Tedescos Umstellung: Wie fand Belgien zurück zur Spielkontrolle? – DG

2:0

Domenico Tedesco zog seine ersten Lehren aus dem verlorenen Auftaktspiel gegen die Slowakai (0:1) und baute seine Struktur und Staffelung im Positionsspiel um.

Während die Belgier zuletzt aus einer breiten Viererkette (Castagne und Carrasco als klassische Außenverteidiger) aufgebaut haben, durfte nun mit Theate – neben Vertonghen und Faes – ein Innenverteidiger den halblinken Part einer Dreierkette besetzen.
Castagne konnte wiederum höher agieren und Flügelspieler Lukabakio überlaufend unterstützen.

Welche Vorteile sich dadurch positionell aufgetan haben und welche Rolle dabei Starspieler Kevin de Bruyne einnahm, erfahrt ihr von Deniz Güler (X: @DenizGuelr).

Castagne und Lukebakio als Pärchen

Castagne und Lukebakio hatten in diesem Spiel eine besondere Beziehung zueinander.
Während der linke Flügel Belgiens mit Doku einfach besetzt wurde, war man auf der gegenüberliegenden Seite doppelt positioniert.
Dabei agierte zwar Lukebakio, wie Doku auch, als Breitengeber, aber dieser hatte nicht die starre Positionseinhaltung vom Trainer als Anweisung mitbekommen.
So rückte der Flügelspieler innen ein, sodass Castagne seitlich zu ihm seine Positionshöhe fand.
Das Pärchen hatte aufgrund der Workrate von Castagne im Offensivspiel eine höhere Bedeutung, weil Rumänien durch ihre Passivität im Pressingverhalten – im 4-1-4-1 mit ihrem linken Flügelspieler fiel.

Nutznießer dessen war der rechte, seitliche Innenverteidiger der Dreierkette: Faes.
Der Rechtsfuß konnte durch die Überladungen auf der rechten Angriffsseite, derjenige sein, der den größten Raum und viel Zeit am Ball hatte (Datenbeleg: Kein Spieler auf dem Feld hatte mehr Ballkontakte und gespielte Pässen aufzuweisen, als Faes; Quelle: Sofascore.com).

Die Dynamik entstand aus der anfänglichen 3-2-5 Struktur, in der Faes versuchte seinen direkten Gegenspieler (linker Flügelspieler) im Ballbesitz rauszulocken, um anschließend über den Dritten (Tielemans) die numerische Überzahl in letzter Linie (5vs4 – effektiv 2vs1 auf dem rechten Flügel) auszuspielen.

Die Auftaktbewegungen waren identisch:
Lukebakio zog nach innen (und somit den Außenverteidiger mit), Tielemans stand mit seinem Körpfer stets seitlich geöffnet zu Faes, sodass dieser im ersten Kontakt den Pass um den gegnerischen Außenverteidiger durchspielen konnte, den Castagne auf dem Flügel mit seinem Laufvolumen attackieren konnte.

Die Rolle des Starspielers – Kevin de Bruyne

Mit Kevin de Bruyne konnte Tedesco in der Zonenaufteilung sein Übergangsspiel varieren.
Durch die Rotationsbewegungen von de Bruyne und Tielemans, konnte letzterer im Halbraum auf einer höheren Linie agieren.
Andererseits konnte Belgien damit die vermutlich geplante Überladung auf der rechten Angriffsseite gewährleisten.
Auf Ballseite schuf man mit der Staffelung stets einen freien Mann in umittelbarer Nähe des ballführenden, seitlichen Innenverteidigers.
Rumänien schaffte es zwar meist die vertikalen und somit gefährlichen Passfenster, in Belgiens gruppentaktischem Element der Rautenbildung, zu schließen, allerdings war die numerische Überzahl nicht zu verteidigen.

Tedescos Mannschaft schaffte es durch das Tragen des Balles von einem der drei Mittelfeldspieler (Onana, Tielemans oder de Bruyne) auf den Flügelspieler (Lukebakio oder Doku) zu spielen oder ballfern zu verlagern, um sie in isolierten 1vs1, 2vs2 oder gar 2vs1-Duelle einsetzen zu können.

Gruppentaktisch war Belgien zudem bereit, die zentralen Zonen zu finden.
Bewusst suchte man dafür zunächst den Weg über die Flügel, um dann die Interaktion mit Spielern zwischen den Linien zu suchen.
Die Bewegungsrotation enstand aus einer 3-1-2 Staffelung:
de Bruyne und Tielemans agierten auf einer gleichen horizontalen Linie; während erstgenannter fiel, als der zentrale Innenverteidiger Vertonghen den Ball von den seitlichen bekam, hielt Tielemans die Position so lange, bis der Ball wieder auf den äußeren Innenverteidiger kam.
So sorgte er dafür, dass die gegnerische Mittelfeldkette nicht fallen konnte und der Raum zwischen den Linien größtmöglich offen blieb.
Im Anschluss dessen startete Tielemans in Verbindung mit Faes, Castagne und Lukeabio seine Bewegung, die er vorwärts-vertikal in der dritten Linie beendet hat, indem er seine Position in den Zwischenlinien fand.

Belgiens Antwort auf rumänische Mannorientiertungen im Mittelfeldzentrum

Lukebakio und Castagne hatten durch die Pärchenbildung den Drang gleichzeitig die Flügel zu besetzen, was zur Folge hatte, das sich Zwischenlinien im inneren weiter vergrößern.
Bei einem technisch starken Zentrum, kann eine Mannschaft, diese über verschiedene gruppentaktische Ideen, die Basis für individuelle Umsetzungen schaffen.
Auf Belgien trifft dies unbedingt zu.

Rumäniens Mannorientierungen waren nicht brachial, vor allem nicht dieser des Solo-Sechsers Marin. Der defensive Mittelfeldspieler agierte meist in seiner Zone, wenn ein Gegenspieler in diese auftauchte, ging er innerhalb dieser in eine Mannorieniterung über.
Die Achter verhielten sich im Laufe der Partie wesentlich aggressiver in ihrer Mannorientierung.

Auf Belgiens Offensivspiel hatte diese Verhaltensmuster keine Auswirkungen.
Sie fanden den freien Spieler zwischen den Linien auch in Geichzahl im Spiel über den Dritten.
Dabei war auffällig, wie sich Spieler in kleinen Gruppen (2 bis maximal 3) „relationär“ verhielten.

Einzelne Spieler zogen sich in Räumen zusammen, sodass die Passabfolge unter dem leicht erhöhten Druck Rumäniens, weniger Risiko beinhaltete. So war vor allem Onana ständig in der Nähe des ballführenden, um ein Verbindungselement zwischen erster und dritter Linie zu sein, der die Spieler zwischen den Linien fand.

Fazit

Tedescos Anpassungen im Positionsspiel hatten große Auswirkungen auf ihr Spiel.
Während man gegen die Slowakei, trotz des frühen Rückstandes, in der Halbzeitpause lediglich 52% Ballbesitz hatte, stieg dieser Wert gegen Rumänien zum gleichen Zeitpunkt auf 69%.
Ja, das lag auch daran, dass die Slowakei zunächst höher presste, als es Rumänien tat, allerdings auch daran, dass nun die Staffelungen passend waren.

Im Auftaktspiel schlug Tedesco noch in die „De Zerbi-“ Richtung ein:
4-2-0-4 Staffelungen, um die Zwischenlinien hinter der gegnerischen Mittelfeldkette größtmöglich aufzuziehen, um wiederum de Bruyne in eine geeignete Position innerhalb dieser zu finden (4-2-1-3).

Die theoretische Idee war keine schlechte, denn:
Mit Onana, Doku und Lukaku hatte man Explositivät und Physis vereint auf dem Platz, die weiträumig diese Stärken aufzeigen können.
Zudem verfügte man mit Carrasco und Castagne athletische Vorteile gegenüber ihren Gegenspielern und schließlich mit de Bruyne einen Allrounder, der alle Punkte (auf Weltklasse-Niveau) miteinander vereint.

In der Umsetzung waren Ansätze vorhanden, auch einige Abschlüsse waren Ergebnisse dieser.
Doch die Spielkontrolle war, durch das ständige Suchen der vorderen Räume und der „hetzigen“ Umsetzung dessen, in Kombination mit dem frühen Pressing des Gegners, eine Komponente, die im Auftaktspiel der Red Devils komplett fehlte.

Dies war im zweiten Spiel nicht so.
Die erste Halbzeit war davon geprägt, die Ballzirkulation aufrecht zu erhalten, um die Vorbereitungen im mittleren Drittel voran zu treiben.
Aus einer 3-2-5 / 3-1-2-4 Hybridform war man einerseits im Mittelfeldzentrum gestärkt, gleichzeitig war man auf den Flügelzonen mit Power und guten Dribblern besetzt.

Die in der Analyse beschriebenen gruppentaktischen Elemente waren allesamt dem Ziel untergeordnet, die Flügel im Anschluss schnellstmöglich zu bespielen:
Während man auf der rechten Angriffsseite Lukebakio einsetzte, der von Castagne überlaufen wurde und innen, in der Schnittstelle zwischen AV und IV, Tielemans fand (3vs2), konnte man links Doku in isolierte 1vs1-Duelle finden.
Die gleichen Tiefenläufe, die Tielemans machte, wurden auch von de Bruyne umgesetzt, sodass gelegentlich 2vs2-Gleichzahlduelle entstanden.

Allgemein muss sich das Team von Tedesco weiterhin den Vorwurf gefallen lassen, dass sie zu wenig Ertrag gegenüber ihrem Invest darstehen haben.
Eine hohe Anzahl an vielversprechenden Situationen ließ man auch gegen Rumänien liegen; Sämtliche Momente, die man in der Dynamik bei Gleichzahlduellen im Zentrum (4vs4 bei Konter zum Beispiel), Überzahl- oder Gleichzahlspielen auf dem Flügel, oder in dem Spiel in der Box hatte, sind meist verpufft, ehe der Abschluss gelang.
Im Verhältnis dazu, wie hoch die individuelle Qualität im Offensivspiel ist, darf eine Steigerung dahingehend erwartet werden.

Und dennoch gilt:
Tedesco scheint eine kompfortable Situation zu haben:
Viele Spieler, die sich auf ihren Positionen wohl fühlen, dabei viele Facetten mitbringen, um auf sämtliche Spielphasen zu reagieren – sodass vor dem letzten Gruppenspiel gegen die Ukraine die Vorzeichen gut stehen, dass man auf dieser Basis der Favoritenrolle gerecht wird.

Eine Analyse von Deniz Güler (X: @DenizGuelr).

DG hat 2021 BorussiaXplained.de gegründet und auf dieser Plattform sämtliche Taktikanalysen zu Borussia Mönchengladbach und anderen (inter-)nationalen Spielen hochgeladen.
Dadurch gelang ihm der nebenberufliche Einstieg in die Analyseabteilung Borussia Mönchengladbach (Lizenz), in der DG eineinhalb Jahre Erfahrungen sammeln konnte.

Taktik-Ignorant 25. Juni 2024 um 13:35

Vielen Dank für den Artikel zu Belgien, einer interessanten Mannschaft mit vielen guten Spielern, wo die gute Nachwuchsarbeit auch daran deutlich wird, dass die Mannschaft, die vor einigen Jahren noch vor allem vom Startrio Lukaku-De Bruyne-Hazard und einer ansonsten soliden Generation zehrte, inzwischen schrittweise einen Umbruch geschafft hat, wo mit Doku, Trossard, Onana, Mandala, Tielemans, Faes, Théat, Debast gute Leute nachkommen.

Ich habe den Eindruck, dass in dem obigen Vergleich der Aufstellungen Belgiens im Slowakei- und im Rumänien-Spiel ein entscheidender Punkt fehlt (oder auch 2): Gegen die Slowakei spielten die Belgier mit einer Mittelfeldachse aus zwei zweikampfstarken Defensiven (Onana und Mandala) und De Bruyne davor als Regisseur. Außerdem Trossard nach seinen starken Leistungen zuletzt im Verein auf der Linksaußenposition, weshalb Doku nach rechts rückte.
Das führte dazu, dass Belgien im Zentrum bei eigenem Ballbesitz eigentlich einen Mann zu viel hatte: Onana und Mandala standen meist sehr nah beieinander (um nicht zu sagen sich auf den Füßen), was weniger zu Überzahlsituationen führte sondern vielmehr zu Missverständnissen und gegenseitigen Behinderungen und dazu, dass für das Weiterleiten dann eine Anspielstation fehlte. Das konstruktive Aufbauspiel hing weitestgehend an De Bruyne.

Diesen Fehler hat Tedesco im zweiten Spiel korrigiert. Für Mandala brachte er Tielemans und damit einen zweiten Spieler des Typs „Spielgestalter/Regisseur“, sodass das Spielerische nicht mehr alleine an De Bruyne hängenblieb. (Fairerweise sollte man hinzufügen, dass Tielemans aus einer Verletzung zurückkommt und deswegen für das Slowakei-Spiel noch nicht wirklich in Frage kam)
Zweitens blieb Trossard, der gegen die Slowakei enttäuschte und einige falsche Entscheidungen traf, draußen, woduch Doku wieder nach links konnte (er hatte aber auch rechts beileibe nicht schlecht gespielt) und der Platz rechts vorne für Lukebakio frei wurde, eine Konstellation, die Belgien auch in den letzten Spielen vor der EM praktiziert hatte. Dazu wurden dank der im Artikel hervorgehobenen Umstellung auf eine 3er-Kette die beiden Außenstürmer aus konsequenter von den beiden AV unterstützt. Die wichtigste Maßnahme war für mich aber die Hereinnahme von Tielemans, mit zwei kreativ begabten zentralen Mittelfeldspielern war das belgische Spiel variantenreicher und weniger ausrechenbar, und De Bruyne konnte wirklich befreit aufspielen, was man seiner Leistung auch angemerkt hat.

Trossard hat in der belgischen NM (und etwas weniger ausgeprägt auch bei Arsenal) seine Stärken vor allem als Joker, er bringt noch mal eine Prise extra Gefahr für das gegnerische Tor, wenn er Doku ersetzt, nachdem dieser seine Gegner müde gedribbelt hat.

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