Blick über den Tellerrand – Folge 5

Es ist wieder Zeit für einen neuerlichen Blick über den Tellerrand – Vitesse, Toulouse und andalusisches Temperament. Die dritte Liga darf natürlich auch nicht fehlen.

Wo es gut läuft: SBV Vitesse Arnhem

In der niederländischen Eredivisie ist Vitesse Arnhem das Überraschungsteam der Saison. Die Mannschaft vom ehemaligen Schalke-Trainer Fred Rutten hat sich beispielsweise vor Titelverteidiger Ajax auf einem dritten Platz eingenistet und ist mittendrin im Meisterrennen.

Auf dem Papier zeichnen sich die Gelb-Schwarzen dabei durch eine sehr offensive Aufstellung in einer 4-4-1-1/4-3-3-Mischformation aus: Mit Topstar und Torjäger Wilfried Bony sowie dem Brasilianer Jonathan Reis gibt es zwei hohe und spielstarke Angreifer, mit Renato Ibarra rechts und dem von Chelsea ausgeliehenen Gael Kakuta links agieren zwei schnelle, dribbelstarke und meist breite Winger auf den Flügelpositionen. Auch die zwei zentralen Mittelfeldpositionen sind mit Neu-Nationalspieler Marco van Ginkel und dem von Ajax zurückgekehrten Theo Janssen enorm offensiv besetzt. Hinzu kommen oftmals invers agierende Außenverteidiger, die mit individuellen Läufen die von den vielen hohen Offensivspielern erzeugten Räume in der Mitte zu nutzen und Kombinationen durch die Halbräume zu starten versuchen.

Insgesamt hat im Vergleich zur sicher stehenden Defensive und dem disziplinierten Mittelfeldpressing in wechselnden Formation allerdings die Offensive noch nicht ihre volle Effektivität entfaltet – und dies wohl gerade wegen der sehr angriffslustigen Aufstellung: Durch die sehr breite und offensive Formation – nur selten bewegt sich vereinzelt einer der vier Stürmer in den Zehnerraum – hapert es ein wenig an den Verbindungen zu den tief abkippenden Achtern (Janssen), so dass zu oft lange Vertikalpässe auf die ablegenden zentralen Angreifer zur Überbrückung genutzt werden müssen. Durch die starken Einzelspieler und die guten Konter kann dies zumindest teilweise wett gemacht werden – wenn Vitesse allerdings wirklich um die Meisterschaft mitspielen will, müssen sie mehr als „nur“ die sechstbeste Liga-Offensive sein.

Eine exemplarische Szene aus dem Derby gegen NEC für die Probleme, die Vitesse trotz der Erfolge noch hat. Durch die hohen Stürmer sowie die breiten Außen ist der Zehnerraum verwaist und die sehr flache Anordnung Nijmegens wird nicht genutzt.

So gab es ein wenig Enttäuschung im Lande, als am vergangenen Wochenende das große Ligatopspiel gegen Twente nur mit einem torlosen 0:0 endete – allerdings nicht ganz überraschend beim Aufeinandertreffen dieser zwei Teams. Gegen den Tabellenzweiten, der mit seinen hinteren sechs Akteuren (der Abwehrkette und den Sechsern) sehr auf Absicherung bedacht war, konnte Vitesse somit weder über die Außen noch durch die Mitte noch über Konter wirklich durchbrechen.

Doch immerhin zeigte diese Begegnung noch einmal die defensive Stärke der Mannen vom Niederrhein, wenngleich Twentes Angriffsstrategie des Überladens durch die Außenstürmer und Vorstöße Willem Janssens aufgrund von Chadlis Fehlen (Cabral agierte zu verspielt und zu wenig kombinativ) auch nicht so stark war wie zu Saisonbeginn. Aus dem Aufbau heraus scheiterte Twente – übrigens von einem weiteren Ex-Bundesliga-Trainer, Steve McClaren, gecoacht – an dem geschickten Zurückweichen der Vitesse-Stürmer und ihrer Mischung aus Formationswechseln und Mannorientierung. Auch gegen die offensive Formation der Arnheimer konnten keine gefährlichen Konter gesetzt werden, was nicht nur an schwachem Ausspielen sondern auch an der starkenVitesse-Viererkette lag. Diese kann die offensive Grundaufstellung kaschieren und ist ein weiterer Garant dafür, dass Ruttens Mannen die zweitbeste Defensive der Liga (Gegentorschnitt 0,76) vorweisen können.

Im Derby gegen NEC konnte man aber auch immer wieder Szenen sehen, die offensiv besser gestaffelt waren und in denen die Mannschaft noch mehr aus ihrem Potential machen konnte:

Vitesse hier mit viel besserer Aufteilung, die vereinfachtes Kombinieren zwischen den Reihen erlaubt. Das verstärkte Aufrücken der Achter und das tiefere Fallen der Stürmer ist sehr wichtig.

Interessant zu beobachten: Toulouse FC

Auch wenn es in den vergangenen Spielen nicht mehr ganz so rund lief bei den Franzosen und sie in der Tabelle der Ligue 1 vom zweiten Platz abgerutscht sind, ist die Mannschaft von Trainer Alain Casanova doch eines der interessantesten Teams der Liga. Wenngleich es einen leichten Flügelfokus gibt, ist Toulouse im Kern doch eine ausgeglichene Mannschaft, die gepflegten Fußball spielt.

Kein besonderes Überladen einer Seite oder sonstige krasse Auffälligkeiten – Kollektivität, Kompaktheit und eine vielseitige Ausrichtung sowie eine ausgeglichene und solide 4-1-4-1-Formation zeichnen die Südfranzosen aus. Sie können durch ihr Flügel- und Flankenspiel  mit den dribbelstarken Yannick Djaló und Tabanou sowie dem gut über halblinks nachstoßenden Didot ebenso gefährlich werden wie durch Kombinationsspiel durch die Mitte. Besonders auf halblinks interagierenTabanou, Didot und Sissoko miteinander, während die rechte Seite etwas mehr für direkteren Zug Richtung Tor steht.

Man darf gespannt sein, was diese Mannschaft in der enorm engen französischen Liga noch erreichen kann. Sie machen nichts wirklich Spektakuläres, aber sie spielen konsequent, kollektiv und solide.

Spiel der Woche I: VfL Osnabrück – Arminia Bielefeld 0:0

Es war Zeit für die Topspiele in der dritten Liga: Während Münster (2.) den Vierten aus Unterhaching empfing, trafen sich zum absoluten Spitzenspiel Tabellenführer Osnabrück und Verfolger Bielefeld (3.) an der Bremer Brücke. Dabei war es eine Begegnung mit enormer Dominanz der Hausherren, in der es allerdings auf beiden Seiten wenig Torchancen und daher letztlich ein logisches 0:0 gab.

Mit ihren immer wieder zurückfallenden Sechsern Staffelt und Neumann sowie den beiden aufrückenden (Ex-Bielefelder) Außenverteidigern – dem nur Breite gebenden Fischer sowie dem aktiveren, aber diesmal nicht so effektiven Krük – konnten die Niedersachsen enorme Kontrolle im Spielaufbau erzeugen. Gegen den isolierten Fabian Klos konnten sie so hohe Ballbesitzquoten generieren. Unterstützt wurde dies durch ihre sehr engen Offensivspieler, die die Bielefelder Mittelfeldspieler oftmals mannorientiert übernahmen, so dass auch die zweite Linie der Arminia weit nach hinten gedrängt wurde. Gerade der halblinke Osnabrücker Innenverteidiger Beermann hatte immer wieder riesige Räume vor sich und konnte ungehindert bis 30 m vor das gegnerische Tor marschieren.

Aus dieser Dominanz gelang es den Hausherren allerdings zu selten,  Torchancen zu kreieren. Durch die eingerückten äußeren Mittelfeldspieler der Arminia waren die Halbräume  geschlossen, die Osnabrücks Offensive eigentlich bespielen wollte. Des Weiteren wurden die offensiven Außenverteidiger der Heimmannschaft geschickt von ihren Bielefelder Pendants verteidigt, so dass der Gast aus Ostwestfalen nicht zwei Spieler auf den Seiten verschenkte.

Gefahr entstand meistens, wenn Osnabrück die ansonsten souveräne Kontrolle des Spiels etwas abgab und stattdessen mit Schnellangriffen direkt nach vorne spielte. So konnten sie bei einigen langen Zuspielen hinter die Abwehr oder mit Vertikalbällen hinter die Bielefelder Sechser auf die freikommenden engen Offensivspieler ihre besten Szenen kreieren.

In Anbetracht der Tatsache, dass Bielefeld enorm tief stand und Fabian Klos von seinen Kollegen isoliert war, kam die Arminia überraschend ordentlich nach vorne. Ihre fast schon fluide Vierfachsechs – manche Spieler agierten situativ mannorientiert, während die freien Akteure die Lücken stopften – machte sich im Umschaltspiel bezahlt, da der gerade am günstigsten postierte Spieler sich jeweils in einen Konter einschalten konnte. Zudem wichen Testroet und Klos gut in die freien Räume auf den Seiten hinter die aufgerückten Verteidiger. Insgesamt ergaben sich recht viele Freiräume auch im Zentrum, welche die spielerisch sich immer weiter entwickelnden Gäste für einige ordentliche Abschlüsse nutzen konnten. (Die Wertung „einige ordentliche Abschlüsse“ muss dabei natürlich in Anbetracht der schwierigen Voraussetzungen aufgrund des Tiefstehens gesehen werden.)

Nach dem Seitenwechsel agierten die Bielefelder mit mehr Offensivkraft, so dass beiderseits nun die Freiräume in den Mittelfeldbereichen zunahmen. Durch einen Platzverweis dezimiert mussten sich die Gäste nach 65 Minuten allerdings wieder stark auf die Abwehrarbeit konzentrieren, was gegen die unter Zeitdruck zu flügelorientiert werdende Osnabrücker Angriffsleistung mit etwas Glück bei einigen Hereingaben auch gelang. Der VfL verpasste zwei bis drei hochklassige Chancen und konnte auch einen sehr umstrittenen Strafstoß in der vorletzten Minute nicht verwandeln.

Und sonst so? Statistiken vom Sevilla-Derby

Mit einem furiosen 5:1 im heimischen Estadio Ramón Sánchez Pizjuán hat der Sevilla FC es allen Kritikern gezeigt, die eine Wachablösung hinsichtlich der fußballerischen Vorherrschaft in der andalusischen Hauptstadt zu sehen glaubten. Die hinsichtlich des Ballbesitzes dominierenden Gäste (55 %) von Real Betis wurden von einem enorm aggressiven Pressing des Stadtrivalen bereits in den ersten fünf Minuten überrannt. Mit Maduro, Medel und Rakitic verfügte Sevilla über drei defensivstarke Akteure, die ihre Gegenspieler im 4-3-3 von Betis schon weit vor der Ballannahme stören konnten, weshalb diese unter Bedrängnis und mit eingeschränktem Sichtfeld viele Ballverluste hinnehmen mussten. Ihre Tendenz, im Spielaufbau nur wenig aufzufächern und viele Spieler nah aneinander positioniert zu haben, spielte dem aggressiven Ansatz des Gegners in die Karten. So hatten die Gastgeber am Ende nicht nur 22 Schüsse, sondern auch 22 Fouls und 31 gewonnene Tacklings zu Buche stehen. Trotz ihrer Unterlegenheit im Ballbesitz konnten sie das Spiel weitgehend in die gegnerische Hälfte verlagern – der Ball befand sich nur 25 % der effektiven Spielzeit im eigenen Spielfelddrittel. Nach einem 4:0 zur Pause konnte Betis die zweite Halbzeit ein bisschen ausgeglichener gestalten und kam durch ein Überladen der linken Seite (vor allem durch den hinüber kommenden Rechtsaußen Pozuelo, der über links auch den Ehrentreffer vorlegte) zu einigen Gelegenheiten – 49 % der Angriffe kamen über diese Flanke. In der letzten Minute war dann aber die Entstehung von Rakitic´ 5:1 exemplarisch für das ganze Spiel.

Die Entstehung des 5:1 mit den aus dem Rücken vorstoßenden Pressingspielern Sevillas. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an laola1.tv, die uns das Bildmaterial zur Verfügung stellen!

laterookie58 19. November 2012 um 17:46

@ TR : jedem so, wie er es mag: ich finde es herrlich, über Europa`s Fußballfelder den Blick schweifen zu lassen. Aus Zeitgründen aber schlichtweg unmöglich, unerwartete Hochs und Tiefs von allen „interessanten“…(Geschmacksache!) Teams mit zu bekommen. Ich danke Dir daher sehr für Deine Zeit und für Deinen besonderen Blick, solche Ereignisse so klar und treffend aufbereitet an uns weiter zu geben! laterookie58

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Wolle 19. November 2012 um 14:24

Eine exemplarische Szene aus dem Derby gegen NEC für die Probleme, die Vitesse trotz der Probleme noch hat.
? 🙂

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TR 19. November 2012 um 14:49

Haha, Flüchtigkeitsfehler. Anstatt des 2. „Probleme“ muss da natürlich „Erfolge stehen“. Habe es ausgebessert, danke.

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