Deutschlands Start ins Länderspieljahr 2017
Einige exemplarisch herausgegriffene Schlaglichter auf die zwei sehr unterschiedlichen Partien gegen England und Aserbaidschan.
Mit zwei Siegen ist die deutsche Fußballnationalelf im Großen und Ganzen erfolgreich ins Jahr 2017 gestartet. Es waren zwei Begegnungen, die – wie man immer so zu sagen pflegt – unterschiedlicher kaum sein könnten – ob vom Personal her, von den stark durch den Gegner bestimmten strategischen Gegebenheiten oder überhaupt vom Rahmen her. Das Test- war sogar ein emotionsbeladenes Abschiedsspiel, die anschließende Pflichtpartie lag schon vorher in der Schublade Pflicht- und entpuppte sich letztlich als Arbeitssieg.
Eigentlich mag man da keine besonders günstigen Voraussetzungen sehen, um diese zwei Partien harmonisch in einem Gesamtartikel abzuhandeln. Dennoch soll hier der frei aufgezogene Versuch gemacht werden, den einen oder anderen allgemeinen Punkt herauszugreifen und aus der Perspektive nach den beiden Partien etwas genereller zu bewerten – trotzdem mit jeweils spezifischer analytischer Unterfütterung. Am besten legt man sich gar nicht auf die Textsorte fest: Es sind einfach ein paar Bemerkungen zu den Spielen, mal konkreter, mal stärker auf die Gesamtsituation bezogen.
Grundlegende Pressingstruktur
Hier zeigte sich die deutsche Auswahl im Ganzen gut aufgestellt. Gegen Aserbaidschan wechselte man zwischen breiteren 4-4-2-Phasen und 4-2-3-1-Momenten, die über ihre Nutzung der horizontalen Kompaktheit gefielen. Gerade wenn der Gegner nach deutschen Ballbesitzmomenten für sich Einwürfe hatte „gewinnen“ können, stellte man durch das Herüberschieben der Doppel-Sechs und der ballfernen Flügelspieler sofort wieder zu und verhinderte so leichte Entlastung. Naturgemäß war die Verteilung der Szenen ganz anders als gegen die Engländer, deren dominanterer und breitflächiger Aufbau eine zunächst breitere Anordnung des 4-4-2 erfordert hatte.
Über das Sturmduo und teilweise Viererlinien konnte man die gegnerischen Sechser zurückdrängen, die Flügelspieler wiederum positionierten sich jeweils flexibel in den Passwegen der ersten Linie auf Walker und Bertrand, obwohl die Halbverteidiger der Gäste gerade ballnah sehr weit nach außen gingen. Auf Livermore konnte man noch gut Zugriff herstellen, weil er sich zwar konsequent auf Halbraumpräsenz fokussierte, aber auch in einem sehr abgrenzten Rahmen bewegte. Hinter der Mittelfeldlinie des deutschen 4-4-2 versuchten sich Lallana und Alli im Zwischenlinienraum anzubieten und waren dort – neben den Flügelverteidigern – die primären Ziele für die letztlich oftmals durch längere Bälle realisierten Eröffnungen der Engländer.
Verhalten im Abwehrdrittel
Diese wurden speziell in den seitlichen Zonen effektiv, wenn dort die Flügelläufer kurze Ablagen auf die ausweichenden Offensivkräfte anbringen konnten und gleichzeitig für diese noch Abwehrspieler in der letzten Linie banden. Zumindest kam England von dort aber nicht direkt Richtung Tor, so dass die DFB-Elf verzögern konnte. In den tiefen Zonen unterstützten die deutschen Flügelspieler das Zentrum mit einrückenden Bewegungen und fanden für dieses Zusammenziehen ein gutes Timing. Einige Male pressten sie bei akuter Notwendigkeit oder der Aussicht auf Druckerhöhung in die Mitte. Gleichzeitig blieben die jungen Außenspieler im Großen und Ganzen recht aufmerksam, wenn es darum ging, die englischen Flügelläufer nach hinten an Kimmich und Hector zu übergeben.
Auch wenn das funktionierte, machte das Verhalten der deutschen Auswahl im Abwehrdrittel insgesamt einen wechselhaften Eindruck. Eine gewisse Instabilität drang beispielsweise über die Verteidigungsreihe ins strafraumnahe Defensivspiel der DFB-Elf: Die dortigen Akteure schienen nicht so wirklich abgestimmt, wann sie wie aggressiv gegen Alli und Lallana herausrücken sollten und wie genau dies abgesichert würde. Gleichzeitig waren die Einzelspieler in der Viererkette als Individuen wiederum stark in der Endverteidigung und leisteten damit einen wichtigen Beitrag. Den Außenverteidigern dagegen wurde in tiefen Zonen mannschaftlich nicht immer genügend Unterstützung geleistet, speziell zu sehen dann gegen Aserbaidschan.
Herausrückende Defensivaktionen
Eine wesentliche Änderung der zweiten Halbzeit war das höhere Pressing des deutschen Teams, das die Engländer mit der versetzten Doppelspitze früh anlief und die Flügel zur weiteren Unterstützung nachschieben konnte. Dahinter bekleidete Kroos von der Doppel-Sechs aus die Rolle des aggressiv und weiträumig nachrückenden Akteurs, der riskant die Lücken hinter der ersten Linie zulaufen und bei gelungenen Pässen den Empfänger – bisweilen auch einen gegnerischen Flügelläufer – schnell attackieren sollte. Längere Wege mit größerem Raum um sich herum zurücklegen und dabei die Optionen zu versperren, ist ihm aus seinem Verein nicht fremd. Dieses Pressing war insgesamt nicht so ganz kohärent, zehrte aber neben der Intensität auch von der klaren Rollenverteilung.
Dennoch deuteten sich Probleme an, die – in der jüngeren Vergangenheit schon immer mal aufgetreten – dann auch im zweiten Durchgang gegen Aserbaidschan erkennbar sein sollten, als die Gastgeber erstmals zu wirklich längeren eigenen Zirkulationsphasen kamen. Dagegen fehlte es dem deutschen Team im Pressing einerseits an der letzten vertikalen Kompaktheit, andererseits etwas an Balance und Timing bei der Umsetzung von Pressingübergängen – was sich jeweils gegenseitig bedingte. So schoben sie aus der Mittelfeldlinie teils unvorsichtig in unpassenden Momenten zum Druckaufbau nach vorne.
Die Abwehr agierte dahinter aber – wenngleich in sich deutlicher kohärenter und geschlossener als noch gegen England – eher isoliert als Reihe. Dadurch wurde das Mittelfeld auch schon mal kleinräumig überspielt und es ergaben sich hinter Kroos und Khedira manche größere Lücken. Zumal neigt dieses Duo – so enorme Balancefortschritte es seit Beginn der Dekade gerade bei eigenen Aufbaumomenten gemacht hat – zumindest gegen den Ball gelegentlich noch zur zu stark vorwärtsgerichteten, riskanten Herangehensweise. Abschließend könnte man grob bilanzieren, dass die grundlegende Pressingstruktur etwas besser aussah als die jeweiligen Abläufe aus dieser Systematik heraus.
Aufbauprobleme gegen England
Gegen die Engländer stellte in der ersten Halbzeit der Spielaufbau das große Problem der DFB-Auswahl dar. Die Gäste setzten ihr Pressing grundsätzlich hoch an – wenn auch in vielen Phasen als eher passives Angriffspressing. Aus dem eigentlichen 5-2-2-1, wie es sich dann in der eigenen Hälfte in Form eines 5-4-1 oder 5-2-3 realisierte, formten die „Three Lions“ in diesen Momenten oftmals eine Doppelspitze mit Zehner, der wiederum zügig von einem aufrückenden Sechser ergänzt wurde. Das ermöglichte erst einmal ein mannorientiertes Zustellen der deutschen Aufbaustationen: der Innenverteidiger und dann der Sechser mit einem Viererblock.
Ballnah gab es den gängigen Mechanismus aus druckvollem Herausrücken des Flügelläufers bis auf den deutschen Außenverteidiger und weiträumigem Nachschieben des jeweils dahinter folgenden Halbverteidigers. Bei Pässen auf Kimmich bzw. Hector ließ sich die Mittelfeldabteilung der Engländer direkt eine Linie fallen und allein Lallana bzw. Alli blieb hinter den Stürmern, am gerade ballnahen Sechser der DFB-Elf orientiert. Wichtig war schließlich die schon in der ersten Linie eingearbeitete Asymmetrie: Einer der beiden Angreifer – im Normalfall der ballferne – hielt sich etwas breiter, weniger eng im Umkreis des Innenverteidigers, sondern breiter versetzt in den Passwegen nach außen, um schnelle Verlagerungen besser abzudecken – oder, um es zwischen den Mannorientierungen zu sagen, mehrere entfernter stehende Gegner aus dem Spiel zu nehmen und so Überzahlmöglichkeiten verfügbar machen zu können.
Das konsequent aufgezogene und klar definierte, in seiner Art eher einfache Pressingsystem machte dem deutschen Aufbauspiel Probleme und führte zwischenzeitlich zu einigen gefährlichen Ballverlusten. Mehrere eigenstrukturelle Faktoren spielten dabei eine Rolle: Zunächst fand die strategisch starke und ballsichere Doppelsechs aus Kroos und Weigl wenig Synergien und hatte nicht den erwarteten Harmonisierungseffekt auf die Mannschaft, eher schienen die beiden sich auch ein wenig in ihrem Wirkungspotential zu begrenzen bzw. sich situationsbezogen nicht so sehr zu ergänzen. Desweiteren zeitigte die Aufstellung Podolski als hängender Spitze – vermutlich, um ihn nochmals in zentraler Rolle zu haben – ambivalente Auswirkungen, da seine stürmerartige und oft hohe Spielweise nicht so viele natürliche Verbindungen ans Mittelfeld bedeutete.
In der zweiten Halbzeit ließ sich Podolski demgegenüber deutlich tiefer fallen, teilweise passiv und zunächst unbeteiligt, um dann etwa bei Abprallerszenen plötzlich einzugreifen. Übrigens war möglicherweise gerade die nominelle Doppelspitze im deutschen Team ein Grund für die enge Spielweise der Flügelspieler – die sich jedoch nicht so sehr verbindend, sondern ebenfalls hochstehend einschalteten. Teilweise hatte Deutschland vorne einen Pulk von mittigen Offensivleuten, die so gelegentlich zweite Bälle eroberten, ansonsten aber wenig ins Spiel fanden. Nach seitlichen Aufrückmomenten für die Außenverteidiger boten sie sich zwar immer mal in den Halbräumen an, schienen sich aber insgesamt unsicher, wie sie sich nun im Verhältnis zu Podolski genau positionieren und wie stark ballfordernd sie nun auftreten sollten.
Offensive Bewegungsmuster
Manchmal konnten sie über das Binden einzelner Gegenspieler effektiv werden, teilweise bewegten sie sich aber auch etwas unklar durch die Zonen. Gerade bei der exakten Positionsfindung innerhalb der kleinräumigen Gegebenheiten entstand letztlich nur wenig Ausgewogenheit. Insgesamt konnte sich die DFB-Elf in diesem Duell über weite Strecken – besonders in Halbzeit eins – daher nur wenig Offensivpräsenz erarbeiten, vor allem nicht über einzelne längere Zeiträume hinweg. Als vielversprechend erwiesen sich in diesem Kontext die raumfindenden Aktionen über rechts, die natürlich auch nur dann möglich waren, wenn sich Deutschland beispielsweise über Abpraller kurzzeitig im zweiten Drittel festgesetzt hatte und eine kontrollierte Ballpassage gegen das 5-4-1/5-2-3 startete.
In jenen Räumen konnte Joshua Kimmich durch seine eingerückte Position einige Male Bertrand herauslocken – und zwar weit aus dessen Grundposition. Überwand der Rechtsverteidiger dessen Deckungsschatten, ergaben sich also sehr große Räume auf dem rechten Flügel, in die man weiterspielen konnte. Gerade Mitte des ersten Durchgangs forcierte Deutschland ausweichende Bewegungen dorthin, um sich so weitere Spielanteile und Aufrückmöglichkeiten zu sichern. Das geschah einmal in Person von Timo Werner – grundsätzlich ein passender Spielertyp dafür – und dann durch den entsprechenden Flügelakteur jener Seite, der aus seiner zunächst engeren Grundposition wieder nach außen sprinten konnte.
Im Ganzen traten – wie häufig in solchen Szenarien, dann auch noch bei geringer Abstimmung – Probleme mit der Realisierung von Folgeoptionen und -aktionen auf, entsprechend viele versandete Versuche und immerhin ungefährlich verlorene Bälle, aber mancher kleinerer Offensivansatz wurde so schon eingeleitet. Zumal handelte es sich um einen recht einfachen Weg ins Angriffsdrittel hinein, vor dem Hintergrund der Aufbauschwierigkeiten nicht unwichtig. Wenngleich in einem ganz anderen Zusammenhang und in einer ganz anderen, viel dominanteren Konstellation: Das Thema Aufbauspiel, eigentlich besonders in der bisherigen WM-Quali absolutes Prunkstück der deutschen Mannschaft, forderte auch in der Partie gegen Aserbaidschan als Diskussionspunkt heraus.
Aufbau über Höwedes
Normalerweise kurbelt häufig Toni Kroos aus seiner nach links verschobenen Positionierung die Angriffe an, diesmal war überraschend Benedikt Höwedes präsentester Aufbauspieler (Anmerkung: Höwedes ist zwar insgesamt sehr gut, aber kein Hummels). Er erhielt in breiterer Position viele Bälle, hatte etwas Raum und damit Möglichkeiten zur Einleitung von Szenen. Ob das in dieser Form geplant war, kann man bezweifeln – der Seitentausch der Innenverteidiger zum zweiten Durchgang, durch den wohl Hummels diesen Posten übernehmen sollte, wäre ein Hinweis darauf. Eine Mischung verschiedener zusammenwirkender Faktoren bedingte zunächst diese Situation: Die Pressingstruktur Aserbaidschans mit leicht asymmetrischem Mittelfeld und versetzter Positionierung des einzigen Stürmers, dazu die deutsche Systematik ausgehend von den verschobenen Sechsern:
Wie Kroos etwas stärker linksseitig agierte und jene Bereiche übernehmen sollte, gab es beim Pärchen dahinter die umgekehrte Tendenz. Entsprechend hatte Höwedes den potentiellen Aufrückraum vor sich – und erhielt dort auch viel Präsenz, weil das Spiel einerseits von Kroos weggedrängt, andererseits dieser wiederum – teilweise von Höwedes selbst – auch nur selten gesucht wurde. Der Schalker Defensivallrounder ergriff also die ihm zukommende Verantwortung und dribbelte oft in den sich bietenden Raum an. Seine Kollegen schufen ihm unterstützend gute Bedingungen: So rückte Kimmich besonders weit auf und drückte Nazarov teilweise tief nach hinten, während Hummels liberoartig absicherte und die Sechser – ansonsten schon das Gegenpressing antizipierend – in den richtigen Momenten die Zurückhaltung beibehielten.
Da sich die Zentrumsspieler Aserbaidschan sehr stark auf die deutschen Mittelfeldkräfte konzentrieren wollten, schoben sie nur zögerlich auf Höwedes heraus. Gerade im Falle Khediras sorgte die tiefe Position zu Beginn der eigenen Angriffe dafür, dass sich dessen Gegenspieler höher am deutschen Kapitän orientierte und dadurch nicht immer so kompakt nach hinten stand. Dies kam den Offensivspielern zugute, die hinter den gegnerischen Achtern den alleinigen Sechser überladen wollten. Grundsätzlich formierte sich die offensive Dreierreihe eng und suchte die zentralen Bereiche. Vor allem durch das Einrücken Schürrles orientierten sie sich bevorzugt in den rechten Halbraum vor Höwedes, schufen insgesamt mit verschiedenen Rochaden viel Bewegung.
Enge und bewegliche Offensive mit Unsauberkeiten
Wenn sie sich – beispielsweise auch auf links – zu dritt kompakt auf einer Seite formierten, setzte sich Gomez ballfern ab. Ansonsten fokussierte sich der Mittelstürmer auf ein eher kleinräumiges Spiel als ablegender Fokuspunkt vorne. Von der Zehnerpositon unternahm Draxler viele ausweichende Bewegungen für die beiden Kollegen, fiel zudem mehrmals explosiv nach hinten, um kurz Bälle klatschen zu lassen, wenngleich er teils zu aggressiv und überambitioniert in unpassenden Momenten grob in die Räume hineinging. Insgesamt hatte das DFB-Team in der bewegungsreichen Spielweise also manche Unsauberkeit – resultierend auch daraus, dass diesmal jeweils sehr direkte Typen ohne einen wirklich kleinräumig spielmachenden Techniker kombiniert waren. Gerade Schürrles hohe Präsenz war für das Ausspielen gelegentlich etwas seltsam.
Andererseits machte es die deutsche Offensive aber sehr gut, bei den verschiedenen Rochaden immer viel Präsenz vertikal vor Höwedes halten. Das Muster im Übergangsspiel war häufig dessen direktes Zuspiel in die Angriffsbereiche. Durch die engen Staffelungen konnten die Deutschen auch bei ungenaueren Pässen gut Zugriff auf unkontrollierte Abpraller erhalten und die Gefahr hochhalten. Teilweise schien es gar so, als würden die Bälle bewusst einfach scharf in den Bereich um die letzte Linie gespielt, um sich dann indirekt und spontan die entscheidenden Szenen zu „erobern“. Schließlich waren sogar einige höhere Zuspiele mit Kopfballweiterleitungen dabei. Sehr klar blieb die deutsche Mannschaft – wie vor dem 0:1 – bei raumöffnenden Verlagerungen auf Hector, der durch Schürrles Einrücken dynamisch freigespielt werden konnte.
Etwas problematisch an der Aufbaustruktur des ersten Durchgangs mit der konsequent eingegangen Asymmetrie bestand darin, dass bei Bällen, die unkontrolliert ins Mittelfeld zurückprallten oder von Khedira erobert wurden, der Kapitän aufgrund seiner zentralen Position dann sehr viel spielmachende Präsenz erhielt. Bei Ballbesitz aus der zweiten Welle lag die Aufbauverantwortung zu klar und auch zu unflexibel bei ihm. Demgegenüber gelang es dem deutschen Team auch in diesen Konstellationen nur bedingt, den halblinks etwas abseits agierenden Kroos dauerhafter einzubinden. Seltsam waren in diesem Kontext auch die Phasen tiefer Müller-Positionierungen halbrechts, die zu Spielbeginn und dann wieder in einigen Abschnitten des zweiten Durchgangs stärker auftraten.
Umgang mit höherem Pressing? Strategische Einwirkungen
Gegen die prinzipiell hohen Achter Aserbaidschans und teilweise Nachpressen aus den halblinken Bereichen drohten nach zweiten Bällen manchmal – teilweise auch zeitlich etwas verspätet – Unterzahlen für Khedira. Solche unangenehmen Szenen im Mittelfeldzentrum führten zwischendurch zu unkontrollierten Pässen und hektischen Phasen beim deutschen Team, die sich zu einzelnen zerfahrenen Abschnitten hochschaukeln konnten. Nach dem Seitenwechsel trug dazu auch das zwischenzeitlich höhere Pressing Asberbaidschans bei: Mehrmals blieben den Innenverteidigern – zumal bei der vorsichtigen Leno-Einbindung – nur simple Pässe auf Kimmich bzw. Hector: Dabei zeigte sich insgesamt als Problem, dass bei aller Flexiblität der Offensive kaum tiefe Unterstützungsbewegungen für die Außenverteidiger gegen höheres Pressing systematisch vorgesehen schienen.
Insgesamt demonstrierten beide Partien in ihren unterschiedlichen Anlagen jeweils nachdrücklich, dass es sich eigentlich wirklich lohnen kann, gegen Deutschland auch höher zu pressen. Das ist dann gerade vor dem Hintergrund zu sehen, dass die DFB-Elf ansonsten – speziell in Bestbesetzung – über das starke Quadrat aus Innenverteidigung und Sechsern so viel Aufbauqualität auf den Platz bringen und so enorm erdrückende Dominanz entwickeln kann. Nicht zuletzt manche Phasen des zweiten Durchgangs dienten nochmals als Illustration dafür, auch wenn Deutschland die Gelegenheiten schwächerer Vertikalkompaktheit Aserbaidschans dann oft für druckvolle Schnellangriffe nutzte.
Der Tausch zwischen Hummels und Höwedes wirkte sich gar nicht so entscheidend aus, da beide Teams sich in ihren Strukturen veränderten – übrigens jeweils symmetrischer wurden. Die Gastgeber agierten etwas tiefer, vor allem die Flügelspieler ließen sich gegen Kimmich und Hector über längere Phasen in 6-3-1-Staffelungen fallen, aus denen aber das Mittelfeld sich noch recht aggressiv zu zeigen versuchte. Vonseiten der deutschen Auswahl fächerten die Innenverteidiger nun aggressiver und breiter auf, was punktuell durch zentrales Zurückfallen Khediras ergänzt wurde. Vor allem aber kam nun Kroos wieder stärker in den Fokus und erhielt gerade gegen den Rückzug beider gegnerischer Flügelspieler mehr Freiheiten in seinem Halbraum.
In den besten Phasen folgten die Angriffe des DFB-Teams einem druckvollen Muster: Einer der Offensivspieler fiel kurz zurück, lockte einen mannorientier verfolgenden Gegner heraus, legte wieder ab und es folgte sofort eine Verlagerung der Aufbauspieler in den anderen Halbraum, etwa von Kroos auf Hummels. Dagegen kamen Aserbaidschans Achter nicht mehr so gut hinterher. Deutschland spielte schnell um den gegnerischen Block herum und fand irgendwann die Möglichkeit, aus den seitlichen Freiräumen von außen ins Mittelfeld neben den einzigen Sechser einzudringen. Dort hatten die Offensivspieler aus dem Zwischenlinienraum viele Optionen, aus denen noch viel Potential verloren ging. Ein spätes Paradebeispiel war aber noch das Tor zum 1:4, als Kroos nach Vorrücken im linken Halbraum wieder frei wurde.
6 Kommentare Alle anzeigen
tobit 6. Juni 2017 um 23:19
Ich muss mal was zum Spiel heute loswerden. Besonders zur Phase ab der 65. Minute: Wie kann man eine eigentliche Ballbesitzmannschaft so zerreißen?
Mir sind in der Phase mehrere Probleme aufgefallen:
1. Die fehlende Besetzung der rechten Offensivposition: Nach den ersten Wechseln stellte das DFB-Team auf eine 4er-Kette um und hatte nun etliche Offensivspieler auf dem Platz. Die hielten sich aber alle links auf während rechts nur gelegentlich Goretzka/Demirbay oder Kimmich überhaupt für Offensivpräsenz sorgten. Auch die zuvor oft gesehenen Verlagerungen von links zum rechts breiten Kimmich gab es nicht mehr, was dann zu immer engeren Situationen auf links führte.
2. Die Positionierung von Can und Goretzka/Demirbay: Der eine kippt permanent zwischen die IV ab und der andere versucht das Loch rechts vorne zu füllen, aber keiner bewegt sich im Sechser- oder Achterraum. Der einzige Weg nach vorne bestand in Rückstößen von Younes, Brandt oder Draxler sowie in langen Verlegenheitsbällen in Richtung eines nichtmehr vorhandenen Abnehmers. Gegen Ende kam Demirbay durch einen Wechsel auf die eh schon überfüllte (halb-)linke Seite doch noch besser ins Spiel und Can kippte kaum noch nach hinten, was zumindest einige wenige Momente von Spielfluß ermöglichte.
3. Die Durchbruchsräume: Wenn man mal in Strafraumnähe kam, dann in sehr engen Situationen auf dem linken Flügel oder im linken Halbraum. Von dort wurde dann meist geflankt – was schon mit Wagner und Draxler in der Box wenig erfolgreich gewesen war. Wenn nicht direkt geflankt wurde, dribbelte einer der drei Linksaußen (Younes, Draxler und Brandt) nach innen oder zur Grundlinie, was aber gegen sehr kompakte Dänen kaum mal entscheidende Vorteile brachte.
4. Die Einbindung Stindls im ganzen Spiel: Er profitiert bei Gladbach stark von den dynamischen Angreifern um sich herum, die er hinter die Abwehr schicken kann um dann selbst in den Strafraum nachzurücken. Wieso bringt man nicht wenigstens einen solchen Spielertypen? Stattdessen kommt er sich mit Goretzka in die Quere, der sehr ähnliche Räume anvisiert (halbrechts etwas vor dem Strafraum), diese aber viel dynamischer bespielen (bzw. durchspielen) möchte – oder das Spiel lief durch den Linksfokus an ihm vorbei. Auch im Strafraum kam er kaum zur Geltung, da sich das Spiel zu sehr auf Flanken Richtung Wagner und Draxler konzentrierte und keine Gefahr durch flache Pässe durch das Zentrum entstand (was auf der mangelnden Eingespieltheit beruht).
Taktik-Ignorant 31. März 2017 um 16:07
Vielen Dank für den sehr aufschlussreichen Artikel. Ich fand, das Herausarbeiten einiger Gemeinsamkeiten zweier grundsätzlich sehr verschiedener Spiele (Testspiel mit Ersatzelf gegen gleichwertigen, hochkarätigen Gegner vs. Qualifikationsspiel in Bestbesetzung bei Außenseiter, dessen beste Spieler in der deutschen 2. Liga kicken) gut gelungen. Das kohärente Pressing-Spiel der Engländer konnte sich durchaus sehen lassen und hätte bei etwas mehr Glück und einer etwas weniger freundschaftsspielorientierten Schiedsrichterleistung durchaus in eine Halbzeitführung münden können. Der deutschen Mannschaft ist es hingegen in der zweiten Halbzeit gelungen, den Druck etwas abzumildern und ihrerseits mehr Ballbesitzzeiten, eigene Ballstafetten und schließlich auch Torchancen zu erarbeiten. Lag dies an der anderen Spielweise von Kroos? Für eine bunt zusammengewürfelte Mannschaft, die nach Auskunft Löws vor dem England-Spiel genau eine (!) Trainingseinheit absolvieren konnte, fand ich den Auftritt der international wenig erfahrenen, jungen deutschen Mannschaft nicht so schlecht.
Zum Aufbauspiel gegen Aserbeidschan, die Hummels konsequent zuzustellen versuchte: mit Boateng neben Hummels in der Innenverteidigung (und Neuer im Tor) sieht das Spiel von hinten heraus natürlich anders aus. Wenn einer von beiden ausfällt, scheint es problematisch zu werden. Wen würdet Ihr, wenn man das Kriterium „guter Aufbauspieler“ zugrunde legt, als ersten Ersatz sehen (die Kandidaten dürften Badstuber, Süle, Tah, Mustafi, Höwedes und Rüdiger sein)?
Daniel 2. April 2017 um 12:26
Also wenn man es rein auf das Aufbauspiel bezieht lautet die Antwort eindeutig Badstuber. In der Gesamtschau aller Fähigkeiten betrachtet fehlt ihm aber denk ich noch etwas zur Rückkehr in die Nationalmannschaft. Wenn er jetzt endlich verletzungsfrei bleiben sollte traue ich es ihm jedoch zu, nochmal ein Thema bei Löw zu werden.
Alles in allem ist auch bei mir Höwedes erster Ersatz. Im Verteidigungsspiel steht er Boa und Hummels kaum nach. Mit Ball am Fuß ist er zwar nicht kreativ, aber zumindest stabil und fehlerresistent. Eine IV aus Hummels und Boa hat halt im internationalen Fußball in dieser Qualität auch nur Spanien und Italien noch zu bieten…da ist es klar, dass es dahinter ein wenig abfällt. Mittelfristig werden-bei guter Entwicklung-wohl Süle und Tah zeitnah aufrücken, die mir doch talentierter wirken als Rüdiger und vor allem als Mustafi.
Daniel 30. März 2017 um 10:27
Hi,
wollt ihr euch vielleicht mal Brasilien unter Tite anschauen?
einmensch 29. März 2017 um 15:28
Als Ergänzung zum Teil „Aufbau über Höwedes“:
Im Aserbaidschan-Spiel fiel besonders beim holprigen Beginn auf, dass Höwedes rechts im Aufbau aus genannten Gründen zwar nicht gepresst wurde, aber kaum Anspielstationen hatte. Khedira bot nach einigen Fehlpässen und suboptimalen Bewegungen kaum Unterstützung, sodass der Aufbau zu Beginn häufig auf halbrechts versandete.
Witzig zu sehen war, dass schon Mitte (?) der ersten Hälfte Kroos eine Tausch-Bewegung Richtung Bank machte und daraufhin mit Khedira die Position tauschte. Anschließend war Höwedes durch Kroos‘ Bewegungen und Anspielbarkeit etwas entlastet.
tobit 28. März 2017 um 11:30
Vielen Dank für den Artikel. Ich muss leider sagen, dass es manchmal schwierig war, rauszufinden auf welches Spiel du dich gerade beziehst. Aber insgesamt wieder eine gelungene Zusammenfassung.
Kann sich jemand einen Reim darauf machen, warum Kroos in beiden Partien links im tiefen Halbraum versauert ist? Im zweiten Spiel hätte er doch super mit Khedira tauschen können, dann hätte man in der „zweiten Welle“ mehr Ballkontrolle gehabt und Khedira hätte von der Kroos-Position mit längeren (ballfernen) Läufen Richtung Strafraum eine seiner großen Stärken viel besser einbringen können. Zum Englandspiel fällt mir auch keine Lösung ein (hab das nur nebenbei geschaut).