Fünf Fragen zu Bayern – PSG
Eine Vorschau auf das diesjährige Finale in der Champions League.
Mit Bayern und PSG haben sich die zwei insgesamt stärksten Teams aus der Reihe derer durchgesetzt, die beim außerplanmäßig eingerichteten Finalturnier in Lissabon noch von der Partie waren. Beide sorgten teils für beeindruckende Auftritte, die schon zuvor in den abschließenden Wochen der Bundesliga Münchener mit dem krassen Ergebnis gegen Barcelona für große Schlagzeilen. Aus Paris kam das deutliche Ausrufungszeichen im Halbfinale gegen RB Leipzig, einer nochmals klaren Steigerung zur vorigen Partie. Insgesamt gibt dieses Finale viel her, mit dem deutschen Trainerduell zwischen Hansi Flick und Thomas Tuchel als einer weiteren interessanten Komponente.
Kann Bayern auch gegen die schnellen PSG-Stars so hoch pressen?
Frühes Attackieren des gegnerischen Aufbaus ist ein Ausfluss der allgemein enormen Intensität und Aggressivität, deren besonderes Ausmaß bei Bayern so beeindruckt. Zuletzt gegen Barcelona liefen die Münchener häufig mit fünf Leuten in der ersten Welle des Angriffsspressings an, zogen den einen Sechser also weiträumig mit nach vorne und hatten dahinter mit dem zweiten – meistens Thiago – eine sichernde Libero-Rolle. In jener Partie ergaben sich mehrmals 2-3-2-3-Staffelungen mit sehr aktiver und aufmerksamer Interpretation der Restverteidigung. Überhaupt nutzen die Münchener beim frühen Attackieren viele ballnahe Herausrückbewegungen auch der Außenverteidiger in höhere Linien.
Grundsätzlich zieht diese Spielweise immer ein gewisses Grundrisiko nach sich – ob gegen Messi und Suárez, gegen Depay und Cornet oder nun gegen Neymar und Mbappé, einfach gesagt. Die „besondere“ Herausforderung für das Duell mit PSG liegt darin, dass deren Offensivstars noch mehr Dynamik schon im Übergang entwickeln und direkter aus der Bewegung in etwaige Schnellangriffe kommen können. Messi beispielsweise ist immer noch ein effizienter und flinker Dribbler selbst in Unterzahlen, kann strategisch ein sehr breites Repertoire für seine Aktionen abrufen – nachdem er eingebunden ist. Aber in seinem höheren Alter hat er nicht mehr ganz so die Explosivität – bei zumal ohnehin geringerer Athletik im Vergleich mit Mbappé und Neymar – bei Freilaufbewegungen und Ballmitnahmen in weiträumigen Übergangsmomenten nach vorne.
Dies macht die Absicherung für die Münchener diesmal schwieriger. Punktuell auftretende Gleichzahlsituationen in den hinteren Linien drohen vor diesem Hintergrund brenzliger zu sein. Gegen Barca kam hinzu, dass mit Vidal in der Offensive von links kein besonders passender Spielertyp für verbindende Situationen mit dem Rücken zum Tor die beiden anderen Angreifer ergänzen konnte. Demgegenüber hat PSG mit di María jemanden aufzubieten, dem solche Momente liegen: Zumal kann er nach Ballsicherungen in Ausweichräumen durch seine Weiträumigkeit im Passspiel auch noch sehr aggressive Folgeaktionen einbringen.
Von der Organisation der Restverteidigung her scheinen die Bayern dafür prinzipiell allerdings wiederum gut gerüstet: Wenn Goretzka von seiner halblinken Grundposition nach halbrechts weiter vorrücken muss, kommt im Anschlussraum zur Seite Kimmich mit seiner klugen Positionsfindung balancierend zum Tragen. In der defensiven Gesamtstruktur – angefangen mit der tendenziell linksseitigen Grundposition von Lewandowski gegen den Ball – gestalten sich seine Vorrückbewegungen sogar noch etwas weitläufiger und häufiger als die von Davies. Wenn ein Außenverteidiger die Kette verlassen muss und es dementsprechend vermehrt jener von rechts ist, verblieben dahinter die drei sprintstarken und athletischen Akteure aus der Verteidigungsreihe. Wer Davies und Co. auf seiner Seite weiß, kann es im Notfall eher auf ein direktes Duell gegen Weltklasseleute ankommen lassen.
Diese personelle Besetzung in der Münchener Viererkette passt grundsätzlich gut zur Raumaufteilung insgesamt. Dementsprechend dürften es die Bayern auch darauf anlegen, im höheren Pressing den Gegner mit der ersten Welle tendenziell auf dessen linke Seite zu drücken. Ausgerechnet der zuletzt formstarke Ex-Münchener Bernat könnte in diesen Situationen eine Art Zielspieler sein, da er bei der Einnahme flacherer Aufbaustaffelungen manchmal Probleme mit der sauberen Positionierung hat, wenn er sich nach hinten zurückziehen muss. Im Halbfinale zeigte Leipzig zu Beginn der zweiten Halbzeit einige gute Ansätze im frühen Attackieren, gerade auch beim Zuschieben zu jener Seite hin. Die 4-4-2/4-2-2-2-haften Staffelungen entstanden dort nur durch das Pendeln der Flügelläufer in der eigentlichen Fünferkette, könnten aber – aus einer Viererkettenformation – eine wirksame Möglichkeit sein.
Ansonsten sind aus Bayern-Sicht insgesamt gar nicht so viele Veränderungen in der Organisation des hohen Attackierens nötig, da Paris einige Parallelen in der Raumaufteilung zu Barca aufweist. Am Ansatz des Viertelfinals können sich die Münchener also zunächst einmal grob orientieren. Paredes wird bei hohem Druck eher tief neben Marquinhos unterstützen als Ander Herrera, der sich ähnlich wie Sergi Roberto in der Folge etwas weiter nach außen ziehen könnte. Dass der nominell „höchste“ Pressingspieler der Bayern wie gegen die Katalanen linksseitig startet und situativ diagonal auf den Torwart vorschiebt, würde so auch Thiago Silva – nicht zuletzt als Ruhepol des Aufbaus – früh blockieren und dürfte sich entsprechend erneut anbieten.
Eine andere Situation könnte eintreten, wenn Paredes sich in tiefen Bereichen noch weiter nach außen bewegt und tatsächlich hinter den Außenverteidiger herauskippt. Die Folgen kämen im Einzelfall auf die jeweilige Umsetzung an, grundsätzlich könnte Bayern in den hohen Pressingphasen aber zunächst einmal über die Anlaufbewegung des ballnahen Flügelstürmers antworten. Sollte sich das Spiel tatsächlich auf diese Weise entwickeln, würde die Dynamik dazu führen, dass PSG gelegentlich auch mit halblangen Pässen zu eröffnen versucht.
Vor allem würde es in jenem Fall auf ihrer linken Seite verstärkt zu solchen Bällen kommen. Entscheidend könnte dementsprechend für Tuchels Team die Rolle von di María sein – dann nominell links statt rechts in der Offensive, um in die Ausweichräume diagonal zwischen Rechtsaußen und Thiago bzw. Kimmich zurückzufallen, die Zuspiele festzumachen und von dort schnell weiter zu verteilen oder zu verlagern. Genau für diese Anschlussaktionen, die besondere Herausforderung in solchen Momenten, ist der Argentinier potentiell eine große Waffe.
Als eine mögliche Alternative wäre auch der Ansatz nicht auszuschließen, dass PSG bei möglichen Flugbällen verstärkt die eigene rechte Seite mit di María fokussiert. Wenn Paris durch situatives Zurückpendeln von Kehrer und Marquinhos oder Paredes zusätzliche Aktivität in die erste Reihe zu bringen vermag und sich diese Aktionen mit einem ordentlichen Timing vollziehen, wäre es möglich, dem Torwart etwas mehr Zeit zur Vorbereitung eröffnender Zuspiele zu verschaffen. Auf der eigenen rechten Seite hätte PSG durch die Rolle von Herrera zudem schneller eine erste Unterstützungsoption für di María.
Wie verhalten und organisieren sich die Münchener in tieferen Phasen?
Zwischendurch wird es dazu kommen und notwendig sein, dass die Bayern sich etwas weiter hinten aufreihen und mit gegnerischen Ballbesitzpassagen im zweiten Drittel auseinandersetzen. Generell zeichnen sich Tuchels Pariser stets über längere, vorbereitende Zirkulationsphasen in ihrem Spiel aus. Gegen Leipzig ergab sich im Mittelfeldzentrum eine asymmetrische Verteilung bei Ballbesitz, indem Paredes tiefer nach halblinks kippte und von dort die Bälle verteilte, während Ander Herrera sich stärker zum Zwischenlinienraum orientierte.
Vor allem nutzte Paredes den in unmittelbarer Nähe postierten und mit kurzen, lockenden Aktionen eingebundenen Marquinhos als Ablagestation. Diagonal außerhalb des Sichtfeldes herausschießenden Bewegungen der gegnerischen Achter konnte PSG in dieser Anordnung oft entweichen, indem Marquinhos sicher auf Paredes oder nach Zuspielen von Marquinhos Paredes sicher zu den Innenverteidigern zurück klatschen lassen konnte.
Das kurze Zusammenspiel zwischen den beiden war schließlich häufig der Ausgangspunkt, um nach einer Phase der horizontalen Zirkulation den Übergang nach vorne zwischen die Linien zu suchen – wo sich die Superstars tummelten. Gegen Neymar und Co. war Nagelsmanns Ansatz einer 4-1-4-1-Grundordnung eigentlich geschickt, um durch das flexible Vorwärtspendeln der Achter und deren Deckungsschattennutzung genau diese Zonen gut versperren zu können. Die Rollen von Paredes und Marquinhos verbesserten die Aufbaustruktur bei PSG aber nochmals, das auf dieser Basis letztlich insbesondere dank der teilweise absurden Laserpässe von Paredes doch einige Male zwischen die Linien gelangen konnte.
Die Bayern könnten den von Nagelsmann angestrebten Zweck vielmehr aus einer 4-2-3-1-Grundorientierung heraus erreichen. In diesem Fall wäre die Schlüsselrolle jene von Müller im offensiven Mittelfeld: Vermutlich dürfte er oft im Umkreis von Marquinhos starten, würde im Zuge seiner typischen Vorrückbewegungen dann im weiteren Verlauf womöglich diesmal stärker diagonal auf Paredes durch rücken. Als grundlegende Orientierung wäre in diesem Fall die Verbindung zwischen den beiden tieferen Mittelfeldakteuren von PSG hilfreich. Dementsprechend könnte es – geplant, aber ebenso gewissermaßen als automatische Wechselwirkung – dazu kommen, dass gerade die Ablagen von Marquinhos zurück auf Paredes zum Auslöser für den Pressingübergang werden, wenn die Münchener auf Mittelfeldhöhe verteidigen.
Wenn Müller vorrückt, Lewandowski von einer linksseitigen Startposition gegen Thiago Silva in solchen Momenten mit herüberschiebt und ballnah entweder der Sechser oder der Flügelspieler – mit dem jeweils anderen in Lauerstellung im Halbraum – mit verengt, verspräche dies kurzfristige, lokale Raumverknappungen für die Bayern. Generell wäre dafür eine tatsächlich 4-2-3-1-artige Interpretation mit etwas höheren Flügelspielern interessant.
Trotzdem bleiben gerade die Laserpässe von Paredes eine große Gefahr, die manch gute Leipziger Staffelung knackten: Daher geht es desweiteren auch um das bayerische Herausrückverhalten aus der Kette in den Zwischenlinienraum, gerade in die halbrechte Angriffszone des Gegners. Einerseits wäre es eine Möglichkeit, Alabas‘ Antizipation zu nutzen, um in den Raum neben bzw. um Goretzka zu verteidigen. So ergäbe sich auch ein sauberer Kettenmechanismus in der Abwehr und man könnte Davies mit seiner Schnelligkeit in der letzten Linie behalten. Wenn Bayern mit der letzten Reihe vertikal ohnehin wieder weit vorschiebt, wären die Wege wahrscheinlich auch kurz genug, um Davies diagonal ins Mittelfeld hinein verteidigen zu lassen.
Schließlich entstanden viele Situationen nach den Laserpässen eher im äußeren Halbraum durch nahe Verbindungen zwischen Herrera und einem Offensivspieler, die man mit einem Herausrücken von außen unangenehm unter Druck setzen könnte. Der Raum direkt hinter dem Außenverteidiger war in diesen Momenten für PSG dementsprechend nicht akut zu belaufen, zumal sich Kehrer beim Aufrücken im Übergang weiter zurückhält als Bernat auf der anderen Seite. Dort müsste sich Kimmich nicht nur wegen des gegnerischen Außenverteidigers tiefer halten, sondern um möglichst wenig Räume gegen die explosiven Auftaktaktionen von Mbappé zu bieten, der die Bereiche häufig selbst wieder attackieren kann, die er durch das Herausziehen eines Verteidigers geschaffen hat.
Wird die nachlässige Rückwärtsarbeit der PSG-Offensive gegen ein Team wie die Bayern letztlich zum Problem?
Diese Frage muss man eigentlich nach dem Auftritt der Pariser im Halbfinale etwas anders stellen. Sobald die vorderen Akteure überspielt wurden, beteiligen sie sich im weiteren Verlauf wechselhaft an der weiteren Rückwärtsarbeit. Da sie auch zu Beginn des Pressings in manchen Partien nicht immer konsequent arbeiteten, war es bisher oft so, dass solche Momente häufiger auftreten konnten. Gegen Leipzig stellte sich die Sachlage endgültig so dar, dass man erst einmal die erste Reihe des Pressings knacken musste, um von etwaigen Nachlässigkeiten der Rückzugsbewegung überhaupt profitieren zu können – und das war nicht so leicht.
Insgesamt legte PSG im Halbfinale einen teils beeindruckenden Auftritt auch gegen den Ball hin. Dieser gestaltete sich in einer 4-3-3-Ausgangsformation mit engen Stürmern und jene wiederum in einer recht sauberen Umsetzung. Eine erste Grundlage dafür betraf die Rollenverteilung und die Organisation: Herrera verteidigte als rechter Achter hinter den Angreifern weiter nach außen, dafür schloss auf der anderen Seite Bernat als Außenverteidiger dementsprechend weiter nach vorne an. Dadurch konnten Marquinhos und Paredes jeweils eine sehr klare Tiefenstaffelung einnehmen, während einer der Innenverteidiger situativ weiträumig zum Sechserraum hin aufschloss, um frühzeitig einzelne Gegenspieler dort aufzunehmen.
Zum zweiten beruhte der Erfolg des Pariser Pressings auf der allgemeinen Orientierung in der Ausführung: Wenn ein Spieler den jeweils Ballführenden anlief, sahen leitende Bewegungen fast immer so aus bzw. kamen leitende Effekte so zustande, dass die nächstgelegene und zentral postierte Anspielstation zugestellt wurde – eigentlich ein sehr einfacher Punkt, aber von den einzelnen Akteuren wiederkehrend gut umgesetzt, nicht zuletzt durch den passenden Einsatz des Deckungsschattens in den entsprechenden Fällen.
Zudem achteten Tuchels Mannen gut auf die zweite Reihe: In fast jeder Situation, in der sie jeweils mit zwei Leuten den ersten Druck aufbauten, antizipierten die Kollegen die Schnittstelle zwischen diesen und schoben frühzeitig zu dem dort liegenden Raum nach. Konkret: Vor dem 0:2 setzte sich Herrera aktiv in den Kanal hinter Neymar und dem auf Gulácsi durchlaufenden di María ab, vor dem wegen Handspiels aberkannten Treffer aus den Anfangsminuten schloss Neymar mit einem horizontalen Lauf zum Flügel an und rückte nach dem Rückpass clever zwischen den beiden vordersten Kollegen über die erste Linie vor.
Genau auf den Außenbahnen deutete sich eine erste Problemstelle für PSG an. Wenn die gegnerischen Außenverteidiger eine gute Höhe finden und nach ein oder zwei horizontalen Zirkulationsphasen nach vorne mitnehmen können, greift der Anschluss nicht so gut. Kommt beispielsweise Herrera gegen eine Verlagerung im ersten Moment nicht mehr rechtzeitig zum Durchschieben nach außen, macht ein solcher erster Raumgewinn die weitere koordinierte Einbindung der vorderen Akteure für Paris direkt wesentlich schwieriger. Gerade schnelle Anschlussaktionen von Davies nach vorne sind auf dieser Seite also vielversprechend.
Im Idealfall kommt gegen eine solch klare 4-3-3-Grundordnung noch hinzu, dass man von der Außenverteidigerposition vergleichsweise gut horizontal in den Zwischenlinienraum weiterspielen kann. Aber selbst horizontale Wege vom Außenverteidiger vor statt hinter das gegnerische Mittelfeld sind bereits wertvoll: Kimmich fand zuletzt auch in schwierigeren Situationen sehr rational das Timing, um nach kurzen Auftaktdribblings nach innen abzukappen und den Moment für einen Querpass auf den schnell unterstützenden Thiago zu schaffen.
Was zunächst einmal die erste Linie angeht, dürften die Bayern diese am wahrscheinlichsten seitlich über Verlagerungen überspielen können, häufiger als auf dem Weg durch die Mitte. Auch im Zentrum brauchen sie nach der beeindruckenden Steigerung des Gegners vom Viertel- zum Halbfinale saubere Bewegungen. Wahrscheinlich wird sich Goretzka zunächst etwas tiefer halten und nicht so früh in den Zwischenlinienraum nachschieben wie teilweise gegen Lyon. Häufiges Pendeln der Sechser in einem Halbraum ist gegen die Pariser Anlaufbewegungen in diesem Zusammenhang verstärkt gefragt.
Umgekehrt bedeutet die erhöhte Schwierigkeit, diese erste Reihe im geschickten Pressing von PSG zu überspielen, wiederum die Notwendigkeit aus strategischer Sicht, besonders sorgsam mit jenen Momenten umzugehen, in denen dies gelungen ist. Konkret heißt das deshalb: Für die Münchener wird es erst recht besonders wichtig sein, ihre Ballbesitzmomente im zweiten Drittel nach Überspielen der gegnerischen Offensivakteure geduldig auszunutzen.
Genau in diesem Bereich gestaltete sich das Spiel gegen Lyon nicht ganz so reibungslos. Die Münchener kamen gegen die zurückgezogene Ausrichtung der Franzosen einfach über die Ballzirkulation bereits zu großer Spielkontrolle. So gelangten sie häufig auch in den Bereich neben den Stürmern – insbesondere wieder linksseitig von Depay im Bereich zu Kimmich hin – und erzielten direkt ersten Raumgewinn nach vorne auch wenn das gegnerische Mittelfeld sich flacher und breiter staffelte als beim Viertelfinal-Auftritt gegen Manchester City. Gegen die verbleibenden 5-3-Anordnungen Lyons spielten die Bayern ihre weiteren Aktionen jedoch teilweise unsauber aus.
Speziell in den seitlichen Bereichen von den Außenverteidigerpositionen aus geschah das phasenweise sogar überraschend oft. Die vorgegebene Marschroute schien auf schnellen Pässen in die Tiefe zu liegen, insbesondere in die Schnittstelle zwischen Marcal und Cornet bzw. in dessen Rücken bei kurzen Herausrückbewegungen. In ihrer gewohnt umtriebigen Offensivabteilung versuchten die Münchener jene Zonen mit diversen Kreuzbewegungen zu belaufen. Aus den schnellen Aufrückmomenten heraus ließen sie sich in der Umsetzung aber teilweise zu früh zu diesen Abläufen und dementsprechend auch den Tiefenpässen in die Spitze verleiten.
Durch eine tiefere Position von Marquinhos in der letzten Reihe könnte Tuchel recht einfach jene Grundstruktur wie bei Lyon reproduzieren, gegen die die Münchener im Halbfinale einige Male ungeduldig zu werden neigten. Solche Fünferkettenstaffelungen seitens PSG würden wahrscheinlich mit einer entsprechend ebenfalls zurückgezogenen Position di Marías einhergehen. Halbrechts bzw. dann eher halblinks würde er sich neben den beiden verbleibenden Mittelfeldakteuren einordnen und dort auffüllen. Zusammengenommen liegt aus Bayern-Sicht letztlich also ein Schlüssel darin, Zirkulationsphasen im zweiten Drittel fokussiert zu nutzen.
Im Rahmen dieser Ballbesitzmomente werden zudem wieder die schnellen Unterstützungsläufe nach Verlagerungen wichtig. Generell zeichnen sich die Münchener auf den Angriffspositionen schon durch die hohe Quantität an Bewegungen aus, die sich gerade gegen Barca stark auf den Zwischenlinienraum konzentrierten. Dorthin verteidigt PSG gar nicht so aggressiv herausrückend, sondern eher durch kurze Bewegungen aus der Kette heraus verschleppend, woraufhin sich die Aussichten für die eigene Strafraumverteidigung erhöhen – ein wichtiges Element. Einerseits könnte die Nutzung einer Fünferkette gegen den Ball einen stärker vorwärtsgerichteten Ansatz zum Zwischenlinienraum nach sich ziehen.
Andererseits sollten die Münchener aus den Ballbesitzphasen im zweiten Drittel – eine ausreichende Anzahl derselben vorausgesetzt – zunächst einmal recht gut hinter das Mittelfeld gelangen, so dass es daher am Ende tatsächlich auf Duelle zwischen Bayerns gruppentaktischer Qualität an der letzten Linie und Paris´ Strafraumverteidigung hinauslaufen dürfte. Diese versprechen sehr interessant zu sein, solche Momente lassen sich in den letzten Detailentwicklungen jedoch schwierig abschätzen.
Wie werden sich die Ballbesitzverhältnisse darstellen und entwickeln?
Inmitten der Gesamtkonstellation ist es interessant und gar nicht so klar zu sagen, wie sich die Begegnung strategisch überhaupt darstellen wird. Beide Mannschaften setzen grundsätzlich gezielt auf regelmäßige längere Ballbesitzphasen im zweiten Drittel, bei PSG sogar noch etwas fokussierter zur Absicherung möglicher Dominanz und zur einfachen Beruhigung des Spiels. Zudem wissen beide Seiten, dass sie dem jeweiligen Gegner nicht zu viele eben dieser Passagen zugestehen dürfen – einerseits, um irgendwann nicht zu viele Spielanteile einzubüßen; andererseits womöglich auch, um quantitativ nicht zu oft hoch pressen zu müssen und damit die Gefahren der Tiefensicherung gegen die individuell herausragenden Tempodribbler – aus Bayern-Sicht – bzw. der inkonstanten Rückzugsbewegung der Offensivstars – aus PSG-Sicht – verknüpft zu haben.
Insgesamt könnte sich daher eine relativ ausgeglichene Verteilung der Ballbesitzanteile einstellen. Das dürfte sich in diesem Zusammenhang selbst bei einem frühen Führungstor für eines der beiden Teams zunächst nicht nachhaltig ändern. Im Einzelnen steht aber aus verschiedenen kleineren Gründen zu erwarten, dass Bayern letztlich zumindest etwas mehr vom Spiel haben wird: Zum einen bringt Flicks Team momentan die im Allgemeinen leicht höhere Intensität auf den Platz und ist auch in der Geschlossenheit des Pressings bereits gefestigter. Zum anderen stellt sich bei den Bayern auch das Gegenpressing im direkten Vergleich nochmal etwas konstanter, athletischer und dadurch auch in großräumiger werdenden Situationen etwas aggressiver dar.
Welche personellen Alternativen und Möglichkeiten haben die Trainer?
Wirklich große Überraschungen in den Startaufstellungen scheinen bei beiden Teams in diesem Finale wenig wahrscheinlich. Eher könnte bei PSG zumindest eine einzelne Veränderung im Vergleich zum Halbfinale möglich sein: Icardi als wuchtige Anspielstation für Präsenz an der letzten Linie wäre eine Option, aber das Tempo und die Dynamik von Mbappé brauchen die Pariser eigentlich über die gesamte Spielzeit hinweg. Ähnlich gestaltet sich die Lage bei di María: Es wäre für Tuchel einerseits reizvoll, ihn als unberechenbaren, vielseitigen Joker in der Hinterhand zu haben.
Dementsprechend könnte er zunächst mit dem defensiv arbeitsamen Sarabia starten, um den erfahrenen Argentinier in einer entscheidenden Spielphase nach der Pause zu bringen, aber in einem Finale kann man andererseits auf dessen raumüberbrückende Qualitäten nicht wirklich verzichten. Die entscheidende Frage bei PSG dürfte daher letztlich vielmehr lauten, wie sich die genaue Aufteilung und Rollenverteilung in der Offensive des Teams gestaltet und ob di María verstärkt über den linken Flügel agiert oder nicht. Darüber hinaus käme als zweiter Punkt in Betracht, ob Marquinhos phasenweise mit in einer Fünferkette verteidigt.
Eine letzte diskutable Personalie ist im Mittelfeld Gueye: Der arbeitsame Zentrumsspieler könnte gerade wegen seiner geschickten Rückzugsbewegung ein wichtiger Baustein gegen Bayerns Zwischenlinienpräsenz sein. Paredes kann Tuchel angesichts von dessen enormem Wert für das Aufbauspiel aber definitiv nicht aus der Mannschaft nehmen, so dass letztlich nur Herrera bliebe: Allerdings ist es auch immer wertvoll, einen solch umtriebigen Spieler zu haben, der fast durchgängig für viel Bewegung um die offensiven Schlüsselfiguren herum sorgt – selbst wenn nicht jeder Lauf ganz so strukturiert erfolgt. An dieser Stelle hat Tuchel eine schwierige Entscheidung zu fällen. Mit dem zuletzt verletzten Verratti käme sogar noch eine weitere Figur in Frage, vermutlich als Ergänzungsoption, falls im Laufe der Partie nochmals Engendribblings im Aufbau oder Übergang benötigt werden.
Bei den Bayern wird es in personeller Hinsicht eigentlich nur um die Gestaltung von Flicks Auswechselpolitik gehen. Pavard als kleine Alternative für die Startelf verspräche zwar nominell zusätzliche Defensivpräsenz und Absicherung, dürfte aber in der aktuellen Konstellation keine wirkliche Option sein. Dann wäre ein Sechser-Duo aus Kimmich und Thiago für zusätzliche Spielkontrolle möglich, aber normalerweise nur auf Kosten von Goretzka oder von Müllers zentralerer und derzeit für das Pressing wichtigen Einbindung – von daher auf jeweils sehr hohe Kosten.Von der Bank aus bieten sich hauptsächlich Coman und Coutinho als Protagonisten an, die beide für diese Begegnung recht wertvolle Spielertypen sein müssten: Der nominelle Flügeldribbler sollte gerade bei situativen Einrückbewegungen mit seiner Ballsicherheit gut zurechtkommen, wenn PSG dort Aktionen zu verschleppen und abzudrängen versucht, und ein recht passendes Timing für die Fortsetzung finden.
Coutinhos Technik ist gegen ein individuell starkes Team, das sich schnell zum Strafraum hin zurückfallen lassen kann, natürlich immer potentiell vielversprechend. Für eine womöglich von den Spielanteilen lange ausgeglichene Begegnung, in der sich im Laufe der zweiten Halbzeit die Kontrahenten auch aus Gründen der Absicherung zwischenzeitlich eine kleine Pause an Intensitäts- und Tempowechseln nehmen, könnten am Ende seine individuellen Auftaktaktionen einen Unterschied ausmachen, indem sie innerhalb einer solchen ruhigeren Phase hier und da mal plötzliche beschleunigte gruppentaktische Spielzüge aktivieren.
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Daniel 23. August 2020 um 18:52
Vielen Dank für den Artikel, freut mich. Jetzt bin ich noch gespannter auf das Spiel. Kleine Anmerkung: Bildunterschriften sollten entweder eine andere Schriftart oder eine andere Größe als der Haupttext haben, um sich von diesem klar abzugrenzen.