Stabile Giganten finden fast immer die richtigen Antworten
Juve und Napoli fegten zuletzt durch die Serie A. Nun duellierten sich beide in einem intensiven, aufreibenden, teils sehr anspruchsvollen Match. Letztlich dominierten dabei die starken Defensivreihen. Doch Zazas Treffer brachte das auf hohem Niveau errungene 0:0 spät noch zum Einsturz.
Maßgebliche formative Grundlage für den ungeheuren Erfolgslauf von Allegris Juventus in der letzten Zeit – mit vierzehn Siegen in Folge – war eine Dreierkette, zu der sie nach dem 4-3-1-2/4-4-2 der Vorsaison und vielen engen 4-4-2s zu Saisonbeginn dann zurückgekehrt waren. Aufgrund der Verletzung Chiellinis stellte Massimiliano Allegri diesmal jedoch um. Die Aufstellung Cuadrados ergab eine schiefe Mischung aus 4-3-3 und 4-4-2-hafter Anordnung, in der die linke Seite wechselnd von Pogba oder Álvaro Morata besetzt wurde. Auf der anderen Seite trat das zuletzt ebenfalls sehr starke Napoli von Maurizio Sarri im gewohnten 4-3-3 an und konnte praktisch seine personelle Bestbesetzung auflaufen lassen.
Umkämpftes, defensivstarkes und prinzipiell hochklassiges Topspiel
Es duellierten sich in diesem Spitzenspiel zwei taktisch komplette Teams mit viel Präsenz, Zugriffspotential und Solidität in zentralen Feldbereichen, sowie einer guten Mischung aus mannschaftlicher Stabilität wie gruppentaktischer Anpassungsfähigkeit. Gerade die jeweiligen Defensivabteilungen wussten zu überzeugen und schon in den Mittelfeldzonen gelang es den insgesamt auch sehr intensiv auftretenden Kontrahenten, viele gegnerische Ansätze noch wieder zuzuschieben. Über weite Strecken war es fraglos eine starke Partie mit vielen beeindruckenden Momenten, letztlich aber oft auch eine unvollendete Begegnung.
Gerade im Offensivspiel ließen die Mannschaften doch einiges liegen, bedingt unter anderem durch eine gewisse, auch von der hohen Intensität verursachte Hektik. In der Folge ergaben sich zwischendurch auch mal Abschnitte unsaubererer und zerfahrener Umschaltszenen. Demgegenüber dominierten eher die starken Defensiven, bei Juve mit Endverteidigung, tiefer Präsenz und Balance im Herausrücken, bei Napoli mit horizontaler Kompaktheit und gruppentaktischer Aktivität. Mit der Zeit kamen über die allgemeine Anpassungsfähigkeit jedoch zwischendurch mal vermehrt mannorientierte Muster ins Match hinein.
Zwischenzeitliche Schwächephase(n)
Auf den Flügeln verfielen die Spieler kurzzeitig mal in diese Schemen, im höheren Pressing rückten Marchisio oder Khedira abwechselnd auf Jorginho nach, wie umgekehrt dieser gelegentlich Marchisio verfolgte, wenn Napoli früher draufging. Das Beispiel Jorginho zeigte allerdings auch, dass jenes Herausrücken bei weitem nicht immer mannorientiert war, gerade in weniger hohen Pressingphasen: Napolis Sechser rückte in guten Momenten teils sehr weit, aber leitend auf offene Gegenspieler und fiel dann schnell wieder zurück. Mit seinen Kollegen ließ er im Sechserraum hinter sich dabei kaum Verwundbarkeit zu und konnte bei gegnerischem Eindringen oft schnell Zugriff herstellen.
Jedenfalls neigten die Teams in einer Phase Mitte des zweiten Durchgangs zu einigen klareren Zuordnungen und ebenso häufiger zu vorschnellen längeren Bällen in die Spitze. Sie wurden inkonsequenter in der Raumbesetzung und dadurch öffnete sich die Begegnung zwischenzeitlich zu einer gestreckten, nicht mehr so zusammenhängenden Angelegenheit, was auch wiederum auf die offensiven Nachlässigkeiten zurückwirkte. Nachdem dies zwischenzeitlich abflaute, wurde es tendenziell in der unmittelbaren Anfangsphase des zweiten Durchgangs wieder etwas stärker, ehe sich dann im Folgenden aber erneut eine deutliche Steigerung anschloss.
Napoli sucht die Zwischenräume…
Trotz gewisser Hektik, umkämpfter Duelle oder gelegentlichem Nachschieben im Pressing: Insgesamt überwogen jeweils ruhige Aufbaumöglichkeiten gegen ins tiefe Mittelfeldpressing zurückgezogene gegnerische Linien. Bei Juventus gab es diesbezüglich in der Anfangsphase noch einige Probleme bei der defensiven Anbindung der Stürmer, die weniger kohärent untereinander sowie zum Mittelfeld agierten, als es später sein würde. Zunächst konnte dort also Jorginho häufig Platz finden und ruhig aufbauen. Nominell zeigte sich Juve präsent besetzt, aber hatte aus dieser Überzahl wegen suboptimaler Abstände nicht so viel Zugriff, sollte erst später den einen oder anderen Ballgewinn im Zusammenziehen verbuchen können.
Halbrechts bot sich Allan als ablegende, kurz helfende Anspielstation an und festigte diese Aufbaukontrolle aus dem höheren Sechserraum. Insgesamt versuchte Napoli die Szenen klug für die Vorbereitung und Organisation zum Eindringen in den Zwischenlinienraum zu nutzen. Sie hatten einen passenden Fokus auf diese Bereiche und flexible Wege dorthin. Über einen Halbrechts-Fokus oder Insigne-Präsenz gelang ihnen dies anfangs auch mehrmals, allerdings hatten sie – immer mit zu bedenken natürlich Juves Stabilität im Rückzug, an der letzten Linie und bei der Beeinflussung gegnerischer Versuche – Probleme im Ausspielen.
…leidet aber unter Hektik und Präsenzproblemen
Durch Callejóns breite Rolle und die insgesamt eher (zu) zurückhaltende Rolle Higuaíns, der sich gerade halblinks kaum einschaltete, sondern mal halbrechts in der Spitze arbeitete und dann etwas zurückfiel, ging Präsenz verloren. Auch Allan kam insgesamt nicht so gut zur Geltung, da seine bevorzugten Aufrück- und Kombinationsräume vom eingerückten Pogba mit kontrolliert werden konnten, zumal die Abstimmung mit Callejón diesmal nicht so gut war wie sonst. Unter all diesen Umständen fand Insigne gerade lokal weniger präsente und konstante Verbindungen wie Mechanismen, musste sich einige Male räumlich neu orientieren und agierte in der Folge das eine oder andere Mal leicht hektisch.
Vor allem aber bewegte sich Marek Hamsik zu häufig außerhalb der Formation, was die Präsenzprobleme entscheidend mit bedingte und verstärkte. Der Kapitän hatte zu viel mit seinen herauskippenden und antreibenden Aktionen halblinks zu tun, war darüber hinaus aber kaum mal entscheidend unterstützend oder verbindend im vorderen Halbraum zu finden. Mal hielt er sich zu sehr zurück, gelegentlich positionierte er sich aber auch nicht ideal. Diese eigentlich so wichtige Zone entwickelte so fast gar keine Effektivität, auch Higuaíns Ablagen fehlten. So resultierten die besten spielerischen Ansätze der Gäste über gelegentliche vertikale Stafetten zwischen Insigne, Allan und auch Higuaín halbrechts.
Im weiteren Verlauf: Juves Organisation funktioniert, Napoli schwächt sich selbst
Insgesamt wurden durch die inaktivere linke Seite auch Khedira, der viel diagonal herausrücken konnte, und der situativ an der letzten Linie helfende Cuadrado weniger beschäftigt. Umgekehrt waren gerade jene Juve-Mittelfeldstaffelungen entscheidend, Napoli dort heraus zu drängen und zu schwächen. Als die Stürmer mit der Zeit tiefer, enger, konsequenter nach hinten anschlossen, konnte das teils improvisierte, etwas asymmetrische Herausrücken von Khedira und Co. besser aufgefangen werden. Gerade der Nationalspieler durfte sich um die positionell kompakten Angreifer „herum“ bewegen, deren nahe Staffelung dafür „über“ den unsauberen Mittelfeldlücken stand. Gleichzeitig konnte Jorginho aus dem nun verengten ersten Zwischenlinienraum kaum mehr so ruhig einleiten wie zu Beginn.
Gerade in der letzten Phase vor der Pause und dann auch fast durchgehend über die zweite Halbzeit hinweg wurde zu einem großen Problem Napolis, dass sie zu sehr versuchten, Higuaín im Sturmzentrum einzubinden. Sie fokussierten sich zu sehr auf überfrühte, direkte Zuspiele hinter die Abwehr oder brachten schnelle Hereingaben und Flanken in den Lauf des Argentiniers. Vereinzelt gab es nach Vorlagen Callejóns mal Gefahr gegen kleinere Abstimmungsprobleme in Juves Viererkettenorganisation, aber letztlich war dieser Fokus hinter die Abwehr in den Sechzehner zu simpel. So spielte diese eher ungeschickte Maßnahme ebenfalls eine Rolle, warum die Süditaliener schließlich torlos blieben.
Napoli will Pogba verhindern
Im Verlauf der Partie war damit immer deutlicher geworden, dass hierhin diesmal das Kernproblem der Sarri-Jungs liegen würde. Hinsichtlich der Stabilität von Juves Defensive stand der Tabellenführer demgegenüber kaum nach. In der strategischen Ausführung wählte Napoli sogar eine mutige Ausrichtung gegen den Ball, wirkte noch leicht aktiver und engagierter als die Hausherren. Anfangs rückte Allan im Pressing häufig weit mit auf und sorgte für 4-4-2-hafte Tendenzen, später nahmen die diagonal vorrückenden Bewegungen der Außenstürmer zu, gerade durch den einschiebenden Insigne beim höheren Zustellen.
Ansonsten schien aber die Asymmetrie zur anderen Seite hin – teilweise mit vorgerücktem Callejón – zu überwiegen, denn auch Higuaín orientierte sich oftmals tendenziell etwas mehr nach halbrechts, um dann gegen Bonucci nachzurücken. Damit wollte Maurizio Sarri vermutlich das Spiel von Juves halblinker Seite und Paul Pogba bzw. dessen Einflussnahme in tieferen Aufbauzonen fernhalten – eine Maßnahme, die im ersten Teil der Partie auch recht gut aufging. Statt Pogba konstant wirksam in tiefen Zonen einbinden zu können, musste Juve oft auch nach rechts weichen, zumal potentiell zusätzlich Allan das Einrücken des Franzosen aufnehmen konnte.
Gelegentlich unvollendetes Übergewicht am rechten Flügel
Auch darüber hinaus machten die Gäste einen grundsätzlich stabilen Eindruck. Das situative Herausrücken Jorginhos wurde gut abgefedert, insgesamt zeigten sich die Bewegungen im Mittelfeld zwar nicht so aggressiv-konsequent, aber bis auf wenige Ausnahmen ausgewogen. Etwaige Löcher im Rücken wussten sie oft noch zu verstellen, ließen wenig zu. Gelegentlich konnte Juve mal über einzelne direkte Vertikalpässe nach rechts vielversprechende Ansätze erzeugen. Mit der Asymmetrie um Cuadrado, dem aufrückenden Lichtsteiner um den helfend dorthin rochierenden Khedira hatten sie ein gewisses Übergewicht und erzeugten daraus vereinzelt überraschendes Dynamikmomentum.
Wenn sich an der letzten Linie noch einer der Stürmer herüberschob und mit Ablagen half, ergaben sich kleinere Mechanismen. Diese Spielzüge konnten den teils nicht ganz so gut gesicherten Raum um Hamsik attackieren, für Aufrücken sorgen und zumindest die gegnerische Mittelfeldabteilung vor Probleme stellen. Für den letzten Durchbruch reichte es aus diesen Momenten aber letztlich praktisch gar nie, da Napoli mannschaftlich stabil war, sich mehrmals gruppentaktisch schnell anpasste und im Notfall oft noch die letzte Linie zur Restverteidigung hatte.
So konnte Juventus schlussendlich am Ende solcher Szenarien oft nur Khedira zum Flügel hin ins Spiel bringen oder Cuadrado horizontale Dribblingmöglichkeiten in Mittelfeldräume ermöglichen. Im Anschluss brachte der Kolumbianer zwar einige Verlagerungen auf den auf ein 1gegen1 spekulierenden Pogba, aber insgesamt war es problematisch, dass in den vielversprechendsten Momenten gerade der in seinen Entscheidungen eher wirre Cuadrado der primäre Spielmacher sein musste, den man in Position brachte. Überhaupt zeigten sich beim Titelverteidiger die Bewegungsmuster des schief angeordneten Sturms ein wenig unstrukturiert oder leicht chaotisch angelegt.
Zweite Halbzeit
Nach einer kurzen Warmlaufphase kehrte die Partie im zweiten Durchgang schnell zu guten Momenten und taktisch gefestigten Strukturen zurück. Juve hatte einige kluge Herausrückmomente und Umformungen, Napoli manch ansehnliche weite Verschiebephase mit 4-5-1-Ansätzen. Kleinere Umstellungen zeigten sich bei den Hausherren: In der ersten Phase nach Wiederbeginn versuchten sie einige Male Pogba vermehrt auf halbrechts einzubinden und dessen Präsenz dort zu forcieren, wofür Morata oder einmal gar Khedira sich links aufhielten. Allerdings war die Einbindung des Franzosen in diesen Bereichen etwas zerfahren und unrhythmisch, wurde auch schnell wieder beendet.
Langlebiger zeigten sich demgegenüber die Versuche, Dybala stärker in den Fokus zu bringen. Dafür gab es von Seiten Khediras und Pogbas phasenweise – etwa auf einer Linie mit Marchisio – tiefere Positionierungen, durch die sich Napoli vereinzelt doch mal aus dem Mittelfeld herauslocken ließ. Auch wenn Jorginho oft schnell zurück war und kaum zentrale Durchbruchsmöglichkeiten entstanden, konnte Dybala einige Male mit vertikalen Zuspielen halbrechts im Zwischenlinienraum bedient werden. Zumindest das Andribbeln in Richtung Strafraumeck und eine Folgeaktion waren ihm dann möglich.
Vereinzelt entstanden daraus Ansätze, über Abschlüsse oder Pässe in Richtung seines Sturmpartners oder Cuadrado, denen gegen Napolis letzte Linie aber der Durchbruch versagt blieb. Als beide Mannschaften in der Endphase immer mehr abbauten und Allegri kurz vor Ende sich für die stabilisierende Einwechslung Alex Sandros anstelle von Dybala entschied, schien das 0:0 endgültig zementiert. Doch nach einem gewonnenen zweiten Ball im Anschluss an eine Verlagerung konnte sich Zaza in Unterzahl per Drehung etwas Raum verschaffen und erzielte mit seinem abgefälschten Distanzschuss doch noch das etwas glückliche Siegtor für Juventus.
3 Kommentare Alle anzeigen
August Bebel 16. Februar 2016 um 13:11
Danke für die gelungene Analyse eines sehr interessanten Spiels. Aber was habe ich mich über das 1:0 geärgert! Eigentlich war das für mich der Prototyp des hochklassigen 0:0.
juventino 15. Februar 2016 um 14:40
Vielen Dank für die tolle Analyse!
Ich weiss nicht, ob man die Einwechslung Alex Sandros unbedingt (nur) als stabilisierende Massnahme betrachten sollte. Ich würde das Tor durchaus auch auf seine Einwechslung zurückführen, da er konstant Breite gab auf links im letzten Drittel. Pogba und Morata tendierten vorher oft zu sehr in die Mitte und liessen die linke Seite im letzten Drittel oft unbesetzt. Den Platz, den Zaza bei seiner Ballannahme bespielen konnte, entstand sicher auch aus der doppelten Breite rechts und links. Ich habe mir schon lange vorher eine Umstellung auf ein klares 4-3-3 oder ein 3-5-2 gewünscht, da vor allem Pogba in dieser Zwischenposition extrem an Einfluss verliert.
Gibt’s für die CL noch Vorschau-Artikel o.Ä.? Die gehören jedes Jahr zu den Highlights der Saison und gerade Juve-Bayern erwarte ich extrem gespannt.
TR 18. Februar 2016 um 22:08
Hallo, juventino, danke für das Lob und die Einschränkung zur Einwechslung Alex Sandros bzw. der Entstehung des 1:0, durchaus beachtenswerter Punkt.
Zur CL: Breitflächig sind, wie diese Woche schon gesehen, keine Vorschauen geplant, aber Juve gegen Bayern ist natürlich ein sehr spannendes und im Vergleich mit den anderen Partien auch etwas herausgehobenes Duell, auf das wir uns aus analytischer Sicht auch sehr freuen. Von daher werden wir zumindest zu diesem Match versuchen, einen Artikel auf die Beine zu stellen, wenn es die Zeit zulässt. Stand jetzt gehe ich einmal davon aus, dass es gelingt, aber zu den anderen Partien dürfte es wohl eher schwierig werden, vielleicht noch zu einer weiteren Begegnung oder einem der Rückspiele, mal sehen. 😉