Übersicht auf die Gruppenphase
Nach zwei Wochen Europameisterschaft stehen die Viertelfinalisten fest. Wir fassen noch einmal die 24 Spiele der Gruppenphase zusammen. Wer nicht alle Spiele gesehen (und alle Analysen gelesen) hat, kann sich hier einen Überblick verschaffen und die interessantesten heraussuchen.
Gruppe A
1. Spieltag
Polen starte stark in die Heim-EM. Mit kluger Asymmetrie nutzten sie die Schwächen der Griechen und die Qualitäten des Dortmunder Flügels.
Nachdem Griechenland einen Platzverweis kassierte, wurden allerdings die Griechen kurioserweise stärker. Sie standen kompakter, griffen konsequenter an und Polen machte taktische Fehler, wodurch sie ihre Überzahl verschenkten.
Das Unentschieden war zum Schluss sehr merkwürdig im Zustandekommen, aber leistungsgerecht. In der Nachbetrachtung verschenkte Polen in diesem Spiel das Viertelfinale wegen der fahrlässigen zweiten Halbzeit.
Tschechien startete mit einer spielstarken Anfangsphase, war aber zu ungestüm. Sie übertrieben ihre Mittelfeldfluidität, ließen viele Räume und die sehr konterstarken Russen führten schnell 2:0.
Nach der Pause wurde Tschechien durch die Einwechslung Hübschmans geduldiger und erzielte den verdienten Anschlusstreffer. Dann aber brachen ihre Kräfte ein. Russland konnte immer leichter zum Strafraum durchkommen und machte zwei weitere verdiente Tore.
Eine naive Vorstellung der Tschechen und ein verdienter russischer Sieg. Dass schlussendlich Tschechien als Gruppensieger dasteht und Russland ausscheidet, demonstriert, wie wichtig die Wechselwirkungen der Spielanlagen zweier Mannschaften ist. Was gegen das eine Team schlecht ist, kann gegen ein anderes funktionieren, und andersrum.
2. Spieltag
Tschechien startete fulminant und kopierte mit viel Durchschlagskraft die taktisch erfolgreichen Mittel der Polen vom ersten Spieltag. Über die rechte Seite des starken Gebre Selassie setzten sie die Griechen unter Druck und nach 7 Minuten stand es somit bereits 2:0.
Somit kam Griechenland schnell aus ihrem Plan und wurde dazu gezwungen, das Spiel in die eigenen Hände zu nehmen. Dazu fehlte es ihnen aber an Mitteln. Hauptsächlich auf das Element der frühen Flanke beschränkt, brauchte es einen Torwartpatzer für den Anschlusstreffer.
Die Tschechen gingen im eigenen Spielaufbau nun kaum noch Risiko, verhielten sich aber meist geschickt in der Strafraumverteidigung, wodurch sie die Gefahr eines Ausgleichs gering hielten. Am Ende konnten sie die Führung über die Zeit spielen.
Ein Spiel, welches gleichermaßen vielseitig wie eindimensional war. Es gab wenig prägende Entwicklungen innerhalb der 90 Minuten, dafür aber viele interessante Situationen, die aus der nicht ganz gewöhnlichen Konstellation entstanden, dass Polen mit einem flachen 4-5-1 gegen das fluide russische System spielte.
Russland rochierte sich oft in Lücken zwischen den breiten Ketten Polens und war gut auf die geplanten polnischen Konter vorbereitet. Sie offenbarten aber ihre Schwächen dabei, engstehende Gegner auszuspielen und waren letztlich oft zu langsam im Vertikalspiel.
Polen kam zu selten in die geplanten Kontersituationen, zeigte sich aber im Spielaufbau wie gegen Griechenland modern. Es fehlte aber wegen der Dreifachsechs ein vierter Offensivspieler, um konstant Gefahr erzeugen zu können.
Somit gab es am Ende ein gerechtes 1:1.
Spieltag 3
Dieses war ein Spiel des Kräftehaushaltes. Tschechien trat ohne den angeschlagenen Star Rosicky an und versuchte erfolgreich, seine Abwesenheit mit Geduld zu kompensieren. Dass Polen wieder das 4-5-1 wählte, kam ihnen dabei entgegen und sie konnten den polnischen Heimvorteil gegen den Gastgeber wenden.
Dies taten sie zum einen durch geduldiges Pressing, durch welches sie Polens eher spielschwache Mittelfeldzentrale isolierten und sie zu vorhersehbarem Flügelspiel zwangen, dem sichtlich der fehlende polnische Zehner abging.
Offensiv lockten sie Polen immer wieder in vermeintlich aussichtsreiche Pressingsituationen, nur um sich mit simplen Passivpässen wieder daraus zu lösen. Den Abstand der flachen Mittelfeldkette vom alleinigen Stürmer wurde dabei klug genutzt.
Somit rieben sich die hochmotivierten Polen zunehmend auf, ohne viel Effekt zu verursachen. Die kräftesparenden Tschechen kamen im Laufe der zweiten Halbzeit deshalb immer besser ins Spiel, Polen ließ nach, wurde immer hektischer und bekam letztendlich den logischen Gegentreffer. Ein kluger Sieg Tschechiens.
Da die Griechen in den ersten Spielen auf ihrer linken Defensivseite so große Probleme gehabt hatten, konzentrierten sich die Russen in ihren Angriffen stark auf diese Seite. Im ersten Durchgang gelang es den Russen gut, die rechte griechische Seite fluid zu überladen. Das Tor machten dann aber die Griechen.
Im zweiten Abschnitt verteidigten diese ihren Punkt mit reinster Defensivtaktik, wobei sie sich gegen das russische Spiel nun besser zu helfen wussten. Dass der Gruppenfavorit das Aus aber nicht verhindern konnte, lag auch an seiner Reaktion auf die gegnerische Passivität: Zunächst fand man zwar das richtige Timing und spielte nicht zu schnell oder überhastet, nach der Pause verloren sie aber diese Balance und konnten immer seltener die richtige Geschwindigkeit aufbauen.
Somit war es ein nicht unverdienter Sieg für die im zweiten Durchgang gesteigerten Griechen. Für beide Teams gab es bezeichnende Statistiken: Während die Russen von ihren 31 Schüssen nur zwei auf das Tor brachten, erzielten die Griechen fast 90 % ihrer Abschlüsse aus Standards.
Gruppe B
Spieltag 1
Für die erste große Überraschung konnten die redaktionsintern hoch gehandelten Dänen sorgen. Gegen offensivstarke Niederländer brachten sie mit Geschick und Glück das „zu Null“ über die Bühne. Doch auch van Marwijks Mannschaft hätte noch mehr Gegentore bekommen können und offenbarte defensive Schwächen.
Sehr interessant und eigen war das Spiel deshalb, weil beide Teams äußerst konsequent im Spielaufbau vorgingen. Beide fächerten zu einer „Torwartkette“ (Innenverteidiger fallen neben Torwart in Dreierkette zurück) auf, um dem gegnerischen Pressing auszuweichen.
Trotzdem versuchten beide Teams meist über den ganzen Platz zu pressen. Dänemark stellte sich dabei etwas geschickter an und wich frühzeitiger zurück, wenn sie drohten überspielt zu werden. Die Niederlande zeigte sich stattdessen in diesem Spiel bereits als zweigeteiltes Team, die Zusammenarbeit zwischen den vorderen Vier und hinteren Sechs war sehr rudimentär.
Wegen vieler vergebener Chancen ging dieses Spiel auch als sehr glücklicher Sieg der Dänen in die öffentliche Wahrnehmung ein. Der weitere Gruppenverlauf belegte aber, dass das Resultat auch Ergebnis großer Probleme der Niederlande und ernstzunehmender Stärken Dänemarks war.
Der deutsche Turnierstart war von einer überraschend starken portugiesischen Defensive geprägt, die insbesondere im Mittelfeldzentrum äußerst kompakt und flexibel die Räume für Deutschlands Vertikalspiel schloss.
Deutschland versuchte diese Problemzonen per Spiel über die Flügel zu umgehen, wo Özil immer wieder versuchte zu überladen. Dieser Plan ging selten auf, funktionierte in letzter Konsequenz aber doch noch und Gomez konnte das 1:0 nach einer Flanke einköpfen.
Durch Flankenwechsel und Dribblings über den aggressiv aufrückenden Coentrao konnte Portugal in der Endphase fast noch ausgleichen. Deutschland bekam die Breite des Platzes in dieser Phase nicht verteidigt und der Sieg musste durch viele Klärungsaktionen der Innenverteidiger gerettet werden.
Spieltag 2
Eins der spannendsten Spiele der Euro entwickelte sich zwischen den beiden vermeintlichen Underdogs der „Todesgruppe“. Portugal legte stark los und kam zu Strafraumszenen, aber auch die Dänen konnten für Gefahr sorgten.
Als Portugal mit zwei Toren in Führung ging, schrieben viele die Dänen schon ab, aber diese demonstrierten, dass sie kein typischer Außenseiter sind. Als Portugal versuchte tiefer zu pressen, begannen sie immer besser und geduldiger ihre gut strukturierten Rochaden auszuspielen und die Zwischenräume Portugals anzuvisieren. Sie zeigten, dass sie ein Spiel kontrollieren konnten.
Zwar konnte Portugal dabei aus einigen individuellen Patzern im dänischen Aufbau profitieren und kam zu simplen Kontern, aber sie vergaben die Riesenchancen. So konnten die Dänen ihre Qualität doch noch gewinnbringend einsetzen und glichen gegen Ende des Spiels sogar zum 2:2 aus.
Portugal zeigte aber wieder den aggressiven Plan B in der Endphase. Varela und Nani überluden rechts, Coentrao stieß links weit vor und das Resultat war das logische: Varela traf nach einer Coentrao-Flanke doch noch zum portugiesischen Sieg.
Die deutsche Mannschaft zeigte eine sehr starke erste Halbzeit und war vor allem im Mittelfeld klar überlegen. Hier gab es zwischen den jeweiligen Trios direkte Zuteilungen, was der DFB-Elf half, da somit ihre kollektive und taktische Überlegenheit nicht durch eine mögliche numerische Unterzahl und damit eine quantitative Überlegenheit der Niederländer ausgeglichen werden konnte. Das deutsche Mittelfeld war der in 6 Defensive und 4 Offensive geteilten niederländischen Mannschaft überlegen.
Mit zwei schönen Toren über rechts demonstrierte die DFB-Elf dies: Khedira und Özil rochierten weit auf die Außen zu Müller, überluden die Niederländer dort, sorgten für Verbindungen zwischen den eigenen Spielern, zogen die niederländischen Sechser aus der Position und schufen im Zentrum große Räume für Doppelvorlagengeber Schweinsteiger. Mit guten Läufe wurde dann die passive Defensive des Gegners kaschiert. Dieser konnte sich im zweiten Durchgang nur durch Individualität und eine nachlassende und ob der Ausrichtung etwas uneinige deutsche Mannschaft steigern.
Geteilte und individuelle Niederländer gegen besser verbundenere und kollektiver spielende Deutsche – der verdiente Sieger verdiente sich letztlich seinen verdienten Sieg.
Spieltag 3
Ein Spiel, dessen Spannung sich auf die taktische Brisanz übertrug. Da die Niederlande mit zwei Toren gewinnen mussten, versuchten sie, das Ruder an sich zu reißen. Portugal profitierte aber davon und konnte seine Konterstärke ausspielen.
In der Anfangsphase dominierte Oranje und ging durch einen schönen Distanzschuss in Führung. Anschließend aber korrigierte Portugal einige taktische Feinheiten und kam besser in die Partie. Der Ausgleich war die logische Folge.
Danach gab es eine längere Phase der Ausgeglichenheit, in der sich van Marwijks Elf kompakter zeigte als zuvor. Diese musste dann aber aufgegeben werden, als der Elftal die Zeit davon lief. Der Trainer brachte Afellay für Willems und stellte auf eine Dreierkette um. Deren Uneingespieltheit konnte Portugal aber sofort Nutzen und entschied das Spiel endgültig für sich.
Morten Olsen versuchte den fast erfolgreichen portugiesischen Defensivplan des ersten Spieltags zu kopieren und stellte auf ein 4-1-4-1, welches aber vorerst nicht funktionierte, da die Deutschen sich verbessert zeigten, was die Bewegungen ihrer drei Angriffsspieler betraf.
Auch das deutsche Angriffspressing war stark. Somit dominierte die DFB-Elf die erste Halbzeit und Dänemark hatte etwas Glück durch ein Standardtor noch den Ausgleich stehen zu haben. Daher stellte Olsen dann auch auf ein raumorientiertes 4-5-1 und Dänemark bunkerte vor dem Strafraum.
Damit bekam Deutschland mehr Probleme und es gab kaum noch Strafraumszenen. Beide Teams gingen kein Risiko, da sie mit dem Ergebnis wohl zufrieden waren und auf die Niederlande hofften. Als diese den Rückstand kassierten musste Dänemark aber aufmachen und bekam sofort einen Konter zum 1:2 eingeschenkt.
Gruppe C
Spieltag 1
Der wohl größte Leckerbissen der Gruppenphase war das Aufeinandertreffen von Italiens 3-5-2-Formation und des stürmerlosen Systems von Titelverteidiger Spanien. Taktisch wie spielerisch war es ein traumhaftes Spiel, in dem beide Mannschaften überzeugen konnten. Die taktische Konstellation war wohl einmalig in der bisherigen Geschichte des Spitzenfußballs.
Das System der Italiener sorgte dabei defensiv für einen massiven Fünferblock im Mittelfeldzentrum und schuf im Vorwärtsgang Zuordnungsprobleme für Spaniens Angriffspressing auf den Flügeln. Dennoch dominierten die passstarken Spanier das Spiel und wirkten immer gefährlich.
Letztlich generierten beide Mannschaften trotz guter Defensivleistung einige Chancen auf spielerischem Wege und trennten sich 1:1 in einem Spiel, das keinen Verlierer verdient hatte. Dass beide Tore blitzsauber aus dem offenene Spiel heraus entstanden, war bezeichnend für diesen Kracher.
Kroatien konnte die erste Duftmarke bei dieser EM mit einem souveränen Sieg über Irland setzen. Kuriose Tore führten zu einem frühen 1:2, anschließend dominierten die Kroaten das Spiel.
Dabei umspielten sie Irlands kompaktes 4-4-2 mit klugen Umformungen. Aufrückende Außenverteidiger, einrückende Flügelspieler, ausrückende Innenverteidiger, bewegliche Sechser und flexible Stürmer, Kroatien hatte alle modernen Positionsmittel in ihrem Spiel. Dazu ließen sie den Ball strukturiert und geduldig laufen.
Irland zeigte, dass sie ihrer absoluten Außenseiterrolle nicht entflüchten konnten. Sie waren auf ihre körperliche Robustheit beschränkt und versuchten mit langen Bällen zu überzeugen. Dieser Plan war für die aufmerksamen Kroaten zu eindimensional und so gewannen sie ungefährdet.
Spieltag 2
Italien blieb dem 3-5-2 auch gegen Kroatiens flexibles 4-4-2 treu. Somit konnten sie die Spielzentrale kontrollieren und waren anfangs überlegen. Zwar kamen sie nicht zu vielen Chancen, aber das 1:0 durch Pirlos Freistoß war dennoch verdient.
Dieses Spiel wurde dann auch durch eine taktische Umstellung entschieden – ohne Personalwechsel wohlgemerkt. Rakitic ging ins Mittelfeldzentrum, Modric rückte etwas nach vorne und Mandzukic suchte vom rechten Flügel die Halbpositionen.
Auf diese Weise bekam Kroatien mehr Kontrolle in die Mitte und konnte die Überzahl auf dem Flügel daher auch besser nutzen. Die drei italienischen Innenverteidiger wurden vom alleinigen Jelavic nun etwas isoliert und Kroatien konnte öfter in den Strafraum spielen. Eine unterschätzte Flanke und das 1:1 waren das logische Ergebnis.
Die Iren gerieten nach einem schlimmen individuellen Fehler von Dunne schon sehr früh in Rückstand.
Del Bosque kehrte von der falschen Neun (Fabregas) ab. Da die drei nominellen offensiven Mittelfeldspieler Silva, Iniesta und Xavi eher spielmachende Typen sind und nicht so häufig die Wege ins Zentrum suchen, wird der Effekt der falschen Neun nicht genutzt.
Mit Torres kam auch mehr Direktheit ins spanische Spiel, gegen Irland spielten sie viel zielstrebiger als gegen Italien und suchten auch häufiger den Abschluss.
Irland ließ zu viele Räume zwischen den beiden Viererketten, was es den Spaniern sehr einfach machte, das Spiel ohne großen Aufwand zu dominieren.
Spieltag 3
Nachdem Spanien mit den Italienern schon einige Probleme hatte, konnte auch Kroatien den spanischen Spielverbund gut außeinander dividieren. In einer kompakten 4-4-2-Formation mit sehr stark zurückarbeitenden Spitzen Modric und Mandzukic konnten sie die Spanier immer wieder vom Tor wegtreiben.
Garniert wurde Bilics passende Strategie mit einige wichtigen Anpassungen – die Flügelspieler verteidigten Asymmetrisch, die Stürmer schoben vor die Schnittstellen des Mittelfelds und die Sechser trauten sich immer wieder aggressiv herauszurücken.
Offensiv fehlte es Kroatien lange an Durchschlagskraft, aber im Laufe der zweiten Halbzeit wurden sie besser und hätten in Führung gehen können. Rakitic vergab aber und in der letzten halben Stunde ergab sich ein spannendes taktisches Duell, das die Trainer über ihre Wechsel untereinander ausfechteten.
Als den Kroaten die Zeit knapp wurde, konnten sich del Bosques Wechsel durchsetzen. Eingeleitet und abgeschlossen wurde Iniestas Vorlage von zwei eingewechselten Spielern.
Prandelli wechselte nach dem 3-5-2 aus den vorherigen Gruppenspielen zurück zu Italiens Stadardsystem. Im 4-3-1-2 sorgten die Außenverteidiger für Breite im Spiel nach vorne.
Pirlo dominierte das Mittelfeld und konnte durch Irlands tiefe Stellung und numerische Unterzahl im Zentrum sogar oft sehr weit aufrücken. Die Squadra Azzurra hatte recht viele Torschüsse, jedoch hätten sie ihre Angriffe besser ausspielen können.
Oft wurden Schüsse von den irischen Abwehrspielern geblockt, was aber immerhin zu einigen Ecken führte. Bezeichnend für das Spiel ist, dass beide Tore dann auch nach Ecken fielen.
Irland hatte durchaus gute Kontergelegenheiten, doch ungenaue Pässe, schlechte Laufwege und gutes Antizipationsverhalten der Italiener machten diese zunichte.
Gruppe D
Spieltag 1
Im Eröffnungsspiel der vierten Gruppe enttäuschten die wiedererstarkten Geheimfavoriten aus Frankreich gegen sehr destruktive Engländer. Diese überraschten mit einer stark an den Chelsea FC erinnernden Defensivordnung. Extrem passiv und zurückweichend versuchten sie die Franzosen zu schlechten Schüssen zu drängen.
Deren sehr fluide Offensive versuchte den Riegel mit zu eiligem Rhythmus zu knacken und kombinierte sich immer wieder in den engmaschigen Viererketten fest. Im Laufe des Spiels wurde die Tricolore aber geduldiger und fokussierte die Distanzschüsse konzentrierter.
Zum Schluss reichte es aber nur zum 1:1 Unentschieden, wobei England die zweite Hälfte fast völlig ohne Torchance überdauerte. In Führung war Hodgsons Elf gegangen, weil Frankreich halbgares Pressing spielte, welches Trainer Blanc dann in der Pause verbesserte. So hatte dieses Spiel, welches für viele eine der großen Enttäuschungen der Euro war, dennoch einige durchaus interessante Punkte zu bieten.
Der zweite Gastgeber musste sich gegen die konventionell spielenden Schweden erst einmal an die Rolle gewöhnen, das Spiel machen zu müssen. Normalerweise eher ein Konterteam, kamen sie erst im Laufe der Partie besser zu ihrem Spiel.
Dann zeigten sie aber mit kluger Asymmetrie und einem unorthodoxen 4-1-3-2-System, dass sie schönen Fußball spielen können. Das Tor der Schweden konnten sie mit einem schnellen Doppelschlag Shevchenkos ausgleichen.
Die Skandinavier hatten anschließend keine Ideen, um zurückzukommen. Die Ukrainer verteidigten die Führung leidenschaftlich und sorgten für den ersten – und schlussendlich einzigen – Sieg der beiden Heimteams dieses Turniers.
Spieltag 2
Das Regenspiel von Donezk störte den Spielfluss beider Mannschaften. Bei den Franzosen waren es die Außenverteidiger, bei den Ukrainern die Offensivspieler, welche im Spielaufbau zu hoch standen und dadurch isoliert wurden, was zu vielen langen Bällen führte. Auch im letzten Drittel fehlte beiden Teams die Durchschlagskraft – die schwache Synchronisation der Angriffsaktionen war bei Frankreich erneut problematisch.
Dennoch schafften sie durch zwei schnelle Tore nach Wiederbeginn den Sieg. Es waren die französischen Diagonalkombinationen von links nach rechts sowie mehr Läufe der Mittelfeldspieler nach vorne, die entscheidend waren und Frankreich zum verdienten Sieger eines mäßigen Spiels machten. Für die Ukraine ein Knackpunkt, denn für das Weiterkommen war nun ein Sieg im dritten Spiel zwingend geworden.
Eins der taktische unspannenderen Spiele der EM gestaltete sich zwischen den 4-4-2-System von Schweden und England. Beide Mannschaften verteidigten im Mittelfeldpressing und versuchten über die Flanken nach vorne zu kommen.
Schweden zeigte ansatzweise Ideen, wenn Ibrahimovic in Ballbesitz war, der aber ein schwaches Spiel machte. England konnte in der Anfangsphase mit einem offensiven Cole und einem zurückfallenden Young andeuten, dass sie mehr können als altbackenes Flügelspiel, aber im Laufe der Partie fielen sie zunehmend ins alte Muster zurück.
Daher entschied sich das Spiel über Flanken, Standards und Dribblings. Zumindest für den Tor-orientierten Zuschauer war es daher ein nicht unattraktives Spiel.
Spieltag 3
Die Ukraine dominierte die Partie über weite Strecken. Einige unorthodoxe taktische Mittel bei Ballbesitz verwirrten die Engländer völlig. Rechtsverteidiger Gusev spielte quasi Außenstürmer und erlaubte es seinem Vordermann Yarmolenko, sehr stark einzurücken.
Tymoschchuk gab den abkippenden Sechser, ließ sich nachdem er die Bälle verteilt hatte dann aber zurück zu den Innenverteidigern fallen. Da Garmash, der zweite Teil der eigentlichen Doppelsechs, in Ballbesitz als Zehner agierte, entstand ein riesiges Loch im Mittelfeldzentrum.
Rooney, der nach seiner Sperre ins Team zurückkehrte, spielte allerdings als zweite Spitze und nicht als Zehner, was dafür sorgte, dass durchs Zentrum kaum Kontergefahr für die Ukraine vorhanden war.
Ein starkes Pressing und auch ein gutes Gegenpressing sorgte dafür, dass England teilweise richtig eingeschnürt wurde. Schlechte Chancenverwertung sowie Pech bei einer abgefälschten Flanke sorgten für die Niederlage der Ukraine. England überzeugte nur in wenigen Bereichen wie zum Beispiel Standards und Kampfbereitschaft.
Es war eine schwache erste Halbzeit zwischen sehr defensiven Schweden und harmlosen Franzosen. Die Mannschaft von Laurent Blanc konnte gegen den kompakten gegnerischen Abwehrblock nicht ankommen, weil die Läufe aus der Tiefe sowie die Direktheit fehlten und man durch zu geringes Aufrücken ständig in Unterzahl geriet.
Nach der Pause waren es die Schweden, die dem Spiel Schwung gaben, indem sie deutlich mutiger auftraten. Dadurch wurden sie offensiv gefährlicher, wobei hier ihre gute linke Seite nun mehr Impulse gab, und zwangen Frankreich schnell in die Unterzahlräume.
Das 2:0 am Ende war somit verdient. Allerdings dürfte die französische Leistung auch dadurch beeinflusst gewesen sein, dass man aufgrund der Ausgangslage sich eine solche Niederlage für das Weiterkommen leisten konnte.
Fazit
Ein bisher wirklich vielfältiges Turnier, welches eine große Menge taktisch wie spielerisch ansprechender Partien bot. Die Doppelsechs-Systeme dominieren genauso wenig wie abwartendes Mittelfeldpressing und Konterorientierung. Es gibt viele 4-3-3 und 4-1-4-1-Systeme zu beobachten, dazwischen auch ein stürmerloses System, ein 3-5-2, eine Raute und ein 4-1-3-2. Die gängigen Systeme wurden zudem sehr spannend und unterschiedlich interpretiert. Viele Mannschaften setzen auf fluid agierende Mannschaftsteile oder systematische Asymmetrien, die oft ausschlaggebend waren. Auch im Viertelfinale gibt es wieder interessante taktische Duelle; beispielsweise wenn Italien womöglich ohne offensive Flügelspieler auf Englands passives System mit starken Außenverteidigern trifft.
Die Spielzusammenfassungen entstammen den Federn von TR, PP und MR.
12 Kommentare Alle anzeigen
Oli Fritsch 23. Juni 2012 um 10:58
Sehr praktische Zusammenfassung. Gut, um mal eben zwischen zwei Interviews mit H. Flick und L. Walesa mit dem iphone auf dem laufenden zu bleiben. Keep on! Gruß aus Danzig
ALex 22. Juni 2012 um 01:58
ich fände den aspekt der trends ebenso interessant.
inwiefern sich der fußball in diese oder jene richtung entwickelt hat, div. kräfteverschiebungen, neue taktische aspekte ( gutes beispiel die fluide offensive der franzosen) , zusammengefasst zu einem fazit, mit einer folgenden prognose oder einem ausblick, die selbstverständlich nur die subjektive sicht des verfassers wiedergibt.
generell war die euro oft richtungsweisend und gab uns gewisse aufschlüsse, wohin sich der weltfußball bewegt, taktisch wie technisch
laterookie58 21. Juni 2012 um 19:24
@MR: hochgeschätzter „Schreiberling“; wenn es mir möglich wäre, würde ich Dich für diese Übersicht adeln! Die „normalen“ Analysen, egal wie lang, sind für mich immer höchst- lesbar verfasst. Und jetzt die Spiele ultra- kurz und trotzdem treffend zu skizzieren, ist in meinen Augen schon eine mehr als bemerkenswerte Leistung von Dir. Ich danke sehr herzlich für Deine Mühe und das auf-den-Punkt-bringen jetzt vor den vier Spielen, wer wohl wie agieren wird.
Zeit werdet Ihr alle wohl kaum jemals wirklich haben: ich habe so einen Themen- Ansatz, welcher eventuell schreibens- und auch lesenswert sein könnte– welcher National- Trainer hat am effektivsten/ erfolgreichsten sein Team vor und während eines Spiels neu eingestellt/ taktisch verändert?
Nochmals: herzlichen Dank. laterookie58
MR 22. Juni 2012 um 03:10
Hach, deine Kommentare sind immer die schönsten. 😉
Einen Teil deiner angestrebten Adelung möcht ich dann aber noch an die Kollegen TR und PP weiterleiten, die einige der Zusammenfassungen beigesteuert haben. (Hatte ich anfangs noch vergessen, unter dem Artikel zu erwähnen.)
Danke für den Ansatz bzgl. der Trainer. Ich denke, nach dem Turnier werden wir ein paar „Award“-Artikel bringen und da bietet es sich bei uns natürlich sehr an, auch die Trainer zu „prämieren“. Ich werde das mal ansprechen und versuchen umzusetzen.
laterookie58 22. Juni 2012 um 20:04
@MR, TR + PP: selbst dreigeteilt in meinen Augen, die die BL vom Start weg begleiten, wert, Euch zu „erheben“– wenn ich könnte…
MR: Danke für die Zeit, die Du Dir für die Antwort genommen hast!!! Weitere nicht zwingend notwendig, da „Millionen“ Deine/ Eure Analysen und Vorberichte dringend erwarten!
Ich habe schon vermutet, daß Ihr nach der EM mit Einigem aufwarten werdet; wie gesagt: „Millionen“ harren aus…
Danke für Unglaubliches und Bereicherndes in meinem Leben– geht an Euch alle! Grüße laterookie58
Roberto78 21. Juni 2012 um 15:50
Hmmmmm… Ich will ja gar nicht meckern & weiß auch, dass ihr ohnehin z.Zt. viel zu tun habt. Aber ehrlich gesagt finde ich diese Übersicht als Stammleser etwas überflüssig. Wo ohnehin fast alle Besucher hier fast alle Spielberichte gelesen haben.
Ich hatte nach der Vorankündigung im Podcast eher erwartet, dass Trends und unverhoffte Entwicklungen während der Vorrunde etwas stärker beleuchtet werden. Ich weiß; dass passiert in den einzelnen Berichten ohnehin; aber ich bin zu faul; gelegentlich…
Frank Wormuth hat diese Thematik ansatzweise in seiner Kolumne auf einer anderen Seite skizziert. Und ihr habt das im Podcast auch teilweise thematisiert. Es bräuchte lediglich ein Transkript einzelner gesprochener Abschnitte.
Was tatsächlich bemerkenswert ist und hier noch mal gebührend hervorgehoben werden sollte, ist die unglaublich hohe Schlagzahl an Artikeln auf dieser Seite seit dem Eröffnungsspiel! Vielen Dank dafür! Ich hoffe, ihr könnt ab dem 2.Juli erstmal euren wohlverdienten Schreiburlaub genießen!
Jx 21. Juni 2012 um 16:17
Ich stimme dir in dem Punkt zu, dass wenn man alle Berichte gelesen hat, diese Übersicht durchaus etwas „überflüssig“ ist. Aber ich finde sie einfach dafür praktisch, dass man Infos zu allen Gruppenspielen auf einen Blick hat und sich so sehr schnell nochmals einen Überblick über die Spiele einzelner Mannschaften machen kann. Daher hat dieser Artikel in meinen Augen durchaus seine Daseinsberechtigung.
Horst 21. Juni 2012 um 18:49
Also ich bin für diese Übersicht sehr dankbar. Leider fehlt mir nämlich die Zeit, alle Berichte zu lesen.
MR 22. Juni 2012 um 02:32
„Wo ohnehin fast alle Besucher hier fast alle Spielberichte gelesen haben. “
-> Wie unsere Klickzahlen belegen, ist dem wirklich nicht ansatzweise so. Da gibt es durchaus Berichte, die nur 10% und weniger der Klickzahlen von den größeren Spielen haben.
Taktische Zusammenfassung und Trends wird es am Ende der Euro geben. Ich hab den Kollegen von Bolzen aber ein Interview dazu gegeben: http://bolzen-online.de/artikel/kneipen/Viele-Mannschaften-haben-die-Chelsea-Strategie-uebernommen/748
Und Kollege Rene hat bei Abseits.at was dazu geschrieben:
http://www.abseits.at/taktik-theorie/taktiktrends-zur-europameisterschaft-1-defensive/
(Kommt jeweils noch ein zweiter Teil.)
Jx 21. Juni 2012 um 14:17
„Die redaktionsintern hochgehandelten Dänen“
Klang in den Podcasts eher danach, als wenn du, MR, der einzige bist, der sie hoch handelt. ;P
MR 21. Juni 2012 um 14:18
Ich bin doch redaktionsintern! 😀
Jx 21. Juni 2012 um 14:25
Touché. ^^