Verhaltenes Doppel-Debüt

0:0

Frings und Hecking geben den Einstand bei ihren neuen Klubs im direkten Duell. Gladbachs klare Struktur dominiert, findet aber nicht zur Harmonie gegen das wuchtige Herausrücken der Gastgeber. Die systematischen Gründe für ein gerechtfertigtes 0:0.

Vor dem Anpfiff musste man sich nicht mit allzu großen personellen Überraschungen auseinandersetzen: Bei Darmstadt waren Milosevic und Holland mal wieder dabei, am linken Flügel überraschte höchstens die Verschiebung von Guwara nach vorne. Im Mittelfeldzentrum konnten die Gastgeber wieder ein spielstarkes Trio bereitstellen. Ähnliches galt für Gladbach: Hier formierte sich sogar ein potentiell beeindruckender Viererblock im Kern von Heckings 4-4-2-hafter Formation. Vor Kramer und Dahoud (und vor einer ebenfalls beeindruckenden Viererkettenbesetzung) nahmen Stindl und Raffael die vordersten Offensivposten ein – also jedenfalls keine klassischen Stürmer. Große personelle Alternativen bestanden für die „Fohlen“ nicht, rechts vorne erhielt Jonas Hofmann den Vorzug vor dem angeschlagenen Hahn.

d98-bmg-2017Die Verteilung der Aufbaulast

In der Quintessenz lief es in dieser Begegnung darauf hinaus, dass die Gäste vom Niederrhein die gegnerische Defensive würde knacken müssen. Heckings Mannschaft hatte erwartungsgemäß viel vom Ball, während sich Darmstadt tief zurückzog. Aus der 4-4-2/4-4-1-1-Grundformation konzentrierte sich Rosenthal immer mal auf Kompaktheit nach hinten, dabei häufig auf das Zustellen des gerade höheren gegnerischen Sechsers. Die erste Linie konnte Gladbach daher einige Male überwinden, indem sich Dahoud oder Kramer – die sich zudem auch oft frontal vor dem Block den Ball abholten – schräg neben Colak in den Halbraum fallen ließen und dann aufdrehten.

Als suboptimal erwiesen sich jedoch ihre Abstände untereinander, die häufig etwas zu groß ausfielen – der nicht Ballführende fokussierte oft jeweils den anderen Halbraumkanal. Zwar waren beide in einer straffen Struktur eingebunden, aber fanden kaum zu Interaktion. So lief es normalerweise darauf hinaus, dass für das weitere Vorwärtsspiel abwechselnd einer der beiden jeweils sehr klarer, in den Vordergrund gerückter Ankerpunkt wurde. Wenn derjenige das Spiel also weiter nach vorne treiben sollte, setzte Darmstadt auf vergleichsweise weiträumige Herausrückbewegungen ihres ballnahen Sechsers dagegen. Abwechselnd lösten sich Gondorf bzw. Vrancic weit aus der Formation, bis auf die Höhe der nächsten Linie.

Dadurch ging im defensiven Mittelfeldbereich auch einiges an Raum in ihrem Rücken auf, der nicht so sauber abgesichert wurde. Eigentlich waren die Gladbacher in ihrer Gesamtanlage auch konzentriert auf die starke Zentrumsachse fokussiert, versuchten daher diese Zonen entsprechend gezielt anzuspielen und zu besetzen – was gut war. In der Umsetzung traten jedoch einige Probleme zutage, aufgrund der zumindest in der übernächsten Folgeaktion so viele Szenen nach außen getrieben wurden, dass statistisch ein sehr gering anmutender Wert von mageren 13 % Angriffsaktionen durch die Mitte zu Buche stand. Besonders drei Faktoren waren wichtig, gerade auch in der Zusammenwirkung untereinander:

Gladbachs Klarheit, Darmstadts gegenläufige Bewegungen

Zum ersten schienen die einzelnen Angriffsaktionen immer wieder sehr klar auf einen der beiden nominellen Stürmer zugeschnitten, die den Fortlauf der Aktionen als primäre Anführer tragen sollten. So ließen sich Raffael und Stindl abwechselnd in den gegnerischen Sechserraum fallen, um dort von ihren Hintermännern angespielt zu werden. Dadurch wurde das Spiel aber sehr früh immer schon auf einen Schlüsselakteur geleitet, auf den sich die Hausherren früh einschießen konnten. Die Darmstädter verteidigten jenes Zurückfallen mit klaren, hart geführten Mannorientierungen durch den jeweiligen Innenverteidiger, der robust und riskant verfolgte.

Der Hintergrund für das weite Herausrücken der Sechser war also auch, dass die Hintermänner es ihnen ebenso konsequent und weiträumig nachtaten – teilweise lauernd, sogar ohne klare Deckung eines spezifischen Gegners. Aus den Anspielen auf Raffael oder Stindl konnte Gladbach kaum etwas machen, da sich jeweils nur selten dynamische Optionen ergaben – hier kamen die zwei anderen Aspekte ins Spiel: Zum zweiten ergänzten sich bei Darmstadt die Bewegungen zwischen den Sechsern und Rosenthal recht gut: Der nominelle Zehner formierte sich einige Male ballfern gegen den dortigen Gladbacher Sechser.

Den Ballführenden stellte dann etwa einer der Sechser, der ballnah quasi an der Höhe Rosenthals vorbei aufrückte und diese dynamische Druckerzeugung mit einem großen Deckungsschatten verbinden konnte. Seitliches Umspielen war aber in der Gladbacher Ordnung schwierig, da man entweder schnell am Flügel landete oder Richtung Mitte noch die unangenehme Rosenthal-Präsenz im ballfernen Halbraum vor sich hatte. Generell zeigte sich der Vorteil von vertikalen Pendelbewegungen innerhalb des Mittelfelds, die versetzte Staffelungen und so mehr Defensivsynergien ermöglichen.

In manchen Szenen, häufig aber bei Einwurfsituationen, sah man die etwas simplere Version dessen, dass sich ein – zumeist der ballnahe – Sechser in eine 4-1-4-1-Ordnung nach vorne orientierte, um so zusammen mit Rosenthal Kramer und Dahoud abzudecken: in der Regel dann mit der Aufteilung, dass der Darmstädter Zehner den ballfernen Part übernahm. Vielleicht war im Übrigen die Intention hinter den eingangs erwähnten Gladbacher Sechser-Rollen, dass die Kompaktheit von Rosenthal zum Restblock geschädigt werden sollte – was aus diesem Grund aber nicht aufging.

Stringent nach vorne, aber nach außen getrieben

Zum dritten sah die auf Seiten der Borussia gewählte 4-4-2-0-Interpretation klare und stringente Rollen für alle Flügelspieler vor – und in der Gesamtkonstellation etwas zu klare. Abgesehen von einzelnen (Dribbling-)Freiheiten für Thorgan Hazard orientierten sich die beiden offensiven Außenspieler frühzeitig in die Spitze und besetzten dort die letzte Linie. Das war vermutlich als Ausgleich für die nach  hinten tendierenden Einbindungen der Zentrumsstürmer gedacht, sorgte aber für kleinere Verbindungsprobleme durch die Halbräume und ein bisweilen mechanisches Konstrukt.

Für Stindl und Raffael gab es kaum natürliche Anspielstationen: Alles, was keine Rückpässe bedeutet hätte, befand sich – vereinfacht ausgedrückt – quasi direkt ganz vorne. Wenn sie sich etwas nach außen drehten, war dort kaum Präsenz, um das Spiel zu öffnen. Wirklich problematisch wurde die Einbindung der Flügelspieler aber erst dadurch, dass auch deren Hintermänner Jantschke und Wendt eher lineare Rollen im Aufrücken bekleideten. Sie konnten ihre jeweiligen Gegenspieler nach hinten drücken und so für weitere Spielkontrolle sorgen – aber nicht für zusätzliche Belebung des Halbraums. Die vertikalen Staffelungen waren außen nicht optimal, insgesamt ergab sich bei Gladbach so eine Art Y-Struktur.

Das führte also im Endeffekt dazu, dass die Angriffe mit zunehmendem Fortgang nach vorne immer mehr zum Flügel laufen mussten. So gestalteten sich die abschließenden Abläufe oft über außen. Dort suchten die Gäste vom Niederrhein Kompaktheit um den Ball, gerade rechts gab es immer mal zusätzliche Präsenz durch den weit herüberkommenden Thorgan Hazard oder einen längeren Diagonallauf eines Sechsers. Zudem orientierte sich mindestens einer der zwei zentralen Offensivakteure hinüber. Ein typischer Ablauf sah dann so aus, dass der Flügelspieler andribbelte, das Zusammenspiel mit Raffael oder Stindl suchten und nach einer Ablage wiederum in die Tiefe geschickt wurden.

Was passt bei Gladbach nicht?

Dieses Muster riefen die Gladbacher ab und kamen gerade rechts auch einige Male in den Rücken des etwas unkoordiniert herausrückenden Holland. Erneut handelte es sich aber wieder um eine Methodik, bei der sich Zielraum und finale Bewegungen recht zügig herauskristallisierten. Rechts war zudem etwas unpassend, dass Jantschke vergleichsweise prominente Aufgaben im passgebenden Bereich hatte. Auch hier konnte der Gast trotz seiner Technik Darmstadts kampfstarkes und in der hintersten Reihe präsentes Defensivspiel nur vereinzelt knacken. Die zahlenmäßig starke Besetzung hinten mit den zurückfallenden Flügelspielern erleichterte im Übrigen nochmals die aggressive Spielweise der Innenverteidiger.

Man sieht bei Gladbach noch, dass ihnen ein übergreifendes, mannschaftliches Gefühl etwas abgeht, wann sie welche Aktionen machen. Die Borussia bereitet Angriffe ohne ganz klares Timing und Rhythmuskontrolle vor, nutzt etwas wahllos bestimmte Aktionen oder Abläufe, die einfach spontan aus der Situation heraus prinzipiell Sinn ergaben. Ein Teil dieser Gesamtproblematik sind auch individuelle Punkte: Beispielsweise wurde diesmal Dahoud sehr präsent eingebunden, ist derzeit aber kein wirklicher Taktgeber. Statt selbst Dynamiken zu schaffen, müsste er aktuell eher in ebensolche gebracht werden, um dort dann seine Pressingresistenz, Vorwärtsdribbling, Läufe usw. einbringen zu können.

Insgesamt führte das alles letztlich oft dazu, dass Gladbach die vertikalen Räume vor der teils massiv besetzten tiefen Darmstädter Linie kaum mal mit Ruhe kontrolliert bekam und sich dann auch nie wirklich nachhaltig aus diesen unangenehmen Zuordnungen zwischen den Grundformationen lösen konnte. Diesbezüglich kamen dabei auch wiederum Rückwirkungen der eher losen Kohärenz innerhalb der Sechser im Aufbau hinzu. Gerade die mit viel Präsenz geführten Flügelangriffe über rechts brachten aber – das soll nicht verschwiegen werden – schon einige nicht ungefährliche Grundliniendurchbrüche. Weitere Torchancen der Gäste ergaben sich ansonsten punktuell über Konter nach verlorenen Darmstädter Abprallern.

Eher vorsichtiges Bolzen

Bei den Hausherren gehörten lange Bälle auch beim Debüt von Torsten Frings weiterhin zu einem essentiellen Hauptbestandteil ihres Plans. Gerade zu Beginn der Partie fand dieses „Bolzen“ aber noch nicht immer sofort statt: Zunächst zirkulierten die „Lilien“ auch vergleichsweise lange in der Abwehrreihe. In der sehr gestreckten Struktur fand Vrancic aber wenig Bindung, da auch Gondorf früh aufrückte. Versuchte sich der tiefere Sechser stärker einzuschalten und forderte aktiver die Bälle, ließen die Gladbacher aus dem 4-4-2 abwechselnd einen defensiven Mittelfeldakteure mannorientiert herausschieben.

Daher mussten die Gastgeber im Endeffekt – wie es auch mehrheitlich vorgesehen gewesen sein dürfte – wiederum ihre langen Bälle spielen, die aber nicht wesentlich erfolgreicher waren als in der Hinrunde. Gegen die Gladbacher Physis im Zentrum hatte Colak trotz seiner Technik Probleme, die Bälle festzumachen, während die Borussia sich auf ihre Grunddisziplin und die Gleichmäßigkeit ihrer Grundstruktur besinnen konnte. Bei Darmstadt schob neben Colak auch Rosenthal jeweils auf jenen Flügel, der gerade anvisiert wurde. Ansonsten rückten die Kollegen aber nur sehr vorsichtig auf.

Vereinzelt gab es die bekannten Vorstöße Gondorfs zur Unterstützung von Angriffen. Die rechte Bahn zeigte sich insgesamt als angriffslustiger: Schon Sirigu rückte wesentlich weiter auf als Holland, zumal auch Guwara bei langen Bällen nach rechts deutlich tiefer – und irgendwie seltsam breit – blieb als Heller umgekehrt. Dieser durfte aufgrund des Offensivdrangs seines Hintermannes teilweise recht eng an der letzten Linie einrücken und sorgte dort mit seiner wuseligen Art für Unruhe – ein interessantes, bisher sporadisch mal angedeutetes Element. Alles in allem war Darmstadts Staffelung auf die zweiten Bälle aber viel zu vorsichtig für große offensive Sprünge, zumal die Flügel kaum spielerische Impulse für die Folgeaktionen hätten liefern können.

Fazit

Ein 0:0 war letztlich das richtige Ergebnis für diese Partie, in der keine der Mannschaften stärkere Anzeichen für die jeweiligen – untereinander natürlich ganz unterschiedlichen – Aufholjagden senden konnte. Darmstadt zeigte einige sinnvolle Ansätze im verteidigenden Mittelfeldspiel, aber noch keine großen Neuerungen für die Suche nach mehr Torgefahr. Aus Sicht der Gladbacher Borussia war es ein ernüchternder bis durchschnittlicher Start unter Hecking, der von einer sehr klaren, aber noch wenig harmonischen und wenig kreativen Struktur geprägt war: Das starke Sechserduo war etwas unverbunden, auch die ins Mittelfeld pendelnden „Stürmer“ und die zielstrebig startenden Flügel fanden noch nicht zusammen.

SW90 24. Januar 2017 um 00:42

Gerade in der Situation kann man die Herangehensweise Heckings gut nachvollziehen, da man mit dieser Ausrichtung sehr stabil unterwegs sein kann, während man – eigentlich – von der individuellen Qualität leben müsste. Z.B. dass ein Standard rein rutscht oder ein Flügelspieler wie Hazard/Hofmann einen überraschenden Durchbruch erzielt. Auch die zurückfallenden 9er sollten auf dem Papier für Räume sorgen, selbst wenn mannschaftstaktische Mechanismen nicht vorhanden sind bzw. kaum greifen.

Wie in Wolfsburg am Schluss, findet Hecking womöglich das ähnliche Dilemma vor, dass das Quäntchen Glück fehlt und einige Spieler überschätzt sind. Überspitzt formuliert ist ein Raffael bisweilen ein Schön-Wetter-Fußballer; die Zentrale um Dahoud und Kramer zeigen nun das, was ihr Normalniveau ist bzw. erzeugen absolut keine Synergien.

Ich bin gespannt, welche Schlüsse Hecking daraus zieht und wie er das Team bzw. die Rollen aufstellt, wenn der Großteil fit ist.

Und wann möchte Darmstadt wieder Tore erzielen?

Antworten

CHR4 29. Januar 2017 um 00:48

heute, zumindest 1 😉 – aber heute hab ich mich eher gefragt, wieso man als Mannschaft die letzte Saison immerhin ne passable Defensive hatte und vom Ballbesitz her immernoch weit hinten dran ist, bei gegnerischen Ballbesitz teilweise nicht mehr im 5-4-1 oder 4-4-2 verteidigt, sondern in etwas das nach 3-3-x-x aussieht … ??

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