Alle Mann an Deck
Viel Arbeit im Verbund und zeitweise hohe Intensität zwischen den Nordklubs: Der HSV musste etwas mehr verteidigen, Bremen kam stärker über die Spielanlage.
Mal wieder ein Nordderby, typische Brisanz, und wie so häufig in den letzten Jahren unter den Vorzeichen des Abstiegskampfs, vor allem für den HSV ein potentielles Schicksalsspiel – so stellte sich die Ausgangslage vor dieser Begegnung dar. Nach den Entwicklungen der letzten Wochen gingen die Hausherren favorisiert ins Spiel, das zu einem knappen Ringen werden sollte.
Intensive Duelle zum Start
Erste auffällige Elemente auf dem Rasen des Bremer Weserstadions waren die Grundintensität des Spiels, insbesondere in den frühen Phasen, und die horizontale Kompaktheit, bei den Hamburgern in gewissen Phasen noch stärker ausgeprägt. Sie rückten bei Situationen am Flügel immer wieder weit hinüber, nicht selten mit dem ballfernen Außenstürmer bis auf halbe Spielfeldbreite, und versuchten die Bremer zuzuschieben. In den am stärksten umkämpften Ballungszonen entwickelten sich enge Duelle zwischen den jeweils arbeitsam eingestellten Mittelfeldtrios. Vonseiten der Bremer wurden jene horizontal kompakten Situationen dadurch ergänzt, dass in Kämpfen um zweite Bälle ihre nominellen Außenspieler sich zurückfallen ließen, um die defensive Stabilität zu ergänzen.
Trotzdem lagen bei Abprallersituationen in verschiedenen Konstellationen die Hamburger leicht vorne. Etwas deutlicher bemerkbar machte sich das am ehesten nach eigenen langen Bällen, zu denen die Gäste im Aufbau wesentlich häufiger griffen als die Bremer. Wenn der HSV diese weiten Zuspiele zu einem frühen Zeitpunkt relativ zügig anbrachte und einer der gegnerischen Achter zuvor noch vorne mitgepresst hatte, schlossen diese mitunter erst etwas verspätet und nachlässig wieder an die Kompaktheit an. Das gab den Hamburgern kleinere Vorteile, zumal sie Hahn für den Luftkampf und generell für zusätzliche Präsenz tiefer zogen, worauf sich die Flügelstürmer konsequent vorne zusammenschoben. Tatsächlich waren es vor allem Kopfballweiterleitungen in den Strafraum, situativ ergänzt von einzelnen unorthodoxen Nachstoßbewegungen aus dem Mittelfeld, durch die der HSV am meisten Unruhe verursachte.
Bewegung gegen gutes 4-3-3/4-1-4-1/4-5-1
In diese Reihe fügte sich auch die Grundstaffelung gegen den Ball beim Bundesliga-Dino ein. Der HSV startete das eigene Mittelfeldpressing aus einem 4-3-3 mit engen Stürmern heraus und erzeugte dadurch in der Anfangsphase eine bemerkenswerte Kompaktheit, die Bremen zunächst einmal aus den wesentlichen Mittelfeldräumen heraushielt. Der Mittelstürmer bewegte sich um Bargfrede, die Achter positionierten sich abschirmend knapp vor ihren Pendants. Mit der Zeit zogen sich die Mannen von Bernd Hollerbach aber, chronologisch betrachtet, recht bald weiter zurück und ließen sich, auch auf die taktischen Abläufe in der Einzelsituation bezogen, von Bremer Zirkulationsphasen schnell in ein 4-1-4-1 zurückschieben. Dies realisierte sich sogar häufig in einem schönen 4-5-1. Die Flügel agierten aber recht mannorientiert, so dass sie später noch tiefer zurückfielen.
Von den Spielanteilen her hatten die Bremer ein klares Übergewicht. Dass sie ihrerseits früh zum 4-4-2-haften Pressing schwenkten, um mehr Druck zu machen, war sinnvoll. Die eigenen Innenverteidiger und Bargfrede als Sechser agierten gegen die erste gegnerische Reihe letztlich ungestört. Es wurde bei Ballbesitz Werders dann eine Frage, wie gut aus dieser Ausgangslage der Ball hinter die Hamburger Mittelfeldkette gespielt werden könnte. Die Grundausrichtung der Bremer kam mit reichlich Dynamik und Variabilität daher: Sie versuchten sehr viele verschiedene diagonale Läufe und hatten eine entsprechende Menge an Bewegung im Spiel. Die Achter unterstützten kreuzend auf den Flügel oder sie rückten auf, um den Halbraum für einzelne Einrückbewegungen von Junuzuovic bzw. punktuell Kainz zu überlassen. Auch einzelnes Vorderlaufen der Außenverteidiger gab es zu sehen, Beispiele eines zunächst einmal breiten Repertoires der umtriebigen und bemühten Hausherren.
Bremer Zwischenraumfragen
So hatte Bremen einiges an Potential in den Offensivzonen, aber gerade im zentralen Bereich entstand dadurch fast schon zu viel Gedränge. Ungünstig wirkte bei den Mannen von Florian Kohfeldt in dieser Begegnung etwas, was man sonst selten in dieser Form sieht: eigentlich zu viel Fokus auf Zwischenraumpositionierungen. Grundsätzlich agierten sowohl Achter als auch Stürmer allesamt hinter dem Hamburger Mittelfeld, sie verhielten sich dabei aber untereinander sehr ähnlich. Es gab quantitativ noch zu viele Szenen, in denen sie sich alle jeweils darauf fokussierten, selbst zwischen den Linien angespielt zu werden. Die Variationsbreite bestand hauptsächlich in einigen Tiefenläufen, die weiter nach vorne gestartet wurden, oder direkt recht breit gehenden Ausweichbewegungen, aber weniger innerhalb des Zentrums. Die hohe und eigentlich sehr gute Zwischenraumpräsenz war untereinander nicht immer ausreichend gestaffelt.
Das erschwerte es dann unter anderem, die Wege vom Flügel wieder zurück ins Zentrum zu finden. Bei Bällen auf den Außenverteidiger bedeutete ein anschließendes Freilaufen eines Offensivspielers zu diesem hin zunächst einmal insoweit eine Schwierigkeit, als man diesem in gewisser Weise auch eigenen Raum zulief und schloss. Aufgrund ihrer insgesamt guten gruppentaktischen Qualität konnten die Bremer das aber potentiell für sich nutzen, quasi als kleine ballnahe Überladung mit lockender Wirkung. Nicht so effektiv waren demgegenüber die Zurückfallbewegungen von Kruse zentral oder in den Halbräumen, welche aus dem Hamburger 4-1-4-1/4-5-1 meist gut von Walace aufgenommen und gegebenenfalls weiträumig verfolgt werden konnten. Insgesamt machte Bremens Spiel über viele Phasen einen – in der aktuellen Situation derzeit auch: gewohnt – gefälligen Eindruck, es kam aufgrund jener Aspekte aber sehr selten zu durchschlagendem, zählbarem Effekt.
(Umschalt-)Gefahren für den HSV
Das Aufrücken der Achter bot den Hamburgern manche im Ansatz sehr wertvolle Kontergelegenheit, die sie zunächst über Hunt auch gut auslösten. Sobald Werder aber das Angriffsdrittel erreicht hatte, standen sie sofort deutlich abgesicherter, als gegen einen tiefen Gegner im Durchschnitt der Fall, da das mannorientierte Zurückdrängen der Flügel den Gästen schon sehr viel Präsenz raubte. Zudem sicherten Bargfrede und die Innenverteidiger in dieser weiträumigen Gemengelage sehr souverän die Restverteidigung, passenderweise leitete Erstgenannter mit einer aufgesammelten Klärung im Rückraum später den Siegtreffer ein. Gefährlich für den HSV wurden ansonsten tiefe Gegenpressing-Ballgewinne Bremens, die der Gastgeber gegen das initiale enge 4-3-3 zurückeroberte. In diesem Kontext ließen sich die Momente enormer Horizontalkompaktheit mal wirklich bestrafen, boten sich bessere Verlagerungsmöglichkeiten.
Nach der Anfangsphase – also etwa der ersten Viertelstunde – kam das aber praktisch kaum mehr vor, sobald der HSV sich schon früher und dauerhafter in seiner Pressingstrategie zurückzog. Anschließend trat unter den für die Hamburger potentiellen Problempunkten ein anderer Aspekt stärker hervor: die Wechselwirkung von Mannorientierungen und Verschiebearbeit in den Flügelzonen. Erstgenannte führten dazu, dass der Außenverteidiger auch schon mal etwas breiter oder herausgerückter verteidigte und somit in der hintersten Linie die horizontale Kompaktheit zurückging. Vor diesem Hintergrund waren die hohen Achter des Gegners natürlich gefährlich, denn in der unmittelbaren Abwehrzone hatte der HSV dagegen rein numerisch eigentlich eine „Unterzahl“. Organisatorisch ließen sich diagonale Läufe eines Achters daher nicht immer schnell genug aufnehmen, mit denen dieser die Schnittstelle zwischen Innen- und Außenverteidiger besetzte.
Innerhalb dieser Bereiche entfachte Bremen die gefährlichsten Ansätze, wenngleich die Folgedynamik und zumal ihre saubere Umsetzung schwierig war. Die Besetzung der Lücken geschah aus eher flachen Grundstaffelungen und sehr frühzeitig, entsprechend geringer war die Optionsdichte für die Anschlussszene. Wie genau sich das auswirkte, hing auch stark von kleinen Veränderungen ab: Eine klarer 4-4-2-hafte Defensivanordnung der Hamburger wirkte sich eher destabilisierend aus, da die zweite Linie an Breite verlor und diagonale Vorwärtspässe der Außenverteidiger entsprechend noch schwieriger zugestellt werden konnten. Ohnehin bildeten diese bereits gegen das 4-5-1 einen interessanten Aspekt. Umgekehrt wirkte sich eine Verringerung des mannorientierten Zurückfallens der Flügelstürmer für die Gäste positiv aus und verkomplizierte das offensive Situationsmanagement der Bremer ein wenig.
Fazit
Im Vergleich mit der Hinrunde bedeutete dieses Nordderby wieder einen klaren qualitativen Vorwärtsschritt, allein schon hinsichtlich der taktischen Geschlossenheit. Der HSV hielt insgesamt lange mit und hatte im defensiven 4-5-1 manchen Lichtblick zu verzeichnen. Von der Spielanlage waren die Bremer aber schon deutlich weiter und nicht nur das aktivere, offensiv engagiertere Team, sondern daher letztlich auch – trotz der glücklichen Umstände beim späten Siegtor – der verdiente Sieger. Für den HSV ist eben das Problem, dass ihre aktuellen Stärken und auch Fortschritte sie zwar „gut im Spiel halten“ können und sicherlich manchen Punkt Wert sind, sie aber dringend Zähler aufholen müssen, um den 17. Rang zu verlassen.
3 Kommentare Alle anzeigen
Rune 26. Februar 2018 um 16:32
Im Spielaufbau von Werder hat der HSV erste Halbzeit sehr stark versucht, Moisander aus dem Spiel zu nehmen und dagegen Veljkovic das Feld überlassen. Seht ihr das auch so? Und warum hat es Bremen dann zweite Halbzeit „geschafft“, viel mehr als zuvor über die rechte Seite das Spiel zu machen? Oder sehe ich das falsch?
Super DAU 26. Februar 2018 um 09:46
Wird es noch eine Analyse des Spiels Leipzig-Köln geben? Das fand ich nämlich deutlich interessanter, vor allem auch aufgrund der zwei völlig unterschiedlichen Halbzeiten.
AculEri 26. Februar 2018 um 07:07
Also ich habe das Spiel einfach mal als neutraler Fan beobachtet, und ich muss sagen, so sehr mich die Bremer in den vergangenen Wochen des öfteren erfreut haben mit gtem Positions- und Kombinationsspiel, so enttäuscht war ich diesmal davon, dass sie sich von den Hamburgern so sehr auf deren Niveau haben herunterziehen lassen. Von den Hamburgern deren einzige Möglichkeit, wobei ich bei den meisten den absoluten Willen vermisst habe. Ausgenommen Hunt, der alleine auch nicht viel mehr machen konnte fehlte mir so ziemlich alles was man am Fußball schön findet.
Die Innenverteidiger und der Torwart waren die ärmsten auf dem Platz, sobald etwas Pressing der Bremer gespielt wurde, spielte man den Ball nach hinten und meistens waren es dann die Innenverteidiger, die aufgrund mangelnder Anspielmöglicheiten und schlechtem Freilaufens keine Anspielmöglicheiten hatten, fast ausschließlich mit langen Bällen agierten.
Die Hamburger haben es in meinen Augen wenig verdient auch dieses Jahr die Klasse zu halten, da ihnen so etwas wie Spielkultur fast vollkommen fremd ist und nur noch gut verteidigen einfach nicht mehr aussreicht. Ich sehe bei allen anderen Bundesligisten eine deutlich bessere Spielanlage/Matchpläne