SV Kompakt: Afrika-Cup 2013 Viertelfinale
Die Viertelfinal-Begegnungen der afrikanischen Kontinentalmeisterschaften 2013 in Südafrika im Überblick.
Schon die Qualifikation war ein Riesenerfolg für die Kapverden, ebenso wie der noch überraschendere Einzug in das Viertelfinale – und das kleinste Teilnehmerland aller Zeiten hätte auch gegen den haushohen Favoriten aus Ghana fast einen weiteren Coup landen können.
Mit ihrem defensivstarken 4-1-4-1 machten die Kapverden die Räume sehr eng und legten eine beeindruckende Disziplin und Kompaktheit an den Tag, die bei weitem nicht jede Mannschaft in diesem Turnier gezeigt hat. Von ihren taktischen Anlagen erinnerten die Insulaner dabei an den letztjährigen Titelgewinner aus Sambia, der mit tiefstehender und durchaus anpassungsfähiger Defensive sowie schnellen Kontern über in Halbpositionen einrückende Außenspieler (hier Héldon und Mendes) damals die Ghanaer besiegt hatten. Auch in dieser Partie hatten die Kapverden die besseren Szenen, wenngleich sie durch die absichernden ghanaischen Sechser Badu und Rabiu nicht ganz so effektiv und daher besonders durch Standards gefährlich wurden.
Ihre tiefen Sechser mochten Ghana defensiv helfen, doch im Angriffsspiel fehlte den „Black Stars“ die Durchschlagskraft gegen die aufmerksame Defensive der Kapverden. Insgesamt konnten sie vorne nicht genügend Präsenz aufbauen, während die teilweise von drei oder auch mal vier Spielern durchgezogenen Überladeversuche auf außen zu gruppenorientiert abliefen und kaum durch diagonale Verbindungen auf die zentral wartenden Kollegen in den mannschaftstaktischen Kontext eingebettet waren. Die Folge waren nur ganze 3 Abschlussversuche in neunzig Minuten – davon ein umstrittener Elfmeter zur Führung im zweiten Durchgang und das 2:0 in der Nachspielzeit, als Wakaso bei einem Konter auf das leere Tor zulief.
Südafrika – Mali 1:1 n. V., 1:3 i. E.
Mit Mali trafen die beweglichen und wendigen Gastgeber auf eine sehr kraftvolle und schlaksige Mannschaft. Diese überließen dem Turnierausrichter den Ball und zogen sich abwartend zurück. Ihr einziger Stürmer Samassa orientierte sich am tiefsten Mittelfeldspieler der Bafana Bafana, dem beim englischen Pokalschreck Oldham spielenden Furman; dahinter wartete die breite Mittelfeld-Viererkette eines 4-1-4-1 und sollte diese Bereiche kompakt machen.
Dadurch waren die südafrikanischen Innenverteidiger häufig zu direkten Pässen gezwungen, mit denen sie eine oder zwei Reihen überspielten und sofort die Offensivspieler suchten, zu denen auch der offensivere Sechser Letsholonyane aufrückte. Somit versuchten sie dann, die zentraloffensiven Bereiche mit vielen Spielern zu überladen, während Rechtsverteidiger Gaxa für Breite aufrückte. Über dieses Kombinationsspiel sowie die Enge im Pressing und Gegenpressing konnten sie sehr viele vielversprechende Grundsituationen, teilweise in deutlichen lokalen Überzahlen, erzeugen, von denen aber die Mehrheit durch ihren wilden Stil, vor allem aber durch seltsame individuelle Entscheidungen zerstört wurde.
Dagegen spielten die Malier deutlich ruhiger und kontrollierter, aber keineswegs besser. Bei ihnen lief die Offensive weniger über kollektive und schwirrende Bewegungen, sondern flügelorientierter und stärker auf Pärchen oder Dreieckskombinationen fokussiert. Auf links wurde der dribbelstarke Maiga manchmal von seinem Außenverteidiger, manchmal vom diagonal in die Lücke gehenden Sow unterstützt. Halbrechts rückte Diakité mal in die Spitze nach und fiel mal zum Rhythmus-vorgebenden Keita zurück. Wirklich gefährlich wurde Mali aber erst nach dem Rückstand, als die Außenverteidiger mehr unterstützten und die intendierten Flügeldurchbrüche effektiver wurden. Einige Male konnte der Ball so in den Rückraum auf die nachrückenden Achter gelegt werden, womit die Südafrikaner die größten Probleme hatten.
Im zweiten Durchgang stellte Mali dann auf ein 4-4-2/4-4-1-1 um und kam somit besser in die Partie. Auf diese Weise verschwanden die Freiräume neben dem einzigen Sechser, in welche Südafrikas Innenverteidiger zuvor noch immer hineingespielt hatten, und Keita erhielt mehr Freiheiten im Angriffsspiel und nutzte seine erhöhte Position zum Ausgleichstor, das aufgrund der erhöhten Offensivpräsenz sowie den guten Horizontalbewegungen von Samassa entstand. Weil nicht mehr viel passierte, kam es zur Verlängerung, die ebenfalls weitgehend ereignislos ablief – ehe sich die Südafrikaner im Elfmeterschießen dann ganz schwach anstellten.
Elfenbeinküste – Nigeria 1:2
Malis Halbfinal-Gegner wurde zwischen zwei absoluten Schwergewichten des afrikanischen Fußballs ermittelt, deren Aufeinandertreffen doch stark an die ivorischen K.O.-Rundenspiele aus dem vergangenen Jahr erinnerte, welche insgesamt recht typisch für das Turnier gewesen waren. Beide Mannschaften setzten auf eine 4-3-3-Formation mit tiefen, konservativ ausgerichteten Mittelfeldern, was gerade bei den Elefanten zu eher geringer Offensivpräsenz führte und insgesamt ein Spiel mit wenigen Höhepunkten erzeugte.
Hauptstrategie in der Offensive war auf beiden Seiten, die jeweils flinken Offensivspieler in zentralen Bereichen freizuspielen, was den Nigerianern in einem mäßigen Spiel besser gelang. Während bei den Ivorern durch das Zurückfallen Yaya Tourés gelegentlich Freiräume zwischen Nigerias Linien für direkte Pässe auf die einrückenden Außen freigezogen werden konnten, die anschließend sehr individuell die entscheidende Aktion suchen sollten, streute Nigeria mit ihren drei recht fluiden Angreifern neben den vielen Dribbling-Aktionen auch immer mal wieder schnellere Überladungsversuche ein.
Für dieses Zusammenspiel waren ihre Strukturen im Angriffsspiel auch besser geeignet, da sie – im Gegensatz zu Drogba, dessen Ablagen zu selten aufrückende Kollegen fanden – mit drei Angreifern kombinieren konnten und auch die Mittelfeldspieler besser halfen. Während der wendige Mba als effektiver Verbindungsspieler fungierte, sicherte Onazi als raumfüllender und balancierender Sechser in den richtigen Feldbereichen ab und erlaubte Mikel das Abkippen in die linken Halbräume.
Ein weiterer Vorteil der Nigerianer waren ihre Bewegungen im Konterspiel, mit denen sie sich ebenfalls die eine oder andere gute Aktion erarbeiten konnten – wo Kalou und Gervinho permanent nach innen zogen, gab es bei den Nigerianern auch viele umgekehrte Ausweichbewegungen auf die Seiten, die durch das weite Aufrücken der ivorischen Außenverteidiger im Umschaltmoment offen waren. Im Ursprung war es dann auch eine solche Aktion, die für den Freistoß sorgte, den Emenike mit Gewalt und etwas Hilfe von Barry verwandelte (43.).
Nach dem Seitenwechsel kamen die Mannen um Didier Drogba etwas besser ins Spiel, was besonders am besseren Aufrücken des Mittelfelds in Person von Yaya Touré und Tioté lag, der dann auch schnell den Ausgleich besorgen konnte. Weiterhin blieb aber Nigeria die Mannschaft mit mehr Spielwitz und schaffte nach einem Solo im Umschaltmoment die erneute Führung kurz vor Schluss. Mit einem klassischen 4-4-2 (Drogba und der eingewechselte Lacina Traoré) und Flügelgewalt hatten die Ivorer noch den einen oder anderen Ansatz, konnten sich den erneuten Ausgleich aber nicht mehr verdienen – so scheidet der große Favorit im Viertelfinale aus und die „Goldene Generation“ hat schon wieder den Titel verpasst.
Burkina Faso – Togo 1:0 n. V.
Das letzte Halbfinal-Ticket wurde zwischen zwei weiteren westafrikanischen Mannschaften ausgespielt, die im Gegensatz zu manch anderen Teams schon in der Gruppenphase durchaus hatten überzeugen und die Erwartungen teilweise übertreffen können.
Auf der einen Seite stand die Mannschaft Togos um Kapitän und Superstar Emmanuel Adebayor, die mit einem soliden 4-4-2-Keilpressing sowie kombinativen und anspruchsvollen Unterzahlangriffen aufgewartet hatte. In dieser Begegnung richtete der ehemalige französische Nationalspieler Didier Six seine Mannschaft aber vorsichtiger aus und stellte sein Mittelfeld vom 4-4-2 auf ein 4-1-4-1 um.
Entscheidend wurde davon ihr Offensivspiel beeinflusst, das im Kern auf dem Zusammenspiel von Adebayor, Gakpé und Ayité basiert, die auf überladende Unterzahlangriffe setzen: Dabei agieren jeweils zwei dieser Akteure sehr eng beieinander, während der dritte in etwas weiterer Entfernung raumschaffend (Adebayors horizontale Ausweichbewegungen, besonders nach links) oder raumnutzend (Ayités Diagonalsprints hinter die Abwehr) arbeitet. Wirklich effektiv ist dies aber nur, wenn aus dem Mittelfeld noch ein zusätzlicher Unterstützungsspieler leicht hinter den Offensivkräften aufgerückt ist und dort für entscheidende Pässe oder die letzten nötigen Verbindungen sorgen kann. Genau dies fehlte den Togolesen über weite Phasen des Spiels aufgrund der Systemumstellung – wenn Romao aber einmal kurzzeitig in diese Rolle schlüpfte, gab es sofort sehr gute Torszenen.
Bei der Mannschaft Burkina Fasos waren ein kollektiveres Aufrücken und ein deutlich höherer Fokus auf eine raumgreifende Ballzirkulation in der gegnerischen Hälfte erkennbar. Allerdings agierten bis auf die beiden wie gewohnt sehr beweglichen Spitzen und gelegentliche Einrückbewegungen von Ouattara alle Spieler zu raumtreu und positionsorientiert. Im letzten Drittel versuchten die Burkiner dann entweder den ausweichenden Pitroipa hinter den Außenverteidigern anzuspielen oder Mittelstürmer Dagano sollte durch Zurückfallen Freiräume für den vertikal startenden Ex-Hamburger schaffen und die Bälle weiterleiten. Weil die ansonsten eben sehr raumtreue Mannschaft diese Bewegungen aber nur selten erwiderte oder ergänzte, waren sie für Togo durch herausrückende Innenverteidiger und situative Manndeckungen auf Pitroipa sowie seltener auch Ouattara (meistens durch Akakpo) recht leicht zu verteidigen.
Entscheidende Überlegenheit konnte Burkina Faso erst in der Endphase erzeugen, was besonders durch die Einwechslung Nakoulmas bedingt war, der sich variabler und auch vermehrt diagonaler bewegte, womit er auf halblinks Pitroipa und Kabore bessere Kombinationsmöglichkeiten eröffnete und auch dem im Stellungsspiel etwas unsicheren Mamah mehr Schwierigkeiten bereitete. Weil Togo dagegen nach einer stärkeren Phase mit etwas mehr Aufrücken und verbessertem One-Touch-Spiel hinter die Abwehr wieder abbaute, geht dieser knappe Sieg für Burkina Faso – sichergestellt durch ein Klasse-Kopfballtor Pitroipas nach einer Ecke (105.) – durchaus in Ordnung, wenngleich beide Teams das gute Bild aus der Gruppenphase nicht wirklich bestätigen konnten.
Schlusswort: Auch wenn es natürlich immer wieder einige gute Ansätze gab – sei es von ausgeschiedenen Teams wie Südafrika, aber auch von den Favoritenstürzern aus Nigeria: Wirklich berauschend waren die Viertelfinals nicht. Obwohl zwei Partien in die Verlängerung gingen, gab es insgesamt nur 8 Tore zu sehen, von denen fünf aus Standardsituationen resultierten. Insgesamt kann man nach aktuellem Stand auch allgemeine Punkte des letzten Jahres übernehmen: „Ein Schnitt von 2,38 Toren pro Spiel, gerade die Ergebnisse der letzten drei entscheidenden K.O.-Spiele sowie die Tatsache, dass die Elfenbeinküste, Mali und Ghana mit Yaya Touré, Seydou Keita und auch Kwadwo Asamoah eher defensivausgerichtete Akteure aus dem zentralen Mittelfeld auf der zentral-offensiven Mittelfeld-Position auflaufen ließen, zeugen von einer gewissen Orientierung auf Defensive und Vorsicht. Der afrikanische Fußball mag sehr athletisch sein, doch vielleicht fehlt es ihm etwas an Kreativität.“
9 Kommentare Alle anzeigen
pb 4. Februar 2013 um 11:53
Den Auftritt der Kapverden finde ich etwas zu freundlich beurteilt. Gefährliche Torabschlüsse bekamen die auch kaum zustande, v.a. in der Endphase sah so manches Schüsschen durch die, im Kommentatorendeutsch, „unkonventionellen“ Flugeinlagen Daudas wesentlich spektakulärer aus, als es tatsächlich war. Trotzdem haben die Insulaner bei diesem Turnier natürlich eine sehr starke Mannschaftsleistung geboten und bei dem diesmal leider besonders niedrigen allgemeinen Niveau reichte das allein schon fürs Viertelfinale.
Bei Ghana sehe ich statt der Aussen eher die drei zentralen Spieler in der Pflicht. Asamoah taucht als ZOM einfach zu oft zu lange vollständig ab – zwei, drei erfolgreiche Dribblings und der gelegentliche Fernschuss reichen auf dieser Position einfach nicht und mit seiner Versetzung auf die LV-Position am Anfang des Turniers lag der Trainer schon richtig. Badu fehlt dieser Tage häufig die taktische Disziplin und er versucht einfach zu oft, sich in Abschlusspositionen zu bringen und Tore zu schiessen. Der beste der drei war bisher noch ausgerechnet der unerfahrene Rabiu, der aber natürlich nicht die Arbeit von drei Spielern alleine erledigen kann.
Das Halbfinale gegen Burkina Faso halte für recht offen, allerdings sollten die Underdogs sich auf eine etwas kompaktere und abwartendere Spielweise verlegen. In einem direkten Schlagabtausch mit Atsu, Wakaso und Adomah würden sie mit ziemlicher Sicherheit den Kürzeren ziehen.
datschge 4. Februar 2013 um 15:57
Ich finds interessant zu sehen, dass durch die generelle Defensivorientierung bei Afrika-Cup Neulinge mit Fokus auf kollektive defensive Diziplin zuletzt mehr als gut mithalten können. In der weiteren Entwicklung würde ich erwarten, dass individuell stärker besetzte Länder wieder konsequenter auf ihre Offensivstärke setzen, aber bis dahin werden wir wohl erst noch ein paar weitere defensivorientierte, risiko- und somit torarme Afrika-Cups sehen.
Woher könnte der nächste aufstrebende Underdog kommen? 😉
firedo 4. Februar 2013 um 10:58
ich finds toll, dass ihr den Afrika.Cup auch covert.
Taisumi 4. Februar 2013 um 10:52
Klasse, vielen Dank! Der Afrika-Cup ist immer ein sehr spannendes, weil unvorsehbares Turnier. Die großen Teams scheitern inzwischen erwartungsgemäß früh und dafür gibts immer so tolle Sensationsteams wie Mali oder die Cap Verden. Ich bin Fan des afrikanischen Fussballs und freue mich hier darüber etwas lesen zu können. Weiter so! 🙂
laterookie58 4. Februar 2013 um 19:31
Taisumi : Mit Deiner Erlaubnis hänge ich mich mit dran.
Ich kann Taisumi nur voll und ganz zustimmen! Danke für die Mühe!
laterookie58
pb 4. Februar 2013 um 20:48
Mali ist sicher kein Sensationsteam. Das ist ihr viertes Halbfinale seit 2002, 2012 wurden sie Dritter.
Tanzarian 4. Februar 2013 um 07:55
Vielen Dank dafür, ich hab mir schon während der Gruppenphase einen Bericht zu den stark spielenden Kapverden gewünscht! Top Artikel!
McLovin‘ 4. Februar 2013 um 06:27
Ah klasse, darauf habe ich schon seit Beginn des Turniers gewartet! Gab ja doch (Cap Verde, Leistung der Elfenbeinküste) einige Aspekte, die es zu diskutieren gibt.
löffel 4. Februar 2013 um 00:18
Sehr geil, vielen Dank für die Mühe!