Blick über den Tellerrand – Folge 45

Nach längerer Zeit steht mal wieder eine neue Ausgabe ins Haus. Diesmal im Blickpunkt: Fußball in Madrid und ein chilenischer Sechser der vorigen Dekade. Zudem geht es um die Frage, wie es im (kriselnden?) niederländischen Fußball um das Gegenpressing bestellt ist.

Interessant zu beobachten: Getafes „gutes“ Ergebnis im Madrider Stadtduell

Wenn sich einer der absoluten Meisterschaftsfavoriten in einem Ligabetrieb gegen einen kleineren Gegner schwertut, steht dahinter nicht selten eine interessante taktische Anpassung des Underdogs gegen das typische, bevorzugte, schwierig zu konternde System des Favoriten. Manchmal tritt aber gewissermaßen auch der umgekehrte Fall ein, wie nun am Wochenende beim kleinen Stadtduell Madrids zwischen Getafe und den zäh in die neue Saison gekommenen Champions-League-Siegern von Real. Beim Aufeinandertreffen an diesem Wochenende blieb es lange beim 1:1, ehe die „Königlichen“ ganz spät doch noch den Siegtreffer erzielten.

Anders gesagt: Das vergleichsweise „ungewohnt knappe“ Ergebnis entsprang nicht primär einem spezifischen Plan der Hausherren, sondern in erster Linie aus einer Abweichung des Favoriten von seinem Hauptsystem zu einer Variante, die nicht so gut funktionierte. Aus dem 4-4-2 heraus entstanden bei Real häufig zu flache Offensivstaffelungen. Dagegen setzte der Gastgeber von Trainer José Bordalás auf eine effektive Umsetzung seines Defensivsystems, genauer gesagt seines methodisch recht gewöhnlichen 4-4-1-1/4-4-2-Pressings: sie agierten dabei etwas kompakter und verschoben noch etwas intensiver als der Durchschnitt. Vor allem die Rückzugsbewegung zeigte sich diszipliniert und aufmerksam, auf den offensiven Flügelpositionen über Mannorientierungen in Sechserkettenansätze fast zu sehr. Ballfern blieben sie gelegentlich mal etwas breiter und spekulierten auf Verlagerungen, der Zehner pendelte vielseitig zwischen den gegnerischen Sechsern, einmal presste der früh verletzt ausgewechselte Rechtsaußen Álvaro Jiménez auch stark diagonal auf Kroos.

Was sich aber als sehr markant – und dabei auch wichtig sowie passend gegen den großen Stadtrivalen – darstellte bei Getafe, war die teils außergewöhnlich starke und fokussierte Ballorientierung des jeweils ballnahen Sechsers. Teilweise schob er enorm weit und unterstützend nach außen, wofür die Hausherren auch größere Horizontalabstände innerhalb des Duos vor der Abwehr in Kauf nahmen. Diese Gewichtung kam gut zur Geltung, da Real sich recht stark auf den ballnahen Halbraum fokussierte in ihrer Positionsfindung, aber weniger auf die mittigen Räume. Indem Getafe das quasi adaptierte, konnte Real die beteiligten Akteure im vertikalen Kanal hinter Bergara bei den typischen Aufbauszenen über Herauskippen von Kroos halblinks nicht einsetzen. Einige Male gelang es vielmehr den Gastgebern, über die Keilstaffelung ihrer vorderen Akteure, Kroos nach links zu drängen und Real dort zuzuschnüren.

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Getafe drängt Kroos nach außen, Bergara als ballnaher Sechser schiebt weit in den Halbraum hinüber und kann den vertikalen Passweg belauern. Mit drei Spielern in der letzten Linie kann Real dann nicht entscheidend Zentrumspräsenz aufbauen, während die Sechser horizontal recht weit auseinander gezogen sind.

Ihrerseits fanden die Gäste nicht die letzte Ruhe, um sich dagegen in gewohnter Manier zu lösen: Ohne Modric und Casemiro hatte Zidane auch die standardmäßige 4-3-3-Formation mit seinen unangenehmen, lockenden U-Zirkulationsstrukturen nicht mit im Gepäck. Vor der Abwehr wurde Kroos nur durch Marcos Llorente ergänzt, zentral war zusätzlich vielmehr Cristiano Ronaldo als hängende Spitze neben Benzema aufgeboten. In diesem Systemkontext konnten gewisse Staffelungsprobleme sich direkt mehr auswirken: Die Flügelspieler agierten recht hoch, aus dem Raum hinter dem ballnahen gegnerischen Sechser heraus hätte das Freilaufverhalten aktiver kommen können. Wenn das über Asensio aber mal gelang, konnte es sofort gefährlich werden für das 4-4-2-Getafes. Mit dessen Zurückfallbewegungen schien Real später auch gezielter Bergara herauszulocken (und mit schnellen Weiterleitungen überspielen) versuchen, so dass sich weiträumige Zugriffsbewegungen von dieser Position ins Gegenteil zu verkehren drohten.

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Ähnlich wie oben ist Kroos der Weg durch den Halbraum versperrt und er muss abdrehen. Erneut steht Bergara recht nah am Flügelspieler, muss jetzt aber keinen Gegner zustellen, sondern sichert nur lose den Horizontalabstand innerhalb der Kette. Die zwei voreinander versetzten Offensivspieler Getafes sind für die Anbindung an den gerade nicht bestezten ballfernen Halbraum unangenehm.

Insgesamt hatte das Mittelfeld der Gäste damit nicht so viel Sicherheitsstationen, vor allem nicht so viele Ausweichoptionen wie gewohnt. Auch zwischen den beiden Sechsern bestand nur geringer Kontakt, was eine Verbindung der beiden Halbräume erschwerte. Wenn sich Marcos Llorente halbrechts breiter herausbewegte oder Lucas Vázquez dort – teils überambitioniert – ballfordernd tief in den Halbraum zurückfiel, konnte Getafe durch schnelles Herausschießen des linken Sechsers neben den Außenspieler überfallartig für Druck sorgen. So rissen letztlich einige Bemühungen der „Königlichen“ früh ab. Vielleicht lag es auch an diesem teils fahrigen Charakter der Begegnung, dass den Einzelspielern Reals ungewohnt viele Unsauberkeiten und seltsame Entscheidungen einfach bei „alltäglichen“ Zuspielen unterliefen.

Eine vergleichsweise niedrige Passquote verbuchte auch Getafe, in ihrem Fall durch den sehr vertikal angelegten Umschaltstil und den Fokus auf lange bzw. zweite Bälle. In dieser teilweise offenen Spielcharakteristik kam Real – nicht zuletzt nach Schnellangriffen, wegen des teilweise starken und für die Stabilität wichtigen Gegenpressing Getafes nur gelegentlich über Konteransätze – eigentlich auch recht oft nach vorne, hatte zumindest nicht wenige Szenen in Strafraumnähe: einfach gar nicht so weit entfernt vom „Normalmaß“. Der Gastgeber verteidigte solide und unangenehm, aber nicht überragend, etwa mit gewissen Instabilitäten bei zu starker mannorientierter Rückzugsbewegung, was Cristiano in der Anfangsphase einen gefährlichen Abschluss ermöglicht hatte.  So lockend vorbereitet, wie man es oft von ihnen gesehen hat, konnten die „Königlichen“ diesmal aber nicht durchdringen.

Spieler der Woche: Claudio Maldonado

In der Länderspielpause wurden diesmal einige Weichen in puncto WM-Tickets gestellt, mit den Chilenen wird etwa ein potentielles Schwergewicht das Turnier in Russland verpassen. An dieser Stelle soll es nun etwas Balsam für den amtierenden Doppel-Südamerikameister geben: ein Kurzporträt zu einem Mittelfeldmann des Landes, Claudio Maldonado, der 2015 im Alter von 35 Jahre seine aktive Karriere beendete. In den wichtigsten Phasen seiner Laufbahn hatte sich die chilenische Nationalmannschaft noch nicht den heutigen Status erarbeitet, und als es dann mit dem viel beachteten Ausrufezeichen bei der WM 2010 unter Marcelo Bielsa in diese Richtung ging, lief Maldonados Zeit in der Landesauswahl aus. In der Qualifikationsrunde noch im Kader, wurde er für das letztliche WM-Aufgebot nicht berufen und blieb damit trotz 44 Länderspielen ohne Teilnahme an einem großen Turnier – abgesehen von Olympia-Bronze 2000.

Auf solide und unspektakuläre Weise verkörpert Maldonado einen modernen Sechser, ohne aber ein herausragendes Profil aufzuweisen: Er war in seiner Zeit einfach ein guter Fußballer, er wäre es heutzutage genauso, nicht mehr und nicht weniger. Man könnte ihn als Muster-, aber nicht wirklich als entscheidenden Schlüsselspieler bezeichnen, als jemanden, der das Spiel einer Mannschaft etwas besser und harmonischer machen kann, es aber nicht federführend trägt oder als markanter Kopf anführt.  Alles in allem war Maldonado ein kompletter Aufbau- und zuverlässiger Passspieler im defensiven Mittelfeld, an dem neben seiner konstruktiven Art vor allem seine enorme Ruhe beeindruckt. In fast jeder Situation schien er entspannt seinen Dienst zu verrichten und seine Rolle auszufüllen.

Trotz oder gerade wegen dieser „gemächlichen“ Art lieferte er seine besten Zuspiele als – um den alten Tymoshchuk-Gedächtnis-Begriff von RM zu gebrauchen – Umschaltpassspieler. Daneben zeichnete sich der Chilene durch sein sehr konsequentes und bewusstes Umblickverhalten aus. Insgesamt prägte Rationalität die Spielanlage Maldonados: ein Sechsertypus, dessen Aktionen und Bewegungen stets gut und konstruktiv waren, aber selten vor Kreativität sprühten, der konstant passende und sinnvolle Entscheidungen traf, aber nicht immer unbedingt die optimale Lösung oder jene, die noch überraschende Potentiale erschlossen hätte. Wer es negativ formulieren wollte, hätte Maldonados Spiel vielleicht als langweilig bezeichnet, aber er arbeitete gut für das Team und dessen Struktur.

Insgesamt war der chilenische Mittelfeldmann nicht besonders dynamisch und sogar – wenngleich mit vergleichsweise starkem Antritt – etwas unbeweglich, ebenso koordinativ mit manchen Schwierigkeiten. So zeigte sich seine Passtechnik gar nicht so sauber und wirkte ansatzweise fast unbeholfen, über die sehr starke Gewichtung der Zuspiele ließ sich das für Maldonado aber wieder ausgleichen. So hatte er – ein anderes Beispiel – in der Arbeit gegen den Ball gewisse Schwierigkeiten in der letzten koordinativen Umsetzung der Zugriffsfindung bei eigentlich sinnvoll gewählten Rückzugsbewegungen, musste diese dann bisweilen abbrechen und „eroberte“ bzw. sammelte nur Abpraller, wenn es stattdessen den nahen Kollegen gelungen war, den Gegner zu bedrängen.

Wenn er unterstützend in solche Drucksituationen eingreifen konnte, zeigte sich eine besondere Stärke Maldonados: halbhoch springende lose Bälle konnte er aus der Szenendynamik heraus enorm sauber per One-Touch weiterspielen. Ansonsten zeigte sich seine defensive Positionsfindung schon recht modern, sein Verschiebeverhalten engagiert. Besonders zum Ende seiner Karriere hin schälten sich die genannten Charakteristika des kompletten und soliden Mittelfeldmannes mit einzelnen Besonderheiten deutlicher und exemplarischer heraus. Wie es so häufig ist, agierte Maldonado in jungen Jahren schon noch etwas wilder, verschwendete mit seinen Unsauberkeiten in der Passtechnik häufiger Szenen, zeigte sich in seiner offensiven Positionsfindung ein wenig aufrückender.

Und sonst so? Gegenpressing-Lage (und weitere Statusmeldungen) in den Niederlanden

Noch einmal zurück zur vergangenen Länderspielpause: Auch die Niederländer konnten ihre WM-Chancen nicht mehr wahren, das „Wunder“ im letzten Match gegen Schweden blieb aus. Mit der erneuten Abstinenz von einem großen Turnier fanden Diskussionen um die Zukunft des niederländischen Fußballs wieder neue Konjunktur. Tatsächlich gibt es in dieser Hinsicht einige – schon bei der verpassten EM-Teilnahme vor zwei Jahren geltende – größere Strukturprobleme, allerdings keinesfalls nur rein düstere Aussichten, sondern auch gewisse Hoffnungsschimmer. Rational betrachtet, ist die teils extreme Ausführung der typischen Mannorientierungen beispielsweise eine aktuelle Schwäche vieler niederländischer Teams, nun ist der dortige Fußball aber auch keinesfalls komplett rückständig. Ein Bereich etwa, von dem man eine solche Rückständigkeit nicht so einfach behaupten könnte, ist das Gegenpressing.

Auch wenn man die Niederlande nicht wirklich als Hochburg des Gegenpressings bezeichnen kann, befindet sich selbiges dort doch auf einem ordentlichen Stand und vor allem deuten sich in jüngerer Vergangenheit eher positive Entwicklungstendenzen in Form von Ausbreitung und Verfeinerung an. War beispielsweise Heracles unter John Stegeman mit Gegenpressing als tragendem Faktor recht früh, machen nun weitere Teams Fortschritte, gerade die größeren Namen: Die PSV scheint sich von der Passivität nach Ballverlusten zu entfernen, auch AZ Alkmaar deutete in der aktuellen Spielzeit vielversprechende Momente an. Insgesamt fehlt es den Teams oft noch an der letzten Kollektivität im Nachschieben, lokal und gruppentaktisch zeigen sich die Umsetzungen aber schon recht gut und intensiv. Angesichts der Tatsache, dass viele Mannschaften bevorzugt aus einem weiträumigen Stil heraus agieren, ist das sogar noch etwas höher einzuschätzen.

Ganz gute Voraussetzungen haben Gegenpressing-Entwicklungen dadurch, dass eine Reihe kleinerer Teams viel mit langen Bällen auf eine Seite arbeitet und viel über Abpraller versucht. Von der Theorie her gibt es da mit dieser Jagd auf lose Bälle also einige Überschneidungen, zumal in der Eredivisie dieser Fokus auf Abpraller nicht so klar aus einer Defensivformation heraus gespielt wird wie es eigentlich normal meist der Fall ist. Andererseits hat sich dadurch aber nun kein „Gegenpressing-Trainingsfeld“ herausgeformt: Viele Mannschaften agieren in solchen Spielweisen doch recht wild, andere wiederum setzen nur auf die enge Staffelung um die Ballungsräume und die verschobene Struktur – und wenn das Leder dann trotzdem nicht in die eigenen Reihen springt, ziehen sie sich eher zurück statt unbedingt nach vorne nachzusetzen.

Prinzipiell illustrierte schon das viel besprochene Quali-Match gegen die Schweden die Verhältnismäßigkeit von Problempunkten: Die Niederländer machten das Spiel, hatten gegen einen aus seinem 4-4-2 fast enttäuschend ambitionslosen Gegner viel Ballbesitz und taten sich mit der kreativen Chancenproduktion schwer als mit der Verhinderung von Kontergefahr, die sie in Schach halten. (Randnotiz übrigens: Eigentlich wäre die Partie bei einer solchen Ausgangslage mal geeignet gewesen, um enormes strategisches Risiko zu gehen, soll heißen: extreme Intensität durch ganz offensives Aufrückverhalten und attackierende Entscheidungsvorgaben. Stattdessen entschied sich Advocaat für eine recht gewöhnliche 4-3-3-Interpretation, mit zwar vorgerückten, aber undefiniert-positionsorientierten Achtern, die innerhalb der gegnerischen Formation kaum eingebunden werden konnten. In der Folge entstanden dann die potentiellen Unterzahlen um die diagonalen Wege, die vor allem Robben vom Flügel suchte, und dieser musste quasi abdrehend um den Schwedenblock herumlaufen.) Zugegeben, in weiten Teilen war das Gegenpressing hier auch eine individuelle Angelegenheit, getragen durch einen beeindruckenden Auftritt von Sechser – für den Aufbau dort eine ambivalente Besetzung – Daley Blind, der ständig und aufmerksam mit starkem Timing horizontal rochierte und oft geschickt schräg aus dem Rücken Zugriff suchte.

In der Liga präsentierte sich am vergangenen Wochenende etwa Feyenoord stark im Gegenpressing. Bei der Heimpartie gegen das sehr gut gestartete PEC Zwolle hatten sie einige gute Nachrückbewegungen aus der Tiefe und entwickelten vor allem sehr viel Wucht in diesen defensiven Umschaltmomenten. Insgesamt lag darin ein unscheinbarer Faktor dafür, dass sie gegen das starke 4-4-2-/4-2-4-0-Pressing der Gäste, das sie beim 0:0 am Ende nicht entscheidend knacken konnten, sowie dessen Abstimmung speziell zwischen Sechsern und Außenverteidigern im ballnahen Verschieben doch ziemlich dominant blieben und die eigene Spielanlage druckvoll aufrechterhalten konnten. Gefährliche Offensivszenen für PEC gab es dann übrigens fast ausnahmslos aus deren Aufbau, wo die tiefe Rolle von Thomas als abkippender Sechser Potential andeutete und abwechselnd Namli oder Saymak sehr gezielt die Positionierung im Zwischenlinienraum suchten.

Ansonsten wäre in dieser Reihe guter Gegenpressing-Ansätze nicht zuletzt auch Ajax zu nennen, die unter Peter Bosz das Paradebeispiel der vergangenen Saison stellten. Unter dem neuen Trainer Marcel Keizer versuchen sie das von Bosz installierte System im Wesentlichen fortzusetzen, entsprechend auch die enorme Intensität bei der Ballrückeroberung. Mit geschickten Diagonal- und Bogenläufen sowie hoher Beteiligung konnten sie so auch schon in den ersten paar Saisonpartien gute Momente erzeugen, als es insgesamt aufgrund gewisser Balanceprobleme noch nicht gut lief. Mittlerweile sind die Amsterdamer aber generell besser in der Spur und sogar schon wieder an der Tabellenspitze. Am Wochenende spielten sie beim zweiten 4:0-Sieg in Serie recht ansehnlich, mit guter Doppelpassnutzung, vielen Pässen Richtung Halbraum und Zwischenraumläufen der Achter. Indem diese sich mit der Zeit weiträumiger gegen Mannorientierungen bewegten, konnten sie nach schwächerer Anfangsphase auch der im Ligavergleich stärkeren Horizontalkompakt und Ballorientierung bei Alex Pastoors Sparta Rotterdam den Wind aus den Segeln nehmen.

Um abschließend wieder stärker zum Gegenpressing-Kern zurückzukehren: Entwicklungen in diese Richtung nahmen in den Niederlanden natürlich nicht erst mit Bosz´ Ajax Fahrt auf, wobei bereits dessen Vitesse-Mannschaft diesbezüglich sicher eine Führungsrolle in der Eredivisie einnahm. Es sei nur ein Beispiel mit Blick auf die zuletzt so gebeutelte Nationalmannschaft angeführt: Unter Louis van Gaal in der Periode von 2012 bis 2014 verfügte die „Elftal“ vor der unmittelbar zum WM-Start vorgenommenen Formationsumstellung auf 5-2-1-2 über ein sehr gutes Gegenpressing. Strukturell gestaltete es sich manchmal unsauber und wild, funktionierte aber ansprechend über die Grundaufteilung, dass die aus der Tiefe nachrückenden Akteure sehr aggressiv und fast schon als Impulsgeber auftraten, die zunächst ballnahen Kräfte eher passiver leitend agierten. Gerade Rechtsverteidiger Janmaat war ein Schlüsselspieler für das Gegenpressing (warum spielt der eigentlich, mit Verlaub, in Watford?…).

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Eine Beispielszene, WM-Quali-Spiel Niederlande – Rumänien von März 2013, hier zunächst die Vorgeschichte: nach einer gescheiterten Linksüberladung sammelt die Restverteidigung die Klärung auf und verlagert sehr schnell nach rechts, wo noch nicht so viel Präsenz ist. Lens versucht den Ball durchzustecken, spielt aber unsauber und das Zuspiel bleibt hängen.

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Nur sieben Sekunden später hat sich diese Situation ergeben: Vor allem das aggressive Nachschieben von Janmaat, der zwischenzeitlich als vorderster Pressingspieler agierte, war wirksam, zudem schoben mit dem tiefsten Sechser de Guzmán und mit Strootman die beiden anderen Mittelfeldspieler neben dem hier nun Druck ausübenden Zehner nach. Oranje hat ganz schnell viele Leute ins Gegenpressing gebracht und ist quasi nach Ballverlust noch deutlich weiter aufgerückt als zuvor. Der ballführende Rumäne ist weitgehend zugestellt, versucht hinter Janmaat zu lupfen, die folgende Weiterleitung kann de Guzmán dann abfangen.

Ausgehend von dieser Einzelszene kann man also den prinzipiellen „Vorteil“ für die Kombination aus Gegenpressing und tendenzieller Flügelspielweise, die bei nicht wenigen niederländischen Teams Verbreitung findet, sehen: Verliert man die Bälle außen, sind – von der Logik ähnlich wie beim Pressing – die Räume verknappt und entsprechend auch die gegnerischen Handlungsmöglichkeiten, sich daraus zu lösen. Das Nachschieben ist potentiell auch leichter zu koordinieren, weil sich alle Spieler in dieselbe Richtung mit gemeinsamer Dynamik zusammenziehen. Wie so etwas in Kombination mit hoher Intensität aussehen kann, sieht man in umfassender Form eben bei Bosz. Es bleibt interessant, wie sich das Thema in den Niederlanden generell weiterentwickelt. (Der Vollständigkeit halber noch die abschließende Bemerkung: Vom Typ her wäre Bosz genau der passende Bondscoach, um die Nationalelf – wie oft gefordert wird – zu „modernisieren“ [so problematisch es natürlich wäre, derartige Modernisierung allein an eine Einzelperson auf diesem Posten zu koppeln] und dabei gleichzeitig so viel wie möglich von „klassischen“ oder als klassisch niederländisch geltenden Elementen in so klassischer Form wie möglich zu konservieren.)

Zum Abschluss…

…sei anlässlich der 45. Ausgabe abermals auf das zum Jubiläum der 30. Folge eingrichtete Register verwiesen, in welchem sämtliche bisherigen Themen von „Blick über den Tellerrand“ systematisch sortiert verzeichnet sind. Bei Interesse: Gerne einmal dort stöbern und in die älteren Artikel hineinlesen.

Kk 30. Oktober 2017 um 21:02

Was ist denn im Moment mit Bielsas Lille?! Die krebsen mit 6 Punkten in Fra am Tabellenende

Antworten

CE 31. Oktober 2017 um 09:32

Es ist Bielsa. Da überrascht es mich nicht ungemein.

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koom 20. Oktober 2017 um 15:21

Btw: Kann man das Forum vielleicht einfach mal normal freischalten, dass man in den sinnvollen Kategorien mal Themen eröffnen kann?

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tobit 20. Oktober 2017 um 15:32

Das wäre sehr wünschenswert ????
Vielleicht käme dann auch nochmal Aktivität auf – aktuell schläft es ja immer wieder ein

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CHR4 20. Oktober 2017 um 21:41

ein wenig mehr Struktur würde ich mir auch wünschen, mir fällt es insbesondere schwer hier festzustellen, ob Diskussions-Fäden weitergeführt werden, wenn man nicht ständig bei den aktuellsten 5 Posts rechts nachschaut
hatte anfangs sogar für das Forum meinen „Namen“ von CR4 auf CHR4 geändert, weil mindestens 4 Zeichen gefordert waren, aber das ist schon so lange her …
fände gut, wenn man hier unter den Analysen einzelne Threads aufmachen könnte und man ne Übersicht über diese angezeigt bekommen würde (wann hat wer zu welchem Thread was geschrieben)
– also ne Kombination aus der Struktur des Forums und den Inhalten/Diskussionen hier unter den Analysen – das kann dann natürlich auch alles im Forum ablaufen, man könnte z.B. die Kommentare hier als eine Forumskategorie „Kommentar zu Analysen“->“Analyse xy vom xx.xx.xx“->“Diskussionsthema 1, 2, 3″ verlinken

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tobit 21. Oktober 2017 um 17:48

Eine technische Sache zum Forum: Könntet ihr vielleicht die Login-Seite über eine Verschlüsselte Verbindung schicken? Ich muss jedesmal erst eine Warnung wegklicken, damit ich mein Passwort eingeben kann. Gerade, weil man mit diesen Login-Daten auch direkt Zugriff auf die Zahlungsdaten und Addressen des jeweiligen Accounts hat, wäre das im heutigen Zeitalter des digitalen Identitätsdiebstahls durchaus angebracht.

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TR 24. Oktober 2017 um 22:11

Hachja, das Forum, da müssen wir wahrscheinlich sicherlich noch einmal rangehen und überlegen, wie man das machen kann. Es ist schon ein kleines Sorgenkind in der aktuellen Situation. Ich nehme auf jeden Fall mal die genannten Anregungen so auf.

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tobit 24. Oktober 2017 um 22:14

Danke dafür. ????
Wäre doch schade, wenn man das komplett einstampfen würde.


koom 20. Oktober 2017 um 14:11

Dass das Gegenpressing in den Niederlanden Einzug hält, dürfte wohl auf Bosz‘ Erfolg in der vergangenen Saison beruhen, sowie dass das Gegenpressing in fast allen Ligen mehr oder weniger Einzug gehalten hat. Man kennt das ja von Klopps Dortmundern, die mit diesem „neuen“ System durch die Liga gepflügt sind. Und dafür sorgten, dass eigentlich alle Bundesligisten das übernahmen und Gegenmaßnahmen erfanden (wie vor allem der Spielaufbau verstärkt über außen, weil Ballverluste dort weniger weh tun).

Das dürfte eben auch das Problem von Bosz‘ BVB sein: Wenn man es nicht exorbitant gut macht (wie Leipzig) und den Kader darauf perfektioniert, dann wirst du in der Bundesliga relativ schnell vor Probleme kommen, weil man diese Herangehensweise schon kennt. Soll aber kein Bosz-Bashing werden: Erfreulich für die Ehrendivision, dass man taktisch jetzt mal den 2010er-Jahren beitritt. 😉

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tobit 19. Oktober 2017 um 11:50

Das Register ist echt klasse. Besonders, wenn man eine kurze Einschätzung zu einem Spieler sucht, wird man da häufiger fündig und muss sich nicht durch (mittlerweile fast endlos viele) Artikel wühlen. Großes Lob dafür, habe ich tatsächlich schon oft genutzt.
Die einzelnen Beiträge finde ich auch eigentlich immer sehr interessant – es wird halt kein Taktik-Einheitsbrei (4231/442 vs 5221/3142 jeweils mit Mannorientierungen, langen Bällen und Mittelfeld-Geflippere) wie bei so mancher Bundesliga-Analyse beschrieben, sondern etwas wirklich Interessantes. Vor allem sind die Spielanalysen (meist wird ja eine hauptsächlich eine Mannschaft beschrieben) in ihrer Kürze für mein Gefühl meist noch ergebnisunabhängiger als sonst.

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D^2 18. Oktober 2017 um 08:24

Meine beliebteste SV-Kategorie. Welcome back!

Antworten

King_cesc 18. Oktober 2017 um 21:44

Jeder Teil wieder wunderbar!

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