Bayerische Komplettheit überwindet flexible Leverkusener

2:4

Leverkusen hält gegen die momentan starken Münchener gut mit und ärgert sie in einigen aggressiven Pressingszenen. Trotzdem setzen sich die Gäste durch und machen diesmal ihre Tore über Konter und Flugbälle.

Für das Spitzenspiel gegen den Tabellenführer aus München setzte Leverkusens Trainer Peter Bosz auf ein 3-4-3/5-2-3, also eine Formation ähnlich der Ausrichtung der Dortmunder Borussia. In dieser Grundordnung hatte der BVB zuletzt den Bayern ein hochklassiges Duell geliefert und sich phasenweise auch mit spielstarken Stafetten aus deren Pressing befreien können. Bei Bosz deutete seine personelle Besetzung der Formation an, dass es ihm darum ging, sich in eigenen Ballbesitzmomenten gegen die intensive Ausrichtung des Gegners möglichst offensiv und dynamisch, etwa über weiträumige Verlagerungen auf die schnellen Spieler, nach vorne zu lösen: Als nominelle Flügelläufer starteten Amiri auf rechts und Bailey auf links.

Die beiden sorgten nicht nur für Breite in der Vorwärtsbewegung und potentiell für Geschwindigkeit nach hinten gegen Gnabry und Coman, sondern unterstützten auch in zentrale Bereiche hinein. Gerade für Mittelfeldallrounder Amiri war das bekanntes Terrain. Beim Kampf um zweite Bälle und auch sonst im Verlauf längerer Umschaltmomente verteidigten die Flügelläufer von Bayer häufig mit nach innen. Das war auch deshalb hilfreich, weil die Sechser im Gegenpressing sehr weiträumig agierten. Auch als Kollektiv setzte Leverkusen gut und aggressiv nach, schob weit heraus und konnte die Münchener regelmäßig in kompakte gruppentaktische Duelle verwickeln.

Grundformationen in der ersten Halbzeit

Innerhalb dieser Gemengelage hoben sich die vorwärtsgerichteten Verhaltensmuster der Sechser besonders heraus. In einigen schwierigen Situationen suchten sie sogar überambitioniert einen vertikalen Weg zum Ball suchten und wurden dadurch vereinzelt in gefährliche Konter hinein überspielt. Zur Abwehr hin konnten dadurch größere Abstände entstehen, zumal wenn die Flügelläufer weit aufrückten. Bei eigenem Ballbesitz übernahm auf der Sechserposition zumeist Aránguiz vor Baumgartlinger die offensiven Freilaufbewegungen: Er pendelte großräumig durch das Mittelfeld und konnte sich einige Male direkt hinter den Münchener Zentrumsakteuren frei stehlen.

Leverkusens Übergang nach vorne: Ambivalente Folgen

Einerseits drohten seine hoch ausgerichteten Läufe die ersten Verbindungen nach vorne zu schwächen, wenn er bereits sehr früh weit vorne agierte. Andererseits gelang es ihm gelegentlich, die Münchener Sechser tiefer zu beschäftigen. Leverkusen hatte in diesem Zusammenhang einige Ansätze über vertikale Bewegungen aus der ersten Aufbaulinie heraus, aus der sich etwa Bender manchmal ins Mittelfeld löste. Gegenüber dieser Flexibilität in der Vertikalen reichten aber kleinere Unsauberkeiten in den horizontalen Staffelungen dafür, dass Bayerns Offensivspieler mit geschickten Bewegungen noch anpassungsfähig genug durch die Räume pendelten, um die Gastgeber ballseitig nach außen zu drängen und dort eine dynamische Vorbereitung eines etwaigen Freilaufens hinter die erste Pressinglinie zu erschweren.

In den ersten Aufbaumomenten bewegten sich auch die drei Angriffsakteure bereits recht hoch, so dass die Wege zu ihnen ebenfalls weiter wurden. Zudem entwickelten sie im Freilaufen nicht so viel Aktivität wie beispielsweise Aránguiz. Somit gestalteten sich insgesamt die Eröffnungen nach vorne wechselhaft. Zumindest an dieser Stelle könnte man konkret festmachen, inwieweit der angeschlagene Havertz den Gastgebern abging: Seine zurückfallenden Bewegungen und eventuell früheres Ballfordern hätte weitere Präsenz in die Reihen des Zentrums bringen können. Hinzu kam eine zweite „Doppelseite“ der Medaille im Leverkusener Übergangsspiel: Einerseits sorgten die hohen Bewegungen von Aránguiz dafür, dass bei eventuellen tieferen Ballverlusten die Mitte etwas offener stand. Anders als in späteren Angriffsphasen kam Leverkusen in solchen Fällen nicht so gut ins Gegenpressing und die vier vorderen Akteure der Bayern folglich dazu, direkt die Fünferkette zu attackieren.

Das taten sie auch mit sauberen Laufwegen und gelangten bereits in der schwierigen Anfangsphase oft zumindest zur Grundlinie. Andererseits entstanden damit vermehrt Szenen, in denen der Gast schnell allein über die Offensivabteilung die Tiefe bespielte. Indirekt stieg so gleichzeitig der Anteil an Spielphasen, in denen auch die Münchener unterdurchschnittlich gut in ihr eigentlich sehr starkes Gegenpressing kamen, weil die Sechser schlicht nicht sofort so großräumig anschließen konnten. Gerade im ersten Teil des ersten Durchgangs gestaltete sich die Partie häufig noch als ein Hin und Her.

Eingerückter Diaby und Unruhe in der Abwehrkette

Um im Zentrum zusätzliche Präsenz aufbauen zu können, schien das Team von Bosz einer Asymmetrie zu folgen, die sich bei eigenem Ballbesitz ergab: Bailey rückte weiter vor als Amiri und agierte nahe an der Höhe von Bellarabi. Diaby orientierte sich dafür in den linken Halbraum, also als Ergänzung zu den weiten Vorstößen von Aránguiz ins offensive Mittelfeld. Dies bedeutete für den sprintstarken Franzosen eine engere Startposition für direkte vertikale Übergänge: Wenn Pavard nach weiten Verlagerungen auf Bailey herausrücken musste, konnte sich Diaby aus dem Halbraum aus diagonal nach vorne lösen, wenn er die Schnittstelle zu Boateng attackieren wollte.

Der Münchener Rechtsverteidiger musste das Übergeben schon zu einem früheren Zeitpunkt organisieren und teilweise wurde auch der Einsatz des Deckungsschattens in der Vorbereitung aufwendiger. Überhaupt bedeutete es für die Viererkette der Gäste eine besondere Herausforderung, die Außenverteidiger nach vorne rücken zu lassen gegen einen Gegner, bei dem sämtliche Angreifer sich stark auf Tiefenläufe fokussieren können und bei dem gleichzeitig aus einer ohnehin breiten 3-4-3-Grundordnung mit Bailey der eine Flügelspieler oft hoch anschloss.

Während solcher Bewegungen konnten Probleme mit dem Übergeben im Zentrum entstehen: Der ballferne Innenverteidiger musste viel Risiko gehen und der ballferne Kollege den horizontal lauernden Alario dafür situativ weiter mannorientiert verfolgen als gewohnt, fast bis zur Breite des anderen Halbraums. Zwischendurch gab es bei den Bayern dagegen veränderte Staffelungen, indem Kimmich tiefer mit in der letzten Linie verteidigte. Es blieb aber nicht aus, dass es in vereinzelten Szenen zu Unruhe bei der Organisation innerhalb der Kette kam.

Auch beim Führungstreffer der Gastgeber spielten die Abstände zwischen den Verteidigern eine Rolle, wenn auch in diesem Fall stattdessen jene zwischen den beiden zentralen Akteuren. Keineswegs zufällig ging die Szene von der linken Leverkusener Angriffsseite aus, auf der sich durch die Rollen von Diaby und Bailey ein kleiner Schwerpunkt bei den Gastgebern ergab. Potentiell hatte es aus Münchener Sicht auch seine Vorteile, die Außenverteidiger weit herausrücken zu lassen, abgesehen von der Qualität der etwaigen Balleroberungen an der Seite. Vor allem mussten die Flügelstürmer ihre Rückwärtswege zumindest nicht so früh beginnen.

Gewannen die Münchener in den entsprechenden Szenen tatsächlich (vor dem weiteren Rückzug des Kollektivs) das Leder, hatten Coman bzw. Gnabry noch eine höhere Grundposition für den folgenden Umschaltmoment. Ersterer profitierte bei seinem Treffer zum 1:1 genau davon und startete zwischen Halb- und Flügelverteidiger in den Rücken der Restverteidigung durch. Die tragische Figur in der Entstehung des Konters war ausgerechnet Diaby, der aus seiner eingerückten Position bei einer Halbraumverlagerung nicht optimal aufdrehte und das Leder gegen eine überragende Herausrückbewegung Goretzkas verlor.

Aus Mannorientierungen in Überzahlen rücken

Wenn Kimmich sich zum Aufbau zwischen die Innenverteidiger zurückfallen ließ und eine Dreierkette bildete, konnte Leverkusen dagegen auf die numerische Gleichzahl zurückgreifen: Alario nahm den Münchener Sechser in der Mitte auf, seine beiden Mitspieler aus der Sturmreihe liefen die Innenverteidiger diagonal von außen an. Sollte der Deckungsschatten von Bellarabi oder Diaby, beispielsweise durch einen Flugball, überspielt werden, ging der jeweilige Flügelläufer auf den angespielten Münchener Außenverteidiger ins Pressing: Leverkusen verschob entsprechend mit pendelnder Viererkette herüber, machte dort den Raum eng und versuchte in den umliegenden Zonen gegen die Anschlussaktionen mannorientiert in die Balleroberung zu gelangen.

Für die Ausgangspositionen stützten sich Bosz´ Mannen generell auf viele direkte Zuordnungen. Das insgesamt entscheidende Element für ihre Defensivarbeit war aber, wie sie aus diesen heraus lokal Überzahlen herstellen. Auch in noch recht tiefen Münchener Ballbesitzmomenten beispielsweise an der Seite bei einem der Außenverteidiger konnte es vorkommen, dass Bender eine unterstützende Zurückfallbewegung Lewandowskis zum Ball komplett mit verfolgte. Bei kurzen Ablagen oder Rückpässen agierten die Gastgeber aber sehr gut und lösten in diesen Momenten ihre Mannorientierungen häufig auf: Sie nahmen solche Zuspiele als Signal, um geschlossen auf den Passempfänger durchzulaufen.

Solange sich solche Möglichkeiten zum Zugriff nicht in klarer Form boten, blieb das Team in den Mannorientierungen. Gelegentlich versuchte Bayern mit dem tiefen Zurückfallen des zweiten Sechsers im Aufbau weitere Präsenz bzw. Überzahl herzustellen. Daraufhin ließ Leverkusen häufig Aránguiz zusätzlich zu den drei Angreifern nach vorne schieben und übergab bei kleineren gegnerischen Rochaden zwischen diesen Spielern sogar erst spät, wenn sich bis dahin noch kein Moment zum geschlossenen Attackieren ergeben hatte. Nur in diesen besonderen Fällen konnte sich etwa Kimmich durch gute Bewegungen vereinzelt mal freischwimmen. Grundsätzlich entwickelten die Gastgeber einen sauberen und dynamischen Pressingübergang, der meistens abgestimmt funktionierte, sobald er angewandt wurde.

Das störte den Münchener Spielfluss phasenweise erheblich, so dass die Gäste keine stabile Dominanz aufbauen konnten, auch wenn sie insgesamt häufig nach vorne kamen und selbst in den frühen Phasen der Partie bereits viele Abschlüsse sammelten. Zwischenzeitlich spielte Bender im zweiten Teil der ersten Halbzeit auch länger vor der Abwehr als zusätzlicher Mittelfeldmann, womöglich um dem gegnerischen Zehnerraum mehr Präsenz entgegen zu stellen. Währenddessen hatten die Münchener begonnen, die Flügelstürmer häufiger in die offensiven Halbräume zu ziehen, wo insbesondere Coman gegen manch riskante Leverkusener Herausrückbewegung einige anspruchsvolle Bälle sicherte.

Bayern mit weiten Diagonalbällen hinter die Abwehr

Schon zuvor hatten die Bayern auch über breitere Positionen grundsätzlich ihre Aufrückmomente gegen die Fünferkette kreieren können, gegen die sich die Gastgeber mit guter Rückzugsbewegung – speziell mit oftmals tiefem Anschluss Alarios – flach wieder vor dem Sechzehner staffelten. Später musste sich die letzte Linie bei Bayer dann aber enger zusammenziehen. So kamen die Münchener über ähnliche Vorbereitungen quantitativ noch häufiger nach vorne und nun dazu, sich gelegentlich dort sogar festzusetzen. Gnabry und Coman suchten auch aus den Engstellen weiterhin die Wege hinter die gegnerischen Halbverteidiger.

Grundsätzlich schien ihr Team diese Räume vor allem auf eine andere Weise anvisieren zu wollen: Über die gesamte erste Hälfte hinweg gab es bei den Mannen von Hansi Flick einen großen Anteil an weiten Diagonal- und sonstigen Flugbällen im Aufbau. Gegen eine Flügelläuferbesetzung aus Amiri und Bailey mag das prinzipiell eine Variante sein. Zudem orientierten sich die Leverkusener Halbverteidiger manchmal hinter ihren Sechsern schon antizipativ weit zum Zwischenlinienraum nach vorne. Regelmäßig wurden die weiten Zuspiele der Bayern in oder kurz hinter die letzte Leverkusener Linie geschlagen, fast schon in zu vielen Situationen. Nicht nur die Flügelstürmer starteten von außen nach innen hinter die Kette, auch Müller und Lewandowski lauerten aus zentraler Startposition.

Der polnische Torjäger hatte zuletzt beispielsweise gegen Union Berlin unterstrichen, wie gut er sich innerhalb der vordersten Reihe absetzt, um sich kleine Vorteile zu verschaffen. Zunächst machten sich diese Versuche der Gäste nicht entscheidend bezahlt, da sie aus der Ballzirkulation nicht immer kontrolliert genug vorbereitet werden konnten. Aber sobald die Intensität der Leverkusener gegen den Ball leicht nachließ und diese sich tiefer bewegten, kamen die weiten Zuspiele zum Ende des ersten Durchgangs hin besser zum Tragen. Das 1:3 durch Gnabry nach dem langen Pass von Kimmich setzte den Schlusspunkt auf die Halbzeit.

Zweite Halbzeit

Grundformationen zu Beginn der zweiten Halbzeit

Nach diesen Entwicklungen begann Bosz die zweiten 45 Minuten nicht nur mit einer dreifachen Auswechslung, sondern auch einer Veränderung der Grundformation. Im 4-2-3-1 setzte er fortan auf eine Viererkette und damit ein anderes Kettenverhalten, stellte dafür sogar Dragovic auf die Rechtsverteidigerposition. Weiterhin brachte Leverkusen eine sehenswerte Intensität auf den Platz, setzte im Gegenpressing gut und dynamisch nach, hatte zwischendurch gelungene spielerische Aktionen. Dementsprechend hielten sie die Partie nach dem Seitenwechsel zunächst über eine längere Phase recht ausgeglichen, ohne dass sich während dieser Zeit in einem der beiden Strafräume viel getan hätte.

Über enge Staffelungen des 4-2-3-1 gegen den Ball entstanden einzelne gute Momente für die Werks-Elf. Im Aufbau agierte sie ambitioniert: Die Sechser boten sich oft kurz diagonal im Halbraum an und bemühten sich darum, die Szenen nach innen zu lösen. Gerade im Zusammenspiel mit Tapsoba halblinks entstanden häufiger Versuche, die Münchener kleinräumig anzulocken, um mit kurzen gruppentaktischen Stafetten aus tiefen Positionen Dynamik nach vorne zu kreieren. Das war speziell bei höheren Positionen von Müller der Fall, wenn die Münchener mit vier Akteuren vorne ins Pressing gingen und die ersten beiden Aufbaureihen des Leverkusener 4-2-3-1 in diesen aggressiven Phasen sehr mannorientiert zu stellen versuchten.

Daneben wechselten die Gäste ihren Ansatz zwischenzeitlich regelmäßig. So gab es eine achterähnliche Einbindung von Müller, wie sie ansonsten zudem manches Mal in der ersten Rückzugsbewegung bei Verlagerungen auf den Flügel entstand. Hielt sich der Münchener Offensivmann also dementsprechend tiefer vor dem rechten Halbraum, ging es für Gnabry und Coman von den offensiven Außenpositionen stärker darum, die diagonalen Wege nach innen mit zu verteidigen. Insgesamt setzten Flicks Mannen die verschiedenen Defensivbewegungen über weite Strecken ausgewogen und engagiert um.

Die Gesamtsituation in dieser Phase der Begegnung bedeutete eine grundsätzliche Stabilisierung für die Leverkusener, die trotz verschiedener kleiner Ansätze gegen einen kaum nachlassenden Gegner letztlich wenig Druck entfachten und keine nachhaltigen Anzeichen einer möglichen Trendwende der Verhältnisse anbahnen konnten. Zumindest blieben so für Bosz die Voraussetzungen bestehen, auf die Schlussphase setzen zu können und dafür noch zwei Wechselmöglichkeiten in der Hinterhand zu haben. Doch Lewandowskis Treffer zum 1:4, zu einem günstigen Zeitpunkt, veränderte die Vorzeichen und entschied die Begegnung.

Fazit

Leverkusen hielt gegen den starken Tabellenführer über weite Strecken ordentlich mit. Das Team von Peter Bosz hatte seine gelungenen Momente, speziell in der Überzahlbildung und in dynamischen Anschlussaktionen nach kleinen Überladungen. Letztlich reichte die gute, intensive und flexible Leistung aber in einem vielschichtigen Spiel nicht für Zählbares. Unter anderem spielten die Schwierigkeiten in den vertikalen Abständen durch das Mittelfeld eine Rolle, die im Kontext des Umschaltens hinter den ambitionierten Sechserbewegungen einige Male etwas zu groß wurden und zu gefährlichen Kontern führten. Der dritte Gegentreffer fiel zudem gegen ein 5-2-3 grundsätzlich zu simpel, aus schwacher Umsetzung des Verhaltens in der Kette. Eine Vielzahl verschiedener Faktoren trug letztlich dazu bei, dass sich die Komplettheit des Teams von Hansi Flick über 90 Minuten durchsetzte, diesmal mitentscheidend unter anderem über weite Bälle in die Spitze.

Daniel 8. Juni 2020 um 19:05

Sehr beeindruckend ist seit dem Neustart die Entwicklung und Einbindung von Leon Goretzka zu beobachten. Davor war er immer ein Hemmnis in Bayerns Ballzirkulation, lief sich nicht gut frei und war für den Gegner leicht mit dem Deckungsschatten aus dem Spiel zu nehmen. Sein Aufrücken war oft voreilig und überhastet und er ließ hinter sich zu viel Raum, den sein Partner absichern und bespielen musste. In diesen Bereichen hat er in den letzten Spielen einen großen Schritt nach vorn gemacht, so dass erstmals in seiner Münchner Zeit ein Mittelfeld mit Goretzka richtig gut funktioniert. Er wird schon aus physiognomischen Gründen nie die Handlungsschnelligkeit von Kimmich oder Thiago bekommen und das Auflösen komplizierter Situationen lag natürlich weiterhin in Kimmichs Aufgabenbereich, aber Goretzka unterstützt ihn viel besser, indem er ballnah eine leichte Anspielstation anbietet und nicht überhastet seine Position verlässt.

Leverkusens Fünferkette in der ersten Halbzeit fand ich wenig überzeugend, da haben die Abstände und das Zusammenspiel nicht gepasst. Das erste und das dritte Tor der Bayern sollte so simpel nicht fallen, in beiden Fällen schalten gerade die äußeren Ketten zu langsam um. Die tragischen Figuren von Comans Ausgleich sind denk ich eher Dragovic (steht viel zu hoch und antizipiert zu spät) und Amiri (steht auch falsch und ist einfach zu langsam für einen Flügelverteidiger) als Diaby. Beim dritten Tor spiegelverkehrt, aber ähnlich.

@TR
Coman hat zwar links begonnen, aber schon nach ein paar Minuten wurde umgestellt und Gnabry und Coman haben die Seiten gewechselt. In der zweiten Halbzeit war meiner Erinnerung nach eher Coman links und Gnabry rechts, auch wenn immer wieder mal gewechselt wurde. Das dürfte auch sinnvoll sein, Coman ist links schon wesentlich stärker als rechts, da er mehr Optionen hat. Gnabry kommt rechts besser zurück, weil er eine vielseitigere Spielweise hat und weniger als Coman vom Dribbling lebt.

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Studdi 9. Juni 2020 um 09:50

Mir gefällt Coman am besten wenn er breite gibt und dort 1 gegen 1 gehen kann. So wie man es unter Guardiola gespielt hatte. Deshalb gefällt mir persönlich eigentlich die Aufteilung mit Coman rechts und Gnabry links besser.
So kann man dann Coman rechts breit spielen lassen Müller im Halbraum und links Gnabry im Halbraum und Davies breit. So würde es mir persönlich eigentlich am besten gefallen. Pavard kann dann eher tiefer im Aufbau helfen. Aber Flick kann man zur zeit nicht kritisieren das passt momentan schon alles recht gut 😀

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tobit 9. Juni 2020 um 14:25

Prinzipiell stimme ich dir da zu, ich finde aber das Wechselspiel zwischen Müller und Gnabry auf rechts auch immer sehr interessant. Die zwei verstehen sich da sehr gut und erzeugen daraus immer wieder gefährliche Übergabe-Momente. Außerdem fällt Lewy ja auch gerne Mal halblinks zurück, den Raum würde ich daher eher Mal etwas freiziehen (z.B. durch doppelte Flügelbesetzung Coman/Davies) anstatt ihn konstant zu besetzen.

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Lacan 9. Juni 2020 um 14:39

Es ist tatsächlich beeindruckend wie schnell Goretzka sich in „das System eingefügt hatte. Ob es allerdings vornehmlich physiognomische Gründe hat, die Ihn daran hindern, dass er Kimmich- oder Thiagos Fähigkeiten erreicht, wage ich zu bezweifeln. Als er noch weniger Muskeln hatte und schlaksiger war, hat er deswegen auch nicht wie der oft ebenfalls schlaksig wirkende Busquets gespielt. Dass Thiago in La Masia gespielt und Kimmich bei Guardiola ist hier als Grund denke ich ausschlaggebender. Davon auszugehen ist, dass Gorezka sich bezüglich dieser Geschicklichkeiten – sich in Räumen zu bewegen, den Ball entsprechend der Situation anzunehmen etc.- noch verbessern wird.

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Daniel 10. Juni 2020 um 23:55

@Lacan
Goretzka und Busquets mögen beide schlacksig sein, aber sonst haben sie find ich wenig gemeinsam. Busquets ist viel kleinräumiger, trotz seiner Größe sehr wendig und baut kleine Schnörkel und Tempowechsel ein. Goretzka ist in großen Räumen viel dynamischer und wuchtiger, auch als er noch weniger Masse hatte. Ich glaub nicht, dass das nur eine Sache der Ausbildung ist, vmtl wird es eine Mischung aus beidem sein.

Unter Flick gibt es ja keinen alleinigen Breitengeber mehr wie teilweise unter Guardiola, als die Außenverteidiger ins Zentrum eingerückt sind und nur die offensiven Außenspieler auf dem Flügel verblieben sind (das würde mit Davies auch nicht gehen). Und im Zusammenspiel ist er rechts doch deutlich limitierter wie ich finde.

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Lacan 11. Juni 2020 um 10:26

An diesem Punkt der Diskussion taucht meiner Ansicht nach immer eine Kernfrage des Spiels auf, die man vereinfachend auf den Punkt bringen könnte, ob jemand ein Guardiola- oder ein Kloppspieler ist, wobei die Bandbreite bei Klopp Sicher größer sein dürfte. Ein „Thiago oder nix“ gäbe es wohl bei Klopp so nicht.
Guardiola hat seine Art Fußball einmal auf die Weise abgegrenzt, dass sein Fußball vorne enge Räume bespielt. Andere versuchten in Situationen zu kommen, in den vorne große Räume bespielt werden können. Flick (und Löw) versucht meiner Ansicht nach diese beiden Ansätzen zusammenzuführen. Und da steht Thiago für das eine und Goretzka für das andere.

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Daniel 11. Juni 2020 um 17:23

Grundsätzlich nicht falsch, aber wie jedes Modell ist auch dieses eine Idealisierung bzw Vereinfachung der Realität und deshalb fehleranfällig. Beide Trainer haben schon extrem erfolgreich mit Spielern gearbeitet, die man eher dem anderen Trainertyp zugeordnet hätte. Shinji Kagawa und Mario Götze sind zwei sehr engräumige Spielertypen, hatten aber bei Klopp ihre mit Abstand beste Zeit. Umgekehrt hat Guardiola Spieler wie Vidal oder Müller perfekt in sein System integriert, obwohl man beide mit Sicherheit nicht als Guardiolaspieler kategorisieren kann. Gündogan hat unter beiden Trainern sehr gut funktioniert. Wahrscheinlich wäre Guardiola in München noch erfolgreicher gewesen, wenn er mit passenderen Spielern hätte arbeiten können, aber es gibt halt momentan auch einfach nicht so gute „Guardiola-Spieler“ wie das Busquets, Xavi, Iniesta und Messi auf dem Zenit ihres Könnens waren.
In meinen Augen sind auch Klopp und Guardiola nicht die Antipoden, als die sie oft bezeichnet werden. Gegen den Ball sind ihre Systeme gar nicht so anders, beide vertrauen auf hohes, intensives und systematisches Pressen mit dem Ziel, möglichst hoch den Ball zu gewinnen. Bei eigenem Ballverlust wird unverzüglich nachgesetzt um dem Gegner keine ruhige Ballkontrolle zu ermöglichen. Dadurch provozieren beide Systeme enge, chaotische Situationen, weswegen auch Klopp kleinräumige Nadelspieler sehr gut einzubinden weiß. Nur im Spielaufbau unterscheiden sich beide Systeme stark (aber auch nicht mehr so stark wie vor ein paar Jahren). Bspw Mourinho oder Kovac sind ein deutlich größerer Widerspruch zu Guardiola als Klopp.

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Lacan 12. Juni 2020 um 10:17

Danke für deine detaillierte Kritik. Das gibt mir hoffentlich die Möglichkeit meine „vereinfachende“ (idealisierend?) These (Model?) zu erläutern, indem ich Versuche Punkt für Punkt auf deine Einwände einzugehen. Ich sehe Götze nicht als Guardiola Spieler. Hier in der Spielverlagerung glaube ich stand mal, dass das was Götze zum Spiel beiträgt, bei Guardiola schon das Spielsystem erledigt. Zu Klopp passt er, denke ich, weil er den „ Spielmacher“ Gegenpressing sozusagen verstärkt. Zu Kagawa muss ich ehrlich gesagt passen. Den habe ich mir nie so genau angeschaut. Dass man denkt, Müller würde nicht zu Guardiola passen können, liegt daran dass man Müller tatsächlich Immer noch unterschätzt. Und zwar in der Hinsicht, dass Müller sein „Raumdeuten“ tatsächlich in jedes System einbringen kann. Bei Flick spielt er es wieder ein bisschen anders. Und man sieht hier auch wieder deutlich, dass er Spielmacherqualitäten hat. Auch Vidal ist ein Spieler der sich taktisch immer sehr gut verhält. Das sieht man jetzt auch bei Barcelona. der „Krieger“ ist nicht nur ein „Krieger“ sowie Müller nicht nur unorthodox ist und Davies (mittlerweile würde ich flott behaupten, dass der alles spielen kann) nicht nur schnell.
Zum Punkt Antipoden und pressen: bei Klopp: Ballgewinn, Unordnung des Gegners nutzen und ab gehts Richtung Tor. Bei Guardiola: Ballgewinn und weiter Ballbesitz. Zur Art des Pressens: Klopp lässt die gegnerischen Spieler nicht direkt wie bei Manndeckung zustellen, er lässt auch nicht nur den Raum decken. Durch einen gewissen Abstand zur möglichen Anspielstation soll eine Situation hergestellt werden in der die „Gepressten“ nicht genau wissen, ob sie den Mitspieler anspielen können oder nicht. Die Folge sind Stress wegen der unklaren Situation. Die Folge: Abspielfehler. Das hat Klopp übrigens alles selbst zu seinen Anfangszeiten einmal ausführlich erklärt. Guardiola will durch abdecken der Räume ein Zuspielmöglichkeit verhindern (berühmte Ausnahme ist die Anfangsphase beim 0:3 gegen Barcelona im Camp Nou). Blümelig würde ich sagen: er will dem Gegner die Luft zum Atmen nehmen.
Bezüglich Mourinho bin ich bei dir. Bei Kovac muss ich sagen, dass ich nicht immer verstanden habe was der eigentlich will.
Ich hoffe , ich konnte mich einigermaßen verständlich machen.
P.S.: es gibt wie ich finde einen guten aktuellen Artikel von Montazeri im Spiegel bezüglich Goretzka und auch Thiago. https://www.spiegel.de/sport/fussball/leon-goretzka-vom-fc-bayern-muenchen-ist-er-der-neue-chef-a-009b43ff-4ad4-4350-8ee4-a9120aa778a8

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tobit 13. Juni 2020 um 14:44

Götze hat viele Aspekte in seinem Spiel, die Guardiola nicht unbedingt benötigt. Aber er ist grundsätzlich ein genialer Spieler für Pep, weil er aus diesen Aspekten heraus nützliche Aktionen kreieren kann. Pep braucht vielleicht keinen situativen Strukturverbesserer – aber Strukturen verstehende, technisch brilliante und tororientierte Mittelfeldspieler braucht er. Wenn man dann noch positionell so flexibel ist wie es Götze mit der richtigen Umgebung sein kann, dann wird Pep versuchen einen einzubinden.
Kagawa ist definitiv ein Klopp-Spieler. Geniales Gegenpressing, brilliante Laufwege als Ablagensammler und in Abschlusspositionen, absolut einzigartige Deckungsschattennutzung im Pressing, explosiver Antritt mit und ohne Ball. Klopp-Spieler sind eben nicht reine Lauf- und Kampfmaschinen. Die braucht es auch, aber das war (anders als bei Roger Schmidt manchmal) nie der eigentliche Fokus.
Müller kann zu Guardiola passen. Aber eben nur wenn Guardiola bereit ist, ihm die entscheidenden Elemente seines Spiels zuzugestehen. Und diese Momente sind bei Müller finde ich viel passender zu Klopp als zu Pep, denn sie basieren auf unheimlich riskanten Entscheidungen und auch außerhalb des letzten Drittels chaotischen, unplanbaren Bewegungen. Aus dem Fokus auf seine maximalistischen Ein-Kontakt-Aktionen kommt dann auch oft der Eindruck, dass Müller technische Schwächen hätte. Sicherlich ist er in der Ballführung (gerade über mehrere Kontakte in engen Räumen) nicht so sauber wie andere Weltklassespieler, aber er versucht meistens einfach schwierigere Dinge, weil das die maximal erfolgversprechenden sind.

Bezüglich Antipoden:
Ich bin absolut davon überzeugt, dass auch bei Klopp im perfekten Spiel der Gegner nicht ein einziges Mal ernsthaft an den Ball kommt. Nur weiß Klopp auch, dass es das perfekte, maximal-dominante Spiel niemals geben wird, dass seine Spieler (und er selbst) immer Fehler machen werden. Also kalkuliert er diese Fehler ein und bastelt Methoden um ihre Auswirkungen zu minimieren. Pep agiert da „philosophischer“. Er versucht eher die Fehler im Vorhinein vermeiden zu lassen und sucht mehr nach der Annäherung an das perfekte Spiel. Für den Fall des Fehlers hat er dann recht ähnliche Methoden wie Klopp, könnte die aber mit seinen Teams nicht so dauerhaft anwenden wie Klopp, da sie im Training und der Spielerauswahl nicht so fokussiert werden.
Diese zwei Herangehensweisen ergeben sich für mich sehr logisch aus ihrer jeweiligen Fussballsozialisation. Pep hat auf höchstem Niveau gespielt, simple Fehler waren selten und ließen sich im Training gut wegarbeiten. Klopp war unterklassig unterwegs, wo sich dieselben Fehler eben nicht abstellen ließen und viel mehr verschieden Fehler gemacht wurden. Diese Erfahrungen setzten sich dann bei den ersten Trainerstationen (Talente eines Topteams bzw. die Teamkollegen von letzter Woche) fort. Für die DND-Nerds: Klopps Strategie ist eher Dispel Magic, Peps eher Counterspell. Ist natürlich jetzt auch wieder sehr vereinfacht.
Grundsätzlich existiert für mich die Lineare Skala mit Klopp und Pep an den Enden (die ja gerade in ihrer kurzen gemeinsamen Bundesligazeit medial sehr gerne bemüht wurde) einfach nicht, weil auf ihr die Mehrheit der Trainer keinen Platz finden. Es ist mindestens eine Ebene mit Pep, Klopp, Mourinho und Favre jeweils in der Nähe einer Ecke.

Der Goretzka-Artikel ist sehr interessant, danke dafür.
An einer Stelle würde ich ihm aber klar widersprechen: Aktuell ist für mich Goretzka der Sechser bei Bayern. Er ist natürlich nicht der Aufbauspieler, aber er hält sich viel klarer in tiefen Räumen auf als Kimmich und sichert dessen Bewegungen ab. Gerade im Pressing wird das für mich deutlich, da da immer Kimmich den weiträumig herausrückenden, jagenden Part der Doppelsechs übernimmt während sich Goretzka vor der 4er-Kette aufhält. Im tiefen Verteidigen steht dann wieder Goretzka vor der Kette und Kimmich fällt eher mal nach hinten (oder rückt wieder nach vorne). Spielerisch sind da finde ich viele Parallelen zu Javi unter Jupp, der das neben James auch so gemacht hat während er neben Schweini eher ein Achter war (was Goretzka neben Thiago wohl jetzt auch wäre).

Lacan 14. Juni 2020 um 19:08

Götze ist technisch brillant. Ist er ein Strukturenversteher? Ja, falls du „Verstehen“ kognitiv begreifst. Kann er es in der Praxis umsetzen? Habe ich Zweifel. Ich kann mich an viele Situationen erinnern in denen er aus dem vordern Halbfeld mechanisch wirkend mit gesenktem Kopf auf die Abwehrkette zugelaufen ist, um sie (wie aufgetragen) nach hinten zu drängen, bzw. beschäftigen. Er hat dabei körpersprachentechnisch Irgendwie signalisiert, dass das so zum Plan gehört. Gefährlichkeit hat er dabei keine ausgestrahlt.
Was du zu Müller schreibst, find ich supi, möchte aber hinzufügen, dass Guardiola ihm viel zugestanden aber Müller trotzdem auch das Guardiolasystem „praktisch“ verstanden haben muss. Ansonsten hätte er ja nicht so gut „mitgespielt“. Insofern haben beide viel zugestanden.
Müller passt zu Klopp? Ja. Frage: zu wem würde er nicht passen?
Antipoden: das mit dem philosophisch ist gut: sozusagen die Bedingungen der Möglichkeit für fehlerfreies Spiel trainieren.
Ist der Umstand, dass Goretzka hinter Kimmich im Aufbau spielt auch der Tatsache geschuldet, er sich in Kimmichs Räumen nicht so gut bewegen kann?
Was ist ein DND Nerd?

Koom 15. Juni 2020 um 12:32

> Für die DND-Nerds: Klopps Strategie ist eher Dispel Magic, Peps eher Counterspell. Ist natürlich jetzt auch wieder sehr vereinfacht.

Vorweg mal für die Nicht-DND-Kenner:
Counterspell und Dispel Magic sind Zauber im Rollenspiel Dungeons & Dragons (5. Edition vermutlich). „Dispel Magic“ verwendet man, um einen Zauber zu entfernen, der bereits aktiv ist und gesprochen wurde (bspw. wenn der Gegner einen Nebel herbeigezaubert hat, um was zu verdecken – dann tut er das, bis er mit Dispel Magic zerstört wird). „Counterspell“ unterbricht einen Zauber, während er gewirkt wird. Also wenn der Gegner jetzt gerade den Nebel herbeizaubert, dann kann man mit Counterspell dies verhindern, bevor der Nebel da ist.

Bei Guardiola und Klopp bin ich mir aber nicht sicher, was tobit damit meint. Ist vermutlich auch eine Frage der Perspektive.

Ich hätte Counterspell eher Klopp zugesprochen, da er weniger auf einen Gegner sich anpasst, aber die Vorgehensweise so reaktiv und robust ist, dass sie den Plan des Gegners zerstören kann. Guardiola hingegen plant von vorneherein gerne eine „Dispellisierung“ des Gegners und passt gegebenfalls im Spiel noch mal darauf an (er wirkt erneut Dispel Magic), um den gegnerischen Zauber zu stoppen.

tobit 17. Juni 2020 um 16:53

@Koom:
Ich habe den gegnerischen Zauber hier als die Balleroberung gesehen. Da habe ich nur den Endpunkt meines Gedankengangs aufgeschrieben, dann wird es natürlich unverständlich. Die gegnerische Balleroberung kalkuliert Klopp grundsätzlich ein und versucht sie dann durch (Gegen)Pressing zu „dispellen“. Pep versucht eher die Balleroberung als solche schon gar nicht zuzulassen, sondern sie durch sein Spielsystem zu „Counterspellen“. Erst wenn das scheitert, greift er auch auf (Gegen)Pressing zurück.

@Lacan
Die Situationen die du da von Götze beschreibst sind wohl die schlechteste Einbindung die man ihm geben kann. Klar, dass er da nicht gut aussieht. Götze braucht (wie Müller) gewisse Freiheiten und weiß diese dann ebenso zu nutzen. Sein Verstehen von Strukturen konnte man in der letzten Rückrunde sehr gut sehen, da hat er als nomineller Mittelstürmer sehr viele Engenkombinationen am Leben erhalten. Sei es durch direkte Beteiligung oder durch einen cleveren Laufweg. Ein anderes Beispiel war seine Zeit als Zehner in Peps 3-4-1-2 wo er von linksaußen bis in den halbrechten Sechserraum überall unterstützt und die systematischen Löcher der Formation (kein Flügelstürmer vor Bernat, Zwischenräume aus den ausweichenden/abkippenden Bewegungen von Lahm und Alonso) im richtigen Moment besetzt hat.
Müller passt z.B. nicht zu einem Trainer wie Ancelotti und für mich auch eher nicht zu Zidane. Beide sind in der Offensive, gerade im Zentrum (wo Müller seine maximalistischsten Aktionen hat), viel mehr auf Stabilität ausgerichtet und wollen Durchbrüche eher individualistisch aus weniger riskanten Räumen (Flügelzonen) erzeugen. Außerdem sind ihre Gegenpressingstrukturen wesentlich abhängiger von individuell herausragenden Zentrumsspielern wie Modric oder Thiago und können deshalb die „Ballverlustmaschine“ Müller im Zentrum nicht so absichern wie es Klopp oder Pep könn(t)en.
Goretzka spielt so, dass Kimmich das Spiel möglichst frei und dominant gestalten kann. In vielen Momenten bedeutet das bei Bayern eben eine eher absichernde Position, da Kimmich dem Ball ins letzte Drittel folgt. Im Aufbau ist dann aber oft eher Kimmich tiefer, weil er sich den ball bei den IV abholt oder, und Goretzka besetzt den Sechserraum. Dass Goretzka sich hier plötzlich als disziplinierter Raumhalter präsentiert, hat mich sehr überrascht, denn das war bisher egentlich immer eine seiner großen Schwächen. Diese Schwäche hat auch Kimmich ein Stück weit, weshalb ich ihn als reinen Deeplying Playmaker für verschwendet und falsch eingebunden halte (dasselbe gilt übrigens für Kroos).


Paralax 8. Juni 2020 um 12:18

„ Nur in diesen besonderen Fällen konnte sich etwa Kimmich durch gute Bewegungen vereinzelt mal freischwimmen“.
Konnte man bei dieser Konstellation nicht -trotz Goretzkas guter Leistung- hier eine Schwäche Im Bayernaufbauspiel ausmachen. Goretzkas Freilaufverhalten ist hier doch schwächer. Hätte jemand wie Thiago hier nicht mehr geholfen?

Antworten

Studdi 8. Juni 2020 um 10:13

Off-Topic: Weis jemand ob es eine Statistik zur Netto Spielzeit gibt? Ist diese durch weniger diskutieren evtl höher als mit Zuschauern?
Gegen den BVB hatte Kimmich eine neue betmarke an Laufdistanz gesetzt und Darida hat dies gegen den BVB nochmal getoppt, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Glaube nicht das man da vor den Zuschauerlosen spielen unbedingt drauf gewettet hätte ( Fittneszustand nicht optimal, keine Zuschauer die evtl pushen…)

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Koom 8. Juni 2020 um 10:50

Im Kicker wurden vor kurzem ein Schwung Fragen/Prognosen vor dem Neustart überprüft. Netto-Spielzeit war ein Teil davon, ist ziemlich gleich geblieben.

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tobit 8. Juni 2020 um 11:49

Kimmich und Darida waren aber auch vorher schon unfassbar laufstark und diszipliniert. Dass die so aus der Pause kommen, wo quasi nur individuelles Fitnesstraining möglich war, hat mich jetzt nicht wirklich überrascht. Wenn man böse sein wollte, könnte man auch noch ansprechen, dass in der Zeit quasi keine Dopingproben durchgeführt wurden.

Es gab auf jeden Fall schonmal Artikel und Untersuchungen zur Nettospielzeit. Die meisten Spiele lagen da meine ich so bei 55-60 Minuten tatsächlicher Spielzeit. Ich würde Mal spekulieren, dass wir ohne Zuschauer jetzt etwas mehr Nettospielzeit haben, weil weniger gemeckert und geschauspielert wird.

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Koom 8. Juni 2020 um 09:25

Ich würde mich mal sehr für einen tieferen Blick auf Leipzigs diverse Spiele nach dem Neustart sehen. Nichts gegen die Bayern, aber so viel spannende Neuerungen enthalten die ja nicht, wohingegen Leipzig und Nagelsmann schon diverse Dinge macht – und gerade ergebnistechnisch nicht aus dem Quark kommt. Werners neue Rolle dabei würde mich interessieren – und ob die zu ihm passt.

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Daniel 18. Juni 2020 um 23:17

Ich hab Leipzigs Spiel gegen Hoffenheim gesehen, das war tatsächlich sehr interessant. Sie haben eine Mittelfeldraute im 4-4-2 gespielt…eine Systematik, die man in der Bundesliga momentan sehr selten sieht und die ich sehr spannend finde, weil sie extrem viele Möglichkeiten zur Dreieckbildung bietet und sehr flexibel interpretiert werden kann und es auch einige Möglichkeiten gibt, mit den Zehnern und Achtern in den Strafraum zu ziehen. Überzeugend fand ich RBs Auftritt allerdings nicht, das 0:2 spiegelte den Spielverlauf nicht annähernd wieder. Im Rückraum bekamen die Leipziger die Räume neben dem einzigen Sechser ziemlich schlecht verteidigt und hatten öfter ziemliches Glück, offensiv fehlte teilweise die Breite. Ein Unentschieden hätte das Spiel besser wiedergegeben.

Nagelsmann hat momentan nicht überall die idealen Spieler für seine Ideen. Egal ob Dreier- oder Viererkette, ihm schwebt meistens eine einfache Flügelbesetzung vor mit einem weit aufrückenden Außen/Flügelverteidiger, der Breite gibt und offensiv ankurbelt. Der einzige derartige Spieler im Kader ist der (vermutlich auf Nagelsmanns Initiative) ausgeliehene Angelino. Die anderen drei AV im Kader (Halstenberg, Klostermann, Mukiele) sind eher defensivorientierte Vertreter ihrer Zunft und eher Optionen als Innen- oder Halbverteidiger. Der Kader des BVB wäre glaub ich richtig geil für Nagelsmann…mit Schulz und Toljan hat er schon in Hoffenheim in solchen Rollen erfolgreich gearbeitet und Guerreiro und Hakimi wären ein Geschenk des Himmels für ihn. Da wird Leipzig wohl im Sommer Nagelsmann-konformere Flügelspieler holen. Warum die ergebnistechnisch nicht mehr aus dem Quark kommen? Naja…wenn du im Winter deinen Kader mit den Verkäufen von Demme, Ilsanker und Cunha verschlechterst ist es halt nicht so überraschend, dass dich das nicht unbedingt stärker macht. Nicht umsonst sind die drei bei ihren neuen Vereinen sofort zu Stützen geworden.

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tobit 19. Juni 2020 um 09:33

Das Spiel habe ich auch gesehen. Die Rückraumverteidigung war in keinster Weise erstligareif. Kampl wurde dazu auch im Aufbau quasi alleingelassen. Ich bin ja sonst ein großer Fan von Laimer und Sabitzer, aber die standen in dem Spiel einfach immer zu hoch und/oder zu breit.

Klostermann und Halstenberg können durchaus auch Flügelläufer spielen, der Fokus liegt da dann aber (wie bei Schulz, Toljan und Kaderabek in Hoffenheim) mehr auf dem „Läufer“. Das kann sich Leipzig aber nicht so leisten wie Hoffenheim, weil die Gegner anders spielen. Angelino bringt da spielerisch schon viel mehr das geforderte Profil mit und kann vor allem auch Mal nach innen gehen wenn Werner außen zum Dribbling ansetzt.

Nagelsmann beim BVB wäre auf den ersten Blick genial. Auf den zweiten fehlt da aber mindestens ein weiterer Top-Mittelfeldspieler a la Demirbay. Nur Witsel und Brandt als wirklich passende Optionen sind einfach zu wenig. Ich bin zwar großer Delaney-Fan, aber in ein Nagelsmann-Zentrum passt er nicht wirklich rein – höchstens noch als Tiefenläufer wenn man Mal ohne echten Mittelstürmer spielt. Gleichzeitig hat er auch beim BVB keine wirklichen Optionen Hakimi und Guerreiro (der auch im Zentrum gut passen würde) Mal zu rotieren während die 3er-Kette mit Hummels, Zagadou, Piszczek, Can und Akanji plus Schmelzer und Balerdi überbesetzt und -investiert (70 Mio. in den letzten drei Transferphasen, 120 Mio. in den letzten fünf) ist.

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Koom 19. Juni 2020 um 09:49

Das klingt auch wieder sehr nach Nagelsmann nachgesagtem (?) Problem, dass er etwas zu viel von seinen Spielern fordert in Sachen Taktik. Wobei man natürlich auch positiv sagen kann, dass er vielleicht solche Formationen auch „im Kampf“ testet, um vielleicht zu sehen, ob bestimmte Spieler dort unerwartete Talente haben. Aber IMO fehlt dafür eine große darüberliegende Eingespieltheit, wo gewisse Abläufe einfach auch weiterhin funktionieren, egal, wer wo auf dem Platz ist.

Das mit den Spielerverkäufen ist natürlich schon ein Punkt. Für sich genommen haben sie für all die Positionen ja gute Leute, aber eben genannte Eingespieltheit und natürlich Alternativen bei Verletzung/Sperren/Form sind dann rarer. Das dann gepaart eben mit der sehr ausgeprägten Experimentierfreudigkeit sorgt dann dafür, dass es bei den dreckigen Spielen fehlt.

Stichwort: BVB und Nagelsmann. Vorab empfinde ich Nagelsmann als den in jeder Hinsicht designierten Nachfolger zu Tuchel. Auch keine große Spielerkarriere, auch durchaus extrem selbstbewusst und ehrgeizig mit durchaus nach außen unsympathischen Zügen – die eben durch den technokratischen Ansatz und eben das Selbstbewusstsein befeuert wird. Und ja, auch taktisch. Tuchels Dreierkette mit den megahohen AVs beim BVB war schon ziemlich geil. Ein Stück weit aus der Not geboren, aber wenn man durch solche taktischen Kniffe Schmelzer und Ginter zu durchaus wichtigen Elemente machen kann, dann ist das schon sehr geil.

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Daniel 19. Juni 2020 um 13:32

@tobit
Find Toljan, Kaderabek und allen voran Schulz in ihrer kompletten Entscheidungsfindung und Positionierung schon wesentlich anders/offensivorientierter als Halstenberg/Klostermann. Nagelsmann hat die beiden Leipziger ja in den letzten Wochen regelmäßig in der IV aufgeboten. Das war sicher aus der Verletzungsnot heraus geboren und nicht die Wunschlösung, war jetzt aber auch nicht soo schlecht. Eine IV Toljan/Schulz hingegen klingt irgendwie nicht bundesligareif. Umgekehrt glaub ich nicht, dass Halstenberg oder Klostermann in einer solchen Rolle auf den Offensivoutput eines Nico Schulz kommen könnten, auch nicht in Hoffenheim.
Das mit dem Mittelfeldspieler seh ich genauso. Wobei ich Dahoud mal gerne unter Nagelsmann sehen würde, das könnte ihm sehr zugute kommen denke ich. Dahoud ist einfach kein Favre-Spieler. „Überbesetzt und -investiert“ ist Dortmund halt mit Ausnahme der Stürmerposition fast überall. Falls Bremen absteigt (wozu Dortmund gegen Mainz einen ordentlichen Beitrag geleistet hat) kommt zu den Genannten auch noch Toprak für die Dreierkette zurück, rechts gibts mit Toljan, Passlack, Wolf und Morey gleich vier potentielle Hakimi-Nachfolger, im Mittelfeld balgen sich Witsel, Delaney, Dahoud, Can, Burnic, Brandt, Reus, Hazard, Sancho und nächste Saison wieder Schürrle um die Plätze hinter Haaland. Fraglich, ob der BVB seine Kaderleichen in der Coronazeit noch so leicht verkauft bekommt wie vor ein paar Jahren.

@Koom
Naja…dass Nagelsmann von seinen Spieler zu viel fordert impliziert ja, dass sie anders erfolgreicher wären. Und da bin ich ehrlich gesagt skeptisch. Leipzig steht im Viertelfinale der CL und in der Liga genau da, wo sie letzte Saison auch standen. Mit den Stabilisatoren Ilsanker und Demme haben sie in der Hinrunde wesentlich stärker performt als unter Rangnick. Insofern seh ich keine Grundlage dafür, dass es mit „weniger Experimenten“ besser gelaufen wäre. Die Mannschaft ist eingespielter als die des BVB, da es in den letzten Jahren weniger Fluktuation gab…aber qualitativ seh ich Dortmund auf fast jeder Position dann doch nochmal ein paar Quäntchen besser besetzt.
Hätte nicht gedacht, dass ich mit der Nagelsmann/BVB Überlegung so viel Resonanz bekomm. Ich meinte das tatsächlich ausschließlich taktisch und auf den Kader bezogen. Dass Nagelsmann nicht den Wohlfühlfaktor mitbringt, nach der sich die Dortmunder sehnen, dürfte richtig sein.

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Koom 19. Juni 2020 um 16:12

@Daniel: Ich hab nicht gesagt, dass sie ohne Experimente erfolgreicher wären. Ist auch schwer sowas festzustellen. Ich hab da eher auf das Positive geschaut: Unter Druck und/oder mit seltsamen Anforderungen, lernst du manche Spieler besser kennen. Wenn das Nagelsmann so hält und das weiter nutzt, dann sind diese Unentschieden bspw. richtig viel wert.

Das Dortmunder Problem sehe ich nicht zwingend auf der Bank. Ich sehe das eher bei Watzke und Zorc. Und das auch nicht unbedingt „qualitativ“, sondern mehr in Punkte Einstellung. Im anderen Thread habe ich das etwas mehr erörtert.

Um mal hier im Thema zu bleiben: Watze/Zorc haben mehr an Tuchel kaputt gemacht als umgekehrt. Anders als unter Klopp ging es mit Tuchel noch viel mehr (für Watzke/Zorc) um Spielerentwicklung zum Verkaufszweck. Das Tuchel, der aus heftig wechselnden Puzzleteilen eine Mannschaft bauen musste, die Meister werden kann, damit Schwierigkeiten (persönlich wie im Ergebnis) hatte, liegt auf der Hand. Tuchel wäre ein Trainer gewesen, der den Verein hätte stabilisieren und voran bringen können. Aber dazu hätte man ihn schützen und tiefer einbeziehen müssen, aber für Watzke und Zorc war der Wechsel von Charmeur Klopp zu Asket Tuchel zu krass – rein inhaltlich sind beide Trainer aber brilliant für langfristigen Erfolg (dito Guardiola). Man muss ihnen nur vertrauen.

Ich sehe Nagelsmann exakt wie Tuchel. Und auch Nagelsmann braucht eine Vereinsführung, die mit ihm langfristig Erfolg haben will. Und ihn nicht als Jugendtrainer für Profis „mißbraucht“, also „nur“ Fußball auf hohem Niveau spielen lassen will, in der Liga stabil daher kommen und Youngster verkaufsfähig aufhübscht. Nein, Tuchel und Nagelsmann, dito wie Guardiola und Klopp sind an Ergebnissen, an Titeln interessiert. Und du brauchst dafür eine Truppe, die zusammen kämpfen will. Keine „Söldner“, die heute hier und morgen da kämpfen.

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