Zwar kein Glanz, aber doch Klasse
Spielstarke Dortmunder mit hoher Aktionsdichte mussten erst einmal so verteidigt werden, wie lokal teilweise sehr kompakte Schalker dies mit einer geschickten Defensivleistung taten. Über 50 Minuten ergab sich so eine gute Qualität des Derbys.
Trotz der schwierigen Schalker Situation und selbst bei lange Zeit beidseitig eher niedriger Durchschlagskraft entwickelte das Revierderby eine insgesamt gute Qualität. Die Borussia war eigentlich permanent mit Ball aktiv, hatte eine hohe Rate an Angriffsmomenten und dementsprechend reichlich spielerische Ansätze. Im Duell einer sehr guten Anlage mit dem Ball und einer sehr guten Arbeit gegen den Ball bremsten sich diese beiden Komponenten gegenseitig ab, so dass es nur nicht zu den klassischen Strafraumhöhepunkten kam.
Die gewisse hochklassige Note des Derbys ging allerdings mit einer strategischen Einseitigkeit einher: Sobald die spielbestimmenden Dortmunder in Führung gingen, verlor die Begegnung viel von ihrem Reiz – und angesichts der schieren Häufigkeit an vielversprechenden Ansätzen geschah dies letztlich so, über eine der zahlreichen Standardsituationen, die dabei abfielen.
Denn zumindest zum aktuellen Zeitpunkt war Manuel Baums Schalke nicht so weit, dem Erzrivalen über das Angriffsspiel entscheidend in Verlegenheit bringen zu können. Die Achter versuchten zwar jeweils ballnah viel mit auf den Seiten zu unterstützen, doch schon untereinander hatten Harit und Bentaleb kaum Kontakt für das Zusammenspiel. Nachdem der BVB das Spiel aus dem 4-2-3-1 einmal nach außen auf einen Halbverteidiger getrieben hatte, kam der Gast von jener Seite nur schwerlich wieder heraus.
Für Konter brachten die „Königsblauen“ noch nicht genügend Präsenz nach vorne bzw. mussten sich erst einmal aus dem insgesamt guten Gegenpressing der Gastgeber lösen, um ihre zwei nominellen Stürmer halbwegs strukturiert einzubinden. Ihr Defensivansatz forderte die Dortmunder demgegenüber aber sehr wohl und dieser müsste dementsprechend die Quelle sein, aus der sich ihre perspektivischen Aussichten für den weiteren Saisonverlauf ziehen ließen.
Mit der 5-3-2-Grudanordnung hatte Schalke zunächst einmal eine Spiegelung zum überraschenden 4-2-3-1 des Gegners. So konnten sich die Gäste für die Ausgangssituation des Pressings in mannorientierten Zuordnungen staffeln. Insbesondere auf der Sechserposition mit Mascarell gegen Brandt – vermutlich wegen der Erwartung des 3-4-3/3-4-2-1 – und auch ballnah in Person der Halbverteidiger – in diesem Fall meistens durch weiträumige Herausrückbewegungen – wurden diese eng interpretiert.
Gute Rückzugsbewegung des Schalker Blocks
Auf den Flügeln schoben Ludewig und Oczipka einfach im Rahmen einer pendelnden Viererkette auf den jeweiligen Dortmunder Außenverteidiger hoch, dahinter verteidigten die Mitspieler dann jeweils aggressiver am entsprechenden Gegenspieler. Insgesamt bildete sich bei den Schalkern ein guter Übergang heraus, in welchem Moment bzw. in welchen Momenten sie aus den klareren Mannorientierungen aussteigen und diese aufgeben sollten.
In der zweiten Linie verfolgten sie beispielsweise mit den Achtern zunächst oft ihre Gegenspieler zum Ball, doch wenn sich auf diese Weise eine vielversprechende Kompaktheit ergeben hatte, behielten sie die entsprechende Staffelung für die Folgeaktion bei anstatt einzelne Läufe weiterhin zu verfolgen. Auch in der klaren, über größere Distanzen stattfindenden Rückzugsbewegung des Kollektivs gingen sie aus den engen Mannorientierungen sinnvoll heraus.
Das war vor allem in solchen Momenten der Fall, in denen sich Mannschaften klassischerweise mit einem restlichen Defensivblock an den eigenen Strafraum zurückziehen – etwa nach gegnerischen Verlagerungen im zweiten Drittel, die zu größerem Raumgewinn oder einem Überdribbeln einer Linie geführt haben. Insgesamt lief die Rückzugsbewegung ins Abwehrdrittel bei den Gästen recht sauber. Mit dem Übergang aus den Mannorientierungen heraus machten sie es dem BVB zum Strafraum hin schwer.
Dortmunds anpassungsfähige Spielstärke
Einerseits waren die Dortmunder dagegen gefordert und mussten auch hohen Aufwand betreiben, andererseits machten sie dies gleichzeitig recht gut: Wichtigster Punkt im Spiel der Borussen mit dem Ball waren die enorme Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Nicht alle gruppentaktisch vielversprechenden Ansätze der Schützlinge von Lucien Favre wirkten mannschaftlich ganz sauber koordiniert und gelegentlich traten Abläufe auf, bei denen sich ein bis zwei Spieler selbst zu isolieren drohten oder durch Timingprobleme und das Fehlen von Anschlussoptionen isoliert wurden.
Aber allein die bloße Breite des Repertoires an unterschiedlichen Handlungsmustern und Bewegungen der Dortmunder Spieler beeindruckte. Im Angriffsdrittel stellten sie immer wieder dynamisch kleine Pärchenbildungen her, aus denen sich der unterstützende Akteur anschließend in eine Folgebewegung absetzte. So gelangen in kompakten Situationen rund um den Sechzehner herum noch einmal kurze Zirkulationsphasen oder die Schalker konnten ein wenig gelockt werden. Dafür pendelten die offensiven Außenspieler und die Außenverteidiger jeweils vielseitig zwischen Halbraum und Flügelzonen.
Verlagerungen zum ballfernen Halbraum
Für das Übergangsspiel durch das zweite Drittel waren Halbraumverlagerungen ein Kernthema: Vor allem von der linken Dortmunder Seite mit Hummels gingen viele solcher Momente aus, auf die auch die Sechser situativ mit herauskippten. Schoben die Schalker in diese Zone mit dem Mittelfeld sehr weit und geschlossen herüber, versuchte sich Dahoud aus den zunächst dichten Ausgangsstaffelungen einige Male geschickt zum anderen Halbraum hin wegzuschleichen, um diagonal im Rücken des ballfernen Achters frei zu werden.
Genau über diesen Kanal hatten die Borussen in den schwungvollen Anfangsminuten ihre besten Ansätze im Aufrücken, wenn sie nach einem vorbereitenden Kurzpass durch die Schnittstelle zwischen den gegnerischen Achtern verlagerten. Dagegen konnte Schalke grundsätzlich reagieren, indem die Flügelverteidiger bei solchen Seitenwechseln ballfern herausrückten, wie es insbesondere Ludewig auf rechts einige Male ambitioniert umsetzte. Gerade dort wiederum hatte der BVB mit Guerreiro gleichzeitig eine passende Besetzung und damit eine gute Antwort, indem dieser nach Verlagerungen sofort zu diagonalen Dribblings nach innen in den Halbraum und damit gegen die Verschieberichtung ansetzte.
Wege auf Brandt, Sancho und Reyna
Eröffnete Dortmund das Spiel ballnah in die Breite auf einen Flügelverteidiger, versuchten die Gastgeber häufig – entweder direkt oder im Dreieck über den Sechser – den ausweichenden Julian Brandt in Szene zu setzen. Dieses Muster beispielsweise schien vorgezeichnet: Flügelverteidiger und Achter der Schalker wurden herausgezogen, der Dortmunder Zehner konnte zum Duell gegen Mascarell in den dadurch hinter diesen beiden geöffneten Raum entwichen – entweder zum Halbraum hin oder bis zum Flügel.
Da die entsprechenden Zuspiele allerdings zumeist halbhoch mit dem ersten Kontakt gespielt werden mussten, waren sie für Brandt in der Bewegung nach außen nicht so leicht festzumachen. Offene 1gegen1-Situationen entstanden also kaum und ehe die nächste unterstützende Anspielstation hergestellt werden konnte, hatte sich der mögliche Bewegungsvorteil mehrmals bereits aufgelöst. An dieser Stelle kam es beispielsweise auch dazu, dass die Dortmunder im Übergang manchmal etwas zu früh den Weg auf Brandt suchten.
Nachdem die Umtriebe der Borussen zum mittleren Teil des ersten Durchgangs zunehmend häufiger versandeten, zog die Wirksamkeit in der letzten Phase vor dem Pausenpfiff nochmals an. Nun versuchten es Favres Mannen klarer, mit dem jeweiligen offensiven Außenspieler durch Einrückbewegungen in den ballfernen Halbraum zu gelangen. Auch dadurch ließen sich die Räume neben bzw. diagonal hinter dem ballfernen gegnerischen Achter – bei weitem Verschieben zum Ball – besetzen: Eventuell wollte der gegnerische Halbverteidiger dagegen nicht verfolgen oder es gelang ihm gegen die Explosivität der Auftaktbewegungen von Sancho und Reyna nicht. Aus dem Aufbau fanden die Mitspieler für diese Aktionen wieder ein besseres Timing in der Vorbereitung.
Fazit
Insgesamt spricht aus dieser Perspektive gerade eine solche Qualität der Dortmunder Ansätze erst recht auch für die Leistung der Schalker Arbeit gegen den Ball – insofern, dass diese verhältnismäßig gut dagegen hielt. Gleichzeitig steht der Sieg der Gastgeber in der Schlussbetrachtung wiederum als verdienter Lohn für die Menge ihrer offensiven Aktivitäten und insbesondere die Aktionsdichte. Nicht alles davon wird man beim BVB im Vorhinein exakt so entworfen haben.
Vor allem wird daran deutlich, welch enormes spielerisches – vor allem gruppentaktisches – Rüstzeug sich die Dortmunder Mannschaft über die Zeit erarbeitet hat. Nicht zuletzt war das vorentscheidende 2:0 durch Haaland gut herausgespielt – wenn auch unter Mithilfe der in dieser Szene konfusen und auch sonst nicht immer ganz sauber organisierten Schalker Fünferkette, die Herausrückbewegung im Zentrum zu vergessen – und in der Art der Umsetzung exemplarisch für den mannschaftlichen Ansatz des Teams. Dass dieser Treffer so schnell nach dem 1:0 fiel, nahm die Gäste weitgehend aus der Verlosung und stellte die Auseinandersetzung damit gewissermaßen frühzeitig kalt.
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