Türchen 10: Nur eine Frage der Ausführung?

Der Ballverlust von Upamecano gegen Manchester City aus der vergangenen Saison im CL-Viertelfinal-Hinspiel in der Szenenanalyse.

Direkt zweimal hintereinander gibt es Türchen mit Szenen aus den vergangenen paar Saisons. Auf das Aufeinandertreffen zwischen Pep Guardiola und Thomas Tuchel im CL-Finale 2021 folgt sogleich wieder eine Partie zwischen Pep Guardiola und Thomas Tuchel, Letzterer bei einem neuen Verein, aus dem Viertelfinale der letzten Spielzeit im Frühjahr 2023.

Der Ballverlust von Dayot Upamecano im Hinspiel vor dem 2:0 bei Man Citys 3:0-Sieg gegen die Bayern wurde damals viel diskutiert. Für die Analyse solcher „Fehler“ bietet sich das cde-Modell an, welches im letztjährigen Adventskalender in einem der Podcast-Türchen das Thema war: Es differenziert eine Fußball-Aktion in die Ebenen Wahrnehmung/Kommunikation der Situation, Entscheidungsfindung (manchmal noch unterschieden in das „Was?“ und das „Wie?“) und Ausführung der Entscheidung.

In diesem konkreten Fall konzentrierte sich die Diskussion um den Ballverlust besonders stark auf die dritte Ebene, auf der das Problem in der Situation verortet wurde. Der Ball kam in der Entstehung ursprünglich von der anderen Seite und Upamecano erhielt ihn schließlich durch einen Querpass von de Ligt. Zum einen setzte Upamecano den ersten Kontakt sehr schwungvoll und brachte noch zusätzliches Tempo in die Ballbewegung hinein, obwohl de Ligt ihm den Ball relativ weit nach hinten und damit gegnerentfernt gespielt hatte.

Zum anderen ging jener erste Kontakt bereits extrem ausgeprägt diagonal nach außen weg und damit klar auf Grealish hin. Dieser lief als linker Flügelstürmer diagonal im Bogen von außen auf Upamecano an, um den Passweg zu Pavard zu blockieren. Durch die Richtung, wie Upamecano seinen ersten Kontakt setzte, ließ dieser sich letztlich genau auf die Konfrontation mit Grealishs Pressingbewegung ein und provozierte sie – mit der Idee, diese über die eigene Richtungsänderung am Ende gerade gezielt überspielen zu können, aber letztlich ohne Erfolg.

Genau diese Richtungsänderung war für Grealish vergleichsweise früh zu antizipieren. So kam bei der Frage der Ausführung neben der technischen auch noch eine koordinative Komponente hinzu: Das Timing im Bewegungsablauf bei Upamecano war nicht gut, ihm gelang die Gewichtsverlagerung im Andribbeln nicht sauber, als er von seinem zunächst eingeschlagenen Weg diagonal nach außen schließlich nach innen abkappen wollte, um am Gegner vorbeizukommen – und damit fehlte die Basis für einen vernünftigen nächsten Kontakt. Definitiv war die Ebene der Entscheidungsausführung ein großer Faktor.

Daneben sind auch die anderen Bereiche interessant – also die Frage, wie die Situation wahrgenommen und wie die Entscheidungen getroffen wurden. Um Grealish zu überspielen, wäre statt des Überdribbelns grundsätzlich auch der Weg über Goretzka nach außen eine Option gewesen – im Dreieck auf den Außenverteidiger. Mit dem Querpass löste sich Goretzka von den gegnerischen Sechsern und kam in den Zwischenraum entgegen. Während der Ball unterwegs war, reagierte Haaland aber und schob näher an Goretzka heran, so dass dieser Passweg dann deutlich schwieriger wurde – sofern Upamecano zuvor überhaupt die Orientierung dafür gehabt hätte, was angesichts seiner Vorbereitung auf die Ballmitnahme nicht so schien.

Dass sich Haaland stärker nach hinten zur Verbindung zur Goretzka orientierte, sorgte dafür, dass ein Rückpass Upamecanos auf de Ligt die ganze Zeit über möglich gewesen wäre – eine entsprechende Körperstellung vorausgesetzt. Auch die anderen Offensivspieler Citys hielten ihre Höhe statt diagonal weiter vorzuschieben. Ursprünglich kam der Ball von links, und mit dem Querpass zwischen den Innenverteidigern konnte Bayern den Gegner zumindest wieder in die Mitte und auch ansatzweise nach halbrechts ziehen.

Strategisch wäre eine Rückverlagerung gegen die Verschieberichtung interessant gewesen, um dann nochmals über halblinks zu versuchen, das Spiel weiter zu entwickeln – gerade angesichts der Positionen der nominellen Zentrumsspieler der Münchener. Als der Ball bei Upamecano ankam, stand Kimmich immer noch recht weit halblinks und auch Zehner Musiala befand sich vorne im entsprechenden Halbraum – nunmehr dem ballfernen Halbraum.

Eigentlich hatte Bayern dort mehr Spieler und hätte die Möglichkeit gehabt, in der Überzahl gegen den dortigen Stürmer und Flügelspieler vorbeizukommen, spielte aber nicht mehr in jene Überzahl hinein. Selbst mit einem Rückpass auf Kimmich in dessen flacher Position hätte Bernardo Silva gegen Davies und Musiala zwei Passwege abdecken und/oder der Rechtsverteidiger sehr aggressiv in den Halbraum vorverteidigen müssen. Kimmichs Gestikulieren schien eine solche Entscheidungsfindung zu fordern, aber letztlich erkannte das Team diese Variante nicht von allen Positionen aus.

Zusätzlich zur Personalie Upamecanos darf man im Allgemeinen nicht die mannschaftliche Ebene und die Wechselwirkungen mit den Mitspielern außer Acht lassen. Was die Situation für den Innenverteidiger erschwerte, war das Verhalten seines Außenverteidigers Pavard neben ihm. Bereits als de Ligt das Leder noch am Fuß hatte, rückte Pavard am ballfernen Flügel extrem frühzeitig auf und konnte später aus der hohen Position keinerlei Unterstützung für Upamecano herstellen – ungünstig für jenen, auch wenn er sich darauf zumindest von Anfang an einstellen konnte.

Für Grealish war Pavard gut zu schließen und erst sehr spät versuchte der Rechtsverteidiger, sich wieder breiter abzusetzen, aber auch nicht mit der höchsten Intensität und etwas zu wenig nach hinten gegenüber der Breite. Zuverlässig anspielbar wurde er letztlich nicht mehr.

Insgesamt wirkte das frühzeitige Hochschieben Pavards sehr unvorsichtig und könnte maximal dann einer gezielten Ansage gefolgt haben, wenn Bayern in solchen dynamischen Situationen ballferne Diagonalbälle in die letzte Linie hätte spielen wollen. City stand hinten lange Zeit 3gegen3 mit viel Raum dahinter und auf den einzelnen Positionen auch nicht immer ganz sauber positioniert. Sollte Pavards Vorstoß ein ballfernes 2gegen1 mit dem Rechtsaußen gegen Aké schaffen?

Grundsätzlich verweist dies darauf, dass es für de Ligt alternativ zum Querpass auf Upamecano, für den er recht viel Zeit hatte, noch die Möglichkeit gegeben hätte, einen kontrollierten Diagonalball nach rechts vorne zu schlagen – wenn man das gewollt hätte, so direkt die letzte Linie des Gegners zu attackieren. Ob er das so nicht wahrgenommen, ob er es gesehen, aber sich dagegen entschieden hat oder ob er einen solchen Ball ohnehin nicht spielen sollte, lässt sich dann an der Stelle aus der Szene als solcher heraus nicht zweifelsfrei ableiten.

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