Türchen 3: Nicola Sansone

Nicola Sansone gehört gleichzeitig sicher zu den am frequentiertesten gefeierten und erwähnten, aber auch unbekanntesten Lieblingen von Spielverlagerung.

Vor allem in diesem Artikel anlässlich der U21-EM 2013 klang die Begeisterung für den deutsch-italienischen Offensivspieler in ersten erklärenden Zügen an, so dass jene Zeilen die Basis für diesen Adventskalender-Beitrag bilden sollen. Bei jener Partie durfte der ansonsten nur mit geringen Einsatzzeiten gesegnete Sansone wegen der bereits feststehenden Halbfinal-Qualifikation mal von Beginn an spielen und zeigte eine gewohnt starke Leistung. In seltenen Fällen blieb er breit und suchte das individuelle Dribbling oder öffnete Linksverteidiger Biraghi den diagonalen Laufweg. Doch meistens rückte er ins Zentrum ein, wo er fast übermotiviert das Zusammenspiel suchte und kombinativ Räume überladen wollte.

Kombinationsspieler aus dem Bayern-Nachwuchs

Der aus der Jugend des FC Bayern stammende und in München geborene Offensivspieler durfte nach guten Leistungen bei der 2. Mannschaft des Rekordmeisters unter Louis van Gaal bereits vor drei Jahren Profi-Luft schnuppern, ehe er nach dessen Abgang im Sommer 2011 zu Parma wechselte, wo er in seiner letzten vollen Spielzeit 26 Ligaeinsätze und sechs Treffer verbuchte. Anschließend ging er in der vergangenen Winterpause zum Liganeuling Sassuolo, das sich als Vorreiterklub in Sachen Vereinsstrukturen präsentiert und neu in der Serie A etablieren will. So wirklich vorwärtszukommen, schien Sansone mit diesem Transfer allerdings nicht – auch wenn er meistens einen Stammplatz bei Sassuolo bekleidet und im Sommer der Klassenerhalt gelang, sollte er eigentlich für Höheres berufen sein.

Auf den ersten Blick mag Sansone wie ein typischer Flügeldribbler mit viel Tempo wirken, doch findet er sich auch sehr gut in Zwischenräumen zurecht und fungiert mit seinem Spielverständnis und seiner engagierten, aktiven Ausrichtung als antreibender Pol für das Zusammenspiel. Dieses wird bei ihm einerseits durch eine sehr ausgeglichene, selbstverständlich scheinende und saubere Spielstärke sowie andererseits durch einen auffälligen Kombinationsfokus getragen, dank dessen er eben immer wieder solche Szenen sucht, wie man sie als Fan von gutem, kollektiven, konstruktiven Fußball sehen will. Gerade diese beiden letzteren Aspekte sind erst einmal grundlegende und keineswegs absolut besondere Punkte, aber es gibt eben gar nicht so viele Spieler, die das in einer derartigen Reinform und Ausmaß in ihren Denkstrukturen haben oder auf den Platz bringen, wie es Sansone tut.

Aktivität in der Diagonale

Entsprechend fügt sich auch sein Bewegungsspiel sehr passend in diese Zusammenhänge ein und ist vor allem von enormer Aktivität geprägt, mit denen er bestimmte sinnvolle Bereiche gezielt und engagiert ansteuert, um dort sich für Dribblings, Kombinationen und Positionierungen anzubieten. Wenn er sich nach einer Aktion direkt wieder aktiv freiläuft, also im Rhythmus des gestarteten Angriffs seine Beteiligung daran nicht als beendet ansieht, unterstreicht er mit solchen Anschlussaktionen konkret sein bewusstes Denken. Mit einer solchen Initiative in seinem Spiel und aktiver Gestaltung sowie Beeinflussung von Strukturen oder Dynamiken in den eigenen Angriffen dient Sansone als das Vorbild eines Offensivspielers – vielen anderen fehlt es am Bewusstsein für den eigenen Einfluss und die Wirkung der eigenen Kreativität, was in eher abwartender Spielweise mündet, bei der sich manche wie auf das Abspielen eines Programms beschränken. Die Bewusstheit von Sansone findet sich nur im offensiven Aspekt, sondern auch in seinen Beiträgen gegen den Ball, wo er sich durch Aufmerksamkeit für die Eigenarten von Situationen und eine engagierte Beteiligung mit viel Intensität auszeichnet. Beides zusammen sorgte dafür, dass er schon einige Treffer in der Serie A aus starken Balleroberungen erzielte, die teilweise sehr tornah und sogar aus individuellen Pressingszenen zustande kamen.

Schließlich gibt es in dieser gesamten Hinsicht noch ein weiteres wichtiges Merkmal für Sansone: Seine Diagonalität, die die vorher genannten Punkte auch noch einmal konkret und verknappt zusammenfasst. Diagonalität ist eine mehrschichtige Sache, deren Wichtigkeit eigentlich sehr logisch ist und die im Pass- oder Bewegungsspiel sowohl große Optionsvielfalt als auch spielerische Erleichterungen mit sich bringt. Diese Komponente beeinflusst Sansone Bewusstsein und seine Ausrichtung, er agiert in seinen Dribblings, Bewegungen oder Kombinationsaktionen auf diagonale Weise und gewinnt dadurch in den bereits erwähnten Punkten seine Qualität, weil er dieses grundlegende, aber dennoch noch zu wenig wertgeschätzte Moment gut wie durchgehend nutzt und sich danach richtet. Spielverlagerungsintern gibt es den gerade bei MR beliebten Gesang: „Diagonale von Sansone, davon krieg´ ich nie genug“

Druckvolle und definierte Bewegungsabläufe

Neben seiner Ausrichtung und seiner Intention in der eigenen Spielweise muss man bei Sansone zudem herausheben, dass er diese Überlegungen dann auch in besonderer Qualität auf dem Platz ausführt. Ein ganz wichtiger Punkt betrifft hierbei die überaus druckvollen, präzisen und koordinierten Bewegungen und Aktionen, die ihn so besonders machen. Seine Schrittfolgen sind enorm definiert, konsequent und zielgerichtet – sowohl bei kurzen, explosiven Szenen als auch längeren Aktionsfolgen, was sich dann auf Dinge wie Ballmitnahme oder Schusstechnik ausweitet. Kaum einmal sieht man dagegen unfokussierte oder lasche Bewegungsabläufe. Insgesamt lässt sich dieser druckvolle und definierte Zug in seinem Stil als prägendes und für seine Klasse ganz entscheidendes Merkmal ausmachen. Aufgrund dessen findet sich er auch in engen, kleinteiligen Situationen meist gut – zumindest doch mit Improvisation – zurecht, so dass er gegnerische Pressingansätze gezielt auflösen kann. Ansatzweise geht dies in Richtung eines Nadelspielers, weshalb RM ihn bereits als zukünftigen offensiven Achter sah, wenngleich diese Tendenzen eben noch nicht ganz ausgereift sind. Bei diesen druckvollen und definierten Bewegungsmustern schwingt zudem immer eine gewisse generelle Sauberkeit mit, die für die bisher genannten Punkte ebenso entscheidend ist wie für einen weiteren Aspekt.

In vielen Situationen und Beziehungen zeigt Sansone enorme Geschicktheit, die einfach aus sinnvollem, reflektiertem Verständnis der Zusammenhänge des Spiels gespeist ist. Diese Geschicktheit bezieht sich beispielsweise auf kleine Details wie die bewusste, vorausschauende Ballmitnahme in gegnerschwache, ungesicherte oder dynamikenthaltende Bereiche, was er häufig auch mit der richtigen Explosivität durchführt. Generell löst er schwierige Situationen sinnvoll und geschickt aus, nutzt in den richtigen Momenten kleinräumige Lösungen für entsprechende Gegebenheiten und bedient sich seiner – hier teilweise fast zu sehr – hochfrequenten und kleinschrittigen Ballführung, um so das Leder noch reaktionsschnell durch kleine Lücken wurschteln zu können. Im Strafraum zeigt er sich auch unter schwierigen Bedingungen sehr ruhig und entscheidungsstark, was schon zu einigen Treffern führte, bei denen er tornah eine aussichtsreich erscheinende, aber eigentlich mäßige Abschlusspositionen durch gezielte, rationale Dribblings und Finten gegen die verbleibenden Defensivspieler entscheidend selbst verbesserte.

In seinem Passspiel geht Sansone ebenfalls bewusst mit der richtigen Dosierung um und achtet häufig genau auf die Bahndetails des Passwegs, was druckvolle, richtig angeschnittene Zuspiele zur Folge hat und verhindert, bei simpel erscheinenden Gegebenheiten zu unempathisch zu werden. Bei all diesen Aspekten scheint es dann verwunderlich, dass eine gewisse Ineffektivität zu den Schwachpunkten des Italieners gehört – er müsste eigentlich noch effektiver sein. Dies liegt beispielsweise an der nicht optimalen Robustheit und der Inkonstanz bei klaren, durchbrechenden Bewegungen zum Tor hin, die ohne Ball stattfinden. Zudem kann Sansone aufgrund seiner Spielintelligenz auch strategische Qualitäten vorweisen und bindet diese bei seinen konkreten, jeweiligen Aktionen zwar gut ein, allerdings fehlt es ihm etwas an weitflächiger strategischer Dominanz, mit der er seinen Einfluss durchgehend über gruppentaktische Zusammenhänge hinaus wirken lassen könnte.

Auch individuell eigentlich schon ein Topspieler

Nun ist Sansone ein besonderer und vorbildhafter Spielertyp, der aber eben „nur“ bei einem italienischen Abstiegskandidaten oder Mittelklasseklub unter Vertrag steht und dort auf dem Papier ordentliche Leistungen vorweisen kann. Doch auch in dieser Hinsicht sollte der Offensivakteur eigentlich stärker angesehen werden, als er es wird, denn auch sein aktuelles Potential und seine reine Qualität liegen schon beinahe auf Top-Niveau – insgesamt wird sogar die individuelle Klasse von Sansone weitgehend unterschätzt. Zur Not kann er sich auch einfach mit starker Dribblingtechnik und seiner engen Ballführung, dem richtigen Rhythmus und starker Entscheidungsfindung gegen mehrere Gegner durchsetzen und dessen Defensive alleine beschäftigen.

Vor zwei Saisons markierte er gegen Inter nach einer einleitenden Kombination im Übergang zum zweiten Drittel mit einem anschließenden Lauf bis zum Strafraum ein sehr definiert und balanciert geführtes Solo-Tor, während er im Vorjahr für Sassuolo einmal die ganze Defensivabteilung der Roma unter Nutzung starker Drehung aussteigen ließ. Dass er das eben kann, unterstreicht die unterschätzte individualtaktische Qualität und individuelle Klasse. Tatsächlich scheint es insgesamt so, als ob Sansone neben seiner gelegentlichen Ineffektivität vor allem auch an der nicht suboptimalen – so wird er nicht durchgehend kombinativ eingesetzt und teilweise auch nicht prominent genug fokussiert – Einbindung leidet, was bereits mögliche größere Höhen bisher verhinderte. Auch bei den Münchener Bayern hätte Sansone definitiv das Potential gehabt, sich als Stammspieler zu etablieren.

king_cesc 19. Januar 2015 um 22:23

http://www.transfermarkt.de/gerucht-des-tages-schalke-an-sassuolos-sansone-interessiert/view/news/185264

es gibt meldungen die erhöhen das vertrauen in die scoutingabteilungen wieder 😉

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rodeoclown 20. Januar 2015 um 12:33

Und ich hatte gedacht auf die „Wäre der nich was für den BVB“-Kommentare hätte ich damals „nö, aber für Schalke“ geantwortet….
Na gut, dann jetzt: Auch wenn ich den Transfer für wenig wahrscheinlich halte und wäre eine Offensive Dreierreihe aus Draxler/Meyer/Sansone hinter Choupo-Mouting natürlich ein Traum. Dazu noch ein Sidney Sam und Schalke wäre da auf Jahre gut aufgestellt, wenn sie ihre Spieler denn halten könnten. Aber man kann wohl davon ausgehen, dass die teuren Huntelaar und Farfan kaum lange auf der Bank sitzen werden ohne Unruhe zu erzeugen. Schließlich sind sie individuell auch absolute Topspieler, aber das Offensivquartett da oben würde halt so schön zueinander passen…
4 Spieler mit überragenden Dribblingfähigkeiten. Meyer und Sansone zudem auch in engen Räumen kombinativ äußerst sicher und strategisch sauber, CM und Draxler eher weiträumiger und wuchtiger, dennoch beide partiell auch spielmachend… kaum zu glauben, dass ich gerade von Schalke spreche.

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Phil 17. Dezember 2014 um 12:24

Zu allererst: Der Artikel ist selbst verglichen mit dem ohnehin schon hohen Niveau von SV wunderbar geschrieben! Unterhaltend, sprachlich auf den Punkt und gut verständlich 🙂

Es wäre allerdings schön wenn es ein Bild zu dem Spieler geben würde …klar haben ihn die allermeisten Leser vermutlich noch nie gesehen, aber es ist meiner Meinung nach immer eine gute Idee einer vorgestellten Person ein Gesicht zu geben.

Zum anderen fehlen mir gerade bei der Beschreibung des Diagonalspiels ein paar Grafiken, die das Verständnis (insbesondere für weniger regelmäßige Leser) erleichtern würden

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Isco 3. Dezember 2014 um 15:26

Hat er sich denn in den letzten 1 1/2 gut weiterentwickelt? Ich hab ihn leider schon so lange nicht mehr gesehen; wird wieder einmal Zeit.
Palmeiras.. Es.. es wird doch.. nicht etwa Lucio sein? 😀

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Edeljoker 4. Dezember 2014 um 10:35

Ich würde auf Valdivia tippen!

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MR 3. Dezember 2014 um 13:23

Der Gesang bezieht sich übrigens auf diesen Werbeslogan: https://www.youtube.com/watch?v=rLDOpBlBQ9M

Kennen sie das Geheimnis der Champions? Diagonale von Sansone!

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Peda 3. Dezember 2014 um 12:54

Na Gott sei Dank habe ich keinen Kalendertipp abgegeben!

Ich habe gerade meine Mittagspause damit verbracht das Portrait eines Spielers zu lesen, von dem ich noch nie zuvor gehört habe – und war damit gut unterhalten. Das kann man ruhig als Kompliment auffassen, danke dafür!

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axt 3. Dezember 2014 um 12:28

Wie sieht es denn mit seinem Goal Impact-Wert aus?

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CE 3. Dezember 2014 um 19:38

Aktuell GI 105.06, Peak 113.02

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JS 3. Dezember 2014 um 19:54

ups. Da warst Du schneller.

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CE 3. Dezember 2014 um 19:58

Sorry, es ist eigentlich deine Aufgabe. Ich dachte, du liest die Frage vielleicht nicht.

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JS 3. Dezember 2014 um 19:54

Ich habe ihn bei 105 mit Peak so bei 113. Er hat sich seit seinem Wechsel zu US Sassuolo schlechter als zu erwarten entwickelt. Wäre er bei Parma geblieben hätte er vermutlich 5 Punkte mehr.

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CV 3. Dezember 2014 um 11:16

Sansone for BVB hab ich auch sagen wollen. Knapp verpasst. Diagonale Kombinativität kannste nie genug haben.

Und morgen Valdivia, ey. Gestern gerade noch von meinem Tipp gestrichen (für so ’nen scheißhipstrigen Pseudobaier von Granada), weil mir zu offensichtlich. Weil Offensichtlichkeit auch voll das Ausschlusskriterium ist.

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LM1895 3. Dezember 2014 um 10:38

Wäre der Jung nicht einer für den BVB? 😀 super Artikel übrigens, muss mir wohl mal ein paar Spiele von ihm ansehen 😉

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