Eine Frage des Nachrückens

1:0

Mit zügigem Übergangsspiel, Strafraumzirkulation und interessanten Stürmerrollen zwangen die abstiegsbedrohten Mainzer die Gäste aus Berlin in eine Abwehrschlacht. Die Hertha hatte über weite Strecken mit der vertikalen Anbindung zu kämpfen und fand zu spät spielerisch zusammen.

Mainz, wie es Druck macht

Eine über weite Strecken schwächere Rückrunde, in der sich bisher die Kehrseite des Mainzer Stils unter Martin Schmidt heftig auswirkte, haben den FSV mitten in den Abstiegskampf gespült. Nach der jüngsten Niederlagenserie sollte das Heimspiel gegen Hertha einen Befreiungsschlag bedeuten – und so legten die aufgedrehten Gastgeber auch los. Mainz setzte taktisch auf direkte Übergänge in die Offensive, die mit reichlich Horizontalbewegung und Präsenz daherkam. Eine klassische Ballzirkulation kam interessanterweise erst in Strafraumnähe auf, wurde dort aber sehr druckvoll mit attackierenden Seitenwechseln genutzt.

mainz-hertha-2017Obwohl die Mainzer ihre Struktur etwas angepasst und die beiden Flügelspieler Jairo sowie Quaison sauber in den Halbräumen positioniert hatten, wurde das Mittelfeld fast immer überspielt. Zumal fehlte es ihnen etwas an den entsprechenden kombinativen gruppentaktischen Bewegungen und Synergien aus diesen Grundstaffelungen heraus, um das zuverlässig nutzen zu können. Was die Mainzer aber taten, also den direkten Weg in die Offensivzonen zu fokussieren, machten sie mit beeindruckender Konsequenz und Intensität.

Vertikale Kompaktheit nicht optimal

In gewisser Weise wurde diese Spielweise auch vom Auftritt der Hertha befeuert, deren Pressing im 4-4-2 ungewohnte Probleme bei der vertikalen Kompaktheit zwischen Sturmreihe und Mittelfeld offenbarte. Vorne verhielten sich Ibisevic und Kalou in der ersten Linie mitunter zu forsch beim Anlaufen und Herausrücken. Über situative weiträumige Nachrückbewegungen versuchte Allan überdies, auch mal Zugriff auf das wechselnde Herauskippen der Mainzer Sechser zu erzeugen, und schob dafür bisweilen in hohe, seitliche Zonen.

Demgegenüber agierten die Viererkette und die verbleibenden drei oder vier Mittelfeldakteure sehr vorsichtig und zurückgezogen. Dies dürfte vermutlich stark intuitiv bedingt gewesen sein, da beispielsweise bei aggressiverem Herausrücken am Flügel gegen die gegnerischen Außenverteidiger diese oft sofort enorm attackierende Vorwärtspässe auf die ausweichenden Stürmer abfeuerten. So schien sich die Defensivabteilung der Berliner lieber auf Tiefensicherung und Stabilität zu konzentrieren.

Nach kurzen Ballstafetten in der Tiefe konnten entweder die breit aufgefächerten Innenverteidiger über Andribbeln oder ein nach außen gewichener Sechser der Rheinhessen daher letztlich etwas Raum gegen die ersten Berliner Pressingspieler erarbeiten, um dies für die zahlreichen Vorwärtsbälle direkt ins Angriffsdrittel zu nutzen. Teilweise spielten sie auch aus breiten Zonen scharfe und riskante Diagonalpässe hinter die aufgerückten Stürmer und situativ Allan. Über kurzes Zurückfallen Jairos oder weiträumige ballferne Aufrückläufe eines Sechsers in den Raum sollte die schnelle vertikale Folgeverbindung hergestellt werden.

Stürmer schaffen Tiefe

Auf diesem Wege sprangen mal einzelne Ballgewinne für die Hertha heraus, so dass sich in manchen Phasen auch ein offener, da eben vertikaler Charakter in der Partie entwickelte. Eigentlich herrschte in Durchgang eins mehrheitlich aber eine fast erdrückende Mainzer Dominanz. Die Hausherren legte sehr viel Gewicht auf die gleichzeitige Besetzung von Tiefe und Rückraum. Für Ersteres war das Sturmduo aus Muto und Córdoba enorm wichtig, mit ihrer ballsichernden und – jeweils unterschiedlich akzentuiert – wühlenden Spielweise. Besonders der wuchtige Kolumbianer konnte das Leder einige Male in absurden Situationen halten und abschirmen.

Mit dem Rücken zum Tor gelang es den Mainzer Stürmern auch, dann nochmals zu verzögern, bis sich ein Rückpassweg geöffnet hatte. Muto bot kreative und aktive Schnittstellenläufe nicht nur durchbruchsversuchend an, sondern um Herthas Abwehr zurück zu schieben und als tiefe Anspielstation zu dienen. Die Mainzer zwangen sie weit nach hinten und schufen über ihre Stürmer quasi eine vertikale Zirkulation bis zur Grundlinie, die die Berliner in den Sechzehner drückte – um sich selbst Platz für Flanken oder im Idealfall im Rückraum zu öffnen.  Das war eine interessante Facette ihrer Rolle als Zielspieler.

Nachrückverhalten drückt die Berliner nach hinten

Bei den Direktpässen arbeiteten die Mainzer viel mit langen Bällen, die sie bevorzugt nach halblinks hinter die Abwehr schlugen, da sie mehr über Bell als über Hack und mehr über Latza als über Frei aufbauten. Zusätzlich zu den Stürmern startete auch Jairo entsprechende Diagonalläufe in die Spitze. Auf den offensiven Flügelpositionen agierten die Gastgeber mit einer unterschiedlichen Rollenverteilung: Quaison war gegenüber dem kleinräumiger ausgerichteten Spanier insgesamt präsenter zwischen Halbraum und Flügel. Vor allem bot er sich bei Aufrückszenen über außen oder nach gewonnenen zweiten Bällen immer enorm fokussiert für Rück- und Querpässe in flachen Freiräumen an.

Das war sehr wichtig für den Druckaufbau in den Offensivzonen. Selbiges galt für das konsequente und aufmerksame Nachrückverhalten der Außenverteidiger und Sechser, das sich im Wesentlichen recht linear, aber intensiv gestaltete. Gerade Letztgenannte konnten sich durch die größeren Abstände zwischen Herthas Mittelfeld und Sturm stark auf Abpraller und die Rückraumkontrolle fokussieren. Aus ihrem Rücken wenig beschäftigt, verteilten sie gewonnene Bälle druckvoll wieder. So gelang es den Mainzern, die Gäste nach hinten zu drücken und einzuschnüren.

Von Aufwand und Ertrag

Zwiespältig fiel das Fazit dieses Mainzer Übergewichts aus: Einerseits bedeutete das tiefe Festhängen der Berliner, dass diese außerdem kaum zu Konterchancen kamen. Gegen die Doppel-Sechs der Gastgeber gelang es der Hertha nicht nachhaltig, die Lücken zwischen Mittelfeld und Stürmern im Umschalten zu überbrücken. Andererseits stand bei Mainz der geringe Effekt in keinem guten Verhältnis zum enormen Aufwand, den sie betrieben: Von neun Abschlüssen vor der Pause gingen nur zwei aufs Tor, viele waren aus der Distanz, der Treffer glücklich abgefälscht nach einem Standard.

Sie wählten beim Ausspielen ihrer vielen strafraumnahen Situation hauptsächlich sehr einfache Mittel, etwa zahlreiche Flanken, und hatten bei aller Bewegung nur wenig Interaktion zwischen Angriffslinie und der funktionalen Rückraumbesetzung durch überraschende Ausbrüche aus dem Grundschema. Als zum Ende der ersten Halbzeit jedoch der Führungstreffer doch noch abfiel, war das aber auch deshalb ausreichend, weil es dem eigenen Ansatz gelungen war, Hertha fast völlig aus dem Spiel zu nehmen und aus torgefährlichen Bereichen fernzuhalten.

Veränderter Ansatz mit Ball greift nicht

Vor diesem Hintergrund – speziell hinsichtlich der wenigen Kontermöglichkeiten – wirkte für die Hertha die Wahl der eigenen Aufbauausrichtung doppelt problematisch. Sie verzichteten über weite Strecken auf das geduldige und flexible Mittelfeldspiel, das eigentlich zu ihren wichtigsten Stärken gehört – mitbedingt durch die Formation und die personelle Situation. Trotzdem wurde nicht ganz ersichtlich, warum man sich ausgerechnet gegen Mainz verstärkt auf zweite Bälle fokussierte. Wenn die 05er im 4-4-2 hoch zuschoben und einen Sechser mannorientiert weit auf Skjelbred oder Allan nachrücken ließen, wählte die Hertha oft das weite Zuspiel.

Insgesamt verhielten sie sich beim Kampf um Abpraller kompakt, mit guter Beteiligung von allen Positionen. Sie konnten jedoch – trotz einiger starker Ballsicherungen Ibisevic´ – kein klares Übergewicht gegen kampfstarke Mainzer erzielen, zumal sich deren gerade tieferer Sechser schon sehr früh und schnell wieder mit nach hinten orientierte,  wenn er vorne nicht mehr die absolute Kompaktheit hochhalten musste. Kamen die Gäste – etwa nach eroberten zweiten Bällen – zu Ruheszenen im zweiten Drittel, banden sie zwar das defensive Mittelfeld präsent ein, jedoch agierten sie im Vorwärtspassspiel zu direkt in die Offensive: Diese zeigte sich eng gestaffelt, zog bei zu vielen Bewegungen aber sofort in die Spitze.

Ausgleichsjagd zu spät

Das sollte auch die Grundsituation für den zweiten Durchgang werden. Innerhalb der vorderen Akteure und bezüglich deren Halbraumpräsenz gab es weiter gute Momente, aber mit zu viel Fokus auf den Einzelpass hinter die Abwehr. Fast noch entscheidender war aber, dass die Berliner nicht richtig durchgehend in einen Rhythmus fanden, da Mainz diesen immer wieder unterbrach: Bei eigenem Ballbesitz nahmen sich die Hausherren bei Möglichkeit Zeit in tiefen Zonen und eröffneten insgesamt eher unriskant über längere Bälle Richtung Zielspieler Córdoba, die dann eng umstellt werden.

Zudem gingen die Mannen von Martin Schmidt regelmäßig in Phasen höheren Mittelfeldpressings über. Im 4-4-2 stellten sie die Berliner Sechser mannorientiert zu, so dass die fragile Anbindung zu den Stürmern Probleme bereitete. Auch psychologisch schienen die Aufbaukräfte der Gäste dadurch zunehmend zu hektischen Passentscheidungen verleitet. Daher ließen sich später Kalou bzw. auch der eingewechselte Allagui zunehmend in die Schnittstellen der Mittelfeldlinie oder knapp davor fallen, um kurz den Ball festzumachen und weiter nach rechts zu verteilen. In den letzten etwa 20 Minuten erspielte sich die Hertha von dort auch einige Chancen: Esswein agierte zwar wild, aber sehr diagonal, während Allagui und Kalou sich auf die Schnittstelle zwischen Freis Herausrücken und Jairo einschossen.

Fazit

Bei beiden Mannschaften blieb das ruhige Mittelfeldspiel aus verschiedenen Gründen unter dem Radar. In dem Maße, wie Mainz darauf verzichtete, setzten sie jedoch andere Akzente und diese einfach mit enormer Konsequenz um. Über viel Offensivdruck entschieden sie die Partie vor allem mit einer starken ersten Halbzeit. Für die Hertha kam der Gegner Mainz zu einem aus personeller Sicht vielleicht nicht so günstigen Zeitpunkt. Doch auch wenn es formativ zum 4-4-2 für Pal Dardai nicht so viele Alternativen gab: die Verbesserungen in der Schlussphase wären auch schon früher möglich gewesen.

pb 18. April 2017 um 14:14

Die Passivität, die fehlende Anbindung speziell der Offensive und die enormen Probleme in den Umschaltphasen in beide Richtungen zeigt Hertha seit Monaten in fast allen Auswärtsspielen, mit den entsprechenden Ergebnissen. Bei Kontertoren steht in dieser Saison afaik immer noch die fette Null ( je nach Definition mögen es vielleicht einige wenige sein, mauern und kontern kann Hertha jedenfalls überhaupt nicht ).

Insofern bleibt es fraglich, wieviel die konkreten Maßnahmen der Mainzer wirklich zum Sieg beigetragen haben.

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Koom 18. April 2017 um 09:30

Danke für die Analyse. Hertha fand ich extrem passiv – gut, dass ist auch ein bisserl deren Spielnaturell unter Dardai: Immer etwas intensitätsarm, dafür meistens sehr ruhig und sehr sauber. Da waren die auf 11 gedrehten Mainzer dann etwas zu heftig, um das noch in ruhige Bahnen zu lenken.

Nichtsdestrotrotz: Ein Unentschieden wäre drin gewesen. Und wenn Mainz gegen die Bayern jetzt ähnlich herangeht, wird das zweistellig.

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