Träges Ballgeschiebe verwandelt sich in Umschaltfestival

Zunächst wollte Wolfsburg, dass alle Hannoveraner einschlafen, nur um dann mit überfallartigen Angriffen über die 96er hinwegzufegen. Die Wölfe gewannen 4:0 im kleinen Niedersachsenderby.

2016-03-01_Hannover-Wolfsburg_GrundformationenNachdem Hannover 96 am Wochenende den ersten Sieg seit vergangenen November einfuhr, beließ es Thomas Schaaf bei der Aufstellung, die gegen den VfB Stuttgart triumphierte. Folglich blieben Hiroshi Kiyotake und Iver Fossum im Angriff, während Kenan Karaman und Marius Wolf in der 4-4-2-Formation über die Flügel kamen.

Dieter Hecking musste hingegen einige Änderungen vornehmen. Robin Knoche ersetzte Naldo, der bis zum Saisonende ausfällt. André Schürrle spielte anstelle des angeschlagenen Vieirinha. Zudem rückte Maximilian Arnold im Mittelfeld etwas nach vorn, da Josuha Guilavogui auf der Doppelsechs neben Luiz Gustavo agieren sollte.

Zirkulation ohne Raumgewinn

Wolfsburg übernahm direkt ab dem Anpfiff das Kommando über die Partie und sollte dieses auch bis zur Halbzeitpause nicht mehr abgegeben. Im Spielaufbau rückte interessanterweise Rechtsverteidiger Christian Träsch frühzeitig nach vorn, wodurch die rechte Zone hinter ihm entweder von Knoche im Rahmen einer Aufbaudreierreihe besetzt wurde oder aber Guilavogui herauskippte und neben dem ersten Block der Hausherren den Ball aufnehmen konnte.

Die 96er pressten durchgängig im 4-4-2. Kiyotake und Fossum in der vordersten Linie blockierten verstärkt die Wege durchs Zentrum. Gleichzeitig gab es jedoch eine große Lücke zwischen ihnen und den beiden Sechsern. Wolfsburg bespielte diese Lücke zunächst nur unzureichend, da sie keinen Weg durch den hohen Block fanden und vorrangig tiefere Ballzirkulation präferierten.

Arnold ließ sich vielfach zurückfallen und verstärkte dadurch die Ballung in tieferen Zonen. Währenddessen zeigten Julian Draxler und Max Kruse in der Anfangsphase ihre Mobilität im Aufbau. Etwas überraschend kam Kruse zunächst über die rechte Seite, wo er sich im Halbraum anbot und sehr konkret zur Weiterverteilung des Balls beitrug. In diesem Kontext wurde auch deutlich, weshalb Träsch schnell nach vorn stieß. Der 28-Jährige besetzte die Außenbahn, um gegebenenfalls Flanken nach innen zu schlagen.

Rückten Kruse und Draxler sehr weit nach innen beziehungsweise links, war es Guilavogui, der sich innen als Anspielstation für Träsch anbot. Im Verlauf der ersten Halbzeit sollten Kruse und Schürrle die Seiten wechseln. Letzterer fiel im Vergleich zu seinen Sturmkollegen durch sein stärkeres Abwarten in der Nähe der Abseitslinie auf.

Als jedoch auch Kruse und Draxler zunehmend in der Spitze verharrten beziehungsweise sehr schnell nach vorn liefen, um Steilpässe zu fordern, und seltener ins Mittelfeld zurückfielen, wurde Wolfsburgs Aufbau umso ineffektiver. Nun formierten sich die Wölfe teils in einem Kreis um die beiden höheren Linien der Hannoveraner.

2016-03-01_Hannover-Wolfsburg_WOB-Aufbau-Kreis

Sicherlich ließen sie den Ball mit Präzision laufen. Aber keineswegs waren sie dazu in der Lage, die mittigen Zonen vor Hannovers Abwehrkette zu penetrieren. Die horizontalen Bewegungen des Balls über die tiefsten Passstationen der Wolfsburger konnte die vorderste Linie Hannovers mitgehen und somit stets in der Nähe des Spielgeräts bleiben. Dies sollte sich erst nach einer gewissen Zeit ändern.

Aber zunächst noch einige Anmerkungen zu den Hausherren: Die Schaaf-Elf formierte sich im 4-4-2, wobei in der Offensive Kiyotake oftmals zurückfiel. Diese Bewegungen wurden wiederum vom ballfernen Flügelstürmer Karaman in einigen Szenen, wie etwa in der 15. Minute, aufgefangen. In dieser Situation rückte Karaman von rechts in die halblinke Schnittstelle und wurde von Kiyotake per Pass vor das Tor von Koen Casteels geschickt. Es blieb die einzig wirklich gefährliche Offensivaktion der 96er.

Auf der anderen Seite ging von den Gästen wenig Gefahr aus. Die beiden Sechser Hannovers konnten die Abkippbewegungen der Wolfsburger Stürmer ein paar Meter mitgehen und sie so aus den gefährlichen Zonen heraushalten.

Wölfe bissen sich durch

Allerdings reagierte Heckings Team auf diese Pattsituation im Spiel, indem verstärkt die schnellen Flügelakteure in Einzelaktionen geschickt wurden.

Zudem tendierte Hannover mit zunehmender Spielzeit dazu, in der Arbeit gegen den Ball passiver zu werden. Die schier endlos langen Passstafetten der Wolfsburger führten in gewisser Weise dazu, dass Hannover insbesondere mit der Mittelfeldkette weiter zurückfiel. Kamen nun Vertikalpässe durch die Halbräume, sicherte der Verteidiger lediglich den Raum dahinter ab, statt den Druck auf den Ballempfänger zu erhöhen.

Diese kleinen Lücken genügten den Wölfen schon, um Dynamik zu entwickeln und die eigene Formation – viel mehr als die gegnerische – in Bewegung zu bringen. Zudem hatten die Wolfsburger Offensivakteure ab der 25. Minute die Möglichkeit, den Platz, der ihnen geboten wurde, für intelligente Dribblings auszunutzen. Ein passendes Beispiel war Draxlers Schuss in der 27. Minute, nachdem sich Schürrle gut im Halbraum bewegt hatte und per Querpass den Abschluss seines Teamkollegen vorbereitete.

Knapp zehn Zeigerumdrehungen später erzielten die Wölfe den Führungstreffer. Dabei hatte Dante nach einem Ballgewinn in der Abwehr geistesgegenwärtig reagiert, indem er umgehend ein Dribbling nach rechts startete, wo sich eine Lücke aufgetan hatte. Er verlagerte dann zu Träsch, welcher wiederum einen unpräzisen Querpass spielte. Allerdings fälschte Hotaru Yamaguchi den Ball in den Lauf von Draxler ab, der anschließend zu Schürrle ablegen konnte, welcher per Innenpfostentreffer einnetze.

Nach dem Gegentor blieb Hannover bei der taktischen Ausrichtung, wenngleich Schaaf seine Mannschaft von der Seitenlinie aufforderte, schneller herauszurücken und nicht zu tief zu stehen.

Schützenfest in Halbzeit zwei

Eine personelle Veränderung erfolgte erst zur Halbzeitpause. Ádám Szalai ersetzte Mittelfeldspieler André Hoffmann. Die Grundformation blieb jedoch ein 4-4-2/4-4-1-1, da Fossum an die Seite von Yamaguchi auf die zweite Sechserposition rückte. Kiyotake ging während der Angriffsentwicklung stets ein paar Meter zurück, während Karaman meist in der Spitze größere Präsenz erzeugte.

Wolfsburg zeigte sich derweil leicht verbessert im Spielaufbau. Die Dreieckbildung zwischen Innen-, Außenverteidiger und Sechser funktionierte deutlich flüssiger und führte zum schnelleren Überspielen der ersten Linie.

Jedoch wirklich gefährlich waren die Wölfe vor allem in Umschaltsituationen. In der 58. Minute ergab sich für Heckings Team eine Chance nach einem hohen Durchbruch sowie anschließendem Diagonallauf/-pass von Draxler. Die anschließende Ecke führte zu einem Abpraller, den Schürrle zum erfolgreichen Abschluss aus der Distanz nutzte.

Wenige Minuten später war die Partie entschieden. Bei einem Wolfsburger Konterangriff kam von links eine Flanke in den Strafraum geflogen, die Christian Schulz nur auf ein paar Meter abwehren konnte. Schürrle nahm den Ball mit der Brust auf und schloss per sehenswerten Schuss ab. Der vierte Wolfsburger Treffer wurde ebenfalls von einem Konterangriff über den linken Flügel unmittelbar vorbereitet.

Fazit

Schaaf hatte in der Partie beim VfB Stuttgart dadurch geglänzt, dass seine taktischen Anpassungen die Schwächen des Gegners gut ausnutzten. Im damaligen Fall waren es vor allem die Bewegungen von Kiyotake und Fossum im etwas unterbesetzten Sechserraum der Schwaben. Gegen Wolfsburg blieb Hannovers Cheftrainer allerdings bei seinen Vorgaben, die auch im Detail an die vorherige Partie erinnerten. Interessanterweise war die Defensivleistung dieser Schaaf-Mannschaft keineswegs schlecht in der ersten halben Stunden.

Aber bei derart langen Aufbauangriffen, die Wolfsburg zeigte, fanden die 96er kein Mittel, um den Spielfluss mehrfach zu unterbrechen. Sie blockierten gut im Zentrum, stellten vereinzelt den Ballführenden zu und bewachten die Offensivkräfte aufmerksam. Es waren im Endeffekt aber auch Schnellangriffe der Wölfe, die eine Entscheidung herbeiführten.

Für Hecking und seine Spieler liefert dieser 4:0-Sieg wenig Aufschlüsse. Ihr sehr mannorientiertes Pressing zum Beispiel bekamen wir nur selten zu Gesicht. Die Wölfe waren schlichtweg zu oft am Ball, mussten aber trotzdem mit Ballgewinnen im Mittelfeld und anschließenden Verlagerungen auf die Außenspieler zu Torgelegenheiten kommen.

hannovercyclechic 4. März 2016 um 19:58

Gegen Wolfsburg zur Halbzeit 0:1 zurückzuliegen, kann passieren und ist noch nicht aussichtslos, gerade im eigenen Stadion. Wenn man aber ab der zweiten Halbzeit die Doppelsechs auflöst, die in der ersten Halbzeit den Druck auf die Innenverteidigung durch die schnellen Draxler und Schürrle klein halten konnte, ist ein Torfestival fast schon garantiert. Zudem Hoffmann, der eine ansteigende Form zeigte und erfahrener als Yamagutchi ist, herauszunehmen statt des Bundesliganeulings Yamagutchi, macht die Gedanken von Thomas Schaaf noch rätselhafter. Mit diesen Wechseln hat 96 die Räume vor der Innenverteidigung geöffnet und Sane, der kein gelernt Innenverteidiger ist und in den letzten Spielen unsicher wirkte, und Schulz, der Geschwindigkeitsdefizite hat, den Kontern der schnellen und Raum greifenden Wolsburgern ausgesetzt. Warum hat Schaaf nicht eine Taktik a la Mourinho gewählt und ein 7-2-1 spielen lasssen? Hinten mit einer dicht gestaffelten Abwehr, zweieinhalb Sechsern davor und Fossum, Kyotake und Szalai als Offensivtrio. Wäre der Ausgleich gelungen, hätte die Möglichkeit bestanden, einen Punkt mitzunehmen oder dann aufzumachen und offensiver zu spielen. Die Verunsicherung durch die Wechsel gerade im Defensivverbund nach der Halbzeit war im Stadion gut zu sehen (Reihe vier auf der Gegengeraden, dirket hinter der Bande). Ich bin etwas überrascht, dass diese Sicht in Eurem Beitrag so gar nicht anklingt, weil oft dachte ich mir meinen Teil nach einigen Spielen, die ich live oder in ganzer Länge im TV geshehen habe und fühlte mich nach der Lektüre der spielverlagerung.de-Analyse bestätigt.
Und, jetzt kommt eine Farge an Euch, ist die zu Offensive Spielweise nicht schon in der Vergangenheit, auch bei Frankfurt, Schaaf zum Verhängnis geworden? Neugierig, hannovercyclechic

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Schorsch 5. März 2016 um 23:15

Bin zwar nicht angesprochen, aber da ich Thomas Schaafs Arbeit als Trainer von Beginn an intensiv verfolge, gebe ich einfach einmal meinen Senf dazu.

MMn nach kann man nicht sagen, dass eine „zu offensive Spileweise“ Schaaf in Frankfurt „zum Verhängnis geworden“ sei. Sicherlich deuten einige typische ’schaafsche Ergebnisse‘ darauf hin. Schaaf stand schon immer für ein 5:4 (oder 4:5) statt eines 1:0 (oder 0:1). Nüchtern betrachtet war es in seiner Frankfurter Zeit aber so, dass er eine durch den Fortgang einiger wichtiger Spieler deutlich geschwächte Mannschaft übernommen hat. In der Vorsaison war man näher an den Abstiegsplätzen als zum ‚gesicherten Mittelfeld‘, was sicherlich zu einem Teil der Doppelbelastung durch die Teilnahme an der Euro League geschuldet war. Schaaf übernahm eine personell gerade in der Defensive geschwächte Mannschaft, die überdies in der Offensive von ihrem Torjäger Alex Meier abhängig war. Nach einigen ‚Achterbahnfahrten‘ stabilisierte sich das Team im Saisonverlauf aber und belegte abschließend einen nicht erwarteten 9. Platz. U.a. auch deshalb, weil Schaaf Spieler wie Stendera, die unter Veh zuletzt eher stagnierten, deutlich weiterentwickeln konnte und die im Vergleich zu den Abgängen qualitativ nicht ganz so hoch einzuschätzenden Zugänge relativ gelungen einbauen konnte. Dass er nach Saisonende dann um Vertragsauflösung bat, lag an ‚Frankfurter Intrigen‘. Einigen Hauptstrippenzieher im Club war er nicht glamourös genug und diese spielten mit der lokalen Presse ‚über Bande‘. Ihm wurde vorgeworfen, dass eine Qualifikation für die EL möglich gewesen wäre. Bruchhagen und Hübner war klar, dass man zur neuen Saison sowohl in der Offensive, als auch in der Defensive sich personell verbessern musste und man hat die netsprechenden aktivitäten bereits in der Rückrunde unter Einbeziehung Schaafs eingeleitet. Veh ging somit unter deutlich besseren Bedingungen (erneut) an den Start.

Wenn man Schaaf etwas vorwerfen will, dann trifft das eher auf seine letzte Zeit bei Werder zu. Ohne de Bruyne wäre Werder in Schaafs letzter Saison mMn abgestiegen. Knapp genug war es ja, und von einer Entwicklung der Mannschaft konnte keine Rede mehr sein.

Bei Hannover ist Schaaf mMn z. Zt. einfach der falsche Trainer. Aber das wären bei diesem Kader und insbesondere der entsprechenden Zusammensetzung wahrscheinlich fast jeder. Ich habe es nicht verstanden, dass Schaaf mitten in der Saison ein neues Team übernommen hat. Schaaf denkt nicht defensiv und wenn sein Team in Rückstand gerät, dann wird er immer das Risiko wählen und nicht die ‚kontrollierte Offensive‘ Ottos, um eventuell noch einen Punkt mitzunehmen. Ein Trainertyp wie Stevens wäre für die 96er mMn die bessere Wahl gewesen.

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Dr. Acula 2. März 2016 um 14:30

wow was ein grottenkick. zirkulation ohne raumgewinn ist sehr treffend für das, was die zuschauer insbesondere die 1 HZ zu sehen bekamen. das war wohl das, was pep als tiki taka beschimpft

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Bernhard 2. März 2016 um 13:09

Wenn 96 weiterhin so spielen wird, müssen die absteigen. Sind so ziemlich das schwächste Team der Liga.

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mlisiewi 2. März 2016 um 14:59

True Story. Habe mir deren Auftritt in der Rückrunde in Dortmund über 90 Minuten gegönnt – Defensivtaktisch wohl einer der besten Leistungen von H96, aber Offensive war komplett mut- sowie konzeptlos. Bspw. gefühlt jeden eigenen Einwurf extra hoch und dadurch entsprechend langsam im Bogen geworfen, damit Sane irgendwie per Kopf ohne vielversprechende Spielfortsetzungen verlängern kann – Fand ich persönlich sehr enttäuschend als auch alles andere als ansehlich. Da gönn ich mir mittlerweile lieber Darmstadt, deren Offensivkonzept auch recht simpel erscheint, aber wenigstens mit Herz, Leben und mit Mut gefüllt wird.

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Bernhard 2. März 2016 um 16:19

Unter Korkut waren sie ja schon relativ durchschnittlich, aber seit dem Beginn der aktuellen Saison sind die extrem schlecht geworden. Hängt meiner Meinung nach aber auch mit dem Kader zusammen. Der gibt nicht viel her.

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Max 2. März 2016 um 12:51

Ich lese eure Analysen sehr gerne. Ich würde mich aber noch mehr freuen wenn ihr mal wieder ein Hertha-Spiel analysieren könntet. Danke!

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