Analyse der Tore: Bayerns Kantersieg gegen Besiktas
5:0 – Bayern München steht praktisch im Viertelfinale der Champions League. Da die Partie nach der frühen Roten Karte wenig hergab, konzentrieren wir uns in unserer Analyse auf Bayerns Tore.
„Ein Spiel dauert 90 Minuten“, lautet eine der vielen Weisheiten von Sepp Herberger. Die Partie Bayern München gegen Besiktas Istanbul war hingegen bereits nach rund einer Viertelstunde praktisch beendet. Nach der frühen Roten Karte gegen Vida (16.) und dem totalen Rückzug von Besiktas an den eigenen Strafraum waren die einzigen Fragen: Wann werden die Bayern treffen? Und wie oft?
Eine klassische Spielanalyse wäre angesichts von Besiktas defensiver Planlosigkeit in Unterzahl wenig erhellend. Stattdessen werfen wir einen Blick auf die Münchener Tore und erklären, was diese über die Münchener Stärken unter Jupp Heynckes aussagen.
Tor 1: Gegner auf eine Seite locken und verlagern
Trainer Jupp Heynckes hat die Bayern zurückgeführt zum klassischen Positionsspiel, wie es in seiner ersten Amtszeit und unter Pep Guardiola angewandt wurde. Die Spieler genießen etwas weniger Freiheiten, müssen dafür die Räume auf dem Platz gewissenhafter besetzen und die richtigen Abstände zueinander einhalten. Der Lohn: Die Bayern haben wieder wesentlich mehr Struktur in ihrem Spiel als unter Carlo Ancelotti.
Auch unter Heynckes gilt dabei das Motto, das Guardiola den Münchenern in einer seiner ersten Sitzungen mitgegeben hat:
„Das Geheimnis bei jedem Mannschaftsspiel ist, das Spiel auf eine Seite zu verlagern, damit der Gegner ins Schwimmen kommt. Den Gegner auf eine Seite zu locken, damit er die andere Seite freigibt. Und wenn wir das geschafft haben, dann müssen wir es über diese andere Seite versuchen.“
Das ist noch immer ein übergeordnetes Ziel des Bayern-Ballbesitzspiels: den Gegner auf eine Seite verschieben lassen, das Spiel schnell verlagern und dadurch Freiräume schaffen. Dazu benötigen die Bayern vor allem eine gute Besetzung des Rückraums. Die Bayern positionieren sich häufig in 3-2-5 oder 2-3-5-Staffelungen in der gegnerischen Hälfte. Gegen Besiktas war es vor allem Linksverteidiger David Alaba, der immer wieder in den Halbraum aufrückte und damit für Verlagerungen bereitstand.
Diese Verlagerungen haben gar nicht unbedingt das Ziel, dass die Bayern auf dem gegenüberliegenden Seite einen freien Spieler erhalten. Kaum ein Gegner wird Coman, Robben oder Ribery allein lassen. Oft ist das Ziel, dem Gegner das Doppeln oder Trippeln der Münchener Außenstürmer zu erschweren. Die Außenstürmer sollen möglichst in Eins-gegen-Eins-Situationen gebracht werden, aus denen sie sofort Zug Richtung Tor entwickeln können.
Tor 2: Klatsch-Pass-Vertikalspiel
Das zweite Tor war etwas unüblich für die Bayern in dieser Saison. In der Bundesliga kommt es nämlich selten vor, dass sie eine derartige Kombination spielen können. Besiktas ließ ihnen jedoch den Spielraum, sodass die Bayern mal eine Stärke zeigen konnten, die es nicht so oft zu sehen gibt: ihr Vertikalspiel.
Die Bezeichnung „Klatsch-Pass“ machten Lucien Favres Gladbacher berühmt: Spieler A lässt den Ball mit dem Rücken zum Tor prallen (Klatsch), Spieler B schickt Spieler A sofort mit einem Vertikalpass hinter die Abwehr. Dieses Klatsch-und-Pass gab es vor dem zweiten Tor zu bestaunen.
Tor 3: Dribbling in den Halbraum und Hinterlaufen
Das dritte Tor war wieder ein „klassisches“ Bayern-Tor. Robben erhält den Ball auf der rechten Seite nach einer Verlagerung, Besiktas steht noch leicht nach links verschoben. Die Bayern stehen in einer sehr schönen 2-3-5-Staffelung, die Besiktas sowohl in die Breite als auch in die Tiefe drückt.
Erneut ist das Ziel der Bayern in dieser Situation, den Spieler auf dem Flügel (in diesem Fall Kimmich) freizuspielen. Dazu stürzt sich Robben mit dem Ball am Fuß in den Halbraum, den Besiktas eigentlich gut besetzt hat. Er lässt sich bewusst vom Gegner doppeln, damit dieser nicht Kimmich auf dem Flügel aufnehmen kann.
Tor 4: Innenverteidiger stößt in den freien Raum
Unter Heynckes stoßen die Innenverteidiger häufiger vor. Sie nehmen im Positionsspiel der Mannschaft eine höhere Position ein. Häufig bieten sie sich im Rückraum für Verlagerungen an. Manchmal dribbeln sie aber auch mit dem Ball am Fuß in freie Räume. Dies ist entscheidend für die Bayern, denn nur so können sie die Räume bespielen, die entstehen, wenn sich der Gegner an den eigenen Strafraum zurückzieht.
Genau auf diese Weise fiel das 4:0. Die Bayern drückten Besiktas zunächst nach hinten. In der Folge verlagerten sie das Spiel über den Rückraum. Mats Hummels fand vor sich viel freien Raum, in den er mit dem Ball am Fuß dribbelte.
Fünftes Tor: Diagonaler Pass vom Flügel
Der fünfte und finale Bayern-Treffer an diesem Abend zeigte den vielleicht typischten Spielzug der Heynckes-Bayern. Erneut war Robben beteiligt. Er hielt den Ball am rechten Flügel. Bei diesem Spielzug startet ein Achter aus der Tiefe im ballnahen Halbraum hinter die Abwehr. Lewandowski wartet währenddessen auf dem gegenüberliegenden Flügel auf den anschließenden Querpass, den er versenken soll.
Fazit
Besiktas hat den Bayern das Leben nicht allzu schwer gemacht. In den Grafiken lässt sich bereits gut erkennen, wie wenig kompakt Besiktas verteidigt hat. Sie ließen sich ständig an den eigenen Strafraum drängen, besetzten das Mittelfeld fast gar nicht und erlaubten den Bayern somit, ständig das Spiel aus dem Rückraum zu verlagern. Besiktas ist wahrlich kein Gradmesser.
Und dennoch steht das Spiel symptomatisch dafür, wie sehr sich die Bayern unter Heynckes verbessert haben. Sämtliche Spieler halten die Struktur im Ballbesitz. Nur so lässt sich eine totale Defensive knacken. Es war kein Zufall, dass sämtliche fünf Treffer gut herausgespielt waren. Die Bayern agieren aktuell nicht nur individuell, sondern auch taktisch auf hohem Niveau.
9 Kommentare Alle anzeigen
Daniel 21. Februar 2018 um 20:52
Interessantes Format. Man hätte vielleicht noch kurz erläutern können, woher die Probleme des FCB in der ersten Halbzeit kamen, trotz der Überzahl (mangelhafte Besetzung des Zehnerraums durch James tiefes Abkippen, da dieser den Spielaufbau vor der Abwehr übernahm. Müller hielt dann später deutlich mehr das offensive Mittelfeld und schloss dieses Loch, beim Spielaufbau in den ersten Dritteln übernahmen die Verteidiger (besonders die AV) mehr Verantwortung, situativ sank auch Robben etwas tiefer, wodurch die ganze Struktur passender wurde).
Ansonsten war das denk ich ein gutes Spiel der Bayern, Sorge macht mir nur die individuelle Form der Defensivspieler. Hummels und Boa haben sich ein paar mal auf für sie sehr ungewöhnliche Art simpel abkochen lassen, im Viertelfinale haben sie hoffentlich eine andere Form. Auf Kimmich trifft das genauso zu, wobei der ja ohnehin auf dieser Position noch ein Azubi ist, die Schwachstelle ist sozusagen eingeplant…keiner kann von einem positionsfremden 23-jährigen perfektes Zweikampfverhalten und Stellungsspiel erwarten. Apropos Kimmich: ich hätte mir gewünscht, dass er so clever ist und sich die gelbe Karte abholt und in Istanbul gesperrt ist. Heynckes wird ihn wohl im Rückspiel rauslassen, aber in den Viertelfinalpartien hängt jetzt das Damoklesschwert einer Sperre über ihm. Sowohl ein gesperrter als auch ein wegen dieser Gefahr gehemmter Kimmich sind eine gefährliche, im schlimmsten Fall tödliche Schwachstelle. Alabas Form zeigt dafür zum Glück in den letzten Wochen deutlich nach oben.
CHR4 21. Februar 2018 um 22:12
zum Thema „gelbe Karte abholen“: Carvajal, wollte das ja auch versuchen und hat sich im vorletzten Gruppenspiel für zu langes Zeitlassen beim Einwurf die 3. gelbe geholt, wohl in der Intention, im letzten Gruppenspiel die Strafe abzusitzen und dann im AF dabei zu sein – da hat die UEFA aber nicht mitgespielt, weil das zu offensichtlich war und hat die Sperre einfach mal verlängert …
kann also auch nach hinten losgehen und man ist dann auch im VF gesperrt … ich würde weder als Trainer sowas meinem Spieler empfehlen, noch als Spieler riskieren, bei einem der Highlights dann nicht dabei zu sein
manchmal erfordert, ne Karte haben zu wollen, auch mehrere Anläufe …
siehe #“Mach et Otze!“
bei der Abwehr bin bei der Bewertung des Spiels bei dir, aber in so einem Spiel, dass man dann auch noch früh in Überzahl spielt, ist mir fast wichtiger, dass sich keiner ernsthaft verletzt hat
tobit 21. Februar 2018 um 14:34
Kann es sein, dass in der Grafik zum ersten Tor ein Spieler fehlt? Ich zähle nur neun Bayern und es sieht auch nicht so aus, als könnte sich einer der IV weiter hinten versteckt haben.
Die Form gefällt mir sehr gut für ein so einseitiges Spiel.
@P_N_M_123:
Was auch gegen stärkere Gegner vielversprechend sein könnte, wäre eine Kombination aus Tor 3 und 5 – quasi „Tuchel-Gedächtnis-Spielzug“ mit von außen hinter die Abwehr startendem Spieler (Bernat, Alaba, Kimmich, …), der aus dem Halbraum diagonal (per Lupfer) bedient wird und dann querlegt. Der linienbrechende Pass könnte dabei sogar wie bei Tor 4 von einem aufgerückten IV kommen, um mal möglichst viele der gezeigten Muster zu verbinden.
HK 21. Februar 2018 um 15:24
Beim ersten Tor waren nur 9 Feldspieler auf dem Platz (James nicht mehr, Robben noch nicht).
Ansonsten eine schöne Idee sich so mit diesem Spiel auseinander zu setzen.
P_N_M_123 21. Februar 2018 um 20:22
Genau, oder auch der Messi-Alba-Spielzug. Passt auch gut zu der Struktur.
Wichtig/hilfreich bei diesem Spielzug ist ja, dass ein oder mehrere andere(r) Spieler (oft der halblinke, wenn der Ball von rechts kommt) in die Tiefe startet, um die Kette zu binden, wodurch der äußere Spieler mehr Platz hat, den Diagonalupfer zu empfangen.
Wie gut sind denn Coman und Robben in solchen Pässen? Mit Müller als Rechtsfuß würde es natürlich weniger passen. James scheint aber optimal zu sein.
tobit 21. Februar 2018 um 20:41
Robben könnte das mit Sicherheit. Coman liegt aktuell eher die Rolle des hinter der Abwehr angelupften, prinzipiell würde ich ihm solche Pässe aber auch zutrauen. Primärspieler für diese Lupfer wären natürlich Thiago, James und Ribery (der das aber etwas anders ansetzen würde, da er noch öfter von außen kommt). Als Empfänger kommen fast alle anderen Offensiv- und Außenspieler außer Lewy (den ich eher als Screenläufer und Finisher sehen würde) in Frage.
Mit entsprechender Vororientierung könnte man das auch „richtigfüßig“ (also ein Rechtsfuß lupft aus dem rechten Halbraum auf einen von rechtsaußen einstartenden Rechtsfuß) spielen, geht aber denke ich mit „inversem“ Passgeber wirklich besser, da dessen Sichtfeld dabei nicht so klar nach außen/vorne gerichtet sein muss. Messi spielt solche Pässe aus beiden Halbräumen, links ist er aber sichtfeldmäßig meist relativ festgelegt auf diese Passroute (oder müsste sich aus vollem Lauf mit Ball am Fuss um die eigene Achse drehen – kann er halt auch) oder einen effektlosen Querpass während er rechts fast das gesamte letzte Drittel im Blick hat.
Daniel 21. Februar 2018 um 20:59
James könnte denk ich auch beides (also sowohl Passgeber als auch Empfänger), auch Hummels, Boateng und Kimmich haben solche Lupferbälle so ähnlich schon gespielt. Als Empfänger eignet sich wohl eher ein auf diesem Flügel richtigfüßiger Spieler, da er ja am besten sofort querlegen soll. Also Bernat, Alaba James oder Robben links und Müller, Coman und Kimmich rechts. Ribéry würde wohl-wenn überhaupt-eher als Passgeber in Frage kommen, wobei ich ihn auf CL-Niveau ehrlich gesagt prinzipiell nur noch eingeschränkt für tauglich halte.
P_N_M_123 21. Februar 2018 um 12:36
Schöne Idee, das einmal alles herunter zu schreiben. Bin gespannt, wie gut sie grade Nummer 5&1 gegen defensiv stärkere Gegner wie Liverpool hinbekommen, die bei 5 sicherlich mehr darauf achten, dass schlechte Blickfeld des geschickten Spielers auszunutzen und bei 1 sicherlich besser darauf achten, ihren Deckungsschatten und gute Antizipation von Pässen gegen Verlagerungen einzusetzen. 2 würden sie sowieso nicht zulassen.
Dennoch sind diese Bayern für mich einer der Favoriten auf den Titel, weil sie einfach in allen Spielphasen sehr stark sind und auch individuell zu den stärksten Teams gehören (da ist wahrscheinlich nur Real klar stärker, vielleicht auch Barça, wegen Messi und Busquets).
Marcus 21. Februar 2018 um 12:20
Thank you so much for the analysis! I really liked this approach of analyzing very specific situations leading up to goals and/or chances.