Zwischen den Linien den zweiten Schritt gegangen
Am zweiten Spieltag der Gruppenphase schlägt Deutschland die Ungarn mit 2:0. Das Team von Trainer Julian Nagelsmann steht somit mit 6 Punkten bereits vorzeitig im Achtelfinale der Europameisterschaft im eigenen Land. Warum sich Deutschland schwerer tat, als gegen die Schotten (wir analysierten hier), und wie Ungarn den Matchplan im Vergleich zur Partie gegen die Schweiz veränderte, erfahrt ihr hier.
Das 5-2-3 kompakt halten
So dürfte das Motto der Ungarn vor Partie gelautet haben. Nachdem man gegen die Schweizer immer wieder im Zentrum eklatante Lücken offenbarte, galt es diese gegen die DFB-Elf zu schließen. Hierfür versuchte Ungarn zu Beginn der Partie die Passfenster ins Zentrum immer wieder zu schließen über ihre 3 Offensivspieler in erster Linie. Deutschland hätte in dieser Phase immer wieder die Möglichkeit gehabt, das Spiel entsprechend auf den Flügel zu verlagern, um die Ungarn auseinander zu ziehen, versuchte es jedoch immer wieder mit Bällen in die Halbräume und hinter die Kette. Das Team von Trainer Marco Rossi wählte gegen den Ball keine wirklich aggressive Herangehensweise, wodurch Deutschland im 3-1-5-1, immer wieder ungestört in Linie 1 den Ball führen konnte.
Einzig Szoboszlai versuchte ab und an Kroos in der halblinken Position zu attackieren, wenn er, wie bereits gegen Schottland geschehen, seitlich in Linie 1 abkippte. Während dies gegen die Schotten noch durch eine pendelnde Bewegung geschah, war es gegen die Ungarn nahezu durchgängig das Mittel der Wahl, ähnlich wie im letzten Testspiel vor der Europameisterschaft gegen Griechenland. Durch den fehlenden Druck der Ungarn auf den Ball hatte Deutschland besonders nach dem Anlocken über Kroos und der anschließenden horizontalen Verlagerung auf Rüdiger teilweise die Möglichkeit den Block der Ungarn ungestört zu bespielen. Einziger Kritikpunkt hierbei ist, dass die Nationalmannschaft es teilweise verpasste, das Tempo zu verschärfen in der horizontalen Verlagerung, um die Ungarn schneller in die Verschiebung zu zwingen.
Gegenläufigkeit öffnete die Tiefe
In Minute 11 ließ sich ein Muster erkennen, welches das deutsche Team in der ersten Hälfte resultierend aus dem fehlenden Druck der Ungarn auf Rüdiger immer wieder kreieren konnte und folglich daraus profitierte. Hierbei war es Musiala (oder fortlaufend Gündogan), der Dardai aus der Halbverteidigerposition lockte, während die ballfernen Verteidiger, rechter Halbverteidiger und Schienenspieler, wurden von den anderen beiden Zehnern der deutschen Mannschaft in ihrer Position gebunden. Durch dieses Rausziehen von Dardai öffnete sich der Raum in dessen Rücken, den Havertz, aus der Halbspur einlaufend, attackieren konnte. Hierbei musste Orban dann in das Laufduell gegen Havertz, welches er schlussendlich verlor, auch wenn kein Tor daraus resultierte. Somit schaffte es das Team von Trainer Nagelsmann den Block der Ungarn zu überspielen und den Gegner dazu zu zwingen, mit dem Blick Richtung des eigenen Tores verteidigen zu müssen. Gegen Schottland fand dieses Muster keine Beachtung, weil der Block der Schotten deutlich tiefer stand. Die Höhe der Ungarn erlaubte es den Deutschen jedoch, den Block zu überspielen und den Ball anschließend noch zu erlaufen. Insgesamt waren sie gegen den Ball sehr passiv, was sich besonders in einem PPDA-Wert von 22 (zum Vergleich: Deutschland 7,8) äußerte. Dieser Wert gibt an, wie viele Pässe ein Team zulässt, bevor es zu einer Defensivaktion kommt.
Ungarns Antwort hätte..
..Druck auf den Ball und klare Zuordnung sein können. Ersteres hätten die Ungarn durch Varga und Sallai gegen Rüdiger schaffen können. Dieser konnte, wie oben zu sehen, ungestört den Ball auf den einlaufenden Havertz spielen. Zudem konnten sie der entgegenkommenden, fintierenden Bewegung von Musiala nicht entgegenwirken, da Sallai nicht den direkten Passweg durch seine Positionierung schloss. Wäre er in diesem Fenster gewesen, dann hätte Deutschland den direkten Weg auf Musiala nicht nutzen können und den Umweg via Kimmich wählen müssen. Resultierend hieraus wäre auch das Rausverteidigen von Dardai nicht zwingend notwenig gewesen. Alternativ hätte das ungarische Team jedoch auch seine Dopplung gegen Andrich aufgeben können und Schäfer in das Passfenster bringen können, wodurch Dardai in der Kette hätte verbleiben können.
Zwar ist es unabdingbar, aus der Fünferkette aktiv vorwärts zu verteidigen, jedoch nur dann, wenn man dadurch nicht in Gleichzahl mit Tempodefizit in letzter Linie gerät. Somit wäre der Schlüssel gegen das Einlaufen von Havertz gewesen, dass man eine Überzahl in eigener letzter Linie herstellt und dennoch das Entgegenkommen von Musiala unterbindet, jedoch nicht aus der Fünferkette heraus.
Genau dieses Muster führte schlussendlich auch zum Führungstreffer der Nationalmannschaft. Während diesmal der tiefe Ball von Kimmich auf Havertz noch geklärt werden konnte, war der an dem Tag überragende Jonathan Tah der jenige, der im Gegenpressing aktiv vorwärts verteidigte und den Ball für das deutsche Team zurückeroberte, welches dann ihr Muster des Attackierens der Tiefe einfach rumdrehte und die Ungarn diesmal so knacken konnte. Während Havertz tief startete nach der Ballrückeroberung von Tah auf Wirtz, wich die Kette der Ungarn zurück durch diesen Lauf. Hierdurch konnte Musiala den Raum vor der Kette nutzen, um sich im Zwischenraum von Wirtz bedienen zu lassen und den anschließend einlaufenden Gündogan zu bedienen, der nachfolgend gierig genug blieb, um für Musiala aufzulegen, der das deutsche Team in Führung brachte.
Ungarns Probleme setzten sich fort
Auch wenn die Ungarn über weite Strecken der Partie die Vorgabe gegenüber dem ersten Gruppenspiel erfüllten, wurde doch deutlich, dass die Abstimmung zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen nicht immer passte. Während beim ersten Treffer, wie bereits erwähnt, die Abstimmung im Schließen des Passweges auf Musiala nicht passte, war dies auch in der Folge immer wieder zu erkennen. Während die beiden Sechser Schäfer und Nagy, später Kleinheisler, immer wieder in Überzahl gegen Andrich positioniert standen, konnte Gündogan in deren Rücken immer wieder Freiräume finden. Eigentlich hätte Andrich als alleiniger Sechser im Ballbesitz von den ungarischen Stürmer, besonders auf der ballfernen Halbposition übernommen werden müssen. Somit konnte das deutsche Team durch die teils großen Abstände der letzten ungarischen Linie auf ihre Sechser immer wieder 5 Spieler mit einem Ball überspielen.
Beim zweiten deutschen Treffer war es dann erneut eine merkwürdige Zuordnung in der eigenen, letzten Linie der Ungarn, die den Treffer ermöglichte. Der Pass von Kroos auf Musiala sorgte für ein Einrücken von Bolla aus der breiten Position, um Musiala zu stellen, während Fióla nicht vorwärts verteidigte. Während Szoboszlai zunächst den Passweg auf Mittelstädt blockte, konnte er so den Passweg auf Musiala nicht schließen. Das eben bereits beschriebene Problem Ungarns mit zwei Sechsern die Breite verteidigen zu müssen, zeigte sich hier erneut. Kleinheisler kam zu spät in den Passweg auf Musiala und wurde anschließend von Gündogan zunächst geblockt, um anschließend seinen Laufweg in den Rücken der Kette nicht aufzunehmen. Durch das Einrücken von Bolla konnte Musiala Mittelstädt im Rücken der Abwehr in Szene setzen, wodruch alle vier Verteidiger in Ballnähe mit Blick zum eigenen Tor verteidigen mussten und im Rücken Gündogan blank ließen, der souverän zum Abschluss kommen konnte.
Die Verbesserung der Ungarn hätte sich ergeben aus dem Zustellen von Musiala in Kombination mit der Konsequenz gegen Mittelstädt in der Breite und der Rückraumverteidigung gegen Gündogan. Konkret hätte hierbei Szoboszlai den Passweg auf Musiala schließen müssen, während Kleinheisler das Anspiel von Kroos auf Musiala früher erkennen und verschieben hätte müssen. Zudem wäre eine weitere Option ein Vorwärtsverteidigen von Fióla eine Option gewesen, wenngleich dies bedeutet hätte, dass Gündogan gegebenenfalls seinen Rücken hätte attackieren können. Bolla hätte hierdurch nicht einschieben und Mittelstädt am Flügel den Raum geben müssen. Ohne diese Anpassungen sah dieser Treffer nach einer guten Kombination der deutschen Mannschaft aus, wenngleich man sich auf Seiten der Ungarn im Nachgang über diesen Treffer extrem ärgern dürfte.
Deutschlands Restverteidigung
Entgegen der Spielweise in den Qualifikationsspielen und dem Eröffnungsspiel gegen die Schweiz, versuchten die Ungarn gegen Deutschland nicht das Spiel flach hinten raus zu eröffnen, sondern wählten häufig den direkten langen Ball, um über zweite Bälle ins Spiel zu kommen. Auch nach Ballverlusten des deutschen Teams, war es in der deutschen Restverteidigung immer eine +1-Staffelung, bestehend aus Rüdiger und Tah, die die Tiefe sicherten. So hatte Ungarn es schwer ins Spiel zu kommen außerhalb von Umschaltsituationen, da Deutschland in 65% seiner Tackles erfolgreich war (Quelle: OPTA). Zudem lagen Rüdiger und Tah mit jeweils 5 Klärungsaktionen in den Top 3 dieser Kategorie, nur Bolla mit 6 war besser.
Auch im Umschaltverhalten waren die deutschen Spieler extrem aktiv und fleißig. So schaltete das deutsche Team in einigen Gegenangriffen der Ungarn mit nahezu allen Spielern im Vollsprint um und versuchte so, möglichst schnell möglichst viel Personal hinter den Ball zu bekommen. Auch wenn dies als Selbstverständlichkeit bei Manchen gelten mag, ist dies besonders zu erwähnen, da es genügend Gegenbeispiel in der jüngeren Vergangenheit gab.
Fazit: Achtelfinale klar gemacht
So stand am Ende dieser Partie der Einzug in das Achtelfinale der Europameisterschaft im eigenen Land, wenngleich es gegen die Ungarn längst nicht so ungefährlich zuging wie gegen Schottland. Dies spiegelte sich auch in den xGoals wieder, in denen Deutschland zwar mit 1,66 zu 1,27 gewonnen hat, jedoch des Weiteren auch gute Chancen für Szoboszlai und Varga zugelassen hat.
So steht mit der Partie gegen die Schweiz die Entscheidung über den Gruppensieg an am kommenden Sonntag. Dieser würde das vermeintlich leichtere Los aus der Gruppe C statt der Gruppe B bescheren, jedoch muss das DFB-Team dafür mindestens ein Unentschieden erreichen. Mit der aktuellen Euphorie und einer guten Leistung gegen Ungarn im Gepäck dürfen sich alle Fans auf die Partie freuen, wenngleich das Spiel gegen die Ungarn auch zeigte, dass das deutsche Team verwundbar ist und für seine Punkte zunehmend mehr arbeiten werden muss, als es gegen Schottland der Fall war.
Zu den Autoren: MS ist Analyst und Fan des Fußballs seit vielen Jahren. Auf Social Media kennt man ihn durch borussiaxplained und auch im Privaten beschäftigt er sich als Trainer mehrmals die Woche mit dem Spiel und tauscht sich viel darüber aus.
MA hat eine Vorliebe für besonders auf Ballbesitz ausgerichtete Mannschaften, steht mittlerweile aber auch auf Relationismus. Neben Der-Jahn-Blog schreibt er auch für miasanrot. Vorher war er im Analysebereich des NLZ von Jahn Regensburg tätig.
VR hat vor Jahren angefangen, sich tiefgründiger mit dem Fußball zu beschäftigen und arbeitet seither neben der Ausbildung zum Sportkaufmann beim Bayrischen Rundfunk in der Sportredaktion. Er analysiert gerne und verfasst Artikel über das Spiel.
26 Kommentare Alle anzeigen
Taktik-Ignorant 25. Juni 2024 um 00:30
Gibt es einen Artikel zum Spiel Deutschland-Schweiz? Da ist ja ziemlich viel Interessantes passiert, finde ich.
tobit 21. Juni 2024 um 13:27
Kann noch jemand den „Das vielleicht beste Pressing des Turniers mit einem Fragezeichen“-Artikel nicht mehr aufrufen?
Ein bisschen ironisch/lustig, nachdem die Spanier gestern nochmal ein ganz anderes Level von Pressing präsentiert haben.
Daniel 21. Juni 2024 um 14:10
Ja, ich hab das gleiche Problem. „Seite nicht gefunden“. Bei mir wird auch nur einer der EM-Artikel auf der Startseite angezeigt. Die Seite muss wohl selbst erstmal verarbeiten, dass hier plötzlich wieder Leben ist 🙂
WVQ 21. Juni 2024 um 15:06
Jepp, 404. Es ist ja auch vor einer Weile der Sancho-Artikel auf gleiche Weise verschwunden. Und einer zu Hürzeler war vorgestern (?) auch kurz mal online. Und ich konnte ja auch letztes Jahr eine ganze Weile überhaupt nicht mehr kommentieren. Habe irgendwie den Verdacht, daß da serverseitig etwas im Argen liegt…
(Und jepp, an die Artikelüberschrift mußte ich gestern auch denken. ;-})
Taktik-Ignorant 21. Juni 2024 um 23:08
Die Spanier haben das Pressing natürlich auch in Fleisch und Blut, darin sind sie ja seit Jahren Vorbild. Neu ist, dass sie dieses Pressing nicht konstant spielen, sondern sich auch fallen lassen können und dann in der Mitte der eigenen Hälfte den Ball erobern. Und sie spielen inzwischen auch wieder deutlich schneller und schärfer, so dass sie in der Summe bislang im Turnier den stärksten Eindruck machen. Allerdings war Spanien die letzten Jahre immer irgendwie instabil, wirklich gute und dramatisch schlechte Spiele wechselten sich ab. Ein so intensives Spiel wie gegen Italien werden sie so schnell nicht wiederholen, sonst sind sie spätestens im Viertelfinale stehend ko.
Und ja, den Pressing-Artikel scheint man nicht mehr aufrufen zu können. Vielleicht eine Reaktion darauf, dass der seit Spaniens Vorzeige-Pressing nicht mehr aktuell ist?
rb 20. Juni 2024 um 11:03
Wieder gut für Deutschland gelaufen, dass mit dem 1:0 das Spiel wieder auf ihre Seite gefallen ist. War imo bis dahin mehr als offen.
Dumm gelaufen für die Ungarn, dass bei diesem Gegentreffer gleich beide nahen Spieler lieber auf den Pfiff des Schiris vertrauen und abdrehen. Das war genau die Sekunde, die Gündogan und Musiala dann zu viel Zeit hatten. Die Situation war auch nach dem Stolperer von Orban noch leicht auf Kosten einer Ecke zu klären gewesen.
Taktik-Ignorant 20. Juni 2024 um 13:31
Im Prinzip haben die Ungarn nicht viel anders gespielt gegen Deutschland als in den 3 Spielen zuvor gegen die DFB-Auswahl: dichte Defensivstaffelung mit gelegentlichen Konterangriffen, die aber sehr konzentriert durchgeführt wurden, im Zweifelsfall mit dem Versuch, einen Standard in der Nähe des deutschen Tors zu ergattern. Und bei den Standards waren sie der deutschen Mannschaft brutal überlegen.
Was das deutsche Offensivspiel anbelangt, so spricht der Autor das Dilemma gegen „Busparker“-Mannschaften selbst an: als die Ungarn bestrebt waren, die Passfenster im Zentrum zu schließen, hätten die Deutschen auf die Flügel verlagern können. Dazu bedarf es aber, wie er dann selbst ein paar Abschnitte später schreibt, eines gewissen Tempos, sonst kann dieser Verlagerung leicht durch korrektes Verschieben leicht die Wirkung genommen werden. Außerdem ist eine Einbindung der Außen sinnvoller, wenn zumindest die Option auf Flanken oder scharfe flache Hereingaben besteht. Für letzteres waren aber zu viele Abwehrbeine im Strafraum, und für ersteres fehlen weiterhin die Abnehmer, denn dazu bedarf es mindestens eines „Kopfballungeheuers“ in der Sturmspitze. Dementsprechend war die häufigste gewählte Option der Außen (meist die AV Mittelstädt und Kimmich, gelegentlich Musiala oder Wirtz) der Rückpass. Das änderte sich erst, als in Halbzeit 2 mit Sané ein schneller und dribbelstarker Spieler konsequent die rechte Außenseite besetzte (auch wenn ihm noch einige Aktionen misslangen; er ist noch auf der Suche nach seiner Vorverletzungsform und Nagelsmann betreibt mit seinen Einwechselungen eine Art persönliches Resozialisierungsprogramm für Sané mit Blick auf die KO-Phase).
Dass die Ungarn bei der Wahl, welchen Spieler sie nicht zustellen sollten, auf Rüdiger fiel, ist wenig überraschend, weil Tah generell als der etwas paßstärkere der beiden IV gilt. Rüdigers Aufbauspiel ist zwar inzwischen ordentlich, aber keineswegs überragend. Insgesamt hat aber die deutsche Elf in punkto Ballsicherheit noch Luft nach oben, ebenso in den Disziplinen Pass-Schärfe und Geschwindigkeit der Ballzirkulation.
Ärgerlich auf deutscher Seite: die nächste überflüssige gelbe Karte. Hat niemand Rüdiger eingetrichtert, dass nur der Kapitän mit dem Schiri reden darf? Und gerade bei Makkelie, der sich gerne etwas selbstherrlich gibt, sollte man sich zurücknehmen. So etwas sollte normalerweise vor dem Spiel kommuniziert werden.
Ärgern werden sich die Ungarn wohl vor allem über den ersten Treffer. In Zeiten des VAR sollte man beherzigen, dass man immer erst weiterspielt, bis eine Situation zu Ende ist oder der Schiri wirklich pfeift. Denn es stimmt, auch nach Orbans Hinfaller hätten die Ungarn die Situation leicht klären und den Rückpass Gündogans auf Musiala verhindern können. Dumm gelaufen. Aber trotzdem nicht unverdient. Eine Mannschaft, die das erste Gruppenspiel verliert, muss normalerweise deutlich offensiver auftreten und riskanter spielen, als die Ungarn es getan haben. Sie hatten geglaubt, gegen Deutschland läuft es wie immer, wir machen schon unser Tor aus einer Ecke und die kriegen unser Abwehrbollwerk ohnehin nicht geknackt. Das hat sich als Fehlkalkulation erwiesen, und jetzt sind die Ungarn raus, denn im besten Fall werden sie Dritter mit 3 Punkten, und das wird kaum reichen.
WVQ 20. Juni 2024 um 14:37
Rüdiger bekam die gelbe Karte, weil er nach Verletzungsbehandlung ohne Schiri-Erlaubnis wieder aufs Spielfeld lief, als der Ball in seine Richtung flog. Nicht weniger ärgerlich freilich, wenngleich auch eine sehr komische Situation – nicht sicher, wie viele Spieler da die notwendige Disziplin gehabt hätten.
Taktik-Ignorant 20. Juni 2024 um 15:47
Ok, vielen Dank für die Richtigstellung, ich hatte die Situation nicht mitbekommen (und wegen gleichzeitigen Telefonierens auch den TV-Kommentar nicht, der das vielleicht erklärt hatte) und angesichts des Temperaments Rüdigers angenommen, er hätte gemeckert. Die gelbe Karte ist auch dann ärgerlich, insbesondere weil es auch ein Missverständnis sein kann.
Koom 20. Juni 2024 um 14:15
Dieses „auf den Schiri vertrauen“ ist aber auch eine beschissene Seuche. Das machen die Deutschen schon sehr gut, dass sie die Szenen zu Ende spielen, bis der Ball wirklich weg ist.
Ansonsten war _wieder_ ein Problem, dass man vorne etwas zu wenig steil ging. Musiala, Wirtz, Havertz wollten dem Ball entgegengehen, wo sie eigentlich Tiefe geben sollten. Gerade bei Mittelstädts 100 Flanken war das recht typisch, aber nicht nur da. Das klappte dann später etwas besser.
Ich vermute mal, das kam auch einfach daher, dass Ungarn besser darauf eingestellt war, das Zentrum zu blockieren. Schottland war da viel zu simpel aufgestellt und ein einfacher Gegner, Ungarn markierte gut, blieb ruhig, konterte durchaus gefährlich. Dadurch wollte jeder Spieler vermutlich mehr „helfen“ – mit dem falschen Verhalten. Passiert.
tobit 20. Juni 2024 um 17:27
Ich fand eigentlich, dass die deutschen ziemlich fokussiert in die Tiefe gegangen sind. Mittelstädts Flanken sind (bis auf die eine flache zum 2:0) ja auch grundsätzlich über Freund und Feind hinweggesegelt. Die hätte selbst Peter Crouch nicht erreicht.
Joakina 20. Juni 2024 um 08:38
Verstehe ich das richtig, Deutschland hat gewonnen, weil die Ungarn dies und das und dies nicht gemacht haben?
tobit 20. Juni 2024 um 09:01
Die deutschen haben im wesentlichen einfach ihr Spiel der letzten Monate gespielt. Ungarn hat ein paar Aspekte davon gut gekontert. Sie haben z.B. die deutsche Eckenabsicherung öfter unter sehr hohen Druck gebracht. Und auch bei einigen Unterzahlkontern haben sie es gut gemacht, erstmal Raumgewinn erzielt und dann versucht den Ball bis zum Nachrücken zu halten. Gegen den Ball waren sie im Vergleich zu den Schotten auch schon deutlich aktiver bzw hatten einen Plan, wie sie die Tempoverschärfungen durch die Mitte verhindern wollten. Da war der angezeigte Druck auf Andrich z.B. ein gutes Mittel um das Spiel hintenrum zu erzwingen, was ihnen Zeit zum Verschieben gab (Rüdiger war trotzdem dann zu oft sehr offen).
Sie haben halt einige Dinge nicht gekontert, bzw sich dabei nicht klar genug als Team verhalten. Eben die angesprochene Reaktion der 5er-Kette auf gegenläufige Bewegungen in der ersten Halbzeit. Die hat sich dann in der zweiten Hälfte Recht konsequent nach hinten drücken lassen, um nicht mehr überspielt zu werden … da fehlte dann aber die entsprechende Anpassung der vorderen Fünf, die einfach weitermachten wie zuvor (besonders der weitere Fokus auf Andrich wird da ja auch im Artikel genannt). Dadurch öffneten sie dann den gegen dieses Deutschland so gefährlichen Raum zwischen den Linien bzw beim 2:0 den Rückraum.
Koom 20. Juni 2024 um 10:57
Das ist aber auch eine Sysiphus-Arbeit für einen Gegner. Deckt man noch ein bisserl besser ab, steht jemand anderes frei bzw. hat weniger Bewacher. Und auch wenn man Rüdiger wohl freigelassen hat, weil man ihn als schlechtesten Paßgeber sieht, dann ist das trotzdem wenig hilfreich, weil selbst der ein überdurchschnittliches Aufbauspiel beherrscht.
Spannend fand ich bei dem Spiel ein paar Aspekte: Das sehr zentrumfixierte Spiel der Deutschen hat Ungarn eigentlich ganz gut lahmgelegt. Offensiv hat Varga eine MENGE Bälle festgemacht und die Lufthoheit gehabt, trotz solcher Kanten wie Rüdiger oder Andrich. Persönlich fand ich den Sechserraum gestern schon recht viel unter Druck und man löste es nicht so überragend. Ohne Andrich hätte es richtig hässlich werden können, der hat schon viel geholfen – aber der ist keine Löschmaschine wie ein Prime-Kanté. Wird durchaus spannend, wenn man ein qualitativ stärkeres Team als Gegner hat, das auch hohes Pressing betreibt.
tobit 20. Juni 2024 um 11:55
Ich hätte halt persönlich eher Andrich offener gelassen und ihn zum Spielmachen gezwungen. Szoboszlai und Sallai leicht von außerhalb auf Kroos und Rüdiger anlaufen lassen (AV im Deckungsschatten oder zum tiefkommen zwingen). Varga und die Sechser mehr als Supporter und Lückenfüller im Raum statt als Druck erzeugendes enges Dreieck um Andrich. Theoretisch könnte man das Dank der schnellen Reaktionszeit und des starken Rückwärtspressings von S+S sogar als Pressingfalle auf Andrich machen, der nach der Drehung massiven Druck in den Rücken bekäme.
Aber ja, auch da müsste man die Bewegungen der deutschen Zehner erstma abdecken. Ginge aber denke ich leichter, da die Sechser da ja dann mehr mithelfen könnten.
Varga fand ich auch sehr beeindruckend. Meiner Meinung nach hat er die Bälle auch so gut festmachen können, weil bei uns solche Kanten stehen und die Bälle auf ihn als etwas kleineren Spieler passend für ihn und nicht für uns gespielt wurden. Aber seine Positionierung und Sprungkraft aus dem Stand waren auch einfach sehr gut und fies zu verteidigen. Dann noch die passende Positionierung von S+S (weit genug weg von Andrich, aber nicht so weit dass die Verbindung abreißt oder die AV eingreifen) für die Ablagen dazu und Ungarn hatte einen erstmal effektiven Weg nach vorne, der nur mit viel Rückwärtsarbeit von den Zehnern und Andrichs längeren Zugriffsläufen im Zaum zu halten war.
Koom 20. Juni 2024 um 14:10
Teil des Problems – für beide Seiten – ist auch, dass sowohl Kroos als auch Andrich gar nicht mal so starr im Sechserraum bleiben. Kroos spielt im Aufbauspiel quasi den linken Teil der Dreierkette hinten, Andrich wird im Defensivspiel quasi zu einem Teil der Kette hinten. Im Ergebnis ist es dann so, dass man da nur schwer jemanden isolieren kann – aber auch, dass dieser Halbraum vor der Kette durchaus etwas bleibt, wo ein Gegner Gefahr entwickeln kann, weil da keiner wirklich immer präsent ist.
Auch das spielte so ein bisserl Varga noch in die Karten: Der wurde dann meistens nur von hinten bedrängt und konnte dadurch den Ball gut zurück ablegen, weil da kein direkter Verteidiger war. Im Grunde konnte man dann sehr simpel hoch auf Varga spielen, der legte zurück auf den 10er und Gefahr entbrannte.
Taktik-Ignorant 20. Juni 2024 um 15:53
Das kommt wohl auch daher, dass gerade bei langen Bällen des Gegners nach vorne die beiden deutschen AV noch hoch stehen, aber die letzte Linie vorsichtshalber besser aus 3 als aus 2 Leuten bestehen sollte; der dritte ist dann zwangsläufig einer aus dem Mittelfeld, der dann wiederum für abgelegte oder zurückprallende zweite Bälle fehlt.
tobit 20. Juni 2024 um 17:32
@Taktik-Ignorant:
Ich hätte da gerne die AV enger gesehen. Also näher am verbleibenden Sechser. Auch aus der Position hätten sie noch reichlich Zugriff auf die Flügelläufer gehabt, falls mal ein langer Ball auf die geht. Aber das ist dann vllt einfach etwas zu viel Abstimmungsarbeit für die sehr kurze Vorbereitung.
@Koom:
Ich hatte das Gefühl, dass Andrichs tlw sehr tiefe Position da eine explizite Anpassung auf die erwarteten langen Bälle der Ungarn war. Hat halt einfach nicht wirklich funktioniert, weil die die Bälle selten klassisch sondern oft etwas kürzer und auf halbhoch gespielt haben, was Varga dann natürlich viel mehr entgegen kam.
WVQ 20. Juni 2024 um 14:28
Der Artikel fokussiert sich tatsächlich sehr stark auf die ungarischen Versäumnisse. Man könnte es auch so sagen, daß Deutschland die sich ergebenden Freiräume in der ungarischen Formation sehr geschickt genutzt hat. Durch die starke (bzw. auch in meinen Augen übermäßige) Kompaktheit und Passivität des ungarischen 2-3-Blocks um Andrich herum gab es immer wieder die Möglichkeit, relativ vertikal und unbehindert durch die Halbräume zu spielen, und hier fand ich die Positionierungen und Bewegungen von Wirtz und Musiala aber auch sehr gut getroffen, weil beide immer wieder aus dem Zwischenlinienraum zurückfielen, um für besagte vertikale Anspiele verfügbar zu sein und dann eben nicht selten in offener Position, quasi in der zu großen und daher erst mal zugriffslosen Raute von Halbverteidiger, Sechser, Außenverteidiger und Halbstürmer. Das hat Deutschland ermöglicht, das Spiel angesichts des einigermaßen zugestellten Zentrums nicht ständig früh auf die Flügel bringen zu müssen, wo man deutlich leichter zu isolieren gewesen wäre und viel schlechtere Anschlußoptionen gehabt hätte. Das 2:0 fiel beispielsweise auch nach Verlagerung in der ersten Linie und direktem Weiterspiel auf Musiala im Halbraum (wenngleich Ungarn da auch sehr geschlafen hat, siehe Artikel). Und die Bewegungen von Havertz und Gündogan – oft gegenläufig entlang der ungarischen Kette – fand ich ebenfalls sehr geschickt, eben nicht selten in die Räume hinein, die durch den ungarischen Fokus auf einen plötzlich im Zwischenlininen-/Halbraum ballführenden Spieler aufgingen bzw. verwundbar wurden. Im Grundsatz gegenüber den anderen deutschen Spielen seit März tatsächlich nicht neu, aber in der Feinabstimmung der Ausführung und der Passung auf den Gegner durchaus sehr lobenswert. Der Artikel nennt die Struktur wieder 3-1-5-1, aber es gab eben auch oft Staffelungen mit Wirtz und Musiala tiefer als den AV (sozusagen im Achterraum) und teilweise sogar Gündogan mit Havertz an der letzten Linie – 3-1-2-3-1 oder 3-1-2-2-2, wenn man so will.
Und im übrigen war das Spiel durchaus auch ein Beispiel dafür, wie man reagieren kann, wenn der Gegner Kroos nicht großräumig das Spiel machen läßt. Auch wenn Pressing auf den deutschen Aufbau erneut weitgehend gefehlt hat.
Natürlich ist immer die Frage, ob man den Gegner mehr in schlechte Staffelungen gezwungen hat oder ob man schon bestehende schlechte Staffelungen einfach ausgenutzt hat. In diesem Sinne bezweifle ich, daß Deutschland gegen strukturell und individuell stärkere Gegner ähnlich leicht nach vorne wird spielen können, weil derlei Freiräume dann kaum da sein werden. Da wird man unter viel höherem Druck agieren müssen, entsprechend auch noch schneller und genauer. Im letzten Drittel finde ich das Spiel grundsätzlich schon recht aussichtsreich und eher dem Gegner aufgezwungen als nur dankend angenommen, aber die Frage wird sein, inwieweit man da ohne weitere Risiko-Maximierung eben noch stabil hinkommt. (Wir setzen ja bereits sehr auf intensives Gegenpressing; (noch) häufigere Ballverluste in zentralen Bereichen werden wir uns kaum erlauben können.)
Was im Artikel übrigens leider ganz fehlt, ist WARUM es letztlich auch für Ungarn einige gute Torchancen gab. Da waren zwar auch einfache Fehler (insb. das Anstoß-Ding und der Kroos-Fehlpaß) und einige Standards dabei, aber mein Eindruck war dennoch, daß Deutschland punktuell deutlich schlechter ins Pressing kam als gegen Schottland, wenn Ungarn doch mal flach und etwas zügiger aufbaute. Da hatte man dann schon ein paar Mal einen ziemlich offenen Flügel, weil bei zwei, drei schnelln Pässen die deutschen Spieler inklusive AV jeweils einen Schritt zu spät waren (oder gar zwei). Bin mir immer noch nicht so sicher, ob man uns da mit auch nur einer moderaten Ball(besitz)sicherheit nicht sehr schnell in tiefe Staffelungen zwingen kann, die das Spiel für uns komplett verändern würden. (Bisher fast gar nicht gesehen, aber daß wir selbst Schwierigkeiten gegen hohes Pressing haben, ist ja bekannt.)
AG 20. Juni 2024 um 01:44
Blitzartikel, aber leider nicht auf der Homepage
Daniel 20. Juni 2024 um 08:43
Wie hast du den Artikel eigentlich gefunden, wenn er nicht auf der Seite ist? Ich bin jetzt nur durch deinen Kommentar hier gelandet… Es scheint generell grad ein paar technische Probleme zu geben, ich hab vor ein paar Tagen auch einen Kommentar geschrieben, der nie angekommen ist. Aber wenn dafür solche Artikel kommen nehm ich das gern in Kauf 🙂
Vielen vielen Dank an die Autoren für die richtig guten Artikel zur EM bisher. Das macht große Lust auf mehr!
AG 20. Juni 2024 um 11:46
Ich habe SV schon eine Weile als RSS-Feed abonniert, damit ich nicht nach den seltenen Artikeln schauen muss 😉
WVQ 20. Juni 2024 um 12:47
Super Idee, aber wie finde ich den Link dafür? Meine RSS-App findet mittels der Homepage nichts und einen Abo-/RSS-Knopf habe ich wenn, dann geflissentlich übersehen…
AG 20. Juni 2024 um 19:51
Hm, ich habe das einfach als spielverlagerung .de / feed drin, der hat das aber auch einfach so hinbekommen
WVQ 20. Juni 2024 um 20:28
Wunderbar, damit hat es funktioniert, danke. 🙂
Taktik-Ignorant 20. Juni 2024 um 17:13
Auch ich bin durch die Kommentare hier gelandet, die rechts in der Spalte „neueste Kommentare“ erscheinen. Nur der zweite der drei neuen Artikel zur Nationalmannschaft erscheint am PC unter „neueste Artikel“. Sicher sind da Hacker aus St. Petersburg am Werk, die uns aus Rache dafür, dass die Russen nicht teilnehmen dürfen, die Freude am Fachsimpeln vermiesen wollen.