Wolfsburg unter Jonker: Erste Eindrücke

Mit sieben Punkten aus drei Spielen und vor allem dem recht beeindruckenden Auswärtssieg in Leipzig ist Andries Jonker beim VfL Wolfsburg erfolgreich gestartet. Wie sieht die Situation unter dem neuen Coach nun nach den ersten Wochen aus?

Bei Trainerwechseln gehören vorgenommene Veränderungen der Grundformation eigentlich immer zu den Punkten, die zuerst und besonders intensiv beachtet werden. Für den Wolfsburger Fall stellt die von Andries Jonker vollzogene Abkehr vom unter Valérien Ismael schließlich standardmäßig genutzten 5-3-2 zurück auf eine Viererkettenanordnung auch einen markanten Einschnitt dar. Der neue niederländische Coach setzt bei den Niedersachsen auf eine 4-2-3-1-Systematik. Als eine erste Auffälligkeit zeigte sich zunächst die Besetzung der nominellen offensiven Außenpositionen mit Malli und Didavi, die jeweils eher als Zehner-Kandidaten einzustufen wären, nun aber beide invers vom Flügel aus agierten.

Zum Start: „Lieferschwierigkeiten“ an die Ansätze

So formierten sie sich im Endeffekt auch vergleichsweise eng und eingerückt, insbesondere in der ersten Partie in Mainz recht weit ins Zentrum und den dortigen Zwischenlinienraum orientiert. Zusammen mit Maxi Arnold im offensiven Mittelfeld versuchten sie sich bei eigenem Ballbesitz zwischen den gegnerischen Linien anzubieten – als entscheidende Idee des eigenen Spiels. In der genauen Umsetzung stellt sich die Positionsfindung jedoch noch etwas unsauber dar: Den einzelnen Akteuren gelingt es noch nicht konstant und fokussiert, sich immer so genau an die jeweiligen Staffelungen der Gegner und Passwege ausreichend anzupassen. Hierbei geht es eher um Nuancen, wie jeweils Aufmerksamkeit, Orientierung und Raumgefühl fokussiert sind.

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Wolfsburg im Aufbau gegen Mainz: Vorne die enge offensive Dreierreihe im Zwischenlinienraum, Bazoer ausweichend, Luiz Gustavo mit viel Raum zwischen den aufgefächerten Abwehrspielern

Das größere Problem bestand zunächst aber im Spielaufbau, mit dem man dieses Potential hätte anbinden können und sollen. Von der Doppel-Sechs rückte Bazoer schon recht weit mit auf und leicht nach halbrechts – vermutlich mit der Intention einer raumschaffenden Einbindung. Dadurch verblieb im Aufbauspiel innerhalb der aufgespannten Viererkette nur Luiz Gustavo, der zwar engagiert horizontal dazwischen pendelte und sich – teilweise in manchen Konstellationen fast zu aktiv und ballfordernd nah im Raum – freilief, aber fast für die gesamte Struktur und Vorwärtsverbindung sorgen musste. Für die Defensivspieler war er quasi die einzige direkt zugängliche Passoption, so dass – außer bei längeren Bällen – fast alles über ihn weiter nach vorne laufen musste – zu viel verbindende Last.

Weil der VfL die Bälle also zunächst nicht zuverlässig nach vorne bringen konnte, kamen dort auch ihre Ansätze in der Positionsfindung und der Offensivstruktur nicht wirklich zur Geltung – sie kamen eben zu selten überhaupt dorthin. Ein erster Schritt zur Behebung bestand in der verstärkten Nutzung herauskippender Aktionen der Sechser. So ließen sich bei der Partie in Leipzig prinzipiell beide defensiven Mittelfeldspieler häufig zur Seite fallen, Bazoer halbrechts insgesamt noch etwas präsenter und kontrollierter. Dafür bewegte sich Luiz Gustavo fast sogar aggressiver ballfordernd nach außen und dribbelte punktuell durch die Flügelzonen an, während sich gleichzeitig Bazoer gegenläufig zentral zurückfallen ließ, um die Mitte wieder zu besetzen.

Herauskippen oder verlagern

Anschließend suchte der brasilianische Mittelfeldmann in diesem Szenario aus den seitlichen Bereichen scharfe Diagonalpässe direkt in die Offensivabteilung hinein. Dies waren etwas instabile und riskante Abläufe, die jedoch von der hohen Wirksamkeit solcher Querlagen im Allgemeinen profitierten. Zudem erlaubte diese Methodik, eine höhere Ausrichtung der vier vorderen Akteure beizubehalten, die sich in unmittelbarer Strafraumnähe auf die Rochaden untereinander und gruppentaktische Bewegungsmuster konzentrieren konnten. Gerade die weit einrückende Rolle Mallis von links in Verbindung mit Gomez passte gut zur Vorbereitung der Szenen. Der ehemalige Mainzer durfte sich diesmal besonders präsent auf das Zentrum fokussieren, wofür der Arnold von der Zehn aufwändiger auswich als in anderen Partien.

wolfsburg-jonker-4231Überhaupt stellte dieser – dann in seiner tieferen Einbindung – einen wichtigen Baustein auch für die Thematik Aufbauarbeit dar. Gerade gegen Darmstadt ließ er sich häufig zusätzlich zurückfallen, um in der Ballverteilung und den Mittelfeldzonen Einfluss zu nehmen. Schon in der vorigen Begegnung deutete sich das nach der Umstellung auf die Besetzung aus Bazoer und Guilavogui an, die als Typen beide gern gegenläufig aufrücken. Auch wenn bisher die Abstimmung innerhalb solcher Rochaden noch nicht ganz ausgereift war und so teilweise Hektik in der Anschlussaktion aufkam: Zumindest kann man durch das Zurückfallen Arnolds kurzzeitig das gegnerische Pressing zum Zusammenziehen provozieren und sich dadurch leichtere Gelegenheiten für Verlagerungen schaffen.

Über diese Routen versuchte Wolfsburg im Anschluss, auch die Flügelbereiche für das Aufrücken in die Offensivzonen fokussierter einzusetzen. Immer prominenter werden zudem die schon angesprochenen herauskippenden Bewegungen von Luiz Gustavo – bzw. nach dessen Wechsel in die Innenverteidigung dann Guilavogui – und Bazoer. Grundsätzlich setzen die Niedersachsen dieses Mittel sinnvoll um, dennoch gibt es – etwa gegen Darmstadt – auch gelegentliche Szenen der doppelten, gleichzeitigen Anwendung. Dann helfen auch die längeren Zurückfallbewegungen von der Zehnerposition nicht mehr viel. Im Regelfall schob beim Herauskippen Bazoers nach rechts aber Guilavogui vergleichsweise kompakt mit nach.

Abläufe vom Flügel durch den Halbraum

Aus diesen Ausgangslagen entwickeln die Wolfsburger flexible und recht saubere Abläufe vor allem über die rechte Seite, die von guten Vorstößen durch den Halbraum getragen werden: Nach eröffnenden Pässen Bazoers auf den hochstehenden Vierinha geht der Niederländer selbst nach und bietet sich an oder die Pässe wrrden auf den zuvor gerade kurz zurückgefallenen und nun wieder nach vorne startenden Arnold bzw. Malli abgelegt. Ein typischer Ablauf sieht vor, dass sich Bazoer von der Seite löst, den Ball dort dem wieder nach hinten rückenden Kuba überlässt und dann diagonal nach vorne startet, wo Vierinha – derzeit der Vertreter des ausgefallenen Didavi – zurückfallend seinen Gegenspieler herausziehen soll.

Die Aufgabenverteilung bei diesen diagonalen Vorwärtsbewegungen Bazoers wurde auch umgekehrt kombiniert: Wenn Bazoer bei genereller vertikaler Dynamik aufrückte und Aufmerksamkeit auf sich zog, nutzte das Vierinha für gegenläufige Einrückbewegungen nach hinten. So übernahm er quasi den vom Niederländer freigedrückten Raum und erhielt dort den Ball quergelegt durch seinen Hintermann. Auf diese Weise konnte sich Wolfsburg gelegentlich neue Optionen kreieren. Beim Führungstor gegen Darmstadt gab es in der Entstehung einmalig die erweiterte Variante: Guilavogui rochierte von der halblinken Sechserposition durch das Zentrum diagonal durch, quasi „vor“ den herausgekippten Bazoer, und wurde durch Raumschaffen Vierinhas anspielbar.

[Grafik folgt hoffentlich noch]

Generell überzeugten die Wolfsburger mit raumschaffenden Aktionen – besonders um Bälle vom Flügel wieder in Richtung Zentrum zu ermöglichen. Bei Ballbesitz des Linksverteidigers nutzt Malli etwa seine enge Position für ausweichende Läufe, um den Passweg in den Zehnerraum zu öffnen versuchen. Insgesamt wird auch hieran deutlich, dass die Wolfsburger einerseits unter Jonker schon ein sinnvolles, logisches und recht ausgewogen durchdachtes Spiel zwischen den jeweiligen Zonen auf dem Feld – wie elaboriert und spezifisch diese Struktur im Verhältnis zu etwa van Gaal auch immer genau aussehen mag – entwickelt haben. So sind sie – auch sehr plötzlich – in der Lage, gute Momente im Vorwärtsspiel herzustellen.

In der Raumwahl zeigt sich der VfL zunehmend umfassender aufgestellt. Besonders die Partie gegen Darmstadt zeigte aber auch noch einmal, dass die vorderen Akteure, sobald sie nicht mehr schon beim Spiel durch das zweite Drittel hindurch im Fokus standen, sich während dieser Phase etwas zu vorwärtsorientiert verhielten. Im Zuge der Aufrückdynamik drang phasenweise schnell mal ein starker und zu früher Drang in die Spitze hinein. Das verwies also andererseits darauf, dass die Genauigkeit und die Feinheiten bei der Positionierung und dem  taktischen Verhalten innerhalb der Zonen noch nicht optimal stimmten – Probleme, die derzeit (noch) einschränkend wirken und deren Bearbeitung zu den folgenden Herausforderungen gehört.

Wolfsburger Balancefragen

Weiterhin geht es also entscheidend um die Detaileinbindung der nominellen offensiven Dreierreihe, im letzten Match gegen Darmstadt speziell Malli und Arnold. Wenn die beiden sich in mittigen Bereichen für Pässe aus seitlichen Zonen durch den Außenverteidiger oder den herausgekippten Sechser anbieten, geschieht das einerseits in einer diagonal geprägten und eigentlich präsenten Grundsituation, andererseits haben sie es jedoch zumeist mit einer kompletten gegnerischen Mittelfeldreihe zu tun. In diesen Kontexten verhalten sich die Offensivkräfte der Niedersachsen noch etwas zu linear: Sie agieren zwar sauber und kompakt zueinander, dabei aber recht gleichförmig, teilweise zu grob auf einer Linie oder in ähnlichen Bahnen.

Für kurze Zurückfallbewegungen wählten sie punktuell noch die falschen Momente oder überambitioniert die falschen Zonen, in denen eine Ballsicherung schwierig war. Solche Kritikpunkte sind nicht durchweg individuell bezogen: Teilweise lag der Faktor auch in zu frühen oder zu seitlichen Pässen der herausgekippten Sechser. Auf der linken Seite kam gegen Darmstadt für Malli und Arnold erschwerend hinzu, dass wegen der breiteren Rolle Vierinhas und – bei Verlagerungen – des vorigen Herauskippens von Bazoer die ballfernen Kollegen nur verspätet oder inkonsequent anschlossen und sie mit horizontalen Zwischenlücken klarkommen mussten.

Trotzdem standen gegen den Tabellenletzten 20-6 Abschlüsse zu Buche, die die Kräfteverhältnisse klar dokumentierten. Sie bildeten den schon guten, aber eben noch nicht ganz ausgereiften Zwischenstand beim VfL recht passend ab. Insgesamt gibt es also eine bereits recht flexible Einbindung der Offensivbewegungen, etwa der einrückenden Außen, mit recht sauberen, wenngleich leicht mechanischen Folgeaktionen etwa in der Zirkulation. Viele der Angriffsmechanismen eignen sich primär gegen Mannorientierungen. Dafür zeigt sich bereits eine sehr gute Diagonalität in der Anlage. Einzelne Umformungen und – wie beim 1:0 gegen Darmstadt – Zwischenraumbewegungen können sich auf dieser Basis harmonischer ergeben. Zudem wächst daraus – zusammen mit der eher engen Offensivreihe – eine gute Grundstabilität ins Spiel hinein.

Das half den Wolfsburgern bisher schon: Sie liefen nicht so sehr Gefahr, sich durch einzelne Phasen verpatzter Ausgewogenheit in schlechte Ausgangslagen zu bringen, und konnten – hier wiederum die Partie gegen Darmstadt als Paradebeispiel – auch ohne überragende Vorstellungen recht zuverlässig und unspektakulär punkten. Vor allem ist dieser Aspekt deshalb wichtig, weil das Pressing der Niedersachsen bisher gar nicht so übermäßig kompakt, geschlossen und defensivpräsent daherkam, wie auch die Zahlen nahelegen (würden). Das im Großen und Ganzen normale und solide 4-4-2-Mittelfeldpressing wies sowohl bei den Stärken als auch bei den Schwächen jeweils nennenswerte Wirkpunkte in beide Richtungen auf, ohne insgesamt zu überragen.

Sechser-Herausrücken im Pressing

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Grobe Beispieldarstellung zum Herausrücken Bazoers (1)

Das Leiten der ersten Linie – aus Gomez und Arnold – funktioniert beispielsweise schon recht effektiv. Dafür zeigt sich die vertikale Kompaktheit bisher nicht ganz auf dem obersten Level, sondern mit etwas größeren Abständen. Sehr eng ist hier der Zusammenhang mit den Rollen der Sechser, die gegen den Ball vergleichsweise weiträumig und hoch, bisweilen aggressiv und riskant herausrücken. Während die Flügelakteure vorsichtiger eingebunden sind, decken sie viel Raum ab und können sich stärker nach vorne orientieren. Grundsätzlich darf einer der beiden Spieler recht weiträumig und aggressiv im mannorientierten Herausrücken folgen, was gegen abkippende Aufbaustrukturen dann 4-1-3-2-artige Logiken zur Folge hat bzw. sich eher in flachen und breiten 4-3-1-2-Staffelungen realisiert.

Gegen Mainz zeigte sich das noch sehr funktional wie symmetrisch – und im Endeffekt seine zweischneidige Charakteristik zwischen einzelnen effektiven robusten Druckmomenten und manchen Lücken, wenn das weite Herausrücken überspielt wurde. So gerieten die Wolfsburger – recht anschaulich – in der Partie gegen die eigentlich eher harmlosen Darmstädter in der Schlussphase noch in teilweise arge Bedrängnis, da sie gerade Abwehr und defensives Mittelfeld nicht geschlossen genug gegen die physische und leicht versetzt angeordnete Überladung der letzten Linie zusammen bekamen. Das unterstützende Verhalten innerhalb der Abwehrkette überzeugte aber wiederum über weite Strecken.

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Grobe Beispieldarstellung zum Herausrücken Bazoers (2)

Verglichen mit dem Debüt Jonkers deutet sich schon an, dass Einbindung und Umsetzung der Herausrückbewegungen komplexer werden: So zeigten sich zuletzt – gerade nach Verlagerungen – manche weiträumige Diagonalbewegungen des Sechsers per Deckungsschattennutzung nach außen weg. Fast wirkte es dann, als wäre der Flügelakteur eigentlich der zentraldefensive Mann. Auf diese Weise ließ sich die unterschiedliche Einbindung der seitlichen und mittleren Akteure harmonischer realisieren. Für das Abwehrpressing besonders hervorzuheben ist das starke Auflösen gegnerischen Gegenpressings: Die Akteure der offensiven Dreierreihe verhalten sich im Umschalten gruppentaktisch geschickt, fokussieren zunächst gezielt kleinräumige Aktionen und Pärchenbildungen, um dann erst Raum zu gewinnen. In allen drei Partien gab es so schon einige gute Konterangriffe.

Schlussbemerkungen

So zeigen sich die Wolfsburger als recht umfassend aufgestellt. Das ist auch schon mal eine Qualität. Bisher konnte die Mannschaft unter Andries Jonker bereits einige Fortschritte und Ansätze andeuten, waren zudem stets mindestens solide. Wie die noch zu behandelnden Stellschrauben nun angegangen werden, bleibt – zumal in den ohnehin nur drei bisherigen Partien gerade Leipzig und Darmstadt jeweils nicht die klassisch „repräsentativen“ Vergleichsgegner waren – weiter interessant.

Koom 31. März 2017 um 09:21

Finde Jonkers Ideen für diesen Kader gut. Es fehlt der spielerisch starke DM, es fehlen in der Breite gute echte Aussenspieler – das löst man, indem man in der vorderen Reihe 3 sehr flexibel und intelligent spielende OMs aufreiht. Gerade Malli kennt es aus Mainz, das man sich einen Ball auch mal tiefer abholen kann.

Also einerseits die Defensive stabilisiert und den eigenen Möglichkeiten angepasst: „Herkömmliche“ Viererkette, davor 2 als Ausputzer teils agierende DMs. Das stärkt das Zentrum defensiv enorm, sorgt dort auch für Ballgewinne und da die OMs alle eher zentraler agieren, sind sie auch anspielbarer.

Intelligente Herangehensweise. Und nicht einfach nur eine Schablone auf den Kader gepresst und geschaut, dass es halbwegs passt.

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tobit 31. März 2017 um 13:03

Als DM fände ich Arnold interessant, da ich von Guilavogui höchstens als Backup für Bazoer überzeugt bin. Gustavo könnte dann den LIV geben, RiRo den LV und Gerhardt ins OM rücken. Ob das aber wirklich besser als die aktuelle Besetzung funktionieren würde, kann ich nicht beurteilen.
Die Gesamtausrichtung finde ich zumindest für die erste Elf auch sehr passend, dahinter wird es dann aber generell schon dünn und jemand wie Ntep (der eigentlich gut genug für die erste Elf ist) passt da überhaupt nicht rein, da er doch relativ klar am Flügel bleibt.

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SNH 30. März 2017 um 10:19

Waere Andries Jonker deiner Ansicht nach geeignet als kuenftige Nationaltrainer?

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