Ajax in einer Halbkrise

Ajax erwischte einen eher schwachen Start in die Rückrunde und sah sich Diskussionen um eine Krise ausgesetzt. Die derzeitige Situation des Teams ist wechselhaft, vielschichtig und daher nicht so einfach zu greifen. Neben klaren Problemen gibt es auch viel Hoffnungsvolles.

In der Rückrunde wollte Ajax eigentlich den mit vier Zählern enteilten Tabellenführer PSV noch überholen und die 5. Meisterschaft in Serie feiern. Nach nur vier Punkten aus den ersten vier Spielen scheint sich dieses Ziel allerdings bereits erledigt zu haben – zuletzt verschärfte sich die Schwächephase des Teams und Krisenstimmen wurden laut. Nach dem enttäuschend harmlosen 0:0 im Klassieker gegen Feyenoord und der verdienten 0:1-Niederlage bei einem klar überlegenen Vitesse mehrten sich vor dem Duell gegen AZ vom vergangenen Donnerstagabend, einem weiteren Teams aus der Verfolgergruppe, die kritischen Töne.

Frank de Boer setzte in dieser Situation auf mutige Umstellungen: Er beorderte Toptorschütze Milik auf die Bank und bot den spielstarken Offensivallrounder Schöne als zentrale Sturmspitze auf. Das Mittelfeld des 4-3-3 wurde gewissermaßen jugendlich gestaltet: Neben den beiden Nachwuchskräften Riedewald und Bazoer kam auch der 19-jährige, gerade aus Heerenveen geholte Daley Sinkgraven zum Einsatz. Zwar machte er noch nicht sein bestes Match und führte spielmachende Ansätze etwas seltsam aus, konnte aber seine Anpassungsfähigkeit sowie sein meist recht stabiles Raumgespür andeuten und vor allem mit seinen flinken, sauberen Drehungen ebenso wie mit seinem starken Timing in Tacklings überzeugen.

Unruhig und wechselhaft bei eigenem Ballbesitz

ajax in einer halbkrise azAuf der anderen Seite setzte die Mannschaft von John van den Brom erneut auf das nach der Rückkehr Berghuis´ wieder favorisierte 4-3-3 anstelle der Rautenformation aus der Hinrunde. Dabei gingen sie in verschiedene 4-4-2-Staffelungen über, versuchten früh den Ajax-Aufbau zuzuschieben und nahmen zahlreiche konsequente Mannorientierungen ein. Wenn einer der Mittelfeldspieler vorschob, versuchte er zwar mit seinem Deckungsschatten den Sechserraum der Amsterdamer abzudecken, aber dennoch wollte AZ die klaren Zuordnungen dort beibehalten. Entsprechend rückte einer der Innenverteidiger – meist Gouweleeuw – teils extrem weit heraus, um auf die gegnerischen Achter zu pressen. Dies war eine sehr riskante und improvisierte wie bewegungsintensive Spielweise, die allerdings durchaus ordentlich funktionierte. Nicht zum ersten Mal fand Ajax keine konstant weitflächige Ruhe in ihrem Aufbaurhythmus, konnte die eigenen Mechanismen nur phasenweise zum Tragen bringen und hatte durch erzwungene lange Schläge Cillessens auch einige Ballverluste.

Das war aber nur eine Seite der Medaille: Es gab ebenso Szenen, in denen sich Ajax zu befreien wusste, dynamisch etwas Raum öffnen und sich dadurch nach vorne spielen konnte. Dafür rückten die beiden Außenverteidiger nicht nur im Umschaltmoment gelegentlich ein und sorgten für temporeiche Übergänge, während die Mittelfeldakteure wechselweise nach außen wichen und freie Verbindungsräume suchten. Gerade Riedewald fand hier auf links einige Lücken und brachte zusammen mit den typischen Diagonaldribblings von Boilesen sowie Kishnas geschickter individualtaktischer Unterstützung die eine oder andere Szene aufs Gleis. Meistens handelte es sich bei diesen Momenten allerdings um Angriffe, die sehr schnell und direkt in einem durchgespielt werden mussten, um die etwas chaotische und riskante Defensivstrategie des Gegners zu bestrafen. Dies war jedoch der dauerhaften Kontrolle nicht ganz förderlich.

Obwohl in der ersten halben Stunde einige gute Abschlüsse dabei waren und das Team in dieser Hinsicht ein klares Übergewicht verbuchte, blieb es häufig somit nur bei Ansätzen. Ansonsten war vor allem die rechte Seite der dominante und fokussierte Flügel bei Ajax. Dafür agierte van Rhijn phasenweise sehr offensiv und Schöne wich seitlich aus, was im Zusammenspiel mit dem gewohnt engagierten, laufstarken und abschlussfokussierten El Ghazi einige simple, aber gruppentaktisch gut ausgespielte Angriffe ergab, die Schussmöglichkeiten um den Sechzehner herum generierten. Auch Bazoer schob für diese Überladungen in etwas tieferen Bereichen unterstützend mit auf die Seite, wie die Mittelfeldakteure in diesen Szenen überhaupt viele zuarbeitende und anpassend-balancierende Aufgaben verrichteten.

Ein Für und Wider im Defensivbereich

Gegen den Ball haben die Ajacieden nach ihrer schon zum Rückrundenstart angedeuteten Umstellung auf eine stärker raumorientierte Spielweise mit weniger Mannorientierungen – nur situativ orientierte sich Sinkgraven beispielsweise mal etwas seitlich zu Henriksen – noch Probleme damit, aus der Stabilität konstant Druck auf den Gegner auszuüben. Gegen Feyenoord machte ihnen diese lasche Intensität besonders Probleme. AZ kam dagegen kaum einmal zu guten Torchancen in der Offensive, hatte jedoch trotz der eng formierten Ajax-Sturmreihe recht viel Kontrolle in der hintersten Linie. Vorne fokussierten sie sich mit der Zeit vermehrt auf links, wo der simple Balanceflügeldribbler Hupperts einige Male van Rhijn herausziehen konnte. An diesem Punkt fehlt es Ajax derzeit an der Ausgewogenheit innerhalb dieser Zuordnungen und ihrer konstanten Absicherung durch das Kollektiv – Abwehr und Mittelfeld greifen dafür in der vertikalen Zusammenarbeit sozusagen nicht optimal ineinander.

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Etwas lasche Defensivstellung aus dem Spiel gegen Feyenoord, die diese noch besser ausspielen hätten können, aber auch zu einer guten Chance nutzten

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Zuletzt gab es häufiger derartige Stellungen zu sehen – nicht ganz schlecht, aber auch nicht mit optimalem Zugriff. Die Kohärenz und Zusammenhänge wischen Mittelfeld- und Sturmreihe sind nicht optimal und der Wirkungsradius der Achter ist teilweise etwas zu klein, so dass kein konstanter Zugriff auf die gegnerische Zirkulation entsteht

Damit ermöglichte das Wegziehen van Rhijns durch Hupperts etwas Raum für den umtriebigen Angreifer Jòhannsson und den hinterm Mittelfeld ausweichenden Dabney dos Santos, die im Strafraum die nachrückenden Henriksen und Berghuis bedienen wollten. Diese beiden zeigten einige sinnvolle Bewegungssynergien und fokussierten sich darauf, ballfern füreinander im Bereich um Boilesen herum Räume frei zu blocken, was die eine oder andere Chance einbrachte. Generell war für Ajax im Hinblick auf die Defensive ein Problem, dass sie auch weiter vorne derzeit die Zusammenarbeit zwischen Außenstürmern und Achtern nicht so wirklich koordiniert bekommen. Weil auch die Herausrückvarianten in 4-4-2-hafte Anordnungen, die es in der Ära de Boer immer wieder zu sehen gab, seltener vorkommen und sehr hohe Pressingphasen etwas an konsequenter Verrücktheit verloren haben, ist ihr Defensivspiel aktuell nicht in der Lage, entscheidend Druck aufzubauen.

Es fehlt etwas an Zugriff

Dies führt zusammen mit dem nicht konstant kontrollierten Aufbau, wo das Team die Eindrücke aus den Testspielen und der Auftaktbegegnung gegen Groningen bisher nicht so wirklich bestätigen konnte, dazu, dass die Mannen de Boers keinen dauerhaften Zugriff auf das Spiel entwickeln können. Die sinkenden Ballbesitzzahlen im Durchschnitt deuten dies bereits an – und in den drei zuletzt torlosen Partien hatten sie auch kein einziges Mal das Ballbesitzplus auf ihrer Seite. In dieser Konsequenz liegt der Schlüssel für Verbesserungen.

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Das 3-4-2-hafte System in den letzten 20 Minuten gegen AZ

Nur ist es dabei wichtig, in Bezug auf die Defensivumstellung nicht zu sehr oder nicht allein die Passivität zu betonen, sondern auch die Früchte dieser Maßnahme zu sehen. Das tiefere, raumorientierte 4-3-3 ist im zentralen Trio etwas zu wenig weiträumig, zugriffsorientiert und zu steril interpretiert, wozu auch noch die kleinen Koordinationsprobleme mit den Außenstürmern kommen. Allerdings wurde die reine  Defensive dadurch anderseits verbessert, denn bei allen Krisenüberlegungen ist festzuhalten, dass die Mannschaft nur zwei Gegentore in diesen vier Spielen kassierte, wovon eines in Unterzahl und das andere durch eine individuelle Aktion kurz vor Schluss fielen.

Es gibt fraglos gewisse Dinge zu verbessern, doch zeigte Ajax gegen AZ einige gute Ansätze und dürfte nicht ganz so sehr in der Krise stecken, wie es vielleicht thematisiert wurde. Interessant war in diesem Zusammenhang bereits die Umstellung de Boers in der letzten halben Stunde nach dem etwas überzogenen Platzverweis gegen Moisander. Mit Viergever und dem jungen Tete brachte er zwei vielseitige Defensivallrounder und stellte auf eine asymmetrische 3-4-2/5-3-1-Mischformation um. Dabei agierten van Rhijn und Boilesen als phasenweise extrem hohe Wing-Backs und die Mittelfeldakteure bespielten die zentralen Bereiche sehr fluid, wenngleich etwas zu improvisiert. Vereinzelt konnten sie gute Ansätze erzwingen und in der Spitze war die Einbindung von Dribbler El Ghazi als konstant ablegendem Stürmer vielversprechend. Möglicherweise lag in dieser Phase auch der eine oder andere Keim für eine Steigerung und die Rückkehr auf einen besseren Weg – gerade in Sachen Ballbesitzspiel, neben Zugriff und Pressingvariation.

ajax in einer halbkrise gaeMal wieder ein Sieg und ein erster, wichtiger Schritt

Am Sonntag bei den Go Ahead Eagles deuteten die Mannen von de Boer so etwas auch an und konnten wieder einmal einen Sieg – wenngleich nach schwächerer zweiter Halbzeit etwas glücklich in der letztlichen Entstehung – verbuchen. Vor allem an die Umformungsbewegungen im Aufbau, die es gegen AZ wieder zu sehen gegeben hatte, knüpften sie an. Beide Außenverteidiger agierten entweder eingerückt oder kippten im Aufbau sogar herein. Auf rechts wurde dies mit van Rhijn von der Grundmethodik her ähnlich praktiziert wie in Phasen der vergangenen Saison bei Guardiolas Bayern, um die Passwege auf den Außenstürmer – in diesem Fall El Ghazi – gegen die Mannorientierungen zu öffnen. Links waren enge Positionierungen Boilesens etwas konstanter vorhanden und weniger dynamisch.

Dies wurde zudem wie schon gegen AZ mit ausweichenden Mittelfeldbewegungen von Bazoer und Sinkgraven, die auf den Flügeln nach ähnlicher Methodik gegen die Mannorientierungen wie El Ghazi bedient werden konnten, verbunden. Zwar zeigte sich Ajax insgesamt noch etwas drucklos und inkonsequent in der Zirkulation, doch über diese verschiedenen Wege hatten sie doch gute Mechanismen zum Raumöffnen und Aufrücken.

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Methodik des raumöffnenden Hereinkippens des Außenverteidigers am Beispiel von van Rhijn und El Ghazi

Das sorgte schon einmal für eine deutlich bessere Leistung, zumal es auch vorne den einen oder anderen vielversprechenden Ansatz in zentralen Positionen – um den ablegend mit kombinierenden oder balltreibend raumüberbrückenden Schöne herum – gab. Hätte man die Bewegungsmuster der Außenstürmer noch etwas organischer und diagonaler an derartige Szenen anbinden können, wäre der Sieg möglicherweise deutlicher ausgefallen. Im zweiten Durchgang ließ man sich von höherem Pressing des Gegners aber wieder etwas zu einfach aus dem Ballbesitz und zu langen Bällen zwingen.

Gegen den Ball zeigten sich ebenfalls kleinere Verbesserungen. Interessanterweise nahm der zuletzt verletzte Davy Klaassen nach seiner Rückkehr häufig die nominell zentrale Position des eigentlichen Sechsers ein, interpretierte diese aber vorgeschoben oder aufrückend. Zusammen mit einer generell erhöhten Fluidität – teilweise wurden auch wieder einzelne Mannorientierungen genutzt – innerhalb der Mittelfeldbewegungen führte dies zu hochgeschobenen, flachen Dreierreihen. Mit diesen ließ sich im Pressing etwas kohärenter und ausgewogener im Halbraum an die eingerückten Positionierungen der Außenstürmer anschließen. Dass diese in der Angriffsreihe ebenfalls kleinere Anpassungen und Variationen vornahmen, war ein weiterer positiver Fingerzeig. Natürlich war direkt nicht alles wieder wunderbar, denn die teils zu isolierten Mannorientierungen der Außenverteidiger zerstörten mitunter die Verbindungen innerhalb der Abwehrreihe und auch die gerade in tieferen Zonen etwas positionsunsicheren Phasen geringer Weiträumigkeit und Anpassungsfähigkeit des Mittelfeldzentrums verschwanden nicht vollends. Auch die Tatsache, dass die Sturmreihe bei der Arbeit im Abwehrdrittel phasenweise kaum zurückrückte und sehr extreme Lücken zum Defensivblock ließ, war verbesserungswürdig.

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Etwas verbesserte, wenngleich noch nicht optimale Pressingaktion gegen die Go Ahead Eagles: Wichtig auch, dass bei der folgenden Verlagerung zum Rechtsverteidiger neben Kishna ebenso Sinkgraven und Klaassen sehr aktiv diagonal hinterherschieben.

Insgesamt machte das Team in Sachen Aktivität, Vielseitigkeit und Weiträumigkeit der Defensivanlage aber doch einen Schritt nach vorne. So erhöhte sich der Zugriff schon einmal zu einem gewissen Grad und in Verbindung mit den Maßnahmen im eigenen Ballbesitz stieg der Wert in der entsprechenden Statistik bereits auf 60 %, ohne dass die generelle Zirkulation schon optimal gewesen wäre. Insgesamt lässt sich also festhalten, dass Ajax sich aus der Halbkrise herauszuarbeiten beginnt. Selbst in einer solchen Situation sind sie noch eine sehr interessante Mannschaft, denn auch wenn das gesamte Gebilde noch recht wackelig und inkonstant wirkt – die Maßnahmen und Mechanismen selbst, wie sie beispielsweise mit den einschiebenden Außenverteidigern und rochierenden Achtern derzeit praktiziert werden, sind ansehnlich und besonders.

RM 12. Februar 2015 um 00:16

Wie ist eigentlich Kishnas Einbindung und Entwicklung? Du erwähnst ihn nur kurz, würde mich interessieren.

Wurde eigentlich versucht die Außenverteidiger wie letzte Saison 2-3mal gehandhabt extrem einrückend und sechserraumbesetzend zu nutzen (und nicht nur passwegsöffnend wie in der obigen Grafik gegen GAH)?

Kurze Meinung zu Riedewald und Klaassen würde ich auch feiern.

Antworten

TR 12. Februar 2015 um 22:26

Hmm, Einbindung variierte über die Saison, könnte man vielleicht grob dreiteilen: Zunächst so eine Art simpler Fokusspieler am Flügel in der unmittelbaren Anfangsphase, danach in so einer Zwischenzeit eher weniger eingesetzt und oft so normaler Einwechselspieler, was dann im Mittelteil der Hinrunde zu einer teilweise eher normalen Rolle führte. Schon ab Dezember vielleicht, aber dann jetzt seit Wiederbeginn wird er wieder dominanter in seiner Wirkung, aber auch präsenter eingebunden. Wobei sich das stärker auf tiefere Zonen so ums zweite Drittel herum bezieht. Da ist er manchmal so stärker unterstützend in der Ballzirkulation oder taktische Beeinflussung des Angriffsfortgangs. In sehr zuarbeitender Form kommt dann ohne Ball noch eine anpassende und teils raumöffnende Aufgabe für diese neuen Diagonalmechanismen dazu. Im letzten Drittel geht es derzeit wohl eher in eine stärker durchbruchsorientierte Richtung auch, gerade mit der Schöne-Umstellung jetzt. War gegen Go Ahead Eagles auch interessant angelegt, wenngleich noch nicht durchgehend abgestimmt. Gesamtentwicklung passt meiner Meinung nach, wobei Balance in der Art der Dominanz noch etwas schwankt und er teils dann so in tiefen Zonen auch mal etwas zu dribbelnd unterwegs ist, aber naja.

Joa, die eine oder andere Szene in einer solchen Hinsicht gab es auch.

Bei Interesse an Riedewald-Meinungen: https://spielverlagerung.de/2015/01/18/blick-ueber-den-tellerrand-folge-22/

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MR 11. Februar 2015 um 20:28

tl;dr:

Veltman fehlt

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