Raymond Verheijens Periodisierungskonzept

Raymond Verheijen sorgt auf Twitter für Aufsehen durch sehr scharfe Kritik an zahlreichen Trainern. Teilweise gilt Verheijen dadurch als unseriös – doch hinter dieser PR-Maske verbirgt sich ein genialer Kopf. Ein Blick auf sein Periodisierungskonzept anhand seines neuen Buchs „The Original Guide To Football Periodisation. Always play with your strongest team. Part 1“ zeigt dies.

Sprache als Schlüsselaspekt und die „Action theory“ [1]

Verheijens Konzept beginnt schon bei der Sprache, die im Fußball genutzt wird. Externe Sprache, die nicht aus dem Fußball selbst kommt, muss in eine verständliche und klare Sprache für den Fußball übersetzt werden.

Ziel ist neben einer einheitlichen Terminologie und vereinfachten Diskussion sowie klarerer Kritik auch der inhaltliche Aspekt.

Die Idee dahinter ist die „Action Theory“: Damit ist gemeint, dass nur die Relation und der Kontext einer Bewegung die Bewegung überhaupt relevant macht. Ein Sprint ohne Ball und ohne taktische Situation ist nur ein Sprint und hat nichts mit Fußball zu tun, weswegen solche Sprints in diesem Konzept nicht / kaum vorkommen.

Sämtliche Bewegungen müssen „Aktionen“ sein und sich somit entsprechend dieser Definition in einem taktischen Kontext des Spielsports Fußball wiederfinden.  Diese Aktionen erhalten dann eigene Worte – Beispiele hierfür sind u.a. „verschieben“, „ballorientiert verteidigen“, „kompakt spielen“, welche sofort Aufschluss über die grundlegende Bewegung des Kollektives geben. „Nichtkontextuelle Wörter“ wie „mehr kämpfen“, „aggressiver sein“, „Teamchemie“, etc. sollen absolut vermieden sein.

Bei einem Stürmer wird dann das Problem im Abschluss nicht mehr auf interpretierte Probleme zurückgeführt, sondern auf einen Mangel an Können in dieser Situation; unabhängig vom Mangel selbst. Durch eine extrem spiel- und situationsorientierte Trainingsphilosophie werden immer sämtliche möglichen Mängel im Training gleichzeitig adressiert, um die Gesamtheit an Möglichkeiten zu trainieren. In diesem Fall erhält der Stürmer also keinen Psychologen, sondern ein Training seines Abschlusses in einem taktischen Kontext.

„Sag, was du siehst!“ – Raymond Verheijens Coachingtipp

Die „Action theory“ bedeutet somit auch, dass die Kategorisierung in mentale, körperliche oder sonstige Aspekte obsolet wird; stattdessen wird die Aktion beschrieben und die Aktion als solche ganzheitlich verbessert. Eine Kategorisierung in mehr Anteile sorgt implizit für eine Segregation des Trainings, wodurch die Komplexität und womöglich der Trainingseffekt selbst verloren gehen.

Kategorisierungen gibt es trotzdem, diese müssen aber objektiv und klar sein. Einige Kategorisierungen nehmen sogar Schlüsselrollen ein.

Die Kategorisierung und Hierarchisierung von Fußballaktionen [2]

Grundsätzlich besteht jede einzelne Aktion im Fußball nach Verheijen aus den vier Aspekten „Kommunikation“, „Game Insight“ (oder auch Entscheidungsfindung), „Technik“ und „Fußball Fitness“. Durch ihre Abfolge in jeder Aktion entsteht auch diese Reihenfolge, obwohl sie sich immer wechselseitig beeinflussen. Die ersten beiden Aspekte sind prinzipiell psychologisch-taktisch, der dritte ist die Ausführung selbst in technisch-motorischer Hinsicht und der vierte ist die Physis.

„Kommunikation“ bedeutet die kollektive Kommunikation und die Wechselwirkung mit der individuellen. Soll heißen: Man wird gepresst; der Gegner kommuniziert mit einem (wie läuft er an, wie will er pressen, etc.), die Mitspieler ebenfalls (freilaufen oder nicht, wo bieten sie sich wie an, usw.) – basierend darauf und auf der Spielphilosophie des Teams kommt die „Game Insight“, also die Entscheidungsfindung. Daraufhin folgt Technik als Faktor der Exekution der Entscheidung.

Ähnlich wie bei Guardiola (sh. Perarnau-Buch) ist die Taktik nach dieser Definition das Umsetzen einer gemeinsam erlernten Sprache, innerhalb welcher kommuniziert wird; je besser die Spieler sich kennen, umso besser ist ihre Kommunikation, insbesondere non-verbaler Natur.

Orientierung an den abgeleiteten Spielphasen und der Zusammenhang mit der Fußballfitness [3]

Ein weiteres Beispiel für eine Kategorisierung ist die Aufteilung in „Ballbesitz“, „gegnerischer Ballbesitz“ und „offensiver“ bzw. „defensiver Umschaltmoment“; innerhalb dieser Aufteilungen gibt es dann kontextuelle Wörter für Aktionen, die exklusiv in diesen Kategorien existieren.  Jegliches Training muss sich an diesen kontextuellen Wörtern für diese Aktionen orientieren, diese Aktionen auf eine von vier unterschiedlichen Arten verbessern wollen und jede Trainingsübung gehört als zu einer der drei beziehungsweise vier Spielphasen.

„The biggest problem in football, with respect to fitness, is the exercises. Fitness is trained as something separate to football.”

Die „Fußballfitness“ nutzt eine komplett eigene Einteilung. Zwar werden beispielsweise aerobe und anaerobe Ausdauer weiterhin als wissenschaftliches Fundament genutzt und im Buch findet sich auch ein Kapitel zu wissenschaftlichen Hintergründen, aber in der „Fußballersprache“ (beziehungsweise „football action language“) teilt sich die „Fußballfitness“ in vier relevante Kategorien:

  • Bessere Aktionen (Explosivität und Qualität der Aktionen)
  • Umsetzung von mehr Aktionen (gemeint sind mehr Aktionen in einem bestimmten Zeitintervall, also die Frequenz oder Intensität der Aktionen)
  • Aufrechterhaltung guter Aktionen (weniger Erschöpfung über die Spieldauer, Aufrechterhaltung der Explosivität und Qualität)
  • Aufrechterhaltung vieler Aktionen (Ausdauer im weitesten Sinne, Aufrechterhaltung der Intensität)

Fußballaktionen gehören also zu bestimmten Strategien innerhalb von „eigener Ballbesitz/Angriff“, „gegnerischer Ballbesitz/Defensive“ und „Umschaltspiel“ (offensiv und defensiv) und bestehen dann innerhalb spezieller dazu passender Übungen aus den physischen Komponenten „bessere Aktionen“, „mehr Aktionen“, „bessere Aktionen aufrechterhalten“ und „mehr Aktionen aufrechterhalten“. Diese werden wiederum je nach Mikrozyklus, Trainingsphase und Zustand der Spieler sowie Ziele der Spielweise periodisiert.

Die „football conditioning exercises“ [4] trainieren diese vier Aspekte auf eine bestimmte Art und Weise. Eine Sache ist aber grundsätzlich gegeben: Jede Übung muss die Prinzipien des Spiels, ganzheitliche Aufstellungen und konkrete Situationen (inkl. Gegnerpräsenz, Ballbezug, etc.) abbilden. Die vier „Football Fitness“-Aspekte werden dann durch bestimmte Aspekte gesondert trainiert; hauptsächlich funktioniert dies über die Spielerzahl in den Spielformen und durch die Feldgröße sowie die Dauer der einzelnen Übungen.

1-vs.-1 und 2-vs.-2  als Spielformen sind „Intensive Intervalle“ für maximal explosive Aktionen und „Fußballsprints“, 3-vs.-3 und 4-vs.-4 sind „extensive Intervalle“, 5-vs.-5, 6-vs.-6 und 7-vs.-7 sind „intensive Ausdauer“ und von 8-vs.-8 aufwärts sind „extensive Ausdauer“. [5]  Die Kategorisierungen sind übrigens nicht willkürlich, sondern basieren auf der Anzahl der Aktionen pro Spieler; der jeweilige Abfall von einer Kategorie auf die andere wird auch taktisch erklärt.

 “For example, first you do a certain exercise on a certain pitch size, and then you make the pitch size smaller, and then smaller. The same exercise but less space, less time, increasing the demands, and that is how you improve players.” – Raymond Verheijen

Desweiteren führt Verheijen aus, dass bei einer Sportart wie Fußball Sauerstoff nicht als Lieferant für die Aktionen dient, weil die Aktionen zu kurzlebig und explosiv sind, sondern für die Erholung zwischen Aktionen; ergo muss man diese Erholung gezielt trainieren, wobei Dauerläufe hierbei nicht zielführend sind. Gemäß dieser Definition und der football-action-language werden auch die Läufe kategorisiert. So ist ein Sprint kein reiner Sprint, sondern ein „Football Sprint“, wo die Positionierung der Aktion, der Moment der Aktion, die Geschwindigkeit selbst und die Richtung der Aktion variabel sind.

„For sprinters, sprinting is the objective. In football the sprint is not an objective itself, but always just a means to realize a football intention. (…) This book introduces the term football sprint. This means that football players always sprint in a football context, in which by definition, the football resistance is present (such as the ball, the opponents, etc.).”

Sonstiges

  • Neben der Periodisierung von Saisonverläufen sowie den einzelnen Trainingswochen darin periodisiert Verheijen auch die Art der Übungen selbst; so gibt es „extensive und intensive“ Variationen von vielen Übungen, ob Pass-, Taktik- oder Ballbesitzübungen. Diese unterschiedlichen Übungskategorien besitzen also je nach genauer Ausführung – Spieleranzahl, Feldgröße, etc. – unterschiedliche Fitnesscharakteristika.
  • Bei Angst vor Übertraining werden weiterhin die gleichen Übungen gemacht, aber in geringerer Intensität mithilfe eines „Underload model“ für quasi-Regenerationstrainings.
  • Nach der „Spezifitätsregel“ ist alles im Training fußballspezifisch und spielbezogen.
  • Das „Gesetz der Nachhaltigkeit“ ist ausgerichtet gegen Übertraining in der Aufbauphase, es wird ein langsamerer Aufbau von Fitness mit Qualität statt Quantität propagiert; sogar in der Vorbereitung also. Die Logik dahinter ist klar: Der Körper ist hier nicht mehr so fit und trainingsgewöhnt, darum kommen weniger intensive Sessions zur Anwendung und es gibt einen generellen Fokus auf das Erhöhen der aktuellen Intensität auf eine Leistungsdauer von 90min, danach erhöht der Trainer die Intensität im 90min-Kontext anhand der vier Kategorien; „long-term-fitness“ soll entstehen. Wichtig sind hier auch die Folgeeffekte wie beispielsweise langfristigere Fitness bei Verletzungen, etc.
  • Was Verheijen als „functional technique“ beschreibt, ist im Endeffekt Grundlage für die differentielle Lernmethode:

„Technique is the execution of the decision. (…) For this reason, it is not recommended to isolate technique from football and to teach players to move body parts in a certain way when passing and controlling for example, without the context of the game. Football players must have varying ways of executing a technique instead of having just one ideal typical way to perform a technique. Football players must learn to be able to pass and receive a ball in 101 different ways. This is also called a functional technique.“

Fazit

Vor einigen Monaten haben wir auf Spielverlagerung schon ausführlich unterschiedliche Periodisierungskonzepte besprochen. Raymond Verheijens Ansatz in seiner Periodisierungtheorie ist womöglich sogar der ganzheitlichste und extremste von all diesen und gleichzeitig auch der fußballspezifischste. Zwar kann man ihm den Mangel an einer Betrachtung beziehungsweise Simplifizierung psychologischer Aspekte und einen passiv-aggressiven Schreibstil vorwerfen, die fachliche Kompetenz ist aber unbestritten. Nicht umsonst arbeitete Verheijen für Barcelona, Gaal, Hiddink, Rijkaard, City sowie Argentinien und stellte mit Russland, der Niederlande und Australien bei Großturnieren jeweils Bestleistungen in puncto Laufleistung auf.

“Everything has to be football-related“ – Raymond Verheijen

Sein Wissen um die menschliche Physis, die fußballspezifische Kategorisierung dieses Wissens und die kompetente Umsetzung in ein ganzheitlich-differenzielles Konzept inklusive implizitem Lernen innerhalb eines intelligenten taktischen Kontexts wissen zu gefallen. Auch die generelle Periodisierung der Trainingsübungen und die Beispiele für mögliche Trainingswochen im Profi- und Amateurbereich beeindrucken.

Die treffende Beobachtung über einzelne Charakteristika des Fußballs und des menschlichen Körpers – wie zum Beispiel die besondere Rolle des Sauerstoffs, Fußball als Intensitätssport mit vielen physiologisch unterbewussten Abläufen sowie seine Multidimensionalität in der körperlichen Beanspruchung – führen zum Konzept der „Fußballfitness“ und einer „langsamen Periodisierung“, in der die Individualität in der Workload und der Grundsatz „Qualität statt Quantität“ über alles geht.

Weiterführende Links:

Verheijens Fußballfitness wird übrigens auch im kommenden Buch von Marco Henseling und mir eine Rolle spielen, welches einen eigenen Periodisierungsansatz mit vielen Aspekten aus der Wissenschaft, eigenen Erkenntnissen, fremden Periodisierungsansätzen und auch aus anderen Sportarten übernimmt. Ein Verlag ist bereits in Aussicht.

 

[1] Verheijen, R. (2014): The Original Guide To Football Periodisation. Always play with your strongest team. Part 1. Seite 17-30. Amsterdam. World Football Academy BV.

[2] Verheijen, R. (2014): The Original Guide To Football Periodisation. Always play with your strongest team. Part 1. Seite 30-39. Amsterdam. World Football Academy BV.

[3] Verheijen, R. (2014): The Original Guide To Football Periodisation. Always play with your strongest team. Part 1. Seite 47-55. Amsterdam. World Football Academy BV.

[4] Verheijen, R. (2014): The Original Guide To Football Periodisation. Always play with your strongest team. Part 1. Seite 55-75. Amsterdam. World Football Academy BV.

[5] Verheijen, R. (2014): The Original Guide To Football Periodisation. Always play with your strongest team. Part 1. Seite 93-116. Amsterdam. World Football Academy BV.

Peda 31. Oktober 2015 um 18:22

Ich weiß nicht so recht wohin damit, aber die Sache beschäftigt mich einfach:

Was glaubt Verheijen eigentlich mit seinen Twitter-Rants zu erreichen? Seiner Reputation sind sie wohl eher nicht zuträglich. Was und wo arbeitet der Mann eigentlich momentan?

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CE 31. Oktober 2015 um 18:46

Er gibt Kurse und verkauft Bücher. 😉 Ob es seiner Reputation gut tut, finde ich diskutabel. Für jene Zielgruppen, die er erreichen möchte, ist das in meinen Augen schon passend. Außerdem ist es wohl schlichtweg seine Meinung.

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Martin01 12. November 2014 um 16:36

Ich finde die Ausführungen Verheijens schon ganz gut und auch fast alles logisch.
Auf den Stürmer bezogen, finde ich es aber etwas zu „einfach“. Sicherlich ist es gut Situationen immer zu wiederholen, in Spielformen in denen gleiche Situationen entstehen und so der Stürmer in gleichen wiederkehrenden Situationen lernt und sich verbessert, aber muss man den Spieler nicht denoch gezielt auf Fehler aufmerksam machen die er in diesen Situationen macht damit er diese nicht immer wieder macht? Wenn er immer wieder den falschen Laufweg nimmt oder immer wieder eine schlechte Körperhaltung beim Abschluss hat oder aber die falschen Entscheidungen trifft? Die Mängel trotzdem ansprechen?

Welches Trainingsgerät bezogen auf ganzheitliches trainieren sehr gut ist, obwohl man es eigentlich allein benutzt, aber gleichzeitig Ballannahme, Passpiel, Kondition und Übersicht trainiert ist der Foobonaut, den soweit ich weiß derzeit nur Dortmund und Hoffenheim besitzen. http://www.youtube.com/watch?v=GMy37ZNHpPY

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RM 12. November 2014 um 17:33

Ist es ein objektiv analysierbarer, isolierbarer und konstanter Fehler, dann kann man das machen. Passiert aber im Hochleistungssport kaum, oder?

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JS 12. November 2014 um 23:33

Ja. Ich denke man sollte da – wie eigentlich immer – nicht dogmatisch sein. Idealerweise kann man aber die Übung so gestalten, dass die falsche Lösung nicht funktioniert und der Spieler von sich aus die richtige wählt. Geht aber sicher nicht in jedem Fall.

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felixander 12. November 2014 um 10:08

ich stör mich wie peda an diesem beispiel: „Bei einem Stürmer wird dann das Problem im Abschluss nicht mehr auf interpretierte Probleme zurückgeführt, sondern auf einen Mangel an Können in dieser Situation; unabhängig vom Mangel selbst.“
ist das wirklich sinnvoll? ich mein, im training macht ein profi wahrscheinlich 9 von 10 elfern rein. im wettbewerb ist die quote in der regel deutlich schlechter. trainiere ich dann als konsequenz elfer bis zum erbrechen? scheint mir kein logischer schluss zu sein, weil ja doch offensichtlich auch die psyche eine wichtige komponente ist.

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RM 12. November 2014 um 12:02

Nein, macht man nicht. Man trainiert ja fußballspezifisch. Fußballspezifisch ist, dass man nur einen Elfmeter pro Spiel hat und dieser mit Konsequenzen verbunden ist. Ergo lässt Verheijen Elfmeter im Training nur ein einziges Mal mit Konsequenzen schießen. Ein Torschuss ist wiederum was anderes. Das liegt seltener an der Psyche, sondern Dingen wie „wie kommt man in diese Situation“, „welche Balance hat man“, etc. Hier ist es nicht wie beim Elfmeter ein isolierter Einzelfaktor, sondern eine Masse an Faktoren, die komplex zusammenwirken. Darum trainiert man nicht einen einzelnen Aspekt, sondern die Masse an Faktoren.

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felixander 12. November 2014 um 12:13

dacht ich mir fast. ist auch lernpsychologisch bestätigt, dass man erlerntes besser abrufen kann, wenn eine ähnliche situation herrscht wie beim erlernen.

wird dann also jeder misserfolg als fehlleistung des spielers interpretiert? sprich: trainiert dortmund zur zeit einfach zu schlecht?

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RM 12. November 2014 um 12:22

Meinst du Enkodierspezifität? Oder einfach generell implizites Lernen?

Nein, Dinge wie Pech und Glück gibt es natürlich trotzdem. Aber wenn ein Spieler an der Komplexität der Situation scheitert (Einschätzung seiner eigenen Ballführung und der letztlichen Abschlussposition, Einschätzung der Dynamik des Herauskommens des Torwarts, zuvor einen Schritt zu spät den Pass seines Mitspielers antizipiert und dadurch beim Abschluss mehr Druck als nötig und schlechterer Abschlusswinkel, schlechte Entscheidungsfindung in dieser spezifischen Situation, technischer Mangel in dieser spezifischen Situation, psychologischer Druck in dieser spezifischen Situation, usw. usf.) sollte dies nicht auf „wir müssen seinen rechten Fuß mehr trainieren!“ oder „der hat doch Angst vor dem Torwart!“ zurückgeführt werden, sondern eben der Fakt, dass der Spieler dieser komplexen Situation nicht gewachsen war, als solcher behandelt und in seiner Komplexität trainiert werden. Desweiteren sollte nicht versucht werden diese spezifische Einzelsituation im Training hergestellt zu werden, weil das nicht möglich ist; exkl. der Verein besitzt eine Zeitmaschine. Eher sollte man also probieren diese Situation möglichst spielnah und in möglichst vielen unterschiedlichen Situationen in seiner gesamten Komplexität zu trainieren.

Spezielles Beispiel Dortmund: Jein. Die wären ja eigentlich deutlich besser platziert, wenn sie nicht so viel Pech hätten. Die kommen schon noch. Gleichzeitig sind sie durchaus etwas weniger stabil und haben viele Verletzte (man müsste die Oliver-Barlett-Zeit und die post-Oliver-Bartlett-Zeit vergleichen), was (auch?) am Training liegt.

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felixander 12. November 2014 um 17:16

ich musste erst googlen, aber ich meine wohl weder enkodierspezifität noch implizites lernen. es geht wirklich auch um die emotionalen umstände. wenn ich elfmeter so trainiere, dass bereits durch die umstände im training eine drucksituation herrscht (du beschreibst das mit konsequenzen), werde ich auch in der drucksituation im wettbewerb besser performen, weil das gelernte besser erinnert wird. beide situationen matchen sich eben besser, als wenn das eine total entspannt wäre und das andere extrem gestresst.
ich glaube im film zur wm 2006 sieht man im elfer-training, dass klinsi da vorher wetten lässt. so herrscht auch eine gewisse versagensangst, die eben ganz gut zur situation im ernstfall passt.

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king_cesc 11. November 2014 um 21:40

Hab noch eine Frage, die vielleicht auch nicht perfekt zum Thema passt:

ist bei einer F-Jugend eine Laufschule schon unnützes laufen? Mittlerweile gibt es ja traurigerweise Jugendspieler mit Haltungsfehlern beim Laufen. Sollte man diese sofort abtrainieren oder ruhig davon ausgehen, dass auch durchs normale spielbasierte Training eine Besserung möglich ist?

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HW 12. November 2014 um 08:11

Es sollte sich zwar nicht widersprechen Haltungsfehler in einem spielbasierten Training zu beeinflussen, aber bei diesen gesundheitlichen Problemen sind mMn die Eltern gefragt und ggf. ein Arzt oder Physio. Das sollte nicht in der Verantwortung eines Jugendfußballtrainers liegen.

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Thomas 12. November 2014 um 08:53

Das ist sehr wohl deine Aufgabe als Trainer! Du musst es nur im Umfang und Übungsaufbau richtig konzipieren!

Antworten

HW 12. November 2014 um 09:31

Ich vermute, ich bin von stärkeren Haltungsfehlern als du ausgegangen.

Antworten

AS 12. November 2014 um 08:25

Lauf-ABC oÄ einfach ins Aufwärmen integrieren. Obwohl ich es in der F-Jugend auch wirklich nicht übertreiben würde. Da sollte doch tatsächlich der Spaß im Vordergrund stehen.

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king_cesc 12. November 2014 um 10:06

Danke für die Antworten.
Beim Aufwärmen wird jetzt immer wieder Fangen mit Vorgaben gespielt. Macht den Kindern Spaß und man kann den Ball integrieren.

Antworten

Peda 11. November 2014 um 17:55

An und für sich fresse ich euch eure Artikel ja aus der Hand und auch in diesem hat wieder sich wieder der ein oder andere „Aha!“-Moment versteckt. Aber grundsätzlich scheint hiermit bei mir eine Grenze erreicht zu sein.
Die vier relevanten Kategorien der Fußballfitness, sowie vor allem der Satz „Bei einem Stürmer wird dann das Problem im Abschluss nicht mehr auf interpretierte Probleme zurückgeführt, sondern auf einen Mangel an Können in dieser Situation; unabhängig vom Mangel selbst.“ erschließen sich mir eigentlich nicht (mehr), dazu bin ich wohl zu sehr Schreibtischtäter und zu wenig Praktizierender. Das ein oder andere praktische Beispiel hätte mir hier sehr geholfen.

Zu seinem Stil: mit dem Vorwurf einer passiv-aggressiven Sprache sehe ich mich selbst auch öfter selbst konfrontiert, da – wie wohl auch bei Verheijen – der Wunsch nach Simplizität und Exaktheit in einem Mangel an Weichmachern (vielleicht, eigentlich, sollte, könnte…) und verkürzten Darstellungen resultiert. So etwas ist zwar im zwischenmenschlichen Bereich nicht wirklich erwünscht, ist aber im Sinne einer effizienten Kommunikation (Trainer – Spieler, Befehle) meiner Meinung nach praktisch unerlässlich.

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RM 11. November 2014 um 18:47

Was passt an den vier relevanten Kategorien der Fußballfitness nicht?

Der Satz soll einfach heißen, dass man nicht sagt „er war nervös“, „ängstlich“, oder sonstwas, sondern er war nicht gut genug. Also macht man es nächstes Mal (durch besseres Training) besser.

Antworten

Peda 11. November 2014 um 19:24

ad 1) Die Kategorisierung an sich (bessere Aktionen, mehr Aktionen, Aufrechterhaltung guter Aktionen, Aufrechterhaltung vieler Aktionen) kann ich so noch nachvollziehen, die Zusatzinformationen in Klammer verwirren mich aber schon. Für mich wären bessere Aktionen intensiver und mehr Aktionen extensiver, oder nicht?
Auch ist es für mich noch nicht ganz schlüssig, warum man Spielformen anhand der Spielerzahl, der Feldgröße und der Dauer in eine der vier Kategorien einordnen kann und sollte – aber dafür müsste ich wohl das ganze Buch lesen, oder einmal drüber schlafen.

ad 2) Mich irritiert der Zusatz „unabhängig vom Mangel selbst“. Heißt das der Trainer unterscheidet beim schlechten Abschluss nicht zwischen schlechtem Timing, schlechter Körperhaltung, woswasi und fasst das schlicht unter „nicht gut genug“ zusammen?

Wie gesagt, ich lese vor allem eure theoretischen Artikel sehr, sehr gerne. Aber ich habe vermutlich selbst zu wenig spezifische (Aus-)Bildung (egal ob Psychologie, Physiologie oder schlicht selbst absolviertes Training) um das alles entsprechen einordnen und verstehen zu können.

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JS 11. November 2014 um 21:29

Ich verstehe das so, dass eine Handlung nicht per se falsch ist, sondern nur in dem gegebenen Kontext. Wenn der Fehler im Training in dem Kontext behoben wird, so ist es wahrscheinlicher, dass er im Spiel im vergleichbaren Kontext auch vermieden wird. So wird nicht nur z.B. eine Schußhaltung geübt, sondern auch gleich die Situation in der sie passt.

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RM 11. November 2014 um 22:23

1) wo genau steht das denn? Meinst du „Intensität der Aktionen“? Das ist etwas missverständlich formuliert von mir. Hier meine ich mit Intensität eher Frequenz (von hochqualitativen) Aktionen in kleinen Zeitintervallen. Ist das dann klarer?
2) Was JS sagt. Es geht Verheijen hier wohl primär darum, dass man keine Erklärungen sucht, wo keine sind, und keine isolierten Übungen macht, die praktisch dann nichts bringen.

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vanGaalsNase 11. November 2014 um 22:37

Zum Einfluss der Spielerzahl auf die Kondition: Je weniger Spieler an einer Spielform beteiligt sind, desto kleiner ist das Spielfeld. Würde man im 4-gegen-4 ein ebenso großes Feld bespielen wie im 8-gegen-8 wäre das wohl kaum zu realisieren, weil die Spieler zu viel laufen müssten, ohne dass es zu vielen Ballaktionen kommt. Geringe Feldgröße + geringe Spieleranzahl bedeuten mehr Sprints, Ballkontakte und -aktionen für jeden Spieler. Mit zunehmender Spielerzahl und Feldgröße verringern sich die Sprints und direkten Ballaktionen. Das macht das 4-gegen-4 (extensives Intervalltraining) gegenüber dem 8-gegen-8 intensiver (extensives Ausdauertraining), was wiederum bedeutet, dass ein 4-gegen-4 nicht so lange gespielt wird wie ein 8-gegen-8. Dafür wird das 4-gegen-4 aber öfter mit kurzen Pausen wiederholt. Ansonsten wäre die Erschöpfung zu groß und unangemessen.

Denn es soll ja eine spielnahe Kondition erreicht werden. In einem 11-gegen-11 hat jeder Spieler im Laufe der 90 Minuten durchschnittlich nur 1-2 Minuten den Ball in seinem Besitz; mal hat man intensivere Phasen (Dribbling, Zweikampf), mal extensive (ausgiebige Ballrotation). Hier ist nicht die Quantität der Ballaktionen entscheidend, sondern die Qualität. Zwischen den Ballaktionen soll sich schnell erholt werden (darum auch die Pausen im 4-gegen-4). Im Training muss daher gewährleistet werden, dass Ballaktionen über eine lange Dauer eine hohe Qualität aufweisen („Aufrechterhaltung guter und vieler Aktionen“).

Um eine möglichst breite Konditionsschulung (zusammen mit technisch-taktischen Aspekten) zu gewährleisten, sind die Spielformen hinsichtlich Spieleranzahl und damit korrespondierender Feldgröße und Spieldauer immer wieder zu variieren.

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HW 11. November 2014 um 20:17

Effiziente Kommunikation und Befehle sind aber zwei paar Schuhe. Befehle müssen nicht zwingend effizient oder verständlich sein (sollten sie natürlich).
Dazu zweifel ich mal an, dass man als Trainer (passiv) aggressiv kommunizieren muss. Die Form hat hier wenig mit dem Inhalt zu tun. Man muss ja nicht in eine relativierende Phrasendrescherei verfallen, nur weil man etwas nicht passiv aggressiv formulieren will. Andererseits muss man sich als Befehlsempfänger auch nicht anstellen, wenn der Ton mal rauer ist. Zivilisierte Menschen sollten sich vernünftig unterhalten können.
Auf nem Segelboot sind Anweisung auch klar und deutlich (und oft laut). Das hat dann auch einen Zweck und nichts mit aggressiver Kommunikation zu tun. Kommt halt auf die Situation an.

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Peda 12. November 2014 um 09:14

Danke an alle Antworter!

Ich habe mir ein, zwei Seiten auf seinem Twitter-Account durchgelesen, das Interview mit Leopold Method angehört, den Artikel ein zweites Mal gelesen und eine Nacht darüber geschlafen, bevor ich mich da in Wortklaubereien verzettle und wir vom Hundertsten ins Tausendste kommen.

Und ich sag mal so, mir ist jetzt alles klar.

* Die Kategorien der Fußballfitness sind verständlich, aber wohl so etwas wie „alter Wein in neuen Schläuchen“. Ob Verheijens Übungen auch andere sind, weiß ich nicht. Entscheidend scheint mir bei ihm aber das veränderte Wording. „Sprache schafft Wirklichkeit“ – und wer in anderen Kategorien denkt und spricht, wird auch anders handeln.

* Wenn – Hausnummer – ein Stürmer schlecht bei Abschlüssen ist, dann wird nicht eruiert welcher Aspekt (Kommunikation, Entscheidungsfindung, Technik, Fußballfitness) oder ob überhaupt ein spezifischer Aspekt mangelhaft ist, sondern einfach weiter Abschlüsse in verschiedenen Variationen trainiert, um den Spieler zu verbessern.

Zur passiv-aggressiven Sprache: ich bezweifle, dass sich dieser Punkt rein schriftlich und noch dazu in einem Online-Forum wirklich umfassend diskutieren lässt. Jedenfalls wirken seine Zitate (wie auch sein Interview) für mein Sprachgefühl nicht passiv-aggressiv, sondern eben so, wie sich (gebürtige) Niederländer auf Englisch ausdrücken. Allerdings ist der Begriff passiv-aggressiv nach einer kurzen Google-Recherche doch viel umfassender und schwammiger, als ich eigentlich gedacht habe.

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MT 11. November 2014 um 17:20

Wie weit sind die Arbeiten an dem Buch schon fortgeschritten bzw. gibt es schon ein Quartal/einen Monat, wann es erscheinen soll?
Und inwiefern werden dort auch Spielformen/Komplextraining mit eingearbeitet bzw. einzelne Übungen aufgezeigt?

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RM 11. November 2014 um 17:24

Der Inhalt ist mehr oder weniger abgeschlossen. Treffen mit Verlag ist bald, dann weiß man mehr.

Für jeden Bereich gibt es relevante Beispielübungen.

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MT 15. Februar 2015 um 13:34

Gibt’s hierzu schon etwas neues? 🙂
Ich bin gerade dabei das Buch von Raymond Verheijen zu lesen und bin schon gespannt auf euer Periodisierungsmodell!

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vanGaalsNase 15. Februar 2015 um 14:07

Es wird eine Mischung aus Mourinhos Zyklen und den Vorschlägen Verheijens. Wir haben auch dahingehend wieder etliche Studien mit einbezogen und dadurch einige Aspekte im Vergleich zu Verheijen und Mou geändert. Wir haben je nachdem, wie viele Tage zwischen zwei Wettkampfspielen liegen, eigene Zyklen gemacht. Das ist zwar stark an Mou angelehnt, weist aber an einigen Stellen Abweichungen auf.

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vanGaalsNase 15. Februar 2015 um 14:27

Das Buch kommt im Herbst. Genaues Datum steht aber noch nicht fest.

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Gh 11. November 2014 um 14:08

Eine Frage an RM: Hälst du es für wahr, dass Barca eine formale Zeichensprache (also „mehr“ als eine non-verbale Kommunikation) aus ihren Pässen erzeugt hatte, also in der Art (dies nur zur Illustration) scharfer Pass bedeutet Prallen lassen und den oder den Weg Gehen, softer Pass bedeutet Weiterleiten und Position halten?

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CF 11. November 2014 um 14:18

Bin nicht RM, aber haben aus meiner Sicht viele Vereine. Arsenal nutzt diese vielleicht noch intensiver also ähnlich wie Barcelona. Auch Bayern übt unter Guardiola bestimmte Übungen, die in die Richtung gehen.

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#17 11. November 2014 um 16:42

Hatte selbst schon so einen Trainer, der einem erklärt hat wie man den Pass des anderen deuten soll, bzw. man mit seinem Pass dem anderen Anweisungen erteilt

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Peda 11. November 2014 um 17:37

Da RM selbst im ersten Teil dieser Serie davon geschrieben hat, traue ich mich zu behaupten: ja.

„[..] Daraus entwickeln sich dann auch zwei weitere Stärken neben der Eingespieltheit.

Die erste ist jener mythische Begriff der Passkommunikation, den insbesondere Marcelo Bielsa geprägt hat. Dieser unterscheidet laut eigener Aussage sogar 36 unterschiedliche Formen über einen Pass mit einem Mitspieler zu kommunizieren. Für einen Fußballlaien klingt dies wie eine Lüge, eine Übertreibung und – pardon – Schwachsinn eines Verrückten.

Im Endeffekt ist es „nur“ eine Sprache für Fußballbegabte. Andrés Iniesta und Xavi vom FC Barcelona (Extreme sind die besten Beispiele!) dienen hierbei als Vorbild. Spielt Xavi einen harten Pass, wird ihn sich Iniesta nur dann stoppen, wenn er sich sicher ist, dass er für ihn bestimmt ist. Dies weiß er durch die Kenntnis seiner Umgebung und die Präzision Xavis. Kommt ein Ball exakt mit übertriebener Härte auf Iniesta zu und steht ein Spieler in dieser Passlinie hinter ihm, dann wird er den Ball wohl in keinem von hundert Fällen stoppen. Der Ball ist schlichtweg nicht für ihn bestimmt und Iniesta weiß es. [..]“

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Gh 11. November 2014 um 20:20

Ah, kannte ich nicht, danke!

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