SV-Scouting: Salih Özcan
Eine der großen Nachwuchshoffnungen des 1. FC Köln ist Salih Özcan. In der U17 des rheinischen Traditionsklubs machte er bereits als Serientorschütze auf sich aufmerksam. Doch die Qualitäten des 17-Jährigen sind vielfältiger und kamen zuletzt gerade im Mittelfeld der U17-Nationalmannschaft zum Vorschein.
Insgesamt ist Özcan sehr variabel einsetzbar. Er kann sowohl von der Achter-Zehner-Position aus agieren, als auch weiter vorn als Zehner, Flügelstürmer oder zweite Spitze, so wie er es in dieser Saison in Kölns U17 und U19 tat, auflaufen.
Technik
An sich verfügt er über eine ausgesprochen saubere Technik, sobald er das Spielgerät unter Kontrolle hat. Dann geht Özcan mit vielen kurzen Kontakten vor und sichert so die Kugel in Kombination mit einer Abschirmhaltung des Oberkörpers vor dem Gegenspieler. Problematisch ist zuweilen noch die Konstanz bei der Ballaufnahme. Hier zeigt der Kölner Licht und Schatten. Gerade in der räumlichen Enge verspringt ihm der Ball mit dem First Touch, was unweigerlich in einen unklaren Zweikampf führen kann und die ganze Passzirkulation der eigenen Mannschaft unterbricht.
Als offensiver Ablagenspieler tendiert Özcan dazu, den Ball meist in größere Freizonen zu spielen anstatt das Spielgerät beispielsweise sehr präzise und kurz in Überladungsräume zu befördern. Notfalls greift er auch auf längere Rückpässe zum Außen- oder Innenverteidiger zurück. Insofern entsteht das Passmuster eines eher weiträumigen Ballverteilers.
Salih Özcan – Build-Up Play on Vimeo.
Das trifft ebenfalls auf seine Passaktivitäten zu, wenn er sich aus dem Mittelfeld heraus in Richtung des gegnerischen Gehäuses bewegt. Dabei setzt Özcan oftmals auf weiträumig, präzise Flachpässe nach außen, wodurch er das Spiel automatisch öffnet und den Angriff ins letzte Drittel bringt. Seine Passempathie bei diesen Öffnungen machen direkte Bälle in den Lauf der Außenspieler möglich und führen automatisch zur Tempoaufnahme im Rahmen der Offensivaktion. Diese Fähigkeiten kamen zuletzt noch stärker zum Vorschein, als er teils abkippend zwischen den Innenverteidigern oder direkt vorm zentralen Abwehrpärchen aufbaute. Doch der 17-Jährige kann auch gezielte Vertikalpässe auf größere Distanz spielen, sofern er etwas Zeit bekommt und sich Überblick verschaffen kann. Sein Timing ist in der Regel sehr ansprechend.
Salih Özcan – Through Ball Assist on Vimeo.
Derweil fällt auf, dass Özcan bei schnellen Weiterleitungen vermehrt den Pass in jene Richtung sucht, wohin sein Körper geöffnet ist. Das limitiert natürlich in gewisser Weise die Passmuster und den Überraschungseffekt. Eine Reaktion darauf besteht meist im vollständigen Abstoppen, woraufhin er sich anschließend um wenigstens 45 Grad drehen kann und die anspielbaren Zonen verändert.
Özcan ist neben seinen Fähigkeiten im Torabschluss, aufgrund seiner sauberen und kraftvollen Schusstechnik, ein interessanter Ballverteiler und potenziell talentierter Rhythmusgeber.
Koordination und Physis
Auffällig ist Özcans vergleichsweise aufrechter Laufstil, der vermehrt heraussticht, wenn er in Temposituationen gelangt. Einerseits zeigt er bei geradlinigen Bewegungen eine effektive Körperhaltung im Sprint. Andererseits hat er in undynamischen Situationen teils nicht die perfekte Balance, was bei Ballverarbeitungen in der Enge deutlich wird. Dort geht Özcan eher schnell zu Boden.
In offener Stellung bei Angriffen und mit entsprechenden Freizonen zum Anlaufen ist Özcan ein starker Tempodribbler. Geht er mit entsprechender Geschwindigkeit auf den Gegenspieler zu, probiert er es zumeist mit dynamischen, seitlichen Ausweichbewegungen, um entweder ein Foul zu ziehen oder direkt am Gegner vorbeizukommen. Auch hierbei hilft seine saubere, geradlinige Ballführung vor der offenen Körperstellung.
Genauso kann er direkt am Körper des Gegenspielers den Ball abschirmen und mit dem gegnerfernen Fuß führen sowie sich dabei in den offenen Raum drehen. Was letztlich noch heraussticht, ist Özcans gutes Umblickverhalten im Dribbling, wodurch er die bereits mehrfach erwähnten Freizonen wahrnehmen und ansteuern kann. Von seinen Dribblings gewinnt der 17-Jährige durchschnittlich 60 Prozent.
Individualtaktisches Verständnis
Neben den unbestrittenen Offensivqualitäten konnte Özcan auch zuletzt im zentralen Mittelfeld mit defensiver Antizipationsfähigkeit überzeugen und dies auf dem hohen Niveau der U17-Europameisterschaft. Er fängt in tieferer Stellung einige gegnerische Zuspiele durch kluges Belauern der Passwege ab. Ebenso bringt er in Defensivzweikämpfen beziehungsweise bei Balleroberungen immer wieder sehr effektiv den Körper zwischen Ball und Gegner.
Auf der Zehnerposition lässt sich Özcan gerade in der Nationalmannschaft eher nach hinten drängen und agiert dann als eine Art dritter Zentralspieler, während er in den Kölner Jugendteams verstärkt die Rolle eines Supportstürmers übernimmt, horizontal durch den Zehnerraum pendelt und regelmäßig in die Spitze vorstößt. Auch von der Außenposition aus driftet der 17-Jährige tendenziell häufig nach innen und sucht entsprechende Anbindungen zu den zentralen Akteuren.
Gesamtwertung
Die Torquote von 18 Treffern in der laufenden Saison der U17-Bundesliga täuscht womöglich über die Eigenschaften und die Vielfalt an Fähigkeiten von Salih Özcan hinweg. Einige dieser Tore waren Elfmeter oder Abstauber, die er sich mit vorstoßenden Läufen in Kombination mit seiner physischen Präsenz erarbeitete. Doch wirklich wertvoll wird der Kölner vor allem als entweder dominanter Ablagenspieler und Dribbler in vorderster Front oder als zurückfallender Ballverteiler und Zweikämpfer. (Als Sechser gegen Slowenien spielte er fünfzig Pässe mehr als in seiner Rolle als Zehner gegen die Tschechische Republik.)
Alles in allem ist Özcan ein hochtalentierter Offensivakteur, den ein Trainer auf jeder Offensivposition aufstellen kann, wenngleich auch eine Rolle als vorstoßender Sechser/Achter denkbar ist. In manchen Situationen sucht er noch zu schnell die Ballabgabe oder wählt den vermutlich einfachen Weg, indem er den Pass in offene Räume ablegt, selbst wenn dies einen größeren Raumverlust mit sich bringt. Folglich besteht noch Verbesserungspotenzial, was Entscheidungsfindung und Verhalten mit Ball in verdichteten Zonen betrifft. Aber eine Basis mit vielen technisch starken Elementen ist vorhanden.
4 Kommentare Alle anzeigen
AB 19. Mai 2015 um 20:46
Hallo, eine sehr schöne und aussagekräftige Analyse wie ich finde!
Meine Frage ist nun: Analysiert ihr Spieler bzw. Spiele direkt Live während des Spiels oder schaut ihr euch spezielle Videos an?
Gibt es da Internetseiten etc.?
CE 20. Mai 2015 um 09:49
Das ist recht unterschiedlich und variiert sicherlich auch von Autor zu Autor. Für Spieleranalysen schauen wir uns vermehrt spezielle Scouting-Videos u.ä. an. Die sind aber nicht frei zugänglich.
Schorsch 16. Mai 2015 um 11:08
Wiederum eine ausgezeichnete Analyse. Etwas verwirrt hat mich das Fazit. In welcher Rolle siehst Du Öczan mit seinem Talent am besten aufgehoben? Ich hatte den Eindruck, dass sein Spiel auf der 6 gegen Slowenien dem am nächsten kam.
CE 16. Mai 2015 um 20:27
Danke. Ich bin mir noch nicht hundertprozentig sicher. Einerseits gefällt mir die ballverteilende Rolle, wobei er auch den Spielaufbau beschleunigen kann. Andererseits ist er als Ablagenspieler ebenso interessant. Ich tendiere aber wohl zu Ersterem.