Türchen 1: Stan Libuda

7. Juni 1970. Deutschland besiegt Bulgarien mit 5:2 – dank eines echten Schalkers, der das „Spiel seines Lebens“ macht.


Dass man ihn trotz drei Jahren bei Borussia Dortmund und einem Europapokal-Sieg mit den Schwarzgelben zielsicher als Königsblauen kategorisiert, nach dem sogar eine Zufahrtstraße zur dortigen Arena benannt ist, spricht deutlicher als der schüchtern wirkende, sensible Libuda es selbst je tat. Fragte man ihn nach seinen Stärken, so antwortete er einfach: „Mit Ball“. Kurzum: Er ließ seine Aktionen auf dem Platz Geschichten erzählen, die Worte ohnehin kaum beschreiben können.

Niemals brachten der Ball und er eine schönere Erzählung auf den Rasen als ausgerechnet weit weg von der Heimat bei der WM in Mexiko. Eigentlich waren selbst Auswärtsspiele in der Bundesliga schon zu weit weg für Libuda. Ein Tor schoss er an diesem Tag, bereitete zwei weitere vor und holte zudem noch einen Elfmeter heraus.

Auf den ersten Blick: Klassischer Flügeldribbler

Der Mann hieß eigentlich Reinhard, doch nannten sie ihn einfach „Stan“, abgeleitet vom legendären englischen Flügelspieler Stanley Matthews. Die nach ihm benannte Körpertäuschung beherrschte Libuda möglicherweise besser als das Original selbst. Entsprechend ist Libuda in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem der Prototyp eines Flügelspielers.

Dass das durchaus stimmt, lässt sich im Spiel gegen Bulgarien immer wieder erkennen. Im Vergleich zu den eher sperrigen Verteidigern in den gegnerischen Reihen wirkt er unheimlich agil und hat deutlichste Geschwindigkeitsvorteile. Nicht umsonst sagte Bulgariens Trainer nach dem Spiel: „Diesen Mann kann man nur mit einer Flinte erlegen“. Zu Boden bekamen ihn die Abwehrspieler immer wieder einmal, aber außer Gefecht ließ Stan sich nicht setzen. Ein Malocher.

Das deutsche Aufbauspiel fokussierte sich gerade in der ersten Halbzeit entsprechend auf ihn. Er ließ sich häufig tief am rechten Flügel zurückfallen, um dort den Ball abzuholen und in die gegnerische Hälfte vorzustoßen. Hier gab es unmittelbar die Gelegenheit, ins 1 gegen 1 mit dem Flügelverteidiger zu gehen. Libuda nutzte diese gerne und brach so oftmals direkt durch. Manchmal spielte er sich den Ball einfach selbst sehr weit vor, sprintete hinterher und kam so am Gegenspieler vorbei.

Er konnte allerdings auch selbst aus höherer Position hinter die Abwehr starten und dort erst an den Ball kommen. Hier zeigte sich Libuda in direkten Duellen geschickt, indem er mit seinem Körper den Ball unerreichbar abschirmte, nachdem er zuvor im Sprint vorbeigezogen war. An der Grundlinie oder im Halbfeld angekommen, schlug Stan gerne Flanken in den Strafraum.

Bei seinem Treffer zum 1:1 schoss er den gegnerischen Torhüter quasi mit einer solchen von der Seite ab, sodass der Ball knapp hinter die Linie trudelte. Überhaupt konnte Libuda sich auch aus eigentlich unmöglichen Winkeln noch an Schüssen versuchen, die für den Gegner gefährlich wurden.

Ansonsten warteten oft schon Löhr und Müller (3 Tore) am zweiten Pfosten auf Zuspiele. Aber eben nicht immer. Die Vorgehensweise beim Flanken gestaltete sich etwas unüberlegt. Die technische Ausführung wusste jedoch zu überzeugen. Flugbälle schlug Libuda meist mit angenehmem Effet vom Tor weg. So bereitete er auch das fünfte Tor per Freistoßflanke vor.

Auf den zweiten Blick: Straßenfußballer

Doch so linear, wie es den Anschein haben mag, war Stan gar nicht einmal. Vielmehr gestaltete sich sein Spiel im Wesenskern schlichtweg unberechenbar. Das fing schon damit an, dass er eben nicht nur mit rechts dribbeln und passen konnte, sondern immer wieder überraschend auch mit dem linken Fuß agierte – etwas schwächer zwar, aber zumeist gut genug, um Gegenspieler zu verwirren.

Das entscheidende Element seiner Dribblings waren jedoch die vielen Rhythmuswechsel, die er mit geschmeidigem Übergang vollführte – vermutlich ließ (und lässt) dieser Aspekt sein Spiel in den Augen vieler so ästhetisch aussehen. Die Rhythmuswechsel konnten entweder kleinräumig zur Geltung kommen, indem Libuda kleinere Körpertäuschungen ausführte, ehe er den Antritt in eine Richtung suchte. Diesen konnte er je nach Reaktion des Gegners aber eben auch noch genauso schnell wieder abbrechen und einen Haken schlagen – eine seiner weiteren Spezialitäten.

Doch auch auf größerem Raum spielte Stan mit dem Rhythmus und so auch mit den Gegenspielern. Lücken lief er meist gar nicht auf direktem Wege an, sondern trabte eher in diese hinein und entschied sich erst beim Näherkommen der Verteidiger dazu, entweder das Tempo anzuziehen oder eine anderweitige Lösung zu finden.

Hier hatte Libuda einiges im Repertoire, etwa Außenristpässe, die nicht unbedingt präzise aber überraschend gespielt wurden. Oder er fiel einfach mal auf den Boden und nutzte das, um beim Aufstehen doch noch vorbeizuziehen. Dass ein solches Hinfallen nicht unbedingt geplant war, zeigte sich durchaus in Situationen, bei denen Stan einfach scheiterte.

Das machte ihn gewissermaßen auch aus. Einer, der sich ständig ausprobierte, der nicht danach strebte, perfekte Lösungen zu finden, sondern kreative Lösungen. Lösungen, bei denen er sich wohlfühlt. Da versprang auch schon mal ein Ball. Da lief er in einen Gegenspieler hinein beim Versuch ihn zu tunneln (vorher hatte das schon einmal geklappt) oder der Pass war nicht ideal gewichtet.

Bei all dem ging es Libuda aber eben auch nicht nur um sich selbst oder darum, wiederholt in die immergleichen Situationen zu kommen. Erhielt ein anderer Spieler den Ball an der Seitenlinie, rückte er ein. Gab es keine Dynamik für einen Durchbruch, passte er quer. Tat sich zentral oder gar auf links ein Raum auf, den er erreichen konnte, besetzte er ihn auch. Ein Wilder war Stan also weiß Gott nicht, aber eben doch ein Fußballer, bei dem das Gefühl im Vordergrund stand.

Die totale Torvorlage

Viele der genannten Aspekte kamen bei Libudas Vorarbeit zum zwischenzeitlichen 2:1 durch Gerd Müller zusammen. Es ist eine der schöneren in der Geschichte des Fußballs.

Alles beginnt tief in der eigenen Hälfte. Wie üblich erhält Libuda den Ball tief neben den eigenen Verteidigern und startet ein Dribbling. Doch gegen die beiden Bulgaren vor ihm entscheidet er sich gegen einen Vorstoß am Flügel.

Stattdessen zieht er nach innen und die Gegenspieler auf sich. Uwe Seeler befindet sich vor ihm in Manndeckung. Ein Pass zu Overath im Zentrum erscheint als die beste Lösung. Dieser lässt gegen den herausrückenden Bulgaren einfach auf Schnellinger prallen, der das Feld nun vor sich hat.

Anstatt einfach wieder zum Flügel zurückzukehren, setzt Libuda seinen Lauf ohne Ball fort und findet sich in zentraler Position wieder. Schnellinger sieht, dass er genau in der Lücke zwischen den gegnerischen Mittelfeldspielern anspielbar ist.

Löhr wich zuvor bereits nach rechts aus, Müller nach links, Seeler blieb etwas tiefer. Gemeinsam binden sie die hinteren 5 Spieler Bulgariens. Als Libuda den Ball im Mittelkreis mitnimmt, löst Seelers Gegenspieler die Deckung auf, um Druck auf den Ball zu erzeugen. Nach kurzem Vorwärtsdribbling nutzt Libuda das aus und passt zum nun freien Seeler.

Und dann wenige Momente später das Finale: Löhr dribbelt nach Erhalt des Balles in Richtung Zentrum und spielt den Ball leicht nach hinten, eigentlich etwas zu weit für Libuda. Doch dieser stoppt nur kurz, legt den Ball schon mit dem ersten Kontakt innen am Abwehrspieler vorbei und schirmt ihn direkt wieder ab. Löhr und Seeler ziehen zeitgleich die Gegenspieler ins Zentrum.

Stan dribbelt zwischen den beiden Bulgaren in den auf halbrechts entstandenen Raum. Ein weiterer Abwehrspieler kann die Bewegung und das Tempo aufnehmen, drängt Libuda mit einer erfolglosen Grätsche zumindest nach außen, sodass dieser kurzzeitig das Gleichgewicht verliert und zu Boden geht, sich aber unmittelbar aufrappelt.

Mit dem Rücken zur Spielfeldmitte täuscht Stan kurz eine Bewegung nach hinten rechts an, zieht dann aber links vorbei durch die Lücke zwischen Verteidiger und Grundlinie. Quasi derselbe Effekt wie beim Cruyff-Turn. Libuda trägt Nummer 14 auf dem Trikot. Flache Flanke exakt zwischen die weiteren Bulgaren im Strafraum. Gerd Müller. Tor. 30 Sekunden wie ein Denkmal von Stan für Stan. Ganz ohne Worte.

Was bleibt

Stan Libuda war ein unglaublich talentierter Fußballer. Ein im guten wie im schlechten Sinne ungeschliffener Fußballer, bei dem einen auch immer ein wenig das Gefühl beschleicht, dass mehr möglich gewesen wäre. Hierfür dient die Partie gegen Bulgarien vor allem als Beispiel. Wie hätte man derartige Leistungen konstant aus ihm herausholen können?

Auf den bekanntesten Porträtbildern grinst Libuda, als sei er auch heute noch ein 20-jähriger Junge aus Gelsenkirchen, der einfach Bock auf Fußball hat. Vielleicht wäre genau heute die richtige Zeit für einen wie ihn gewesen. Keinesfalls die zerstörerischen 80er oder 90er. Einerseits lechzt die deutsche Öffentlichkeit nach diesen Spielertypen, andererseits wird Fußball immer mehr auch als das trainiert, was er ist.

Ein Libuda, der nahezu jeden Tag in speziellen Spielformen gegen andere herausragende Talente geschult worden wäre, hätte eigentlich nur ein Weltklasse-Spieler werden können. Aber: Stan in einem Nachwuchsleistungszentrum? Auf seine Schwächen gefragt, antwortete er wortkarg: „Ohne Ball“. Entsprechend verlief dann auch sein Leben abseits des Fußballs leider viel zu oft. Das hätte nie gepasst.

Peda 5. Dezember 2018 um 09:50

Vielen Dank, dass ihr die Tradition des Adventkalenders weiterlebt!

Das ist ja absolut keine Selbstverständlichkeit, nachdem einer nach dem anderen von Medien und Clubs wegengagiert wird.

Gäbe es zu bestimmten Szenen – wie hier der Entstehung des 2:1 – auch Links? Auf die Schnelle habe ich nur Zusammenfassungen gefunden, die frühestens bei Libudas Pirouette einsteigen.

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savona 6. Dezember 2018 um 11:46

Ich hab nur dies gefunden. Immerhin etwas mehr als nur die Pirouette.

https://youtu.be/MFRn_jzfx0A

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JSA 4. Dezember 2018 um 10:15

Großartiger Artikel, man liest die Liebe zum Spiel quasi direkt heraus….

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Izi 3. Dezember 2018 um 23:09

„An Jesus kommt keiner vorbei. — Doch, Stan Libuda!“

Danke für diesen tollen Beitrag, ein schöner Auftakt für den diesjährigen Kalender!

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kalleleo 3. Dezember 2018 um 16:06

Ich muss sagen man freut sich auf das all jährlichen SV Kalendar und dann kommt so ein sinnfreier Kommentar

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kalleleo 3. Dezember 2018 um 16:07

Und dann sinnfreierweise auch noch falsch gepostet, na gute Nacht 😉

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JOH 3. Dezember 2018 um 08:39

Hatte Libuda nie so auf dem Schirm. Danke für den Beitrag! Er zeigt mir, dass es früher auch Fußballer gab ^^

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Frank müller 1. Dezember 2018 um 12:23

Ich muss sagen man freut sich auf das all jährlichen SV Kalendar und dann kommt so eine sinnfreie Idee.

Man möchte Spieleranalysen lesen und doch nicht so einen Müll also echt verschwendestes Potenzial…

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tobit 2. Dezember 2018 um 13:06

Ein bisschen Höflichkeit ist wohl im Internet zu viel verlangt. Hier wird Content geboten, den man sonst kaum bekommt (auch noch kostenlos) und dir fällt nichts besseres ein als nach dem ersten Türchen die Autoren anzupöbeln?

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Mika 2. Dezember 2018 um 23:18

Ich bin echt schockiert ob dieser Respektlosigkeit. Liebes Team, von SV, vielen Dank für eure Mühen und einen schönen 1. Advent!

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savona 6. Dezember 2018 um 10:56

Doch, Potenzialanalysen sind wichtig. Bei diesem Kommentar befürchte ich ein nur wenig mutmachendes Ergebnis. ;-))

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Koom 6. Dezember 2018 um 11:55

Scho a weng unnötig, oder?

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