relegation hatte, war es durchaus nicht so, dass man nichts von dem hätte sehen können, was Holstein in dieser Saison als eine positive Erscheinung im deutschen Fußball ausgezeichnet hat. In der konstruktiven Spieleröffnung und der Struktur ihrer Angriffe blieb sich die KSV treu. Die Außenverteidiger rückten im Aufbau, leicht guardioloesk, in die Halbräume ein. Sie bekamen allerdings nicht allzu oft als dort auch den Ball als zweite Station im Aufbau. Häufiger sah man, dass aus der Innenverteidigung die Außen angespielt wurden, die im zweiten Drittel Breite gaben.

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Die Aufstellungen im Rückspiel und am Ende des Hinspiels (dann noch mit Drexler statt Weilandt)

Gerade Schindler erhielt so oft den Ball mit maximal offenem Blickfeld, konnte präzise Weiterleitungen auf die 8/10 spielen und selbst wieder diagonal in die Tiefe starten. Das leuchtendste Beispiel für gelungene, typische Kieler Angriffe war das 1-1, das aber bis zur Schlussphase des Hinspiels ein einsamer Leuchtturm blieb. Diese Angriffe funktionierten, waren aber eben zu selten.

Das änderte sich erst in der Schlussphase. Nachdem Kiel auf die offensivere Besetzung wechselte und mit Seydel statt Lewerenz etwas mehr körperliche Präsenz auch in der letzten Linie hatte, kehrte sich die Dynamik des Spiels um. Wolfsburg reagierte auf die nun häufigeren Kieler Angriffe, in dem es sich weiter zurück zog und nun tatsächlich selten spielerisch den Weg aus dem eigenen Drittel fand. Kiel presste mehr und stand damit höher und kompakter.

Rückspiel

Kiel ging mit der offensiveren Aufstellung vom Ende des Hinspiels, aber Weilandt in Vertretung von Drexler in das Rückspiel, in dem wegen der mangelnden Chancenverwertung in der Schlussphase der ersten Partie ein zwei Tore Rückstand aufzuholen war.

Kiel ging das Spiel entsprechend aktiver an, an öffnete damit aber auch sofort große Konterräume, ohne selbst gegen den tief stehenden Wolfsburger Abwehrblock zu guten Chancen zu kommen. Spielerisch Räume in der Tiefe zu erschließen gelang Kiel nur auf den Außen, wenn ein zentraler offensiver Mittelfeldspieler und der Flügelstürmer den Wolfsburger Außenverteidiger überladen konnten. Dagegen fehlten in der Zentrale Drexlers extrem produktive Pässe. Und vielleicht nicht nur wegen dieses Qualitätsverlust, sondern auch wegen des Drucks des Rückstand bekam Kiel im Rückspiel nicht die Ruhe und Präzision in seine Angriffe, die sie bisher ausgezeichnet hatte.

Fazit

Besser als TE kann man die beiden Spiele nicht zusammenfassen:

Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer Verweisen auf TEs Text über Kiel für Spiegel Online und die Analyse aus Kieler Sicht.

SMR 30. Mai 2018 um 19:33

Zu rb’s Überlegungen:

Nehmen wir an, dass wie beschrieben die 4 Topteams zusammen eine WM-Favoritensieg-Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent haben. Wir hatten bisher zwanzig WM-Turniere.

Nimmt man also die 20 bisherigen WM-Turniere und nimmt an, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Favoritensieg 0.5 sei, so ergibt sich bei Annahme einer Binomialverteilung mit n = 20 Turnieren und p = 0.5 folgende Verteilung für X = Anzahl der Favoritensiege:

Der Erwartungswert wäre natürlich E (X)= 20*0.5 = 10 Siege. Die Standardabweichung S (X) wäre dann gerundet S (X) = 2.3.

Nehmen wir die oben genannten 6 Außenseitersiege von 34, 38, 50, 54, 66 und 06, dann haben wir immerhin 14 Favoritensiege, also 4 mehr als erwartet. Das liegt außerhalb des Sigma-Intervalls.

Die kumulierten Wahrscheinlichkeiten für 10 < X < 15 betragen immerhin 0.406, also gerundet 41%, dass man also 11 bis 14 Favoritensiege hat. Was ja eingetreten ist.

Dass man zwischen 7 und 13 Favoritensiege hat (also 7 < X < 13), was einem großzügig aufgerundeten zweiseitigen 1-Sigma-Intervall entspricht, tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von 81 % ein. Und wir liegen ja mit 14 Favoritensiegen außerhalb dieses Intervalls.

Die Wahrscheinlichkeit, dass höchstens 6 Aussenseitersiege stattfanden (wie ja angenommen wurde) beträgt dann aber nur 0.057, also aufgerundet nur 6%!!!

Nimmt man eine kleinere Wahrscheinlichkeit p an, z. B. p = 0.4, so ändert sich die letzte Wahrscheinlichkeit auf nur noch ca. 0.0065, also nur noch 0.65 %!

Erst bei einer Wahrscheinlichkeit p = 0.67 für einen Favoritensieg der 4 Topteams (in der Summe) ist die Wahrscheinlichkeit für die angenommenen und beobachteten 14 oder mehr Favoritensiege größer als 50 Prozent!

Natürlich geschah die obige Rechnung ohne Anpassung der Teilnehmerzahl im Laufe der Jahre. Vielleicht erahnt man aber eine Tendenz.

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Koom 23. Mai 2018 um 11:00

Danke für den Artikel.

Finde die Ähnlichkeiten in manchen Dingen zu Guardiola recht passend. Kiel hat sich eine Spielweise zugelegt, die sehr gut ist, um eine Vielzahl von Spielen zu gewinnen, in die man als Favorit geht. Schöne offensive Raumaufteilung, guter Schutz gegen Konter mit langen Bällen… und damit einher ein wenig das Problem, dass diese Spielweise für Ligabetriebe gut ist, wo man seine Ziele erreicht, wenn man 80-80% der Spiele erfolgreich gestaltet, aber bei KO-Spielen man dann immer mal in Situationen kommt, wo das System nicht vernünftig greift. Aus diversen Gründen, wie Verletzungen, schwacher Form, gut eingestellter Gegner etc. Hier war es wohl einfach eine Mischung aus zuviel Respekt (man trug den Ball nicht gut genug in die gegnerische Hälfte) und damit einhergehend dann ein teilweiser Zusammenbruch der sonstigen Dynamik.

Und nun beginnt das große Zerfleddern: Trainer weg, Spieler werden auch anderso gehandelt… vermutlich spielt Kiel dann in 2 Jahren in der Abstiegsrelegation.

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kalleleo 23. Mai 2018 um 15:47

Ich fand Wolfsburg war im Hinspiel recht gut mit Pressing bzw Gegenpressing dabei, das hat Kiel oft vor ziemliche Probleme gestellt und eher selten einen ordentlichen Spielaufbau zugelassen. Das ist vielleicht generell eines der besten Mittel, individuell unterlegene Gegner zu Fehlern bzw schlechtem Spiel zu verleiten, indem man sie richtig unter Druck setzt? Sollten die Kieler zumindest etwas aus der Liga gewohnt sein aber auf Bundesliganiveau anscheinend doch nochmal etwas wirkungsvoller…

Denke wie bei vielen Aufsteigern wird auch fuer Kiel die verflixte zweite Saison sehr schwer werden.

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Daniel 23. Mai 2018 um 15:56

Kiel war in dieser Zweitligasaison vieles, aber (abgesehen vom GI) sicher kein Favorit. Dass Guardiola bei „großen Spielen“ versagt find ich immer noch fragwürdig. Fakt ist, dass es bei seinen Ex-Vereinen nach seinem Abgang auch in den Pokal-Wettbewerben bergab ging. In vier Jahren Barca gewann er zweimal die CL, zweimal schied er im HF aus. Seit seinem Abgang 2012 erreichte Barca nur noch zweimal (!) das Halbfinale (und da wurde man dann einmal von Bayern abgeschossen, einmal gewannen sie nochmal), dafür war viermal bereits im Viertelfinale Feierabend. Bayern gewann letztmals mit Guardiola ein KO-Spiel gegen einen ca gleich guten Gegner (gegen Juve seinerzeit), unter Ancelotti und Heynckes flog man gegen das erste Spitzenteam raus. Auch im DFB-Pokal waren Guardiolas zwei Titel in drei Jahren eine hervorragende Bilanz…in den zwei Jahren seit seinem Abgang kam kein weiterer Pokalsieg dazu.

Anyway: wenn du Recht hast müsste Anfang nächste Saison geradezu der ideale Mann sein, um den vermutlich besten (schlechtestenfalls zweitbesten) Kader der zweiten Liga zum Aufstieg zu coachen. Mit Titz HSV und Anfangs Kölnern wird die zweite Liga nächste Saison zwei individuell hervorragende und mit spielerisch sehr ambitionierten Trainern ausgestattete Favoriten haben. Klingt interessant.

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bertifux 24. Mai 2018 um 12:25

Was sagt uns das jetzt über Guardiola? Er hat die Mannschaften jeweils auf dem Höhepunkt verlassen? Oder, dass auch bzw. gerade er mit dem System verstärkt von Einzelspielern abhängt? Oder ist die CL nur Glücksache?
Wenn ich mich recht entsinne, dann hat sich Juve nach dem Ausscheiden gg Bayern ähnlich verschaukelt gefühlt, wie die Bayern nach dem jeweiligen Ausscheiden gg Real. Und während Ancelotti und Heynckes gg Real zumindest auf Augenhöge agierten und nur knapp scheiterten, hat Guardiola (außer gg Athletico) relativ deutlich die Grenzen aufgezeigt bekommen…

Guardiola ist gut, keine Frage. Aber letztlich bin ich nicht überzeugt, ob er wirklich so deutlich über den anderen Spitzentrainern steht…

Btw: Ich finde es ja wirklich schade, dass es keine Analyse zum Pokalfinale gibt/gab… fand die Kovac´schen Umstellungen inkl. Systemwechsel von 4er-Kette zu 5er-Kette durchaus interessant. Und aus dem Spiel hat die Frankfurter Defensive auch nicht so viel zugelassen, gegen die bayrische Übermacht. Einen Konter mit dem Abschluss von Lewandowski und ein paar Flanken. Ansonsten Gefahr vornehmlich nach Standardsituationen. Bei allem Dusel muss da was richtig gemacht worden sein…

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McHanson 24. Mai 2018 um 15:07

Guardiola hat Barca erst zum Höhepunkt gebracht, Bayern hat er nicht auf dem Höhepunkt der einzelnen Spieler verlassen, er hat die Mannschaft trotz nachlassender individueller Qualität jedes Jahr verbessert. Und gegen Barca damals war die halbe Mannschaft verletzt oder noch nicht topfit.

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HW 27. Mai 2018 um 15:04

An Guardiola scheinen sich die Geister zu scheiden. Wenn doch nur andere Trainer so ernst genommen und teilweise verbissen betrachtet würden.

Eigentlich müsste gerade ein anderer Trainer total gefeiert werden. Und auch bei ihm könnte es eine Diskussion geben wie groß sein Verdienst ist. Aber diese Diskussion gibt es zumindest nicht in der Schärfe wie bei Guardiola.

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McHanson 27. Mai 2018 um 19:57

Zidane oder Klopp?

Koom 27. Mai 2018 um 21:57

Beide hätten es verdient. Machen ganz offensichtlich auf ihre Art auch sehr sehr viel richtig.

CHR4 31. Mai 2018 um 03:48

dazu im Nachtrag das ungefähre (sinngemäß aus meiner Erinnerung) Zitat von Klopp vor dem CL-Finale: „angeblich ist Zidane taktisch ja nicht so gut – und viele sagen das übrigens auch von mir … – das wäre ja lustig, wenn zwei Trainer, die taktisch keine Ahnung vom Fußball haben mit ihren Teams im Finale sind … Was würde uns das über den Fußball sagen?“

trotzdem muss ich sagen, dass ich mir noch mehr vom Finale dieser beiden Teams erhofft habe …

Koom 24. Mai 2018 um 13:45

@Daniel: War nicht als Guardiola-Bashing gedacht. Ich sehe es als „Eigenart“ seiner Herangehensweise an. IMO geht es in solchen Spielen dann doch wieder um Heldenfußball um die Waage in eine Richtung ausschlagen zu lassen – und wenn der Kader es nicht von sich aus hergibt (Messi!), dann gibt es das unter Guardiola praktisch nicht. Und ja, das ist nur mein Eindruck. Vermutlich ist Guardiola in diesen 50:50-Spielen genauso erfolgreich oder eben nicht wie andere Trainer – deswegen ist es auch ein 50:50-Spiel. In Bezug auf den Ligabetrieb halte ich Guardiolas Herangehensweise für nahezu perfekt. ManCitys Kader ist individuell nicht wirklich so viel stärker als die der anderen Topteams und hat die Premiere League genauso dominiert wie er es mit den Bayern machte.

Zurück zu Kiel/Köln/Anfang: Wenn Anfang das so spielen lässt wie mit Kiel, Köln sich passend dazu aufstellt, dann werden die und der HSV Platz 1 unter sich ausmachen. Da sehe ich auch keinen ernsthaften Mitstreiter. Schusters Darmstadt könnte sich wieder nach oben mauern, der Rest hat aus meiner Sicht erst mal keine Substanz in dem Maße.

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Koom 24. Mai 2018 um 15:57

@Daniel: Es ist natürlich mein Eindruck. Ich bin der Meinung, dass in KO-Spielen gleichwertiger Mannschaften es dann doch ganz gerne auch mal der „Heldenfußball“ ist, der das Zünglein an der Waage ist. Guardiolas System fördert das nicht, profitiert aber auch davon (Messi), wenn sich jemand findet, der sich nicht nur an den Rahmen hält. Andere Trainer setzen etwas mehr auf individualtaktische Leistungen. Letztlich reden wir aber von 50:50 Spielen, und vermutlich hat Guardiola keine bessere oder schlechtere Statistik als die meisten anderen Trainer von Topklubs. Deswegen ja auch 50:50.

Für den Ligabetrieb an sich empfinde ich Guardiolas System als nahezu perfekt. Ich halte ManCity jetzt nicht für krass stärker als andere Premiere-League-Klubs und er hat City so deutlich zur Meisterschaft geführt, wie ihm das zuvor mit den Bayern gelungen ist.

Zurück zu Kiel/Köln/Anfang: Wenn Anfang dieses Konzept beibehält, Köln entsprechend ihren Kader ergänzt, dann sehe ich sie mit Titz‘ HSV um Platz 1 der 2. Liga spielen. In der Nähe sehe ich keinen Verein, der sich da einmischen könnte. Schusters Darmstadt kann man noch mal zutrauen, dass man sich oben festsetzt mit humorlosen, formstabilen Fußball.

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Chris 25. Mai 2018 um 09:07

Heldenfußball: Entweder die Mannschaft is besser – oder nicht. Egal wann, ob in Liga oder in KO-Spielen. Wenn eine Mannschaft mit Heldenfußball einen Stärkewert von X hat, hat sie ihn. Wenn sie ohne Heldenfußball einen Wert von Y hat, hat sie ihn. Das macht keinen Unterschied, obs gegen gleichwertige Mannschaften und/oder in ein KO-Spiel geht.
Deshalb formuliere ich die Aussage „in KO-Spielen gleichwertiger Mannshcaften gibt Heldenfußball den Ausschlag“ – die ja stimmen kann – so, dass Mannschaft A mit der und der Taktik inklusive Heldenfußball eben insgesamt stärker ist. Als eine andere Mannschaft B (zB Guardiolas Man City) ohne Heldenfußball.
Die Konsequenz daraus wäre aber, dass Guardiola a) Helden braucht, d.h. anscheinend noch bessere Spieler – was natürlich immer der Stärke zugute kommt – und/oder b) taktisch suboptimal spielen lässt, weil er diesen Heldenfußball ignoriert.
a) stimmt dabei per Definition, b) bezweifel ich sehr stark – und damit das Konzept des „Heldenfußballs“, was meist nichts anderes als die Beschreibung der Tatsache einer individuell stärkeren Mannschaft ist. Wer darunter versteht, dass Stars wie Messi mit Individualleistungen den Ausschlag geben – duh. Wer denkt, eine optimale Taktik würde das verhindern – der hat eine andere Vorstellung, was eine optimale Taktik ist. Gretchenfrage zum ganzen Thema: War Messi unter Guardiola suboptimal?

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Koom 25. Mai 2018 um 09:40

Nein.

Das ist auch nicht ganz der Punkt. Guardiolas Kampfplan ist grundsätzlich – in jeder Situation – sehr stark und gut. Die Mannschaft spielt durchaus riskant, aber mit einer sehr guten Ordnung und Disziplin. Bei gleichwertigen Gegnern zermürbt man oft diesen – das ist dann aber auch der Punkt, wo es aus meiner Sicht besser ist, wenn 1-2 Spieler individualtaktisch „freier“ entscheiden und aus der Struktur ausbrechen und nicht nur auf Trainerinput warten. Mir kam es bei den Bayern so vor, dass die Mannschaft extrem diszipliniert agierte – und eben sehr selten ausscherte und dem Trainer hörig war.

Ich will auch wirklich nicht den Heldenfußball hervorheben. Den Eindruck will ich wirklich nicht vermitteln. Da geht es eher um die Kirsche auf der Sahne. Guardiolas Schlachtplan ist sehr gut, aber du brauchst in großen Spielen dann doch manchmal mutige Entscheidungen und Handlungen einzelner.

Jetzt werd ich vermutlich gleich niedergemacht: Selbst das altbekannte Abgrätschen durch Effenberg des gegnerischen „Leitwolfs“, so sinnfrei das auch sein mag, kann eine immense psychologische Komponente mit sich bringen, die dann den Ausschlag gibt.

Letztlich ist das ja auch der Reiz des Fußballs. Es ist eben nicht (nur) Mathematik. 😉

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Chris 26. Mai 2018 um 09:41

@ Daniel: Genau das, was ich meinte.

@Koom: Siehe Daniel. 🙂 „Mutige Entscheidungen und Handlungen einzelner“ sowie „Abgrätschen durch Effenberg“ sind aber einfach Aktionen, von individuell starken Spielern, die Teil einer Taktik sein können. Ich würde da nicht dieses „vs“ in Taktik vs Heldenfußball sehen. Eine Taktik kann sein, den individuellen Stars zu sagen: „In der Situation X – geh einfach nach Gefühl zum Tor/stifte Verwirrung/dribbel mal drauflos“. Das gibts in jedem Spiel. Und wenn eine Aktion einfach als positiv bewertet wird, zB Effenbergs Abgrätschen, dann ist das kein Widerspruch zu einer Taktik. Sondern dann ist ein Inhalt/Ziel der Taktik, diese Aktion öfter zu bringen.

Deshalb schlage ich also vor, Taktik als Überbegriff zu nehmen für das Kontinuum, sowohl für eine Maßgabe, extrem einstudiert zu spielen, als auch, in bestimmten Situationen Freiraum zu gewähren bis hin zu „Gehts raus und spuit Fußball“, was in der Form dann alleine auf die Individualtaktik und gruppentaktischen Verständnisse der Spieler vertrauen würde. Da is also nicht die Taktik abgeschafft, sondern nur der Traineranteil daran (abgesehen, dass es bei Becckenbauer ja auch nicht so war, wie der Spruch nahelegt).

—————————–

Re Heldentaten: Andererseits kann häufiges Abgrätschen aber auch bedeuten, dass Bälle oft verloren gehen in ungünstigen Momenten und das Positionsspiel schlecht ist. Was dann erst eine Heldentat erfordert. Siehe auch Torlinientorwart (mit Heldentaten a la Kahn und Casillas) vs mitspielender Torwart. Mit vom Laien betitelten „Aussetzern“ beim Nach-Vorne-Gehen, die aber notwendiges Übel des (zu diskutierenden) besseren Systems sind. Oft werden also Heldenaktionen subjektiv auf dem ersten Blick als positiv bewertet, die es objektiv im big picture nicht sind. Es gibt nicht umsonst eine große Differenz zwischen der Einschätzung der Fans bzgl effektiver Fußballer vs Goalimpact.

Daniel 27. Mai 2018 um 14:27

@koom
„Selbst das altbekannte Abgrätschen durch Effenberg des gegnerischen „Leitwolfs“, so sinnfrei das auch sein mag, kann eine immense psychologische Komponente mit sich bringen, die dann den Ausschlag gibt.“

Aber hat es das denn unter Pep nicht gegeben? Alonso und Vidal haben im Bayern-Mittelfeld nicht zu knapp rumgefoult, ohne dass Guardiola das unterbunden hätte. Gab glaub ich mal ne Statistik, dass Peps Bayern überdurchschnittlich viele Fouls bei gegnerischem Ballbesitz begeht. Ich glaub halt, dass die vermeintlich fairen Schulbuben Guardiolas einfach ein Bias sind: da Guardiolas Teams quasi immer strukturierten Ballbesitzfußball spielen und fast immer ein recht ansehnliches Spiel herauskommt vergisst man die Fouls eher als bei Mannschaften, die außer Fouls gar nichts auf die Reihe kriegen. Wenn die „Effenbergsche Grätsche“ das einzige ist, was von der Mannschaftsleistung in Erinnerung bleibt, sagt das eigentlich mehr über die Mannschaftsleistung aus als über die Grätsche.

Um zu Anfang zurückzukommen: Gerade seine Nutzung der Außenverteidiger hat in Köln extremes Potential. Für Jonas Hector dürfte diese Rolle optimal sein, da kann er seine Fähigkeiten besser ausschöpfen als als linearer LV oder im defensiven Mittelfeld. Für die RV-Position hat der FC nun Benno Schmitz von RB Leipzig geholt, der auch als pass- und spielstark gilt. Bei RB kam er kaum zum Zug, weil die gerade auf der Außenverteidigerposition den Hauptfokus auf Athletik legen, aber zu Anfang sollte er passen. Interessant an Schmitz ist sein immens hoher GI. Vor drei Jahren hat Goalimpact den deutschen WM-Kader für 2018 zu prognostizieren versucht. Schmitz wäre laut dieser Prognose dabei gewesen mit einem GI von 162! Mal schauen, ob Anfang dieses Potential aus ihm rauskitzeln kann.

Koom 28. Mai 2018 um 13:33

@Daniel:
Unter Guardiola wurde IMO vor allem sehr viel „taktisch“ gefoult. Xabi Alonso hat ja gefühlt jeden Quadratzentimeter Trikot des Gegners mehrfach in der Hand gehabt, aber auch andere. Das waren einfach „harmlose“ Fouls (die eigentlich laut Regelbuch oft auch Gelb verdient haben), die die Angriffe frühzeitig unterbinden sollten.
Das „Effenberg-style Foul“ macht ja heute kaum einer. Bei Madrid würde ich das noch Ramos unterstellen, dessen Anwesenheit auch deutlich mehr ausmacht als nur seine sicherlich vorhandene Qualität im Zweikampf und Offensivkopfball.

B2t: Stimmt. Jonas Hector ist praktisch ideal für seine AVDM-Spielweise. Da kann Hector schon ein gewaltiges Pfund werden, wenn man die Offensive vorne gut bestückt.

Koom 28. Mai 2018 um 13:38

Und kurz nochmal zum Klarstellen:

Das Effenberg-Foul hat im Grunde nichts mit irgendeinem Spielzug auf dem Platz zu tun. Es ist kein Foulspiel um einen Angriff zu stoppen o.ä. Es ist idr nicht mal brutal, es geht also auch nicht darum, jemanden zu verletzen. Es ist quasi das körperliche Äquivalent zu einem Löwenbrüllen. Idealerweise, in dem man den gegnerischen Leader dabei ummäht (wie gesagt, nicht grob etc.) und sich vor ihm aufbaut. Effenberg, mit bestimmt um die 1,90m Körpergröße und einer Neandertaler-Stirn konnte das halt ziemlich ideal. Natürlich war das mehr in einer Zeit, in der Taktik noch nicht DIE große Rolle gespielt hat, aber ich denke, dass das ein durchaus wichtiges Element war, um der eigenen Mannschaft mehr Selbstvertrauen und -bewusstsein mitzugeben.

Was Vidal da auf dem Platz so treibt hat idr mit obigem Verhalten nichts zu tun. Der ist manchmal eigentlich einfach nur zu langsam und grobschlächtig. Wie generell bei Vidal scheint der nicht über den Moment hinauszudenken.

Daniel 25. Mai 2018 um 11:13

@Koom
Ich hatte es auch nicht als Guardiola-Bashing aufgefasst, alles gut 🙂 Mein Kommentar klang vielleicht etwas zu sehr nach Widerspruch…

@bertifux
Tja…da kann man lang drüber diskutieren, was uns das über Guardiola sagt. Ich bin da bei McHanson. Für Peps Barca würde ich deutlich verneinen, dass er die Mannschaft auf dem Höhepunkt verlassen hat. Als Pep Barcelona 2012 verließ waren von den Säulen der Mannschaft nur Xavi (32) und Puyol (34, der war schon während der Endphase Guardiolas nicht mehr auf dem Zenit) über ihren Höhepunkt hinaus. Die anderen wie Valdes (30-jähriger TW), Alves (29) oder Mascherano und Iniesta (28) waren noch nicht sehr alt und konnten ihre individuellen Leistungen eigentlich auch noch ein paar Jahre konservieren, die beiden für mich wichtigsten Spieler des Guardiola-Barca Busquets (24) und Messi (25) hatten sogar ihre stärkste Zeit noch vor sich. Doch als Mannschaft kam Barca nie mehr über einen längeren Zeitraum auf das Niveau der Guardiola-Zeit. Seine Bayern-Mannschaft hatte ihren Zenit wohl schon leicht überschritten, spätestens nach seinem ersten Jahr.

@Chris
Seh ich auch so. Dass Guardiola in der CL scheinbar weniger erfolgreich ist liegt erstens einfach am Modus und zweitens daran, dass vor allem seine jetzige City-Mannschaft, mit Einschränkungen aber auch sein Bayern individuell nicht total herausragend waren. In der Liga mitteln sich Faktoren wie Glück und Zufall über eine Saison ungefähr raus, deswegen setzt sich in einer Ligasaison meist der bessere durch (und wenn nicht war der Unterschied nur extrem gering). In ein oder zwei Spielen hingegen kann auch mal gut das deutlich schwächere Team gewinnen, haben wir ja diese Saison auch zur Genüge gesehen. Eintracht Frankfurt hätte keine Chance, über 34 Spiele vor Bayern zu stehen. Aber natürlich können sie Bayern mal schlagen, wenn die zweimal Aluminium treffen und der Schiri einen Strafstoß übersieht. Oder Liverpool ManCity, auch wenn da der Unterschied sicher nicht ganz so krass ist. Guardiola ist für mich der einzige Trainer neben Tuchel und Nagelsmann, den ich schon länger verfolge, dessen Mannschaften quasi immer überperformen im Vergleich zu dem, was ich rein vom individuellen Leistungsvermögen erwarten würde.

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rb 29. Mai 2018 um 08:17

zu skill vs. luck hier noch ein interessanter text: http://business-analytic.co.uk/blog/how-lucky-is-top-tier-english-football/
hauptaussage: im „relegationsturnier“ zur premier league spielt luck eine viel größere rolle als in der premier-league-meisterschaft, alleine schon wegen der geringen anzahl von spielen. lässt sich m.E. 1:1 auf den unterschied zwischen champions league und meisterschaften übertragen

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Chris 29. Mai 2018 um 21:11

Absolut! Hier sind zB Vorhersagen aufgrund von Elozahlen für die Gewinnwahrscheinlichkeiten für die WM: https://eightyfivepoints.blogspot.com/2018/05/what-can-we-expect-from-21st-fifa-world.html
Mit anderen benchmarks wie transfermarkt.de Mannschaftswert, Goalimpact usw sähe das ähnlich aus.

Wenn dann der Favorit nur ne Wslkt von < 20% hat, WM zu werden, gewinnt also zu mehr als 80% nicht die beste Mannschaft das Turnier. In vier von fünf Fällen! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Dazu noch der von dir beschriebene große Zufalls-Anteil, weil Fußball ein Spiel mit wenig spielentscheidenden Ereignissen (sprich Tore) ist (vgl Basketball, Volleyball, Handball…) und dazu ein ko-Modus im Vgl zu Liga sehr wenige Spiele hat.

Ich weiß nicht, obs historische Retrospektivsimulationen (evtk von GI?) für die WMs vor 20-80 Jahren gibt, aber es ist fast ein Wunder, dass dort relativ oft eine der besten sagen wir drei Mannschaften das Turnier gewann. Oder es war kein Wunder, und die Spielstärkenunterschiede früher eklatant hoch – was natürlich die Wslkten verändert. Bei der EM dagegen haben wir schon drei Beispiele in jüngster Vergangenheit, bei denen weniger starke Mannschaften das Turnier gewannen: Dänemark, Griechenland, Portugal.

Ich finde, diese Fakten müssen einige Konsequenzen in der Bewertung von "Erfolgen", und damit Spieler- bzw Trainerbewertung, nach sich ziehen.

Geradezu absurd, dass unter dieser Perspektive der Stammtischfan einen Titel bei einem Turnier "fordert" a la "Favorit" bedeute in diesem Jahrhundert ne hohe, 60-80%ige Wslkt, das Turnier zu gewinnen.

rb 30. Mai 2018 um 14:38

„Ich weiß nicht, obs historische Retrospektivsimulationen (evtk von GI?) für die WMs vor 20-80 Jahren gibt, aber es ist fast ein Wunder, dass dort relativ oft eine der besten sagen wir drei Mannschaften das Turnier gewann.“
Naja, vielleicht auch kein zu großes Wunder. Bei 85points summiert sich ja z.B. die Gewinnwahrscheinlichkeit der ersten vier Mannschaften auch schon zu 50% auf. Und bei einem 32er-Feld – bei 13 Mannschaften (1930), 16 Mannschaften (1934-1978) und 24 Mannschaften (1982-1994) wäre die Quote wohl noch höher. Nachvollziehbar also, dass die Quote von Siegern aus der Favoritengruppe bei WMs relativ hoch liegt.
Welche Weltmeister waren denn nicht zwingend Top4-Mannschaften beim jeweiligen Turnier? Italien 1934 oder 1938? Uruguay 1950? Deutschland 1954? England 1966? Italien 2006?

Chris 30. Mai 2018 um 19:31

Jetzt haste zwar geschickt aus Top 3 Top 4 gemacht – aber ich stimme dir zu. 🙂

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