Dicht vor der Nullnummer

1:0

Bremen geht auf Stabilität, Bayern fehlt oft die Unterstützung am oder weiter vom Flügel. Mit seiner Anpassung nach dem Platzverweis liegt Kohfeldt eigentlich nicht verkehrt.

Lange taten sich die Bayern gegen die Gäste von der Weser sehr schwer. Die spielstarken Bremer setzten strategisch stark auf die Stabilität – letztlich vielleicht auch zu sehr. Größtes Problem für die Münchener war es, am Flügel genügend Unterstützung bzw. dynamische Anschlussanbindungen an den Halbraum zu schaffen. Aus dem gegen den Ball eng und flach interpretierten 4-4-2 der Gäste schob der jeweils ballnahe Sechser weit nach außen nach, um zu helfen und zusätzliche Präsenz zu erzeugen. Dies sorgte für Überzahlen und brachte auf dem Flügel beim Gastgeber Sand ins Getriebe.

Auf rechts konnten die Bayern das noch etwas besser über die Bewegungen Müllers beantworten. Dieser lauerte zunächst in der Schnittstelle zwischen Klaassen und Sahin im Zwischenlinienraum, lief sich aber auch früher vor Kimmich frei, um das Spiel an der Außenlinie nach vorne zu tragen und/oder einen gegnerischen Zentrumsspieler noch weiter herauszuziehen. Andererseits bedeutete das wiederum eine später geringere Besetzung des Halbraums. In diesem Kontext konnte Werder die Räume hinter dem ballnahen Sechser zugunsten der verstärkten Präsenz auf außen etwas offener lassen.

Frage der Unterstützung gegen Bremens ballnahen Sechser

Offensivformation Bayern, Defensivformation Bremen

Im Falle des Ausweichens von Müller bestand nach dem ersten Vorwärtspass die Möglichkeit, dass Gnabry horizontal einrücken würde, der Deckungsschatten des nach außen gehenden Werder-Sechsers war aber schwierig zu überspielen. Später versuchte auch Lewandowski situativ von halblinks mit rückwärtigen Diagonalbewegungen den Zwischenraum der zwei zentralen gegnerischen Mittelfeldleute zu füllen und für Kimmich anspielbar zu werden, wurde aber weiträumig mannorientiert verfolgt. Beispielhaft zeigte sich hier die Qualität der verschiedenen Bewegungen im Team von Niko Kovac – oder auf die abstrakt-mannschaftliche Ebene übersetzt: der Dynamik aus dem Gerüst heraus.

Die starke Umsetzung solcher Läufe machte sich auch in anderen Konstellationen bemerkbar, etwa bei späteren Horizontalrochaden von Müller und/oder Gnabry bis nach links, die vorwiegend im Anschluss an Einwürfe vorkamen und unter anderem eine gute Chance von Lewandowski kurz nach Wiederbeginn einleiteten. Jenes strukturelle Gerüst selbst jedoch sah demgegenüber nicht so gut aus. Die Abstände zu den ballfernen Spielern und dem anderen Flügel waren recht groß, das defensive Mittelfeld der Münchener formierte sich weitgehend tief und dort hätte die genaue Verteilung der Bewegungsmuster zumindest Veränderungspotential bereit gehalten.

Bei Bremen hielten sich die Stürmer des 4-4-2 insgesamt recht kleinräumig und kompakt an Martínez, abgesehen von situativen Zurückfallbewegungen des gerade halblinken Akteurs zum zusätzlichen Auffüllen des dortigen Flügels gegen etwaige Überladungsversuche Müllers. Die Verlagerungen bei den Bayern liefen daher vornehmlich tiefer über die Innenverteidiger oder über Thiago, der sich im linken Halbraum knapp vor der gegnerischen Mittelfeldlinie positionierte. Wenn er dort diagonal nach vorne aufdrehen wollte, rückte der ballnahe Sechser der Gäste kurz etwas offensiver auf ihn heraus.

Mit dem tieferen Mittelfeld ließ sich nicht unbedingt mehr Unterstützung in die Anschlusszonen vom Flügel bringen. Gerade auf der linken Seite wurde das deutlich: Indem Eggestein breiter mit in zur Seite schob, hatten Alaba und Coman oft Unterzahl und kamen teilweise schon früh nicht in die Aufrückbewegung. Mehrfach waren die nächsten Folgeoptionen zu weit entfernt. In Form von vermehrten Horizontalläufen der übrigen Offensivakteure darauf zu reagieren, bedeutete eine der möglichen Stellschrauben, an der im Verlauf auch stärker gedreht wurde. Das setzte also an der Gestaltung in den Situationen selbst und ihren Fortführungen an.

Strukturen und Konstellationen im Mittelfeldspiel

Daneben hätte es auch in den tieferen Linien Anpassungen geben können, vielleicht immer mal phasenweise, um erst die jeweiligen Bremer Reaktionen auszutesten: So hätte Martínez einerseits weiter aufrücken können. Dieser bewegte sich im Aufbauspiel prinzipiell kleinräumiger als sonst. Es schien fast so, als solle er neben der Aufrechterhaltung der Absicherung gerade gegnerisches Personal tiefer binden. Tatsächlich war die Kompaktheit von der ersten Pressingreihe der Bremer aus nicht optimal.

Von daher mochte es reizvoll sein, auf einen Sechser in vielen Aufbaumomenten zu verzichten, wenn dafür zwei Gegner weniger direkten Defensiveinfluss haben würden. Allerdings hätte dafür Thiagos Rolle noch weiträumiger sein sollen, sowohl in den ersten Eröffnungsphasen nach halbrechts als auch den weiteren Offensivübergängen. Andererseits wäre es eine Variante gewesen, Martínez weiter zurück zu ziehen und die Innenverteidiger breiter zu formieren – also mehr die Grundlogik des klassischen Dreierkettenaufbaus. Überhaupt blieb Andribbeln aus der ersten Aufbaulinie überraschend dezent, gerade gegen so viel Positionsorientierung vorne aus dem Mittelfeldpressing.

Höher, tiefer – und seitlicher: Auch diese Richtung wäre für Martínez´ Einbindung noch öfter eine Alternative gewesen. Tiefes Freilaufverhalten zur Seite bei gleichzeitigem kurzen Diagonalbewegungen Thiagos vom Halbraum in die Mitte gab es zu selten. Ein solches stellte Bremen vor Entscheidungsfragen: Martínez an den Ball kommen und womöglich andribbeln lassen, eher aus dem Mittelfeld herausrücken, mit einem oder beiden Stürmern seitlich nachschieben? Im vorletzten Szenario beispielsweise wäre eine zentrale Einbindung Thiagos noch besser möglich gewesen, zu der sich wiederum Bremens Mittelfeld anders hätte positionieren müssen.

In dieser Hinsicht wären die Norddeutschen also unter Entscheidungsdruck geraten. Für eine angreifende Mannschaft kann auf diesem Wege der Zündfunken für Dynamik und die viel zitierte Tempoaufnahme liegen. Insofern betraf dies nicht den Ansatzpunkt innerhalb der Situationsstruktur selbst, sondern die versuchte Herstellung anderer Situationen. Wenn die Münchener das Leder auf die Flügel verteilten, hatten sie gegen Werders Aufteilung des 4-4-2 meistens drei Spieler lokal um den Ball, aber selbst bei erfolgreich ausgespielter Gleichzahl letztlich nicht genügend Fortsetzungsoptionen.

Ein wichtiger Punkt bei alledem blieb natürlich die eigene Stabilität der Münchener – und die war sehr hoch: Sie hatten insgesamt recht viele Spieler hinter dem Ball und konnten mindestens in der ersten Welle am Flügel gut nachsetzen. Was die zentralen Bereiche betraf, hatte Martínez schnell Zugriff im defensiven Umschalten. Zwar versucht es Werder im Bewegungsspiel recht stark über ausweichende Läufe der vorderen Spieler, die Ausgangspositionen dafür gestalteten sich nun jedoch nicht optimal und so blieben die Ansätze letztlich für die Physis der Münchener Innenverteidiger handhabbar.

Offensivformation Bremen, Defensivformation Bayern

Raute hinter den langen Bällen

Wenig Durchschlagskraft der Gastgeber, wenige Konter der Bremer: Damit ergab sich das Bild einer weitgehend chancenarmen Begegnung. Das Spiel aus Bremer Ballbesitzmomenten brachte davon keine Abweichung. Statt des 4-4-2 schob in diesen Momenten Eggestein durch das Zentrum nach vorne durch, so dass sich eine Raute ergab. Gegen das Pressing der Gastgeber griff Werder insgesamt recht früh zum langen Ball. Die erste Reihe der Münchener formierte sich etwas enger und deckte noch die Passwege auf Sahin ab, dahinter standen sie gegen die Bremer Halbspieler mit Thiago und Müller. Letztgenannter rückte situativ ins 4-4-2 oder sogar höher als Lewandowski auf, bei insgesamt guten Nutzungen von Deckungsschatten in diesen Abläufen.

Für die vielen langen Bälle eignete sich die Raute bei den Gästen gut, da sie Stabilität im Zentrum versprach. Im Detail wurde diese Präsenz in jenen Bereichen eher etwas vorsichtiger ausgeführt: Das genaue Verhalten der einzelnen Spieler in den Duellen auf Abpraller konzentrierte sich mehr auf gute Raumabdeckung denn auf allzu viel Herausrücken. Von den Bewegungs- und Orientierungsmustern der Akteure her kam ein größerer Stabilitätsfokus zum Ausdruck. Häufig gingen die weiten Zuspiele ohnehin nicht direkt in die mittige Kompaktheit, sondern etwas weiter nach außen, als werde auch auf sofortige Einbindung verschiedener Ausweichbewegungen der Stürmer abgezielt.

Gegen deren Läufe in die Breite mussten sich die Münchener Außenverteidiger etwas tiefer und enger staffeln. Das führte dazu, dass Bayern, wenn sie das Spiel im Anschluss an gewonnene Abpraller gegen die Raute in Freiräume nach außen öffnen wollten, dies nicht so offensiv machen und als unmittelbaren Übergang ausspielen konnten. Sicherten die Gastgeber über diese gewissermaßen „offene“ Position den Ball, hatte der ballnahe Bremer Halbspieler eine stabile Ausgangsposition, um sich weiträumig aus der Kompaktheit zu lösen und den ersten Vorwärtsgang abzubremsen.

Insgesamt brachten die Gäste vergleichsweise wenig Personal nach vorne. Das galt auch für die Situationen, wenn sie sich – etwa nach zweiten Bällen – in der gegnerischen Hälfte festgesetzt hatten. Häufig wurden solche Momente so organisiert, dass Möhwald tiefer nach rechts hinter Gebre Selassie herauskippte. Dagegen rückte das Mittelfeld der Münchener weit heraus, die Flügel fielen eher zurück, es ergab sich eine bogenförmige Anordnung, in der der Sechserraum stark über Deckungsschatten gesichert werden musste. Bei Werder lief sich Eggestein recht präsent für den ersten kleinräumigen Pass kurz nach außen frei, konnte dadurch noch Martínez einige Male weiter herausziehen.

Einerseits wurde das Spiel dadurch etwas voreilig und konnte zu leicht auf den Flügel getragen werden. Andererseits bot sich gewisses Potential über solche Lücken. Im ballfernen linken Halbraum neben Gnabry hätte Bremen gefährlich werden können: Klaassen hielt sich im Aufrückverhalten aber stärker zurück als sonst. Nur vereinzelt deutete sich nachträglich die Gefahr an, die Vorstöße durch jenen Kanal hätte erzeugen können. Rückte Gnabry dagegen absichernder ein, erhöhte sich für Werder zumindest die Chance, Kruse über Verlagerungen in seitliche Ausweichräume frei zu spielen. Ansonsten geschahen dessen zurückfallende ballfordernde Einbindungen gelegentlich auch zu früh, zumal wenn es etwas weniger ergänzende Vorwärtsläufe gab als sonst.

Gradierungen zwischen 5-3-1 und 4-4-1

Noch bis weit in die zweite Halbzeit hinein blieb es beim torlosen Remis und damit der entsprechend vielversprechenden Aussicht für die Norddeutschen auf einen Punktgewinn. Nach einer Stunde musste Kohfeldt sich eine Reaktion auf die Unterzahl durch einen etwas unglücklich zustande gekommenen Platzverweis überlegen. Die Entscheidung für eine Umstellung auf 5-3-1 zeigte sich als ein recht guter Griff: Langkamp kam neu in die Partie, Sahin ging zurück in die Abwehr, Klaassen auf die Sechs, Kruse als Pendant zu Eggestein auf die Achterposition. Die andere erste Alternative wäre einfach die Reduzierung des 4-4-2 zum 4-4-1 gewesen.

In der ersten Phase nach dem Platzverweis: 5-3-1 bei Werder

Eigentlich hätte man dies zunächst für vielversprechender halten können, da der zweite Stürmer bei der ohnehin geringen Ausrichtung der ersten Reihe auf direkte Pressingübergänge in dieser Hinsicht ohnehin nicht so viel Zugriff schuf und sich so die vorigen Grundabläufe hätten beibehalten lassen. Auch bedeutete das 5-3-1 weniger Präsenz in der zweiten Linie, so dass Bayern die Gäste noch etwas tiefer zurückschieben konnte. Allerdings machte sich der Unterschied zwischen 4-4-2 und 4-4-1 doch insoweit bemerkbar, dass gegen die Bremer Unterzahl Verlagerungen nach außen schon noch etwas früher gespielt werden konnten. Auch eine nominell breitere Viererreihe fand also nicht so schnellen sauberen Anschluss wie zuvor. In dieser Konstellation bedeutete die zusätzliche Breitenstaffelung in einer Fünferabwehr letztlich doch einen wichtigen Vorteil.

Dadurch hatten die äußeren Verteidiger mehr Bewegungsfreiheiten im Herausrücken und konnten früher ballführende Gegner aufnehmen. Beim 4-4-1 stellte sich die Gefahr in leicht höherem Maße, dass der ballnahe Mittelfeldspieler nicht zügig genug die Schnittstelle nach innen würde schließen können und sich so Passwege ergäben. In solchen Szenen hätte das die Notwendigkeit zum Rückzug bedeutet, die das 5-3-1 im allgemeinen Vergleich schon etwas früher sah, im Gegenzug für mehr Flexibilität in der Flügelbesetzung. Diese wiederum konnte gegen Asymmetrien der Bayern helfen, die häufiger Alaba tief hielten, Kimmich weit aufrücken ließen und den Rechtsaußen enger nach innen brachten.

Nun handelte es sich bei diesen Unterschieden um Feinheiten, um verschiedene graduelle statt absolute Differenzen. Dass das 1:0 kurz nach einer Änderung auf 4-4-1 fiel, war vielleicht nicht ganz zufällig, aber keinesfalls zwingend und auch etwas unglücklich. Weiterhin machten die Bremer gegen den Ball ihre Sache prinzipiell gut: Auch im 5-3-1 doppelten sie konsequent auf außen, nun mit dem jeweils ballnahen Halbspieler des Mittelfelds, abgesichert durch den jeweiligen Halbverteidiger. Bei den Bayern war bereits früh im zweiten Durchgang Goretzka für Martínez gekommen, Thiago also weiter nach hinten gerückt. Links wirkte sich die zusätzliche Präsenzentwicklung ins Angriffsdrittel zunächst bedingt aus, da Goretzkas Vorstöße durch den Halbraum ballnah noch von situativen Mannorientierungen Klaassens aufgenommen wurden, der sich danach zügig wieder auf der Sechserposition einordnete.

Es öffnete im Zentrum aber noch etwas mehr Spielraum für die Ballzirkulation der Bayern und machte diese druckvoller. Wenn sich verschiedene andere Offensivspieler in solchen Momenten kurzzeitig in die Räume zwischen den Bremer Halbspielern zurückfallen ließen, deuteten sich auch erhöhtes Potential und manche im Ansatz vielversprechende Situation an. Die Gastgeber agierten aus der Verteidigung heraus nun wesentlich offensiver. Eine der wichtigsten Stärken der Münchener auf dem Weg nach vorne blieben auch in dieser Phase die Horizontalläufe in den vorderen Bereichen. Bei Angriffen über rechts sorgte Goretzka bei Rückpässen in den Halbraum konsequent für bogenförmige Sprints entlang der letzten Linie, mit sehr sauberem Timing. Am Ende kamen die Münchener bei 11gegen10 noch zu ihrem Siegtor, wenngleich mit etwas Glück beim Abschluss, aber aufgrund des klaren Übergewichts und der letztlich verstärkten Offensivpräsenz folgerichtig.

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