Türchen 3: Miralem Pjanic
Je länger er bei Juventus spielte, desto mehr wurde Miralem Pjanic zu einer Bank beim italienischen Serienmeister: Ein kompletter Pressingauflöser und Umschaltstabilisator für ein Team der Komplettheit.
Zum Ende des vergangenen Jahrzehnts zeichnete sich im Spitzenfußball als einer der Trends ab, dass die großen Mannschaften immer kompletter wurden. Es gab seltener die ausgewiesenen Ballbesitz- oder Umschaltteams und mehr diejenigen, die in sämtlichen Spielphasen eine gute Grundqualität vereinten. Zu den Paradebeispielen für die Entwicklung gehörte schon frühzeitig und anschließend über einen längeren Zeitraum Juventus: Serienmeister in Italien, zwei Champions-League-Finals und fast noch ein drittes.
Als Nachfolger des großen Andrea Pirlo wurde bei den Turinern der bosnische Nationalspieler Miralem Pjanic zum Zentrum des Mittelfelds und des gesamten Teams. Bis zu seinem Wechsel nach Barcelona im vergangenen Jahr nahm er eine Schlüsselrolle ein für die ausgewiesene Komplettheit der Mannschaft von Massimiliano Allegri und dann auch Maurizio Sarri. Gerade unter Allegri definierte sich Juve enorm stark über jenes Attribut, über eine hohe Grundstabilität, durch die man schwer zu schlagen war, und über eine Flexibilität der fußballerischen Werkzeuge, die zum Einsatz kamen.
Ausgewogener Lösungsfinder
Wenn man so spielt, braucht man einen Protagonisten im Mittelfeldzentrum, der möglichst viele „normale“ Situationen möglichst konstant und möglichst viele „anspruchsvolle“ Situationen möglichst gekonnt und sicher bewältigt. Kurz gesagt: Wichtig war für Juve ein spielstarker Allrounder, ein handlungsschneller und ausgewogen ausgerichteter Lösungsfinder. Der Miralem Pjanic, den sie in Turin von der Roma verpflichteten, war das schon in weiten Teilen – dank seiner Ballsicherheit und seiner Technik. Je länger der Bosnier bei Juve spielte, desto mehr füllte er dann genau jenes Profil aus.
Was Pjanic in den letzten zwei bis drei Saisons auf den Rasen brachte, beeindruckte. Er hatte eine hervorragende Entwicklung genommen, war gereift und machte einfach sehr viele Dinge, die zum Alltagsgeschäft eines zentralen Mittelfeldmannes auf höchstem Niveau gehören, sehr gut. Er positioniert sich grundsätzlich gut, er orientiert sich gut und er trifft in aufeinanderfolgenden Situationen immer wieder viele gute Entscheidungen. Wenn an diesem Fließband doch eine etwas schwächere Entscheidung vorkommt, dann ist es zumindest fast immer eine konstruktive.
Sicher am Ball und sicher im Raum
Pjanic hat einen starken ersten Kontakt und durch seine allgemein saubere Ballführung zeichnete ihn schon vor zehn Jahren besondere Pressingresistenz aus. Seither ist er im Umgang mit schwierigen Situationen unter Druck – und damit auch für deren Auflösen – noch etwas ruhiger, vor allem rationaler und punktuell strategischer geworden. Besonders deutlich wird das in unstrukturierten bis ansatzweise chaotischen Umschaltszenen. Dort erreicht Pjanic mittlerweile eine sehr gute und ausgewogene Entscheidungsfindung, selbst wenn sich diese dynamischen Situationen in sehr engen Räumen abspielen.
Diese Art von Umschaltmomenten können – ganz allgemein – zu Bruchstellen in eigentlich ausgeglichenen Partien werden und ihnen die nuancierte Wendung in die eine oder die andere Richtung geben. Sie sind neuralgische Punkte – grundsätzlich gilt das erst einmal für jede Mannschaft. Aber auf Grundstabilität und Ballsicherheit bedachte Teams, wie etwa Juve in den letzten Jahren, zeichnen sich, wenn sie gut sind, gerade dadurch aus, dass sie auch in solchen Konstellationen kaum an Struktur und Verankerung verlieren. Spieler wie Pjanic können das zu einem hohen Grade garantieren. Wenn man einen wie ihn im Team hat, dann kann man relativ problemlos so oder so ähnlich spielen, wie man das von den Turinern oft gewohnt war.
Die Positionsfindung ist gerade gegen den Ball zu einer Stärke Pjanic‘ geworden. Er staffelt sich mittlerweile hervorragend innerhalb des Raumes. Pjanic muss nur wenige direkte Duelle führen, in denen er zwar Dynamik und Bissigkeit einbringen kann, aber gar nicht unbedingt das beste Timing für den Zugriff hat. Vielmehr sammelt er viele Bälle auf, weil er exzellent steht. Bei eigenem Ballbesitz findet er gute Positionen nicht nur aus der Perspektive des Spielaufbaus, sondern gerade auch für die Absicherung. Geht es aus tieferen Bereichen weiter nach vorne in die Offensive, organisierte Pjanic in den letzten Saisons teilweise beispielhaft die Rückraumbesetzung im Angriffsdrittel.
Freilaufbewegungen besser als Anschlussbewegungen
Zum Ende seiner Zeit bei Juventus stellte er durch gute Freilaufbewegungen eine essentiell wichtige Rückpassoption bei Ballbesitz am Flügel dar. Dank ihm konnte das Spiel zuverlässig von der Seite, als potentieller Pressingzone für den Gegner, wieder weggetragen werden. Er rochierte horizontal und tat dies sehr balanciert – fast immer nur so weit, dass er dadurch nicht Raum zulaufen würde. Pjanic löste sich immer wieder aus dem Rücken von Gegnern als neue Anspielstation nach innen. So konnte er in manch festgefahrener Situation doch noch einen Querpassweg erschließen und die Rückanbindung herstellen.
Gegenüber den Freilaufbewegungen – ob als zweiter oder auch als „dritter Mann“ in einer Ballstafette – hat Pjanic bei Anschlussaktionen nach seinen eigenen Pässen jedoch gewisse Schwächen. In diesen Folgemomenten verhält er sich häufiger mal leicht unsauber bei seiner Orientierung im Raum. Entweder wird er in der Anschlussszene zu passiv – quasi wie eine kurze Auszeit – oder er setzt zu stark auf die kleinräumig gegnerbindende Bewegung. Damit neigt er dazu, andere mögliche Bewegungen, mit denen er sofort selbst wieder anspielbar würde, demgegenüber seltener zu wählen. Zwischendurch gibt es aber auffällige Ausnahmen.
Großes Repertoire im Passspiel
Als Kombinationsspieler trat Pjanic ohnehin in den letzten Jahren nicht mehr ganz so sehr in Erscheinung. Das lag auch daran, dass er vermehrt als tiefster Sechser oder auf einer Doppel-Sechs eingebunden wurde (zuvor etwa bei der Roma sehr oft als Achter), selbst bei Barca. Für Juventus war er auch als Ballverteiler wichtig – neben seiner Bedeutung als Pressingauflöser, als Umschaltstabilisator und als Verbindungsgeber für die Außen.
Pjanic hatte schon immer eine starke, sehenswerte Passtechnik, auch mit dem schwächeren Linken. Er vermag es, die verschiedensten Stellen am Fuß umfassend auszunutzen und die Gewichtung zu variieren. Beispielsweise spielt er mitunter oft für stärkeren Schnitt mit dem Innenrist, wo man intuitiv die Innenseite wählen würde. Durch das breite technische Repertoire entstehen unterschiedliche Flugkurven und daraus potentiell Überraschungseffekte.
Vor seinen Pässen und vor allem dann, wenn er dem Anspiel eines Kollegen zunächst noch entgegen gehen muss, macht Pjanic oft einen „eingesprungenen“ Zwischenschritt, der sein Bewegungstempo entweder nochmal kurz erhöht oder die Aktion leicht verzögert, falls die Dynamik der Gesamtsituation es erfordert. Weil er diesen Ablauf koordinativ enorm sauber und flüssig auszuführen vermag, steigen so die Möglichkeiten im Passspiel nochmals.
Die Schwäche Pjanic‘ in diesem Bereich ist seine Neigung, manchmal unnötig mit dem ersten Kontakt als Direktpass weiterzuspielen. In solchen Szenen folgt seine Aktion dann einfach der schon bestehenden Dynamik der Situation, wenn man diese mit einem zweiten Kontakt bzw. einer Verzögerung entscheidend verändern bzw. wirksam entgegengesetzt zu ihr spielen könnte.
Schlussworte
Insgesamt leistete sich Pjanic ansonsten wenige Schwächen und wenige schwache Momente in den letzten Jahren. Er spielte fast durchgängig auf einem hohen Grundniveau, wurde deshalb keinesfalls zufällig von Barcelona gescoutet – nur war der Zeitpunkt für einen Transfer zu den Katalanen im Sommer letzten Jahres einer der ungünstigsten seit langem. Seither scheint Pjanic fast etwas unter das allgemeine Radar gerutscht. Das kommt etwas überraschend für einen Spieler, der in den Saisons zuvor auf einem derart hohen Niveau agierte. Pjanic zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass er kaum mehr wirklich schwache Aktionen hatte, sondern eher zwischendurch einige „suboptimale“, neben den vielen guten und sehr guten.
1 Kommentar Alle anzeigen
studdi 3. Dezember 2021 um 10:23
Den Transfer zu Barca werde ich nie verstehen. Es gab dabei nur Verlierer und es war eigentlich schon im vorhinein klar. Hatte aber wohl auch viel mit Geld und den Schulden der Clubs zu tun.