Manchester United – Manchester City 1:6
Manchester United – vier Meisterschaften in fünf Jahren, drei CL-Finals und ein -Titel – kassiert im Derby gegen den aufstrebenden Rivalen Manchester City eine historische Klatsche.
Zuletzt hatte man beim Derby in Liverpool einige Spieler geschont, doch nun bot Ferguson wieder seine bewährte Mannschaft auf, die zu Saisonbeginn brilliert hatte – einzig Cleverly (verletzt) und Jones fehlten, die durch Fletcher und Ferdinand vertreten wurden.
Manchester City spielte ebenfalls das typische 4-2-2-2-System, welches man diese Spielzeit bisher favorisiert hat, wenn auch mit einigen kleinen Veränderungen – in personeller Hinsicht gab es hier zu vermelden, dass Milner für Nasri spielte und Silva folglich die Seite wechselte sowie Dzeko vorne für Mario Balotelli weichen musste.
In den Anfangsminuten waren die Hausherren die dominante Macht, doch sie scheiterten immer wieder an der starken Abwehrleistung des Gegners sowie an einer eigenen kleinen Schwäche, so dass die Citizens in der Folge immer besser ins Spiel kamen und auch den Führungstreffer erzielen konnten. Die zweite Halbzeit wurde komplett anders, da Evans nach nur wenigen Sekunden vom Platz gestellt wurde, und City konnte seinen Vorsprung erhöhen. United kämpfte sich mit einigen guten Anpassungen zurück, doch dann nutzte die Truppe von Roberto Mancini das riskante Spiel eiskalt aus und so konnten sie das Ergebnis in historische Rekordhöhen schrauben.
Die Wechselspielchen von Barry und Yaya Touré stechen in einer starken Defensive heraus
Nach einer Anfangsphase, in der beide Mannschaften hoch und riskant pressten, pendelte sich die Partie nach einigen Minuten langsam aber sicher ein. United dominierte die Partie, doch man biss sich an der starken Defensive des Gegners die Zähne aus, welche mit ihren zwei engen Viererreihen fast jegliche Gefahr neutralisierte.
Man verschob diszipliniert wie konzentriert und blockte die bewährten Wege der United-Spieler in die Mitte – die Flügelspieler wurden gedoppelt, hart attackiert und abgedrängt, während Rooney, Welbeck und Anderson zwischen den engen Linien keine Räume fanden und so höchsten vor den zwei Viererketten spielen konnten.
City konnte in den Räume von Uniteds Außenspielern viele Tackles und Interceptions verbuchen:
Das Besondere bei City war allerdings die Aufteilung der beiden zentralen Mittelfeldspieler Barry und Touré, welche diese Räume exzellent verengten. Normalerweise spielt Touré den halbrechten und Barry den halblinken Part, doch nicht nur, dass es diesmal vor allem zu Beginn grundsätzlich andersherum war, sondern auch, dass die beiden immer wieder ihre Seiten wechselten.
Diese Rochaden waren eine taktische Pracht und integraler Bestandteil der Defensivstrategie, da man sich auf Basis einer stabilen Ordnung immer an die Situation anpassen konnte. So waren die Wechselspielchen im zentralen Mittelfeld von mehreren Aspekten abhängig:
Erstens passte man sich an die Gegenbenheiten der eigenen defensiven Grundformation an, welche zwischen einem 4-4-1-1/4-2-2-2 und einem 4-2-3-1 wechselte. Wenn man gerade mit dem 4-2-2-2-ähnlichen System spielte, so war die linke Defensivseite nicht bestens abgedeckt, da Silva etwas höher auf der linken Halbposition stand und so musste der robuste, bei Barcelona geschulte und laufstarke Yaya Touré den Raum dort mit covern. Verstärkt wurde die Notwendigkeit dadurch, dass Clichy gegen Nani und den gut helfenden Smalling vorsichtiger agierte als Richards auf der anderen Seite.
Zweitens musste man auch die eigene Offensive bedenken. Yaya Touré ist der normalerweise höher stehende Spieler und stößt somit auch häufiger vor. Da er nun aber halblinks hinter Silva spielte, hätte jener ihm bei seinen Vorstößen den Raum genommen. Meistens rückte Touré dann weiter ins Zentrum ein und Barry blieb rechts oder man tauschte eben die Seiten, so dass Touré im Offensivspiel den Raum auf halbrechts besser nutzen konnte. In seiner Freirolle driftete der kleine Spanier allerdings auch immer wieder auf die rechte Seite, welche dann Barry halten und man die Positionen nicht wechseln würde.
Drittens konnte man durch dieses taktische Mittel die inversen Läufer der Flügelspieler Nani und Young besser antizipieren, welche in dieser Saison schon so manchem Gegner größte Probleme machten. Mit der seitenverkehrten Anordnung betrieb man generell schon eine gewisse Prävention, da Barry und Touré auf ihrer jeweils fremden Seite gegen einen hinein ziehenden Spieler mit ihrem starken Fuß hätten verteidigen können. Wenn sich einer der beiden Stürmer Uniteds nach außen bewegte, war dies das Zeichen für einen solchen Lauf eines Flügelspielers. Der ballnahe zentrale Mittelfeldspieler würde ihn gleich aufnehmen und mit ihm mitgehen, so dass man ihn relativ gefahrlos auf die andere Halbposition abdrängen könnte, während der jeweils andere Mittelfeldspieler die Seite wechseln müsste, um das entstandene Loch zu schließen. Dies bot eine zusätzliche Absicherung, da er „hinter“ seinem Kollegen und dessen Gegenspieler sich hinüber bewegte und zur Not als Ballsammler und Staubsauger hätte fungieren können.
So fehlte es United trotz ihrer Dominanz zu Beginn an Durchschlagskraft, um zu einer Chance zu kommen. Fairerweise muss angemerkt werden, dass derartige Läufe von Nani und Young relativ selten zu sehen waren, welche sich – ein wenig enttäuschend – hauptsächlich auf das klassische Spiel konzentrierten, doch trotz vieler Versuche meist an Clichy und Richards nicht richtig vorbeikamen.
Uniteds kleine Schwäche
Dies war auch ein kleiner Schwachpunkt bei den Red Devils, welche sich zu stark auf den Durchbruch über die Flügel beschränkten. Man wollte das Spiel zu direkt machen, traute sich allerdings nicht an die starken und fluiden Rochaden der bisherigen Spielzeit heran, so dass dem Team paradoxerweise ein wenig der Mut fehlte, obwohl man sehr direkt nach vorne spielte, was allerdings sicherlich auch auf dem umgekehrten Wege eine Folge der starken Defensivarbeit Citys war, welche den Weg in die Mitte sehr geschickt blockierten.
Dass man das Spiel zu schnell und direkt machte, lag sicherlich auch an der Mittelfeldbesetzung, welche mit Anderson einen sehr offensiv ausgerichteten und mit Fletcher einen kampfstarken und aggressiven Spieler aufbot. United fehlte eine ordnende Hand aus der Tiefe. So ballte sich die komplette Kreativität in vorderster Front, doch es war niemand da, der in einem ersten Schritt die Angriffsbemühungen hätte strukturieren und koordinieren und die engen Reihen Citys hätte entzerren können.
Der feine Unterschied
Es scheint wie eine komische Kombination zu klingen, aber Manchester United spielte fahrig und unstrukturiert sowie rigid und abgesteckt zugleich. Dies war der feine Unterschied zwischen den beiden Mannschaften, denn City bot mit ihrem ausgefeilten System genau jene Feinabstimmung und Fluidität, die United bisher so ausgezeichnet hatten – nicht nur durch die Wechsel von Barry und Touré, sondern auch durch die beweglichen Offensivspieler.
Zu Beginn hatten die Blauen nur defensiv geglänzt, waren in der Offensive allerdings durch das frühe und wirkungsvolle Gegenpressing Uniteds sowie deren Defensivtaktik bei geordnetem gegnerischen Spielaufbau weitgehend harmlos geblieben. Hier orientierte sich Ferguson an der Taktik, die sein designierter Nachfolger Moyes mit Everton erfolgreich gegen Manchester City betrieben hatte – die beiden zentralen Mittelfeldspieler machten das Zentrum eng, während die beiden Stürmer weit zurück gingen und durch das Übernehmen der zentralen Mittelfeldspieler die Überzahl Citys im dortigen Bereich ausglichen.
Mit der Zeit konnte United diese Kompaktheit nicht mehr halten und weil City auf der anderen Seite selbst beweglicher wurde, Silva sich der Bewachung Fletchers vermehrt entziehen konnte und Touré mit seinem Aufrücken die gegnerische Ordnung in Unruhe brachte, konnte man nun besser nach vorne spielen – in die großen Räume, die United ohne echten absichernden Spieler im Zentrum und auch auf den Flanken hergab. Zwar war die Offensivleistung nur durchschnittlich und konnte nicht mit der eigenen Performance in der Defensive mithalten, doch zum Ende der ersten Halbzeit war man die bessere Mannschaft geworden.
Silva kam meist über halblinks, während Milner als sein Löcherstopfer agierte, doch wie bereits erwähnt rochierte er auch gerne nach rechts, wo Silva dann mit den hinterlaufenden Milner oder Richards oder auch Aguero spielte, der schematisch eher rechts agierte, sich aber auch oft fallen ließ.
Balotelli nahm eine Hybrid-Position aus zentralem, hängenden und äußeren Stürmer ein und hielt vorne die Front – meist eher nach links versetzt – oder rochierte mit Silva, was allerdings nicht immer eine klassische Rochade war, stattdessen bewegte sich Balotelli dann nicht nach links, sondern eher nach rechts, während Aguero aus dem Sturmzentrum sich etwas fallen ließ.
Agüero und Balotelli waren sehr beweglich:
Dies hatte auch wieder einen defensiven Nutzen, denn man gab Silva mehr Freiheiten, während Milner etwas von rechts einrückte – ein weiterer Grund, warum Barry halbrechts spielte, denn nun konnte er quasi die zentrale Rolle einer defensiven Dreierreihe bekleiden und leicht versetzt absichern – und Aguero zurückrückte, während Silva und Balotelli die offensiven Halbpositionen füllten. Dadurch entstand interessanterweise eine ähnliche 4-1-3-1-1-Ordnung, wie sie Hannover so erfolgreich gegen die Bayern praktizierte.
Während United in einem klar abgesteckten System agierte, war dies bei City viel flüssiger und detaillierter wie feiner – die drei ersten Tore für die Mannschaft Mancinis fielen allesamt, indem man situativ Überzahl schaffen konnte.
Milner und Silva waren auf beiden Flanken anzutreffen und stellten gegen United immer wieder Überzahl her:
Folgen der Roten Karte, ein temporäres Comeback und das Debakel am Schluss
Der – im Übrigen berechtigte – Platzverweis Evans´ machte die wohl geplante Aufholjagd der Red Devils zunichte, bevor sie begonnen hatte. Ferguson zog Smalling in die Mitte, Fletcher auf die Position des Rechtsverteidigers und Rooney zurück. Dieses 4-2-3 war ein sehr riskantes System und so bot man hinten Räume, doch die Außenspieler waren nun gezwungen, zentraler zu spielen, was United durchaus gut tat, da man nun eine dynamische Offensive hatte, die City Paroli zu bieten wusste.
Vergleich der Rolle der Flügelspieler aus Halbzeit 1 (Nani) und 2 (Welbeck):
Es gelang sogar der Anschlusstreffer durch Fletcher (81.), welcher im weiteren Verlauf des Angriffes häufig in den rechten Halbraum einrückte, wo City teilweise leicht unterbesetzt war, weswegen Touré dort ja hatte häufig spielen müssen. Doch die Einwechslung von Hernandez war des Guten zuviel und so wurde man nun hinten sehr offen. City spielte munter weiter und öffnete Uniteds Defensive mit präzisen Kontern, hatte aber auch so einiges an Raum und guckte sich die linke Defensivseite Uniteds nun verstärkt aus, wo Evra erneut keine überzeugende Leistung bieten konnte – zu oft stand er schlecht, ließ sich überspielen oder machte technische Fehler.
In der letzten halben Stunde konzentrierte sich City stark auf rechts, wo Milner, Silva und Richards Evra alt aussehen ließen:
Statt den Triumph eines 1:3 zu genießen, wollte City sogar noch mehr. Die Schmach wurde für United durch drei weitere Tore zur Pein. In der 89. Minute traf Dzeko zum 1:4, in der Nachspielzeit machte der Bosnier das 1:6. Dazwischen fiel nicht nur ein weiterer Kontertreffer durch Silva, sondern es gab auch noch zwei weitere hundertprozentige Chancen in dieser kurzen Phase.
Es war ein Debakel an einem historischen Tag, den Ferguson als den schlimmsten seiner Karriere bezeichnete.
Fazit
Dieses Spiel wird mit Sicherheit in die Annalen eingehen und für reichlich Gesprächsstoff sorgen, doch von einer Wachablösung sollte noch niemand ausgehen, denn obwohl City den Nachbarn in die Schranken wies, war das 1:6 doch viel zu hoch. Herausragend allerdings die perfekt geplante Defensivstrategie von Mancini, mit der er United den Zahn zog.
4 Kommentare Alle anzeigen
piedra.montana 24. Oktober 2011 um 22:26
David Silva, ein Hochgenuss!
Seine gestrige Leistung sucht in der Premier-League-Geschichte seinesgleichen…
Diether R 24. Oktober 2011 um 20:49
Liest sich nicht schlecht, hätte aber lieber einen text von RM dazu gelesen.
Mich hat Richards überzeugt, er war taktisch eigentlich sehr riskant aufgestellt da er durch seine Anlagen eher einen offensiveren Gang einlegt. Doch er hat sich dann wirklich nur defesiv positioniert und in jedem 1 on 1 duell war überdurschnittlich konzetriert.
Richards war also die Stoppage auf den Außen.
TR 24. Oktober 2011 um 22:07
Richards nur defensiv (oder habe ich dich falsch verstanden?)? Er ist doch mit nach vorne gestürmt, hat unterstützt, Überzahl geschaffen und war z.B. integraler Bestandteil des 0:2.
Diether R 25. Oktober 2011 um 11:02
Die ersten 20 Minuten waren gemeint.