Heckings Rautenplan verpasst den Durchschlag

1:1

Dieter Hecking gelang es mit einer klugen Anpassung, den unangenehmen Stil der Darmstädter weitgehend zu neutralisieren. So hatte Wolfsburg häufig ungestörte Kontrolle über die Partie. Das Problem war allerdings, aus dem Ballbesitz zuverlässige Durchschlagskraft zu erzielen. Der VfL versuchte abermals sehr viel, kam über verschiedene Ansätze aber oft nicht hinaus und verpasste ein weiteres Mal wichtige Punkte.

Dirk Schusters Darmstädter sind ein unangenehmes Pflaster für viele Teams. Sie versuchen dem Gegner ihre extreme Spielweise aufzuzwingen und darüber die Partie zu beeinflussen. Für die Wolfsburger musste es zunächst einmal das Ziel sein, diesen Faktor auszuschalten – und dafür schien sich Dieter Hecking etwas überlegt zu haben. In den ersten Minuten wirkte die Grundausrichtung seiner Mannschaft unverändert zu den letzten Wochen: Seit der erfolgreichen Auswärtspartie in Hannover setzt der VfL-Trainer auf eine 4-3-3(-0)-artige Formation mit Tendenzen zum 4-3-1-2, indem sich der zentrale Stürmer – oft Draxler – nach hinten fallen lässt.

Da jener auch diesmal passen musste, startete erneut Caligiuri von Beginn an als Teil des Offensivtrios. In den allerersten Minuten schien es so, als würde er einfach die linke Angriffsposition in der üblichen Formation einnehmen, mit Max Kruse halbrechts und Schürrle zentral. Schon bald stellte sich aber eine kleine Veränderung ein – die Wolfsburger organisierten sich gegen Darmstadts lange Bälle um und agierten letztlich in einer Raute. Häufig hatte Mathenia den Ball am Fuß, die Gäste orientierten sich nach vorne und wollten überhaupt nicht aufbauen: Bei Wolfsburg schob dann Max Kruse linksseitig aus der gegnerischen Formation heraus, damit der Darmstädter Keeper das Leder nicht einfach liegen ließ und länger wartete.

Heckings Plan stellt das Bolzen ruhig

Ins weiter aufrückende Pressing gingen die Wolfsburger zumindest in geregelten Situationen kaum über, sondern sparten Kräfte und bereiteten sich auf die ohnehin zu erwartenden langen Schläge vor. Dieses Vorgehen machte so auch Sinn. Bei den weiten Bällen hatten die Darmstädter diesmal einen klaren Linksfokus, in die Zonen um Sandro Wagner. Die gesamte Formation, insbesondere die Mittelfeldabteilung, schob sich hinüber. Wolfsburg reagierte aber gut: Guilavogui spielte als rechter Achter etwas tiefer neben Luiz Gustavo und bildete fast eine verschobene Doppel-Sechs. Aus dieser Ausrichtung heraus hatte Wolfsburg gute Präsenz um jene Räume und konnte die Physis des französischen Mittelfeldmanns zusätzlich gegen Wagner stellen.

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Formationsanordnungen bei Ballbesitz Mathenia und langen Bällen

Es war der anfangs noch stürmerhaft wirkende Caligiuri, der sich im ballfernen Halbraum zurückfallen ließ und auffüllte. Das geschah aber, wie dann schnell deutlich wurde, eben nicht aus dem 4-3-3-0 heraus, sondern aus einer Raute, in der tatsächlich der ehemalige Freiburger als unorthodoxer linker Halbspieler agierte. Der dort zuletzt aufgebotene Arnold wiederum besetzte die Zehnerposition und bewegte sich bei den langen Bällen im Dunstkreis der Darmstädter Sechser. Insgesamt hatte Wolfsburg mit dieser engen, leicht asymmetrischen Raute einen guten Plan, um das simple, sehr konsequente Hauptmittel der Darmstädter und deren Linksfokus zu kontern. So blieb der VfL fast durchgehend stabil. Zwar verloren sie durch kleinere Nachlässigkeiten in der Rückzugsbewegung einige zweite Bälle, bewegten sich zum Strafraum hin mit der Restverteidigung aber gut.

Aus den kompakten Ballungen heraus bewegte sich Darmstadt letztlich, bis auf ein oder zwei Ausnahmen über Vrancic und Gondorf, viel zu simpel, um wirklich nachhaltig gefährlich zu werden. Es gab vereinzelte Flanken und schnelle Tiefenpässe, aber eine wirkliche Torchance verbuchten die Gäste aus dem Spiel heraus nicht. An dieser Stelle konnten die Wolfsburger, auch mit guter Anpassung, also einen Erfolg verbuchen. In Sachen Verteidigung hatten sie nicht allzu viel zu befürchten, hielten den unangenehmen gegnerischen Stil in Schach und konnten sich damit einer weiteren Aufgabe zuwenden – die Defensive des Außenseiters knacken.

Darmstadts 4-4-2 gegen den Ball

Der Gast rückte im Pressing gelegentlich mal weiter auf, schob das 4-4-2 dann nach vorne und einen mannorientierten Sechser nach, aber mehrheitlich warteten sie ab. Oft formierten sich die Darmstädter solide mit der ersten Reihe knapp vor der Mittellinie. Kaum mal wollten die Stürmer die gegnerischen Innenverteidiger unter Druck setzen, sie konzentrierten sich vielmehr auf den Sechserraum beim VfL. Die offensiven Außenspieler rückten in der ersten Phase diszipliniert und explosiv gegen ihre Gegenspieler heraus, fielen durch situative Mannorientierungen – wie fast überall, etwa in zonaler Interpretation bei den Sechsern – gelegentlich auch nach hinten in Sechserkettenansätze zurück, aber nicht immer.

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Grundformationen

Das zeigte sich in der Anfangsphase, als der VfL noch regelmäßiger mit verschiedenen Zurückfallbewegungen nach außen operierte: Bewegten sich etwa der noch stürmerhafte Caligiuri oder Schürrle in die vom aufrückenden Außenverteidiger gelassenen Lücken zurück, hielten Heller und Rausch ihre Position und übernahmen den jeweiligen Wolfsburger. Anders gestaltete es sich gegen das Herauskippen von Guilavogui: Die Darmstädter behielten die enge Verfolgung der aufrückenden Wolfsburger Außenverteidiger bei. So konnten diese ihrem Mittelfeldkollegen erfolgreich Raum öffnen, so dass jener in der Anfangsphase einige Freiheiten erhielt.

Harmonieprobleme beim VfL

Allerdings taten sich die Niedersachsen schwer damit, diese Öffnung der gegnerischen Formation zu nutzen. Beispielhaft zeigte sich daran zunächst die häufig unpassende Entscheidungsfindung im Passspiel: Anstatt zu versuchen, diese freigezogenen Räume konsequent mit Vorwärtsdrang anzuspielen, gingen sie einige Male mechanisch in die Rückzirkulation oder wählten eine wenig voranbringende Verlagerung. Auch die gesamte Bewegungsanlage der Wolfsburger Offensive wirkte etwas ungeordnet und fand nicht zu gemeinsamer Harmonie:

Wie in den letzten Wochen häufig, zeigten sie zwar Engagement und insbesondere das vordere Trio driftete flexibel durch verschiedene Bereiche. Es fehlten dabei aber die Effektivität und Sauberkeit der Bewegungen sowie die zusammenhängende, druckvolle Kohärenz dazwischen. Ein typisches Beispiel lief wie folgt ab: Ein Außenverteidiger dribbelte an, spielte nach vorne auf einen Mitspieler, lief in die letzte Linie. Der angespielte Kollege konnte in der Situation mit dem Zuspiel aber noch nichts anfangen, hatte keine saubere nahe Rückpassoption und teilweise starteten die umliegenden Mitspieler auch nur in die Spitze.

Daher wirkte sich auch die halbrechts eigentlich gute Zwischenlinienraumbesetzung durch Arnold und teilweise auch Schürrle nicht entscheidend aus. Bei versuchten Flügelüberladungen waren oft Außenverteidiger, Achter und Stürmer der jeweiligen Seite engagiert beteiligt, aber die anderen Kollegen verblieben zu passiv. Das machte die Passwege ein Stück weit zu klar und ließ den Fluss in den Aktionen immer mal ein wenig abbrechen. Im weiteren Verlauf gab es von den Außenverteidigern als zusätzliches Mittel manchmal einrückende Bewegungen zu sehen, die Raum für die ausweichenden Angreifer zum Flügel hin öffnen sollten. Dort wiederum konnten aber weiter ähnliche Probleme aufkommen.

Wolfsburgs Passmuster über die Raute

Neben diesen allgemeinen, übergreifenden Punkten trat schon nach kurzer Zeit ein spezifischer Plan der Wolfsburger zutage. Sie stellten die herauskippenden Bewegungen ein – abgesehen von Luiz Gustavo, der gelegentlich nach links wich – und postierten die Mittelfeldakteure zentraler. Das ging auch mit der klareren Rautenausrichtung zusammen. Nun schienen die nominellen Halbspieler, zwischendurch auch Arnold, verstärkt zu versuchen, sich in den Schnittstellen der gegnerischen Mittelfeldkette zu positionieren. Nach Eröffnungen der Innenverteidiger oder aus dem Sechserraum konnten sie sich einige Male in einen Freiraum drehen.

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Ballbesitz Wolfsburg, Defensive Darmstadt

Die Darmstädter zeigten dagegen nicht immer die optimale Kompaktheit oder Sauberkeit für passende Zugriffsmöglichkeit und offenbarten gelegentlich auch mal größere horizontale Lücken. Dies schien Wolfsburg nach der Einbindung der Achter über klar festgelegte Folgemuster ausspielen zu wollen. Manchmal wurden die Abläufe aber zu klar und schränkten die flexible Reaktion auf die Situation etwas ein. So wäre mehr möglich gewesen, denn Darmstadt ging doch manches Mal die Präsenz in der zweiten Linie ab, einzelne Mannorientierungen oder Herausrückbewegungen waren nicht gut genug abgesichert. Völlig ineffektiv zeigte sich der Wolfsburger Plan jedoch keineswegs:

Es folgte gegen das Zusammenziehen häufig ein schneller Ball in die Breite auf den vorstoßenden Außenverteidiger. Je nachdem, wie Darmstadt reagierte und die losen Mannorientierungen organisierte, suchten dieser – direkt oder nach kurzem Umweg – den Diagonalpass in die Spitze. Der gegnerische Außenverteidiger oder der zurückgefallene Flügelspieler sollten herausgelockt werden, um von der Seitenlinie diagonal hinter die Abwehr zu spielen. Dorthin wich der ballnahe Stürmer der Raute aus. Das brachte einige Durchbruchsansätze in Richtung Grundlinie, doch waren diese letztlich nie so sauber, dass mit den folgenden Hereingaben absolute Gefahr hätte heraufbeschworen werden können.

Rückraumöffnung und knappe Ansätze

Zumindest führte das aber dazu, dass Darmstadt immer wieder nach hinten gedrückt wurde, teilweise auch durch die Wolfsburger Staffelungen mit vielen vorstoßenden Bewegungen gegen die Mannorientierungen. Dadurch öffnete sich bei den Gästen immer mal der Rückraum. Auch innerhalb des Mittelfelds hatten sie zwischen den Spielern in der Rückzugsbewegung manche Lücken. Im Verlauf der ersten Halbzeit wirkte der Aufsteiger am eigenen Strafraum zunehmend unsouverän, Wolfsburg konnte nach abgebrochenen Szenen nochmals in hohen Zonen querspielen oder über kurze individuelle Haken die Situation wieder aufrollen.

In der letztendlichen Konsequenz ließ Wolfsburg zwar einiges liegen, aber in Bezug auf die Darmstädter sah man in der Grundtendenz doch einige Male die Grenzen ihrer defensiven Systematik, auch wenn sie es manchmal klug machen. Die Hausherren spielten in einigen eigentlich vielversprechenden Szenen die kleinen Überladungen gegen die verbleibenden Sechser der Lilien nicht sauber genug aus. Hätten sie durch weitere Beteiligung wirklich scharfe lokale Überzahlen daraus gemacht, wären die Phasen Darmstädter Präsenzprobleme offener gelegt worden. Zum Ende von Durchgang eins war Wolfsburg dem Tor nahe und einige Male etwas unglücklich, dass die Szenen nicht ganz durchkamen.

Zweite Halbzeit offensiv wieder problematischer

Zu Beginn des zweiten Durchgangs büßten die Wolfsburger etwas von ihrem aufgebauten Schwung ein. Prinzipiell folgte die Begegnung einem ähnlichen Grundmuster wie zuvor, doch zeigten sich beim VfL kleinere Nachlässigkeiten und Verschlechterungen, die ihnen an Dynamik und Geschmeidigkeit nahmen. Formativ tendierte die Raute durch etwas breitere Positionierung Vierinhas zu einem asymmetrischen 4-2-3-1, mit Schürrle als Mischung aus zweitem Angreifer und Linksaußen. Auf rechts blockierte dieser seitliche Drang des Portugiesen teilweise die Rochaden der Offensivkräfte und verringerte die Halbraumpräsenz, auch wenn Träsch weiterhin situativ einrückte oder dorthin dribbelte.

Das größte Problem der Wolfsburger in diesem zweiten Durchgang waren allerdings die Staffelungen und die horizontale Unterstützung der Spieler untereinander. Zunächst einmal bewegten sich Max Kruse und Schürrle immer häufiger vor allem an der letzten Linie, zumal auch Vierinha seitlich aufrückte. Nach der Einwechslung von Leandro Putaro in eine 4-4-2-Logik wurde dies nochmals verstärkt. Nun verlor sich zwischen den vier Offensivakteuren die Präsenz in der Mitte. Dort wirkte Arnold zunehmend verloren, fiel daher einige Male ungestaffelt hinter den Ball zurück. So musste Luiz Gustavo einige Vorwärtsläufe unternehmen, was die ungünstige Gesamtsituation aber nicht entscheidend verbessern konnte.

Zum zweiten wurde mit der Zeit deutlicher, dass die jeweils ballfernen Spieler den Angriffsbemühungen zu wenig kollektiv und bewusst folgten. Zwar gab es weiterhin prinzipiell viel Bewegung und verschiedene Positionswechsel beim VfL, doch da sie zu wenig in Beziehung zueinander standen, ging die Wirkung oft ins Leere. Fuhr man beispielsweise einen Angriff mit Vierinha und Träsch über rechts, gab es zwar von einem der näheren Kollegen – etwa Max Kruse – eine engagierte Freilaufbewegung oder einen Sprint in die Tiefe zu sehen. Doch die anderen Offensivleute reagierten nicht immer adäquat darauf: Schürrle an der letzten Linie, Arnold tendenziell seine Position haltend, Guilavogui ballfern.

Es fehlte manches Mal die aktive Beteiligung, den verlassenen Raum zu besetzen, eine Anspielstation in der Tiefe anzubieten, das Zwischenloch im Halbraum für Ablagen anzulaufen. Bei einem solchen Angriff schienen sich oft nur die nächsten drei oder vier Leute für die Fortführung zuständig zu fühlen, aber kaum über die Zonen hinweg. In diesem Gesamtzusammenhang wirkten sich dann auch die Entscheidungen im Passspiel wiederum aus und wurden hektischer. Startete einer der Offensivspieler einen jener musterhaften Läufe, folgte teilweise umgehend der tiefe oder diagonale Pass dorthin, ohne wirklich die Eignung der Situation einzubeziehen und überhaupt auf mögliche Folgebewegungen der anderen Kollegen zu warten.

Überraschendes Konter-Tor, später Ausgleich

Über weite Teile des zweiten Durchgangs lief die Partie daher so vor sich hin – mit Wolfsburger Dominanz im Ballbesitz, ohne den klaren Durchbruch mit hochwertiger Torchance. Unterbrochen wurde dieser Gang plötzlich durch einen einzelnen Konter der Gäste, die bis dahin fast nur noch mit der Verteidigung beschäftigt waren. Jener Angriff bedeutete das überraschende 0:1 in der Schlussphase. Durch die 4-4-2-/4-2-4-haften Tendenzen stand Wolfsburg nun zwischendurch nicht optimal abgesichert und der eingewechselte Rosenthal konnte das entscheidend bestrafen, sorgte als Übergangsspieler dafür, dass jene eine Umschaltszene mal durchkam.

Letztlich durften sich die Darmstädter natürlich auch ein wenig glücklich schätzen, mit ihrer einzigen Chance direkt zu treffen. Dem VfL blieb nur noch wenig Zeit, sie fanden nach diesem Tiefschlag aus der flachen Angriffsstaffelung aber zunehmend noch einmal eine leichte Verbesserung in Sachen Rückraumbesetzung. Nachdem ein Ball von Max Kruse abprallte, stand Schürrle nicht links vorne, sondern mittiger versetzt. So konnte er das Leder aufnehmen und aus den sich dann doch noch auswirkenden Nachlässigkeiten in der defensiven Mittelfeldpräsenz der Gäste – im Abschluss letztlich auch etwas glücklich – zumindest noch den Ausgleich als Kapital schlagen.

Fazit

Die Partie illustrierte für beide Mannschaften die derzeitige Situation, insbesondere für den VfL. Es war ein weiteres Beispiel für die verschiedenen Versuche und Ansätze der Niedersachsen, ebenso wie für die Probleme und fehlende Vollendung des Konzepts, das noch nicht so ganz zusammenhält. Sie ließen einiges liegen, trafen auch zu viele falsche Entscheidungen, hätten noch etwas mehr aufrückende Läufe aus der letzten Linie zeigen können. Gegen die spezifische Herausforderung Darmstadt hatte Dieter Hecking eigentlich einen sehr passenden Plan, der gerade defensiv gut funktionierte, aber doch nicht mit einem Sieg belohnt wurde. Aus Sicht der Darmstädter konnte man fast schon ein Extrembeispiel ihres Stils betrachten. Sowohl die diesmal entschärfte Taktik der langen Bälle als auch ihre Defensivarbeit ließ aber durchscheinen, wo die Grenzen ihrer Ausrichtung sind – auch wenn Wolfsburg das nicht entscheidend im Ergebnis bestrafen konnte. Der Aufsteiger war defensiv immer mal für einige kleine Maßnahmen – etwa in der Hinrunde gegen Dortmund, in der Rückrunde gegen Bayern – gut, aber insgesamt hat das tiefe, mannorientierte, im Mittelfeld teilweise unsaubere Konstrukt schon teilweise klare Schwächen.

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