Der Saisonstart in der Premier League
Wir haben uns (fast) alle Partien des ersten Spieltags angeschaut und interessante Aspekte herausgesucht – mal ganz allgemeiner, mal sehr spezieller Art: Eine Einstiegslektüre.
Huddersfield gegen Crystal Palace –
Deutsches Pressing für die Premier League
Zu Beginn wird es nicht allzu exotisch, sondern fast schon altbekannt. Huddersfield verkörpert sozusagen jenen Trend, den einst Jürgen Klopp im deutschen Fußball begonnen hat: (Hohes) 4-2-3-1 Mittelfeldpressing mit Leiten nach Außen, Fokus auf Intensität und anschließendes schnelles Umschalten. Das kommt nicht völlig zufällig daher: Mit David Wagner trainiert schließlich ein Vertrauter Klopps die Mannschaft aus der englischen Grafschaft West Yorkshire. Er führte das Team zum sensationellen ersten Aufstieg in die höchste englische Spielklasse und bescherte dem Club durch ein 3:0 bei Crystal Palace im Premierenspiel sogleich auch drei Punkte.
Ein Premierenspiel war es auch für Frank de Boer, bei Ajax durchaus interessant, in Mailand unglücklich, wagte er nun den Schritt auf die Insel. In der Vorbereitung setzte er dabei bereits auf eine 3-4-3/3-4-2-1-Grundformation. Im Test gegen Schalke wirkten einige Ansätze durchaus interessant: Über eine ziemlich fokussierte Nutzung von Ablagen konnte der Ball phasenweise gut in den ersten Reihen gehalten werden, ehe weiter vorne sowohl die Dribbler um Zaha als auch der bullige Benteke ins Spiel gebracht wurden.
Beide sorgten zwar auch gegen Huddersfield immer mal wieder für Gefahr, doch das Pressing der Gäste sollte Crystal Palace nicht zur Entfaltung kommen lassen. Der Plan: Die Flügelspieler liefen nach Pass auf einen der Halbverteidiger diesen an, während der Mittelstürmer den Rückpassweg schloss. Dahinter schob der Außenverteidiger auf den gegnerischen Flügelverteidiger durch, falls der Halbverteidger einen Pass zu diesem anvisierte. Zusätzlich konnte Mooy noch auf die von Palace bevorzugte linke Angriffsseite mit herüberschieben und den Raum entsprechend verengen. In der relativ typischen Jäger-Sammler-Rollenverteilung kam ihm klar ersterer Part zu, während der Däne Billing das Zentrum in seinem Rücken sicherte und auch Ince ballfern entsprechend mit herüberschob. Palmer konnte zudem Pässe in den Sechserraum blockieren.
Der Halbverteidiger reagierte darauf beispielsweise mit langen Bällen hinter die Viererkette, auf welche diese zumeist gut vorbereitet reagierte. Auch wenn der Flügelverteidiger an den Ball kam und diagonal gen Zentrum spielte, rückten die Innenverteidiger hervorragend heraus. Probleme ergaben sich beispielsweise als Kachunga damit begann, van Aanholt mannorientiert zu verfolgen – vermutlich aus Respekt vor langen Bällen in seinen Rücken. Darauf reagierte Palmer und presste entsprechend seitlich heraus, Mooy kam dazu und half mit seinem Deckungsschatten und seiner außerordentlichen Bissigkeit den Weg ins Zentrum zu versperren.
Einem wirklichen Test wurde das Pressing von Huddersfield jedoch nie wirklich unterzogen, auch als die Mannschaft von David Wagner passiver verteidigte. Dafür war das Ballbesitzspiel von Crystal Palace schlichtweg noch zu schwach und auch in den besseren Momenten zu eindeutig von Zaha abhängig. Wie gut das Ganze gegen bessere Teams funktioniert, bleibt ebenso offen wie die Frage nach dem eigenen Ballbesitzspiel. Flügelüberladungen samt ordentlichem Gegenpressing, Flanken und Standards werden nicht durchgängig für Tore sorgen. Schon gar nicht für 3 pro Spiel.
Watford gegen Liverpool –
Standard: Liverpool-Rückstand nach Ecke
Wenn wir schon fast bei Jürgen Klopp sind, dessen Liverpool an dieser Stelle schon des Öfteren gleichwegs kritisch wie interessiert behandelt wurde, können wir uns auch direkt ein wiederkehrendes Problem seiner Mannschaft anschauen. Die Rede ist nicht von Periodisierung sondern von Gegentoren nach Standards. Kollege EA von Spielverlagerung.com hat dazu schon einmal einen lesenswerten Artikel verfasst, der weiterhin eine gewisse Aktualität aufweist.
Die Premier League-Saison war für Liverpool noch keine 8 Minuten alt, da hatte Watford den Reds bereits das erste Gegentor nach einer Ecke zugefügt. Pereyra machte ein paar Schritte vom ersten Pfosten in Richtung des Ausführenden, raus aus dem Fünfmeterraum. Moreno folgte. In die von ihm geöffnete Lücke lief Kaboul etwa von der Strafstoßmarke aus, sodass er genau zwischen Wijnaldum und Matip endete, jedoch durch den Anlauf einen klaren Dynamikvorteil hatte, während die beiden Liverpooler sich ohne Bewegung zum Ball kaum vom Boden absetzen konnten.
Kaboul erreichte den Ball jedoch gar nicht, sondern dieser rutschte zum Torschützen Okaka durch, der sich zuvor aus einer Spielertraube am zweiten Pfosten gelöst hatte und aus der „blind side“ von Firimino mit optimalen Timing auftauchte, als auch der Ball genau jene Stelle erreichte. Amrabat hatte sich zudem während der gesamten Ausführung eng bei Torhüter Mignolet gehalten, sodass dieser sich nicht frei zum Ball bewegen konnte (Frage für die Freunde der Regelkunde: Ist der nicht eigentlich ab Ballberührung Okaka aktiv im Abseits, weil kein Liverpooler an einem der Pfosten steht?).
Was endgültig für eine hervorragende Vorbereitung dieses Standards von Seiten Watfords spricht: Selbst wenn der Ball auch noch an Okaka vorbeigehen sollte, hat die Mannschaft von Marco Silva eine durchaus vielversprechende 2 gegen 2-Situation am zweiten Pfosten, wobei sich zumindest Britos in besserer Position zum Tor befindet als Gegenspieler Alexander-Arnold.
Mehr taktische Neuigkeiten aus dem laufenden Spielgeschehen gibt es von Liverpooler Seite sicher schon sehr bald, wenn die Mannschaft von Jürgen Klopp auf Julian Nagelsmanns Hoffenheim trifft. Wir können es kaum erwarten…
Southampton gegen Swansea –
Der Geheimtipp: Ein bisschen Spanien vom Reißbrett
Und eine weitere Überleitung, die halbwegs passt: Während Klopp durchgehend von Verheijen kritisiert wird, gehört beim FC Southampton seit dieser Saison Xavier Tamarit zum Trainerstab. Ein ausgewiesener Experte für taktische Periodisierung, der dazu sogar mehrere Bücher verfasst hat. Fraglich daran ist eigentlich nur eine Sache: Wer stellt in der Premier League denn Spanier ein? Richtig: Ein Spanier! Mauricio Pellegrino, der in den vergangenen Jahren mit Deportivo Alaves in der heimischen Liga durchaus für Furore gesorgt hat, etwa mit einem Sieg über den großen FC Barcelona, nahm sich der Herausforderung an und beerbte bei den Saints Claude Puel nach nur einer Saison.
Im Baskenland setzte Pellegrino vor allem auf Stabilität gegen den Ball, wobei von Zeit zu Zeit und je nach Gegner auch immer mehr interessante Aspekte im Ballbesitzspiel dazukamen. Bei Southampton sah zumindest das Mittelfeldpressing im 4-4-2 durchaus sauber aus, wobei das Verschieben phasenweise als lehrbuchhaft zu beschreiben war. Die mannorientierten höheren Pressingversuche wirkten dagegen eher instabil und könnten von anderen Gegnern für gefährliche Momente, etwa nach langen Bällen, genutzt werden.
Am auffallendsten waren allerdings die Ansätze, welche unter dem neuen Trainer in Ballbesitz zum Vorschein kamen. Dabei reagierte Pellegrinos Team geschickt auf die unterschiedlichen Pressingvarianten Swanseas. Die Mannschaft von Paul Clement begann mit einem horizontal kompakten 4-3-1-2/4-3-3-Pressing, welches Southampton wie in folgender Grafik durch Anlocken am Flügel, anschließenden Pass zu Zielspieler Gabbiadini, Ablage in den freien ballfernen Raum und Durchbruch durch den dortigen Halbraum (Stichwort: optimale Breite. Wozu auf den Flügel, wenn sowieso noch kein Gegner in den Halbraum rübergeschoben ist?) nutzte.
Bemerkenswert dabei einerseits auch die gute Harmonie zwischen Bertrand und Redmond sowie anderereseits die überaus bewussten Bewegungen im Strafraum: Ward-Prowse ging stets in den Rückraum, während Gabbiadini einen der Pfosten attackierte und Tadic den anderen übernahm. Es gab in der Regel keine blinden Hereingaben, sondern derjenige Spieler, der tatsächlich frei oder in bester Position befindlich war, bekam den Ball. Derlei Bewegungsmuster wurden in der nächsten Phase auch vermehrt nach Angriffen über links, die viele Positionswechsel einschlossen, genutzt.
Swansea wechselte schließlich fest zu einem 4-5-1/4-4-1-1, um die Breite des Feldes besser abzudecken und Verlagerungen wie zu Beginn unmöglich zu machen. Southamptons Reaktion: Die Saints erzeugten nun einfach ihrerseits vermehrt Staffelungen mit Rauten im Zentrum und fokussierten sich darauf, zwischen die Linien der Waliser zu kommen. Hierzu rückten Redmond und Ward-Prowse passend im Rücken ihrer Gegenspieler ein – etwa auch in Kontersituationen. Die Gastgeber erzeugten so auch einige klare Torchancen. Hier deckt sich der subjektive Eindruck völlig mit den „expected goals. Dass am Ende ein 0-0 steht, fühlt sich fast an wie ein Witz. Mit einer ähnlichen Leistung sollte für die Saints in der kommenden Woche gegen West Ham doch zumindest ein Treffer drin sein. A team to watch.
Chelsea gegen Burnley –
Moderner britischer Fußball mit alter Prägung
Burnley unter Sean Dyche, das ist irgendwie ein Statement dafür, dass ziemlich klassischer britischer Fußball weder dumm sein muss noch völlig unmodern daherkommt. Die Intelligenz dahinter mag eine andere sein als bei Pep Guardiola. Man möchte meinen: Eine simplere. Doch eben definitiv auch eine praktische, die gegen nominell besser besetzte Teams in der abgelaufenen Saison für den Klassenerhalt sorgte.
Burnley hat eine ziemlich interessante Art der Verteidigung im und um den Strafraum herum. Mark Thompson hat das in einem Artikel für StatsBomb schon einmal ausgeführt und mit Zahlen unterlegt. Gegen Chelsea lief die Mannschaft aus Lancashire zu Beginn auch immer wieder einmal hoch an, wobei vor allem Rüdiger, der als rechter Halbverteidiger bei den Blues agierte, bogenförmig von außen nach innen gepresst wurde, wodurch der Ball häufiger bei Cahill landete. Aus dem nominellen 4-4-1-1 wurde so immer wieder ein 4-3-2-1.
Derselbe Effekt konnte durch Mannorientierungen auf Chelseas Sechser Kanté und Fabregas hervorgerufen werden. Diese Mannorientierungen gab es auch im tiefen Block zu sehen, der im Anschluss nahezu durchgehend praktiziert wurde. Dabei stellt sich das Team von Sean Dyche ziemlich klug an: Ballnahe Optionen werden verstellt, ebenso der direkte Weg zum Tor. Zehner Hendrick ließ sich zudem mit ins Mittelfeld zurückfallen, um zentral für mehr Balance zu sorgen oder um seitlich Rückpasswege zu erschweren. Letztlich blieb ein ziemlich kompakter 4-4-Block mit einem freier agierenden Spieler, der je nach Situation variieren konnte.
Was dem Ganzen abgeht: Intensität. Burnley agiert doch relativ passiv. Bei Pässen in zentrale Lücken, die durch die Mannorientierungen immer mal wieder auftreten, zieht sich das Team zwar zusammen, braucht aber zu lange und ist somit anfällig gegen schnelle Ablagen. Zudem kann man Burnley bei passender Struktur auch relativ einfach in Situationen bringen, bei denen sie 5 oder 6 Spieler in der Verteidigungslinie haben, ohne dass ein eindeutiges Kettenverhalten aufrechterhalten wird. Auch gegen 10 Spieler ließ sich die Mannschaft von Sean Dyche zurückdrängen und kassierte einige hochkarätige Chancen. Chelsea musste notgedrungen dynamischer in der Positionsbesetzung agieren, was gegen den Spielstil der Gäste effektiv war – vor allem nach der Einwechslung des beweglichen Morata.
Das britische Element wird auch im Angriff gezielt genutzt: Burnley spielt gerne direkt und hat mit Vokes auch einen entsprechenden Zielspieler im Aufgebot. Diese Herangehensweise sorgt für wenige Entlastungsphasen bei eigenem Ballbesitz. Dafür werden stattdessen beispielsweise Standards genutzt.
Diese spielt Burnley ebenso wie Flanken mit Konzept aus.
Beispielhaft der Treffer zum zwischenzeitlichen 0-3: Eigentlich hat Chelsea eine 5 gegen 3-Überzahl im Strafraum. Doch Burnley überlädt gezielt den Raum um den zweiten Pfosten und steht mit drei Spielern für zweite Bälle außerhalb des Sechzehners bereit. Tarkowski bewegt sich zum ersten Pfosten. Rüdiger verfolgt diesen statt ihn zum gegenspielerlosen David Luiz zu übergeben. Dadurch ist Vokes im Rücken des Brasilianers frei, während Alonso sich noch am Spieler orientiert, der weiter entfernt steht. Der Ball geht über David Luiz hinweg auf Vokes, der unbedrängt zum Kopfball kommt. Alonso kann seinen Körper nicht mehr rechtzeitig vorschieben, da der Abstand zu groß geworden ist.
Man wird das Gefühl nicht los, da hat einer zumindest ein bisschen Alex Ferguson geschaut und zumindest ein bisschen verstanden.
Everton gegen Stoke –
Dreierkette: Neuer Standard für die Mittelklasse?
Nicht nur hierzulande ist die Dreierkette (beziehungsweise Fünferkette) en vogue – zum Ende der vergangenen Saison setzten auch immer Premier League-Teams auf eine derartige Grundformation. Für Teams wie Stoke liegen die Vorteile vor allem gegen den Ball auf der Hand: Das Zentrum wird in dem von ihnen genutzten 5-2-2-1/5-2-3 relativ dichtgehalten, während es gleichzeitig weiterhin die Möglichkeit gibt, mit ordentlicher Absicherung immer wieder höher anzulaufen. Die üblichen Mannorientierungen (oder -deckungen) am Flügel sorgen nicht direkt für Staffelungen mit 6 Spielern in der Verteidigungslinie, wodurch man sich nicht völlig passiv zurückdrängen lässt. Es ist dahingehend kein Zufall, dass die letzten Teams des Libero-Zeitalters vergleichbare Ausrichtungen wählten, die jetzt mit dem Trend zum mannorientierten Verteidigen wieder ins Spiel kommen.
Gleichzeitig kaschiert Stoke durch die Grundformation etwa gewisse offensichtliche Mängel im eigenen Zugriffsverhalten. Sie sind schlichtweg schwerer zu knacken, als sie es eigentlich sein sollten. Ähnliches gilt für die auf Stabilität ausgerichtete Spielweise von Everton unter Ronald Koeman, wobei es diesem auch vermehrt um die Sicherheit bei eigenem Ballbesitz geht. Seine Dreierkette bestand beim Auftaktspiel mit Jagielka, Williams und Keane praktisch aus drei zentralen Verteidigern. Keiner von den dreien ist trotz ihrer vorhandenen Qualitäten ein Spieler des Typs Halbverteidiger. Stoke stellte gegen diese drei zu Beginn eine Gleichzahl her, indem Bojan und Shaqiri sich an die Seite von Berahino gesellten.
Schneiderlin positionierte sich für Everton hinter diesen und hatte mit Klaassen sowie Gueye nominell noch zwei Achter neben sich. Rooney und Ramirez bildeten in einer 3-1-4-2-haften Ausrichtung die Doppelspitze, wobei die Rollenverteilung eher einem 3-1-4-1-1 mit Rooney als freiem Radikal vor der Abwehr Stokes entsprach.
Nach Überwinden der ersten Pressinglinie hätte Everton potentiell sehr gut die Halbräume überladen und den verlorenen Sohn dabei entsprechend einbinden können, ehe man das Spiel zum Durchbruch auf die andere Seite verlagert. Diese Herangehensweise wurde durch die merkwürdige Positionierung von Gueye auf rechts jedoch unmöglich gemacht, was gleichzeitig auch die Spielfortsetzung von links aus erschwerte: Der Senegalese ließ sich in der Regel weit nach rechts herausfallen, Flügelverteidiger Calvert-Lewin schob hoch und beide fanden sich effektiv auf einer Linie wieder.
Keane konnte auf rechts zwar dadurch häufiger in den freien Raum andribbeln, hatte im Anschluss aber wenige Optionen und auch nicht die Klasse einfach komplett durchzudribbeln. Auf links nutzte Jagielka die zunehmende Passivität Stokes im Zusammenspiel mit Klaassen geschickter. Er dribbelte an bis Shaqiri attackierte. Klaassen zog erst nach links heraus und Joe Allen mit, ehe er sich mit Bewegungsvorsprung zurückfallen ließ (Stichwort: „Dismarking“). Ein schneller Doppelpass zwischen beiden öffnete den Raum hinter Shaqiri, während Rooneys und Ramirez‘ Bewegungen gleichzeitig weitere Verteidiger auf links banden. Ein diagonaler Pass in den anderen Halbraum wäre möglich gewesen, doch niemand besetzte schlichtweg diese Position, sodass der Angriff ins Stocken geriet und Stoke Zeit gewann.
Als Everton mithilfe Rooneys einmal nach Ballgewinn von links hinten in diese Zone vorstieß und sie überlud, fiel im Anschluss nach guter Bewegung des „Altmeisters“ in den Strafraum hinein der einzige Treffer des Tages. Auch Stoke hatte einzelne interessante Szenen im linken Halbraum vor Evertons Box, wo sie teilweise eine gute Präsenz erzeugten. Doch das 5-3-2 der Toffees wurde dadurch insgesamt zu wenig gefordert. Diese hatten auch den ein oder anderen Moment im 5-2-1-2, wenn Schneiderlin vorrückte um eines seiner Pendants in Stokes Sechserraum zu pressen. Was das alles nächste Woche gegen Manchester City wert sein wird, bleibt abzuwarten.
Newcastle gegen Tottenham –
Einrückpotential
Eine nominelle Dreierkette gab es in der vergangenen Spielzeit ebenso häufiger einmal bei Tottenham zu sehen. Meist erzeugt die Mannschaft von Trainer Pochettino eine solche durch unterschiedliche zurückfallende Bewegungen der Sechser jedoch lediglich in Ballbesitz.
Es war praktisch eine einzige Szene, die interessante Potentiale bei den Spurs zeigte, die sich ansonsten bis zum Platzverweis Newcastles in ihrem üblichen 4-2-3-1 relativ schwertaten. Zur zweiten Halbzeit hin wurde auch so das Zentrum immer mal wieder besser genutzt. Doch in der 21. Minute rückte Linksverteidiger Ben Davies plötzlich weit ins Mittelfeld mit ein. Sissoko hielt auf links die Breite.
Es entstand eine 3-1-4-2/3-2-4-1-Staffelung, in der durch die tiefe, beziehungsweise seitlich neben die Innenverteidiger versetzte, Positionierung der beiden Sechser Dier und Dembele eine Raute erzeugt wurde. Dier band dabei die Stürmer des Newcastle-4-4-2s. Vertonghen hatte Zeit zum Andribbeln. Dadurch, dass die offensive Dreierreihe des 4-2-3-1 nach links durchschob bildeten Sissoko und Dele Alli in Verbindung mit dem eingerückten Davies eine weitere Raute in Ballnähe. Davies konnte nach Pass zum Flügel im Halbraum durchlaufen, während Dier zu dessen vorheriger Position rüberschob und Dele Alli sich etwas zum Ball zurückfallen ließ.
Zentral hielten Eriksen und Kane die Verbindung. Ersterer nach Pass zum Flügel leicht zurückfallend – bereit, das Spiel von links ins Zentrum übergehen zu lassen. Gleichzeitig schob der junge Außenverteidiger (und bisher eigentlich als Flügelspieler eingesetzte) Walker-Peters auf rechts weiter vor. Eine insgesamt passende Rollenverteilung für die eingesetzten Spieler, die es hoffentlich bald häufiger zu sehen geben wird. Zumindest die entsprechende Rautenstrukturen am Flügel traten an diesem Tag gegen passive Magpies immer mal wieder auf. Hoffentlich mehr davon im Spitzenspiel des 2. Spieltages gegen Chelsea.
Arsenal gegen Leicester –
Struktur und Bewusstsein
Es ist die alte Leier: Arsenal definiert sich selbst über konstruktiven Fußball und ist in der strategischen Ausrichtung auch passend auf diese Spielweise eingestellt. Doch es mangelt an Konstanz in konkreteren taktischen Aspekten. Das sorgt für vielerlei ansehnliche Momente, die sich in fast deckungsgleichen Situationen dann aber einfach nicht wiederholen. Ein Indikator für das mangelnde Bewusstsein, wie man den eigenen Fußball genau auf den Rasen bringen soll.
Mannschaftstaktisch kann man Wenger hierfür gar nicht allzu sehr kritisieren: Auch er reagierte zum Ende der vergangenen Saison mit einer Umstellung auf ein 3-2-4-1. So sorgte er zumindest von Haus aus für eine bessere Zentrumsbesetzung und insgesamt gute Möglichkeiten, den Ball schnell zurückzuerobern.
Doch auch diese Ausrichtung kann beispielsweise nicht über das mangelnde Spielverständnis von Granit Xhaka hinwegtäuschen oder über mangelnde Unterstützungsbewegungen, wenn der Ball in höheren Zonen zu einem der Flügelverteidiger gelangt, der dann relativ lange in einem statischen 1vX verharren muss, ehe in der Regel ohnehin nur ein Rückpass sinnvoll ist.
In der folgenden Situation hatte Arsenal eigentlich eine ordentliche Ausgangsposition, bei der Kolasinac, Welbeck, Özil und Xhaka eine Raute bildeten und Oxlade-Chamberlain in ihrem Umkreis auch noch anspielbar war. Doch anstatt diese Struktur auszuspielen, bewegen sich mehrere Spieler Arsenals nach Rückpass von Welbeck auf Kolasinac einfach weg. Mehr als das: Sie bewegen sich gezielt in gegnerische Deckungsschatten hinein, vermutlich in der festen Überzeugung, dass das Spiel in den nächsten Momenten auf die andere Seite getragen wird. Hierin wird der Mangel an kollektiver Bewusstheit deutlich: Arsenal hat ballnah eine Überzahl und kann durch entsprechende Positionierung zumindest in diese hineinspielen, ehe das Spiel mit mehr Dynamik auf Bellerin verlagert werden könnte. Doch statt sich entsprechend für ein ballnahes 5 gegen 3/6 gegen 4 zu staffeln (rot schraffierte Zonen in der Grafik), nutzen die Gunners ihre vorteilhafte Ausgangsposition nicht.
Wenn sie diese Überladungen halblinks konsequenter ausspielten, erzeugten sie die besten Momente des Spiels (und auch die besten Momente für Bellerin auf rechts). Dabei ging entweder Özil mit herüber zur ballnahen Seite und sorgte für eine Anordnung, die mehr einem 3-4-1-2 ähnelte (Chance nach Doppelpass mit Welbeck bei extremer Ballung an der linken Strafraumkante) oder er blieb ballfern im Halbraum und stand seinerseits dafür bereit, das Spiel gezielt zu verlagern. In beiden Fällen ergab sich so auch Raum für Oxlade-Chamberlain hinter dem am Flügel verteidigenden Spieler, zumeist Mahrez, da die Viererkette anderweitig gebunden war.
Nicht unbedeutend in beiden Fällen: Unterstützende Bewegungen. Entweder durch den vorstoßenden Kolasinac oder durch Läufe in die Spitze von Elneny. Auch bei Angriffen über rechts konnte Arsenal sich etwa über Ablagen häufiger einmal in gefährliche Zonen vorspielen. Wenn die Gunners sich selbst Ausgangspositionen schaffen, die sie mit dynamischen gruppentaktischen Momenten nutzen können, bleiben sie ein hochinteressantes und ansehnliches Team. Fraglich ist: Wie häufig und konstant werden sie sich in derlei Situationen bringen?
Brighton gegen Manchester City –
Peps 3-1-4-2/3-1-5-1
In der vergangenen Saison hat Pep Guardiola schon verschiedene Dinge versucht, um sein Positionsspiel in der Premier League zu etablieren – mit wechselhaftem Erfolg. Auch die Dreierkette gehörte dabei zum Repertoire und sorgte bereits für interessante Momente, etwa beim Aufeinandertreffen mit Chelsea. Doch zur neuen Saison hat er sich, unterstützt durch einige Neuzugänge, wieder einmal etwas Neues einfallen lassen und lässt sein Team seit der furiosen Vorbereitung in einem 3-1-4-2/3-1-5-1 auflaufen, das sich mehr denn je auf das Bespielen zentraler Zonen fokussiert, ohne dabei jedoch ein flexibles Flügelspiel zu vernachlässigen.
Gegen Brighton bildeten die Dreierkette mit Fernandinho, der sich in etwa zwischen den beiden Stürmern der Gastgeber aufhielt, eine Aufbauraute samt komfortabler 4 gegen 2 Überzahl. Die vorderen Akteure drückten dabei die restlichen Spieler des Aufsteigers zurück, sodass in der Regel ein relativ großer Raum vor dem Mittelfeldband entstand. Zudem wurden die neuen dynamischen Wingbacks Danilo und Walker mannorientiert verfolgt und konnten im Verlauf des Spiels vermehrt für 6-2-2-Staffelungen beim Gegner sorgen. Die Stürmer blieben in ihrer Ausgangsposition entweder eng beieinander und zogen die beiden Innenverteidiger auf sich oder einer von ihnen ließ sich zurückfallen.
Interessant war hierbei, wie sich sowohl de Bruyne und Silva als auch der zurückfallende Stürmer gezielt in Zwischenräumen der Formation Brightons aufhielten, um den Zugriff für die Verteidiger zu erschweren oder um unklare Momente zu erzeugen und anderswo freie Spieler zu generieren. De Bruyne und Silva konnten sich zudem ballfern im Halbraum zurückfallen lassen, sofern keiner der Halbverteidiger in diesen Bereich vorstieß. Von dort ließen sich beispielsweise ballferne Tiefenläufe diagonal bespielen.
Die beiden Spielmacher waren weiterhin in Wechselbewegungen mit dem jeweils am nächsten befindlichen Flügelverteidiger und Stürmer eingebunden. Typischerweise wich beispielsweise de Bruyne bei Ballbesitz Kompanys auf den Flügel aus, während sich Jesus diagonal in den geöffneten Passweg zurückfallen ließ. Hierbei wurden auch einrückende Läufe Walkers und Danilos mit sowie ohne Ball eingebunden. Zudem variierten Jesus und Agüero ihre genaue Position: Ballnah besetzten sie zum Beispiel für Überladungen den Außenverteidiger, während der jeweils andere zwischen den Innenverteidigern blieb und die gegenüberliegende Seite Achter und Flügelverteidiger überließ. Später tauschten de Bruyne und Silva auch ihre Positionen oder schoben von der anderen Seite mehr zum Ball.
Ihre Rollen und weitere Aspekte hat AR in seiner englischsprachigen Analyse auf Spielverlagerung.com näher beleuchtet. Ein Klick auf folgende Grafik führt direkt zum Artikel.
Manchester United gegen West Ham –
Höllischer Fortschritt durchs Zentrum
Manchester City ist zu Beginn der neuen Spielzeit nicht der einzige interessante Verein der Stadt. Im Gegenteil: Manchester United macht Fortschritte im Ballbesitz und könnte sich zu einem der interessantesten Top-Teams Europas entwickeln. Dass auch Mourinho dieses Jahr eine Formation mit Dreierkette im Repertoire hat und dass damit ein konstruktives Ballbesitzspiel möglich ist, zeigte sich bereits im Spiel um den europäischen Supercup gegen Real Madrid.
Gegen West Ham war dagegen ein klassisches 4-2-3-1 Ausgangspunkt für das Ballbesitzspiel. Auffallend hierbei vor allem die einrückenden Rollen der Flügelspieler: Rashford positionierte sich als gelernter Stürmer zumeist etwas höher und ließ sich dann aus seitlicher Position zwischen die Linien zurückfallen. Er interagierte dabei auf links mit Daley Blind, der im Gegenzug aufrückte. In den ersten Momenten des Spiels gab es beispielweise auch eine Situation, in der Rashford breit blieb und Blind ins Zentrum einrückte.
Auf der anderen Seite war Matas Bezugspunkt häufig eher auch Pogba, der von der Sechserposition aus gerne vorschob, während Mata sich etwas zurückfallen ließ. Mithilfe von Strukturspieler Mkhitaryan erzeugte United so für die meiste Zeit des Spiels Überladungen auf (halb-)rechts. Matic blieb in der Regel in eher tiefer Rolle. Die Red Devils interpretierten ihre Positionen jedoch ziemlich frei. Rashford fand sich mitunter in 4-3-3-Staffelungen als Achter wieder, Pogba zog weit nach links herüber, Mata hatte einige gefährliche Momente, als er im Rücken der Gegenspieler hinter die Kette einlief. Mit der Einwechslung Fellainis für Mata ging Pogba auf halblinks. Als in der 80. Minute noch Martial anstelle Rashfords hinzukam, generierte United in diesem Bereich einige der besten Momente des Spiels – und schoss dadurch schließlich auch noch zwei Tore.
Grundlage für die neue Stärke des Teams von José Mourinho ist in jedem Fall Kontrolle über das Zentrum mit Spielern, die gerne und herausragend dribbeln, ein gutes Spielverständnis haben und sich in Relation zueinander bewegen.
Fragwürdig bleibt weiterhin die mannorientierte und passive Herangehensweise im Pressing: Wie viel Ballbesitz kann man damit gegen weniger passive Gegner generieren? Wo sind die Grenzen dieses Ansatzes?
Fazit: Die Reise zum Mittelpunkt des Spielfelds
Vor etwa einem Monat twitterte Kollege AO ein einfaches Erfolgsrezept für guten Fußball:
General rules for good football:
– Defend the middle of the field
– Play through the middle of the field
Viele Trainer in England scheinen über den Sommer auf ähnliche Gedanken gekommen zu sein und wollen diesen Ratschlag beherzigen. Vielleicht haben sie auch einfach alle heimlich bei Twitter mitgelesen. Wie dem auch sei: Die Top-Teams haben nahezu alle ein Ballbesitzkonzept, das auf Zentrumskontrolle beruht oder diese zumindest zum Ziel hat. Sie verfügen zudem allesamt über Spieler, die sich in engen Situationen wohlfühlen und über genug Qualität verfolgen, diesen Plan individual- und gruppentaktisch aufs Feld zu bringen.
Was wir nach dem ersten Spieltag noch nicht sagen können, betrifft die defensiven Aspekte: Wie gut verteidigen diese Mannschaften das Zentrum? Und: Wie (gut) spielen sie gegen Mannschaften, die das Zentrum gut verteidigen? Die nächsten Wochen werden dahingehend erste Antworten geben. Das könnte wirklich die spannendste und auch taktisch interessanteste Premier League-Saison seit langem (= jemals) werden. Die letzte Spielzeit war möglicherweise nur ein Vorgeschmack für all das, was noch kommt.
7 Kommentare Alle anzeigen
Camp Mou 9. Februar 2018 um 17:21
Ist hierzu irgendwann ein Recap geplant?
CHR4 10. Februar 2018 um 20:18
keine Ahnung, aber auf der englischen Schwesterseite (spielverlagerung.com) gibt es ein Podcast zur PL, das dich interessieren könnte – hatte allerdings selbst noch nicht die Muse dafür, daher kann ich zum Inhalt nichts sagen, aber nach der Beschreibung werden zumindest Pep, Mou und Kloppo behandelt
@sv: würde mir nach wie vor wünschen, hier die englische Seite besser miteinzubinden
CE 11. Februar 2018 um 12:07
Genau. In dieser Ausgabe haben wir über City, United und Liverpool gesprochen. Ende nächster Woche sind die anderen drei Teams der Big Six an der Reihe.
tobit 5. September 2017 um 22:05
Mir ist beim durch die Statistikseiten wandern Alex Iwobi aufgefallen. Er scheint für einen offensiven Außenspieler eine ungewöhnlich präsente, kombinative Rolle zu haben (wenn er mal spielt).
Kann jemand genaueres zu ihm sagen, da ich die PL nur sehr wenig verfolge?
Dr. Acula 15. August 2017 um 18:20
danke für den tollen artikel. sowas find ich fast besser als eine spielanalyse. ist quasi ne PL version von TEs format.
„Fragwürdig bleibt weiterhin die mannorientierte und passive Herangehensweise im Pressing: Wie viel Ballbesitz kann man damit gegen weniger passive Gegner generieren?“———————————————————— genau das war mein gedanke während des spiels uniteds gegen real madrid. da hat man so n starkes team mit ball, aber macht keine anstrengungen, ihn zu erobern. das ist doch traurig…
koom 17. August 2017 um 09:23
Auch von mir ein Danke für den Kurzeinstieg in die PL. Finde ich sehr gut, bietet einen guten Überblick über manche Entwicklungen. 🙂
CHR4 19. August 2017 um 00:44
und von mir ein RIESEN-DANKESCHÖN 🙂 für die Betrachtung von Standards und das Schaubild dazu, vor allem aber den Link zum ausführlichen Artikel, bitte auch mehr davon hier 😉