Zum Wiedersehen auf Ballbesitz
Dirk Schuster gegen Darmstadt: Gebolze in der Dauerschleife? Nicht unbedingt: Augsburg überraschte mit seiner Spielanlage, mühte sich jedoch im Angriffsdrittel erheblich.
Augsburg gegen Darmstadt – eine Begegnung zwischen zwei in dieser Spielzeit bisher wenig spektakulären Teams – versprach nicht unbedingt, ein Highlight des Tages zu werden. Aufmerksamkeit erhielt das Match aber aufgrund der Frage: Was macht Dirk Schuster gegen seinen ehemaligen Verein aus Darmstadt? Mit seinem neuen Team aus Augsburg sah sich Schuster vor die Aufgabe gestellt, das Spiel zu machen gegen ein 4-4-2, welches sich in wenig ambitionierter Ausrichtung eindeutig auf die Verteidigung fokussierte, solide verschob und situativ einzelne Mannorientierungen im Mittelfeld – abhängig von der jeweiligen Seitenaufteilung in der ersten Pressingreihe: Kleinheisler oder der aufrückende Niemeyer abwechselnd gegen Kacar, Gondorf vereinzelt zustellend gegen den zurückfallenden Koo oder Baier – nutzte. Insgesamt taten sich die Fuggerstädter in einer zähen ersten Halbzeit schwer, wenngleich das nicht hieß, dass sie nicht einige klare Mechanismen gehabt hätten.
Augsburg rechtslastiger
Was Darmstadt recht gut machte und womit sie Augsburg auch ein Stück weit eindämmten, war die Arbeit gegen Daniel Baier und dessen Umgebung auf halblinks. Zugegebenermaßen ist dieser Raum nach dem Abgang von Ragnar Klavan und der bisher eher vorsichtigen Einbindung Hintereggers nicht mehr so prominent, aber das Darmstädter Vorgehen entbehrte nicht einer gewissen Logik. Wenn sich Baier halblinks neben die Innenverteidiger bewegte und Stafylidis weit aufrücken ließ, schob der ballnahe Darmstädter Stürmer vergleichsweise weit herüber. Gerade Kleinheisler gelang es einige Male gut, die wesentlichen Aufrückräume für Dribblings des Augsburger Sechsers zu verstellen.
Auch weil die Präsenz vor ihm eher gering war, entschied sich Baier oft zum Rückweg in die erste Zirkulationslinie. Beispielsweise zeigte Koo im zweiten Drittel vor allem vertikale denn horizontale Bewegungsmuster – etwa tieferes Zurückfallen zwischen die Sechser, aber auch weiträumige Nachrückbewegungen in die Spitze. So lief das Spiel der Hausherren eher – wenngleich es links ebenso Momente direkter Vorwärtspässe gab – über die entsprechend etwas prominentere rechte Seite. Dort war Kacar, der sich teilweise aus der Formation herausfallen ließ, um nicht von der ersten Darmstädter Linie abgedeckt zu werden, eine solide Durchlaufstation. Als wichtiger Antreiber wirkte vor allem Kapitän Verhaegh, der einige gute Vorwärtspässe spielte.
Verschiedene Abläufe bringen Ansätze
Für die folgenden Angriffe hatte Schuster für seine Mannschaft einige typische Abläufe parat: Eine Möglichkeit sah so aus, dass Finnbogason auswich, den Ball nahe die letzte Linie gespielt bekam und dann kurz auf Bobadilla klatschen ließ, der von außen in die Mitte dribbeln konnte. Alternativ gab es auch zurückfallende Bewegungen des Flügelangreifers, der dadurch Guwara herausziehen und Raum für Koo schaffen sollte, welcher wiederum aus dem Zentrum die Läufe nach außen startete. Mit seiner Ballsicherheit sollte der Südkoreaner hier die Bälle zunächst festmachen, um Augsburg weitere Angriffschancen zu ermöglichen.
Zwar gelang den Hausherren mit diesen Spielzügen einige Male Raumgewinn, bei den Folgeaktionen fiel ihnen aber nicht mehr viel ein. Beispielsweise lag nach Koos seitlichen Ballsicherungen für die Anschlussszenen zu viel Verantwortung auf dessen individuellen Aktionen. Darmstadt versuchte sein 4-4-2 wieder in Organisation zu bringen und scheute sich nicht vor präsentem Rückzug in die Strafraumverteidigung. Das weitere Augsburger Aufrücken wurde bisweilen zu simpel tororientiert, wenn sich auch die beiden Flügelspieler jeweils mit ins Angriffszentrum zogen.
Zirkulation und Konterverhinderung
Erst bei Darmstädter Unterzahl sollte das besser funktionieren und nach einer Hereingabe Koos von rechts auf Finnbogason das Siegtor bringen. Ansonsten gab es zunächst kaum klare Chancen für Augsburg, die sich in Strafraumnähe mit Mechanismen schwer taten. Einzelne direkte Pässe in die Tiefe waren – auch über links – noch vielversprechend, mit denen die gelegentlichen Darmstädter Probleme mit ihren Abständen innerhalb der Viererkette anvisiert werden konnten. Gerade Ji suchte auf links aber nicht nur die hohen Zonen: Mehrmals zog es ihn auch ins Zentrum, um in Momenten der insgesamt sehr druckvollen Rückzirkulation die Verbindung zum linken Flügel mit dem aufrückenden Stafylidis zu geben. Hier galt kurzum: Die Augsburger zeigten sich in dieser Partie gut im Ballbesitzspiel.
Seitenwechsel brachten sie daher meistens sehr zügig auf die Reihe. Das ist eine Aufgabe, für die normalerweise Baier entscheidend verantwortlich zeichnet, indem er sich zentral oder im ballfernen Halbraum als offene Anspielstation anbietet. In dieser Begegnung durfte der Sechser – aufgrund der Ji-Rolle – aber bei den vielen Angriffen über rechts häufiger und weiter mit herüberschieben, um abzusichern. So führte Baier das Gegenpressing mehrfach aus dem rechten Halbraum heraus und sorgte – unterstützend von Kacar als präsente Doppelsechs – dafür, dass Darmstadt kaum zu gefährlichen Kontern über Heller und Co. kommen konnte.
Darmstadt mit Abprallern, aber ohne Gefahr
Apropos Darmstadt: Wie es sich für ein Spiel gegen den Ex-Trainer gehört, setzen die Gäste fast ausschließlich auf lange Bälle – und anschließende Abpraller. Vor allem Colak und Kleinheisler agierten vorne eng beisammen und warfen sich in den Kampf um die zweiten Bälle. Insgesamt war Darmstadt bei diesen Bemühungen auch recht erfolgreich: Zum einen gab es in vielen Phasen eine klare Trennung zwischen dem weit nachrückenden Gondorf, der entscheidend unterstützte, und dem absichernden Niemeyer. Zum anderen hatte Augsburg einige Probleme mit der vertikalen Kompaktheit zwischen Mittelfeld und erster Pressinglinie. Diese startete in etwas zu hoher Grundposition und fand nicht die nötige Geschlossenheit nach hinten.
In den Zwischenlücken konnte Darmstadt dann einige Bälle aufsammeln. Im Übrigen sollte das Augsburg nach der Pause noch selbst bei Überzahl – dann beispielsweise nach eigenen langen Bällen, wenn sie diese nicht verwerten konnten und die Darmstädter Klärungen ins Feld zurücksprangen – zwischendurch Schwierigkeiten machen. In diesen Phasen in Halbzeit eins jedenfalls gewann Darmstadt einige Abpraller, konnte sich kurz lösen und dann seitlich gegen den verbleibenden 4-2-Block der Gastgeber anspielen. Das Problem war nur: Hierbei stellten sie sich sehr harmlos an – gute Ausgangssituationen hin oder her.
Insgesamt wirkte die Einbindung der Flügelspieler noch an vielen Stellen – trotz einzelner interessanter Improvisationsmomente – recht linear, während das Nachrücken in und überhaupt die Besetzung der Zehnerräume nicht ausreichend strukturiert daherkam. Hinzu kamen seltsame Entscheidungen: Es gab mehrere Szenen, wo sich zwei, drei Spieler zunächst passiv an der letzten Linie aufhielten, dann mal einer horizontale Läufe zur ballnahen Seite startete oder sich in Richtung erster Pfosten bewegte – und der ballbesitzende Spieler dann mit einer Flanke auf den nun eher verlassenen zweiten Pfosten reagierte.
Personelle Überzahl für Augsburg stellt die Weichen
Der Platzverweis für Guwara unmittelbar zum Ende der ersten Halbzeit war sicherlich ein Knackpunkt. Für Augsburg war das 4-4-1, für das sich Norbert Meier nun entschied, viel angenehmer zu bespielen – sie kamen einfach besser nach vorne, konnten Druck machen, ihre Präsenz nutzen, auch Baier wurde links präsenter. Das Führungstor entstand aus dem typischen Mechanismus über rechts, unterstrich zudem die individuelle Bedeutung von Koo, der auch einige gute Nachstöße nach halblinks brachte.
Auch nach dem 1:0 war Augsburg gefährlicher: Sie hatten einige Schnellangriffe, fokussierten aber zunehmend längere Direktpässe etwa auf einlaufende Bewegungen der Außenstürmer an der letzten Linie. Die einzelnen Kompaktheitsprobleme zwischen Mittelfeld und Sturm waren für Darmstadt nicht Ansatz genug, noch einmal zurückkommen zu können. So lief die Begegnung zum Ende ungefährdet mal wieder auf einen Augsburger Heimsieg hinaus, die beste Chance in der Schlussphase vergab Finnbogason nach einem langen Ball hinter die Abwehr.
Kurzfazit
Defensive und auf lange Bälle setzende Darmstädter machten ihrem ehemaligen Trainer lange das Leben schwer. Die Augsburger hatten insgesamt ganz gute Ballbesitzmomente und der verstärkte Fokus auf die rechte Seite verfehlte nicht seinen Effekt, doch was sie daraus im letzten Drittel machten, war oft noch zu harmlos.
8 Kommentare Alle anzeigen
Timo 26. September 2016 um 17:02
Ich bin neu auf deiner Seite und finde deine Analysen echt super, Hut ab!
Darmstadt ist für mich ein zitter-Kandidat. Aber die Augsburger können in meinen Augen noch ein paar Plätze weiter oben landen. Sie spielen schon mehrere Jahre stabil mit, das gefällt mir an Augsburg.
MPK 26. September 2016 um 13:34
Kommt es mir nur so vor, oder fallen diese Saison deutlich mehr tore nach Flanken?
Habe mal gelesen, dass eigentlich nur jede 80igste Flanke zu einem torerfolg führt…
Daniel 26. September 2016 um 12:49
Danke für den Bericht. Ich bin gespannt auf die Augsburger Entwicklung diese Saison. Der ordentliche Saisonstart verschafft Augsburg zumindest Zeit, sich auf Schuster einzustellen und umgekehrt.
Für mich wird diese Saison ein Lackmustest für Schuster: Er hat die Chance zu zeigen, ob sein Erfolg mit Darmstadt gewissermaßen ein One – Hit – Wunder war oder ob da mehr dahintersteckt. In Darmstadt hat er eine eigene, einzigartige Spielidee entwickelt, die vielleicht nicht besonders ästhetisch ist, aber gut zur Mannschaft und den Gegebenheiten passte und deshalb sehr erfolgreich war (darauf kommt es letztlich nunmal an). Die Frage ist nun: hat Schuster das so geplant und hat die Stärken des eigenen Kaders und die Schwächen der Kontrahenten gezielt genutzt oder war er gewissermaßen einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hat sich die Spielweise mehr oder weniger aus den Gegebenheiten heraus ergeben.
Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass Schuster nicht einfach seine Spielweise aus Darmstadt in Augsburg implementieren kann, um Erfolg zu haben. Dafür sind Mannschaft und Umfeld viel zu unterschiedlich. Zudem ist die Nische des spielschwachen Aussenseiters an seinen Exklub vergeben. Schuster wird sich neu erfinden müssen. Ich hoffe, dass er das schaffen wird.
Peda 26. September 2016 um 10:01
Danke für die Analyse!
Du schreibst zu Beginn von der weniger präsenten linken Seite Augsburgs.
Jetzt kam Hinteregger erst spät zur Mannschaft und das als teuerster Transfer, was für seine Position doch eher ungewöhnlich ist. Also wird man doch relativ hohe Erwartungen haben und er zeichnete sich bei Salzburg und vor allem auch im Nationalteam durch seine Fähigkeiten im Spielaufbau aus.
Was glaubst du wohin die Reise gehen wird?
Versucht Schuster mit ihm Klavan möglichst 1:1 zu ersetzen, wird er weiterhin weniger präsent sein oder werden sich Abläufe im Vergleich zu Weinzierl überhaupt grundlegend verändern?
Michi 27. September 2016 um 09:59
Ich könnte mir vorstellen, dass Kacar dauerhafte eine Rolle spielen wird. Er hat mir in der ersten HZ sehr gut gefallen, die Doppelsechs mit Bayer hat gut ausgesehen. Dies hat auch das Ausweichen von Baier nach links aussen oft erst ermöglicht. Ob er dauerhaft neben Baier spielen wird oder vllt erst mal nur die Entlastung bringen soll, werden wir sehen. Das Dreieck mit Hinteregger ist zumindest vielversprechend.
tobit 27. September 2016 um 18:33
Kacar und Baier könnten gut zusammen passen.
Gerade Kacar kann durch sein eher kleinräumiges Spiel auf der Sechs seinem Partner viel Bewegungsfreiheit ermöglichen. zusammen mit den AVs könnte das sehr passend sein. Stafylidis rückt früh auf, während Verhaegh und Baier aus den breiten Halbräumen das Spiel aufbauen und Kacar die Verbindung zwischen ihnen hält. Durch diese Drei-Mann-Absicherung aus Kacar und den IV kann sich Baier auch mal in höheren Zonen als pressingresistente Option neben Koo anbieten.
tobit 27. September 2016 um 18:46
Dazu würde dann auch Schmid als eher linearer RA gut passen, während Ji z.B. von links verschiedene Einrückbewegungen zeigen könnte, ob in den Zehnerraum oder eher neben Finnbogason an die letzte Linie.
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Ji und Finnbogason nah beieinander und Koo, Schmid und Stafylidis als „Überläufer“ könnten gut vorbereitete lange Bälle mit anschließender Kopfballweiterleitung zu einer echten Waffe machen. Geht ein solcher Ball verloren, könnten sofort Ji, Finnbogason, Kacar, Baier und Verhaegh (+Koo) ins Gegenpressing gehen und die Möglichkeit einer zweiten Welle hinter die letzte Linie eröffnen.
Michi 26. September 2016 um 09:12
Danke für die tolle Analyse!