Hamburger SV – VfL Wolfsburg 1:3
Mit einem frühen Tor und frühem Pressing bringt der VfL Wolfsburg den Hamburger SV aus dem Rhythmus. Insgesamt knüpften die Gäste an die letzten Wochen an und waren dem HSV in ihrer strategischen Ausrichtung fast immer überlegen.
Kurzfristig musste Mirko Slomka beim HSV den Ausfall von Djourou beklagen, was weitreichende personelle Umschiebungen in der Hamburger 4-4-1-1-Formation zur Folge hatte. Letztlich agierte Jiracek als Linksverteidiger, Ilicevic vor ihm auf jenem Flügel und der ins Team gerutschte Robert Tesche auf der anderen Außenbahn. Nach dem Pokalspiel in Dortmund musste Dieter Hecking auf Wolfsburger Seite seine dort durchaus überzeugende Mannschaft in einem Fall aufgrund der schmerzenden Verletzung von Junior Malanda umbauen, für den Jan Polák ins Team rückte.
Frühe Führung und frühes Pressing
Es dauerte nicht einmal zwei Minuten bis zum 0:1 und dem denkbar ungünstigsten Start für den Gastgeber – mit einer Rückwärtspressingaktion eroberte Olic den Ball von Arslan zurück und sorgte gleichzeitig noch für etwas Unordnung in der hintersten HSV-Linie, die Luiz Gustavo mit seinem tödlichen Pass auf Perisic ausnutzen konnte. So wurden die Mannen von Slomka früh in eine aktivere Rolle gedrängt – bisher hatten sie in einigen Spielen durchaus sehr viel Ballbesitz, aber oft Probleme mit dessen Nutzung. In dieser Partie durften sich die Wolfsburger aufgrund der Führung etwas stärker auf ihre intensive Arbeit gegen den Ball konzentrieren, die eines der wichtigsten Mittel zum letztlichen Sieg darstellte. Mit verschiedenen Pressingvarianten konnten sie nach dem Führungstor frühen Druck auf die Hamburger Spieleröffnung ausüben und damit auch weiterhin sehr unangenehm auftreten.
Am häufigsten waren dabei 4-1-2-3-hafte Stellungen mit mannorientiertem Mittelfeld, bei denen Arnold sich nicht zum tiefsten gegnerischen Zentrumsakteur, sondern an Arslan orientierte und Polák dann etwas weiter zu Rincón nachschob. Je nach genauer Hamburger Ausrichtung positionierte sich Olic etwas linksseitig und rückte dann herüber, während Arnold beispielsweise vorschob und Polák leicht nach rechts Richtung Arslan schob – in dieser Variante konnten sie häufig dann Westermann und Rincón aus dem Aufbau heraus dividieren und Hamburg die Optionen nehmen. Manchmal gab es auch asymmetrische 4-3-3-Staffelungen, bei denen Olic etwas breiter nach links ging, de Bruyne in den Angriff vorschob und sich im Zwischenraum von Mancienne und Jiracek herumtrieb. Aus diesen spezifischen Varianten mit umformenden Bewegungen konnte der VfL dann auch einige Szenen kreieren, in denen sie kollektiv auf einen bestimmten Gegner rückten und sich um diesen zusammenzogen. Hier hat sich die Mannschaft zuletzt koordinativ sehr stark verbessert, produzierte auf ähnlichem Wege auch schon gegen Nürnberg viele Ballgewinne, war diesmal aber nicht so stark darin, torgefährliche Szenen daraus zu machen.
Später versuchte der HSV darauf mit einem stärkeren und weiteren Zurückfallen von Rincón zu antworten, wofür die Innenverteidiger sehr breit, teilweise aber etwas unbalanciert zu breit schoben. Einige Male bewegte sich Olic sehr geschickt in den halblinken Zwischenbereichen innerhalb der übergangsweisen Dreierketten der Hausherren und verminderte damit ebenso deren Effektivität wie es seine Kollegen durch gute Anpassungsfähigkeit taten. Auch in diesen Stellungen kamen die breiten Innenverteidiger also kaum wirkungsvoll ins Spiel. Überhaupt wurden die genauen Abläufe im Detail durch Positionswechsel der Wolfsburger oder kleinere Anpassungen bei beiden Mannschaften im Laufe der Partie noch verändert, aber die grundsätzlichen Kräfteverhältnisse blieben zumindest in der ersten Halbzeit weitgehend bestehen. Alles in allem kam der HSV durch dieses Wolfsburger Vorgehen fast nie geordnet in sein Spiel hinein, produzierte einige Ballverluste und musste oftmals mit langen Bällen eröffnen.
Situativ „hinter“ die Mannorientierungen
Wirkliche Gefahr entstand eigentlich nur, wenn sie einmal in den Raum „hinter“ den Mannorientierungen des Wolfsburger Mittelfelds laufen und damit die hohe Stellung von Arnold und vor allem Polák ausnutzen konnten. Dies geschah entweder durch horizontale Dribblings von Ilicevic, der sich einige Male gegen Träsch behaupten und durch diesen Kanal ziehen konnte, oder nach Verlagerungen von links auf Diekmeiers rechte Seite. Dort spielten die Rothosen dann gelegentlich direkt – eventuell auch mal stärker diagonal – am Flügel entlang nach vorne und konnten dabei die Unterstützung des ausweichenden Zoua und des von halblinks helfenden Arslan ausnutzen. Spielerisch entstanden aus diesen Tandembildungen die wohl ansprechendsten HSV-Momente.
Bei all diesen Szenen, die den Raum hinter den Mannorientierungen attackieren sollten, fiel Calhanoglu jeweils die Aufgabe zu, in hohen Positionierungen mit leicht nach links tendierenden Bewegungen in den richtigen Momenten Luiz Gustavo an die letzte Linie heranzuziehen. Situativ machte sich dies für die Öffnung der Rückräume durchaus bezahlt, beispielsweise nach einigen Flanken Diekmeiers im Anschluss an das Aufrücken auf rechts, für die auch Ilicevic mit seinen driftenden Bewegungen an die letzte Linie etwas Gefahr ausstrahlte. Alles in allem war dies aber keine ideale Rolle für Calhanoglu, der als nomineller Zehner ansonsten kaum direkt eingebunden und weder seine spielmachenden noch verbindenden Fähigkeiten darstellen konnte. Mitte der ersten Halbzeit reagierten die Wolfsburger zudem besser auf diese vereinzelten Gefahrenstiche der Hausherren, zogen sich mit ihren Sechsern einige Male tiefer, symmetrischer und weniger mannorientiert zurück und fanden flüssigere Balance beim Herausrücken oder Zurückfallen zwischen verschiedenen Ebenen, so dass diese klaren Räume verschwanden und Hamburgs dann eher schwache Offensivpositionierungen stärker durchschienen.
Hamburger Pressingprobleme und Wolfsburger Linksangriffe
Gerade in der Anfangsphase hatte der Bundesliga-Dino auch mit seiner Pressingausrichtung Probleme und konnte entsprechend kaum Zugriff herstellen. Dabei agierten Zoua, der sich etwas zu Naldo orientierte, und Calhanoglu leicht versetzt zueinander, spielten diese Asymmetrie aber unbalanciert und inkonsequent aus. Dadurch konnten sie Knoches Vorstöße mannschaftlich nicht vernünftig zuschieben und fanden in den vorderen Linien keine Diagonalkompaktheiten. Dadurch konnte Wolfsburg immer wieder gegen die wenig intensiven, schwach koordinierten Hamburger Positionierungen und Bewegungen herumspielen und kam in den hinteren Bereichen kaum in wirkliche Bedrängnis, was sie in Form einer breiten und weitgehend sicheren Ballzirkulation auch ausnutzten. Mit ihren klaren Flügelpärchen und über das von Hamburg recht passiv verteidigte Herauskippen von Polák nach links ließen sie das Leder laufen. Die wenigen Engsituationen löste der sich auch ansonsten herausragend bewegende Luiz Gustavo mit einer tollen Gesamtleistung souverän auf.
Einzig in den höheren Zonen kamen die Wolfsburger nach der langen Zirkulation aus ihren Aufbauaktionen nur zu sporadischen Szenen gegen die dort solide Verteidigung des HSV. Durch Knoche, die eher linkslastigen Sechser, den ausweichenden Olic und den situativ herüber kommenden de Bruyne wies das Offensivspiel von Heckings Team eine generelle Linkslastigkeit auf, die Hamburg in einer 4-3-Stellung aber in den Übergangsbereichen dann recht gut zuschieben konnte. Hinter Tesche rückten die Sechser weit und frühzeitig zur Seite, wurden dort recht kompakt und nutzten bei dieser Spielweise die gewissen Verbindungsprobleme der Wolfsburger im Zentrum aus, während Ilicevic ballfern etwas höher bleiben und zocken konnte – einzig für Verlagerungen auf de Bruyne (oder später Perisic auf rechts) wurde dies anfällig.
Insgesamt gab es bei Wolfsburg offensiv also einige gute Direktangriffe und Flügelüberladungen auf links, aber auch einzelne Kompaktheitsprobleme bei den etwas zu klar und breit gestrickten Abläufen – im Grunde genommen also ein Bild, das aus den vergangenen Wochen grundsätzlich bekannt ist. Auffällig war dabei, dass die Niedersachsen in vielen durchaus aussichtsreichen Szenen sich in ihrem Bewegungsspiel sowie ihrer Entscheidungsfindung zu voreilig auf das sofortige Anvisieren des tornahen Raumes hinter der Abwehr fokussierten, was ein wichtiger, genereller Teil ihrer Rhythmusschwierigkeiten der leicht instabilen letzten Monate ist.
Wolfsburg reichen die langen Bälle
Nachdem der HSV im weiteren Verlauf zunächst in vereinzelten Szenen etwas weiter aufgerückt war und ein wenig fahrig hoch gepresst hatte, gingen sie schließlich in klarer 4-4-2-hafte Strukturen über, mit denen sie Wolfsburgs Aufbau früher zustellen wollten. Situativ zurückfallende Bewegungen von Gustavo oder selten auch mal Polák wurden in dieser Phase von nachrückenden Sechsern verfolgt. Dagegen wählten die Wolfsburger in diesem Abschnitt sehr frühzeitig und fast ausschließlich lange Bälle aus der Innenverteidigung, die Knoche auch zuvor schon einige Male genutzt hatte.
Dabei positionierten sich die Grün-Weißen zwar nicht optimal für die Abpraller, standen aber meistens geschickter und vorausschauender auf die Dynamiken der zweiten Bälle als der HSV, der sich in diesen Szenen immer wieder sehr stark strecken ließ und einfache Kompaktheitsfehler zwischen den einzelnen Linien beging. Über kurz oder lang kamen die Wolfsburger dann zwangsläufig zu ihren Szenen nach Abprallern und konnten dabei situativ sogar noch etwas breiter stehen. Es war also durchaus bezeichnend, dass der zweite Treffer durch de Bruyne im Anschluss an einen langen Ball sowie eine Überladung des Torschützen mit dem ausweichenden Olic fiel – die beiden agierten zunächst breit auf links und spielten sich von dort in den Strafraum. Die grundsätzliche Linkslastigkeit des Wolfsburger Spiels machte sich hier kurz vor der Pause dann doch noch direkt bezahlt.
Fazit
Mit dem frühen 0:3 durch Olic nach einer Standardsituation schien das Match zu Beginn des zweiten Durchgangs bereits entschieden. Durch einen der wenigen erfolgreichen Freiraumangriffe konnte der HSV zwar noch durchaus sehenswert verkürzen, fand in der Schlussoffensive aber kaum mehr Mittel gegen die VfL-Defensive und musste zunehmend auch einige Konter hinnehmen. Insgesamt war es schlussendlich ein verdienter Sieg für die Wolfsburger, die durchaus konsequent agierten und vor allem häufig dem HSV strategisch einen Schritt voraus waren – sie wählten die richtigen Pressingansätze, passten sich bei Veränderungen an, nutzten die Hamburger Defensivschwächen aus, verstanden es, deren Stärken nicht zur Entfaltung kommen zu lassen, und wechselten bei stärkerem Pressing der Hausherren auf die langen Bälle. Lobenswert war bei den Gästen vor allem ihre starke Defensivarbeit und das wirkungsvolle frühe Pressing, das sich kaum als ein Risiko erwies, sondern effektiv arbeitete – beim kollektiven Zusammenziehen in den richtigen Situationen und dem strategischen Provozieren solcher Szenen hat das Team einen entscheidenden Schritt nach vorne gemacht. Dagegen hatte der HSV nur vereinzelte Lichtblicke wie das später verbesserte Pressing, die in erster Instanz durchaus wirksamen 4-3-Stellungen oder die gelegentlichen Dynamiküberladungen auf halbrechts. Auch Calhanoglus Rolle entfaltete ganz vereinzelt ihre Effektivität und passte durchaus gegen Wolfsburgs mannorientierten Ansatz, muss letztlich aber dennoch eher als Problempunkt gesehen werden. Am schwerwiegendsten dürfte beim HSV wohl sein, dass immer noch so etwas wie ein wirkliches taktisches Gesicht fehlt.
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PH 21. April 2014 um 12:30
Vielen Dank für den wirklich gelungenen Bericht!