England scheitert an Chancenverwertung und Umstellungen

0:0

Im letzten Spiel ging es für England um den Gruppensieg, für die Slowakei um das Weiterkommen. Trotz viel besserer Leistung der Engländer reichte es nur für ein Unentschieden; wodurch die Waliser Gruppensieger wurden, England auf Platz 2 die Gruppenphase beendete und die Slowakei als Dritter weiterkommen könnte.

4-1-4-1 gegen 4-1-4-1

Grundformationen

Grundformationen

Beide Teams starteten in einem 4-1-4-1, welches einige überraschende Ähnlichkeiten aufwies. So wiesen sowohl die Engländer als auch die Slowaken zahlreiche Mannorientierungen im Spiel ohne Ball auf. Grundsätzlich positionierten sich die Mittelfeldspieler tiefer und sicherten die Mitte. Boten sich die gegnerischen zentralen Mittelfeldspieler dementsprechend sehr nahe an den Innenverteidigern an, wurden sie nicht attackiert. Nur einzelne Spieler – wie bei den Slowaken der jeweilige ballnahe Achter bzw. vorrangig Marek Hamsik – rückten heraus und versuchten zu pressen, meistens blieben sie aber in ihrer Zone.

Innerhalb dieser Zone hatten sie jedoch immer wieder Gegenspieler und verfolgten diese nach hinten oder bei seitlichen Bewegungen. Dies hatte einen interessanten Effekt: Höhere Anspielstationen waren fast immer zugestellt. Dadurch zwang man den Gegner zu einer tieferen Positionierung der Mittelfeldspieler, wodurch es aber nicht nur an Präsenz in vorderen Zonen mangelte, sondern die wenigen möglichen Passwege auch noch verstellt wurden.

Kleinere Unterschiede gab es jedoch schon. Bei der Slowakei war es wie erwähnt meistens Hamsik, der weiter nach vorne herausrückte und den alleinigen Stürmer vorne unterstützte. Bei England waren es eher die Flügelstürmer, welche nach vorne rückten. Insbesondere der ballferne Flügelstürmer orientierte sich diagonal auf den zweiten Innenverteidiger und ließ bei den Engländern somit einzelne 4-4-2-Staffelungen entstehen. Hierbei war auffällig, dass Sturridge dies häufiger tat als sein Gegenüber Lallana. Ein paar Mal stand Sturridge sogar höher als Vardy und sehr zentral, was die Slowaken verstärkt auf die Flügel zu den dort eher tief positionierten Außenverteidigern zwang.

Desweiteren positionierten sich die Flügelstürmer Englands häufiger höher und zentraler bei Ballbesitz des slowakischen Torwarts, als es die slowakischen Flügelstürmer umgekehrt machten. Die Slowakei wurde bei Abstößen und nach Rückpässen häufiger zu langen Bällen gezwungen, während die englischen Außenverteidiger etwas dynamischer von den herausrückenden Flügelstürmern attackiert wurden.

Das Schlüsselelement waren allerdings die Mannorientierungen auf beiden Seiten und wie der Gegner jeweils dagegen vorgehen wollte.

Einrückende Flügelstürmer, vorstoßende Außenverteidiger

Auf beiden Seiten suchten im Aufbauspiel die Flügelstürmer den Weg in die Mitte, um die Gegenspieler auf dieser Seite mitzuziehen und die Räume für die Außenverteidiger zu öffnen. Bei der Slowakei funktionierte das allerdings nur bedingt. England übergab in der Viererkette nicht nur besser, sondern deckte auch das Aufbauspiel durch die Mitte stärker ab und ließ sich kaum nach hinten drücken. Stattdessen starteten die Three Lions das Pressing höher und aggressiver, die Läufe der slowakischen Außenverteidiger kamen deswegen kaum. Pekarik und Hubocan – ohnehin etwas problematisch als Flügelspieler – hatten kaum die Möglichkeit mit wenig Risiko und gutem Timing nach vorne aufzurücken und Pässe zu erhalten. Englands Systematik mit den Flügelstürmern im Pressing – vorrangig eben Sturridge – machte dies enorm schwierig für die Slowakei.

Bei England wiederum funktionierte es sehr gut. Die Innenverteidiger und Dier ließen den Ball gut laufen, die Mittelfeldspieler bewegten sich viel und öffneten immer wieder Passwege auf die Seiten und in die Halbräume. Das ermöglichte Cahill und Smalling einige Pässe direkt ins Mittelfeld, dazu spielte Dier einige gute Verlagerungen.

Die Flügelschnittstelle für England, welche in der zweiten Halbzeit von den Slowaken geschlossen wurde.

Die Flügelschnittstelle für England, welche in der zweiten Halbzeit von den Slowaken geschlossen wurde.

Die einrückenden Bewegungen Lallanas und Sturridges öffneten Räume sowohl für Schnittstellenpässe der Mittelfeldspieler oder durch die eingerückten Flügelstürmer selbst hinter die Abwehr auf die Außenverteidiger als auch für diagonale Verlagerungen in den Rücken des gegnerischen Flügelstürmers bei nach innen gedrückten Außenverteidigern durch Dier. Ein weiterer Faktor waren auch die Bewegungen der zentralen Spieler in die Tiefe. Vardy suchte häufig die Tiefe und drückte die slowakische Viererkette nach hinten. Wilshere und Henderson bewegten sich auch öfters in die Halbräume, wenn Sturridge und Lallana weiter in die Mitte einrückten und boten sich auch vielfach für Kombinationen mit den Flügelstürmern und/oder den Außenverteidigern an. Außerdem zeigte Wilshere auch einige gute Dribblings und die Rückraumbesetzung der beiden bei Flanken sorgte ebenfalls für Gefahr.

Englands Ballbesitzvorteile wirken sich aus

Letztlich war es diese offensive Ausrichtung im Spiel gegen den Ball und die guten Bewegungen im Spiel mit Ball, welche den Engländern einen klaren Vorteil verschafften. Die Slowakei hatte nie genug Ballbesitz für ausreichend lange Zeit, um kollektiv in höhere Zonen aufzurücken. Sobald sie es probierten, wurden sie von England fast konstant unter Druck gesetzt. Die Slowakei konnte darum nie die nötigen Mechanismen kreieren, um zu Chancen zu kommen. Dazu war in diesen Situationen England relativ kompakt, wenn sie das Pressing auflösen mussten. Aufgrund dessen lag das Chancenverhältnis zur Halbzeit bei 1:10 aus slowakischer Sicht.

England wiederum zeigte auch im Gegenpressing eine gute Leistung. Die Abstände in Ballbesitz waren gut; Bertrand und Clyne zeigten ein gutes Stellungsspiel. Waren die Achter aufgerückt und der Angriff bereits weit fortgeschritten, blieben sie im zweiten Drittel und schoben nach Ballverlusten antizipativ in die Mitte, um dort die Räume zu schließen. Wenn Clyne oder Bertrand auf ihrer Seite aufrückten, sicherten wiederum Henderson und Wilshere sowie Dier und die Innenverteidiger dahinter ab. Sturridge und Lallana konnten dadurch sogar innerhalb des Spielgeschehens ohne Stabilitätsverlust die Mitte überladen und danach die Seite tauschen.

Sturridge schiebt diagonal nach vorne auf.

Sturridge schiebt diagonal nach vorne im Pressing.

Im Gegenpressing gab es einzig Probleme, wenn die erste Linie im Gegenpressing überspielt wurde und die Spieler dahinter zuvor nicht ordentlich nachgeschoben hatten. Ansonsten zeigten die Engländer über die ersten 45 Minuten eine der besten Nationalmannschaftsleistungen in jüngerer Geschichte ihres Verbandes.

Slowakei lebt auf – aber nur kurz

Direkt nach der Halbzeit hätte die Slowakei beinahe das 1:0 gemacht. Ein paar sehr schnell ausgespielte Angriffe gegen noch ungefestigte Engländer führten zu Problemen. Hier zeigte sich auch, wie die Slowaken das Spiel in der ersten Halbzeit hätten verändern können: Viel Risiko in den Vorstößen, sehr schnelle Kombinationen und direktes Nachsetzen in diesen höheren Zonen. Allerdings bedeutet dies natürlich auch mögliche Konter für England und ist eine intensive Spielweise, weswegen diese Phase der Slowaken nur kurz währte.

Auch in der zweiten Halbzeit waren die Engländer besser, wenn auch nicht mehr ganz so dominant wie in der ersten Spielhälfte. Die Einwechslungen Hodgsons brachten nicht unbedingt die erwünschten Vorteile; Rooney spielte kurz auf der Acht nach seiner Einwechslung für Wilshere, danach als linker Flügelstürmer. Lallana wurde nämlich für Alli ausgewechselt, der wiederum auf die Achterposition ging.

Danach verflachte das englische Offensivspiel. Die Abstände und Kombinationen stimmten nicht mehr, dazu hatte die Slowakei sich etwas angepasst. Die Flügelstürmer fielen häufiger und konstanter zurück, immer wieder gab es nun 5-4-1 und 6-3-1-Staffelungen. Jene Räume, welche England zuvor simpel generieren und gut bespielen konnte, waren jetzt verschlossen. Auch darum blieb es beim 0:0, obwohl sich England mehr verdient hatte.

Fazit

Eine sehr gute erste Halbzeit der Engländer, welche mit ihrem asymmetrischen, flexiblen Pressing und ihrem guten Ballbesitzspiel überzeugten. Nach dem Seitenwechsel passte sich die Slowakei defensiv etwas an, wurde stabiler und war dennoch unterlegen. Allerdings konnte England nach den Wechseln und der slowakischen Umstellung nicht mehr so dominant agieren bzw. so gute Chancen herausspielen, wie es zuvor wirkte. Das 0:0 war dennoch glücklich für die Slowaken, die in ihrem 4-1-4-1 kaum Durchschlagskraft im Ballbesitz- oder Konterspiel fanden.

CR 23. Juni 2016 um 10:21

Ich finde dieses Spiel steht sinnbildlich für diese bisherige EM bzw für viele Spiele in der Vorrunde. Warum ist diese EM bisher „langweiliger“ , oder „taktisch geprägter“ als die Jahre davor wie Experten w Kahn und Scholl sagen. liegt es am neuen Modus mit den Gruppendritten? es sind mehr Mannschaften dazu gekommen darunter viele EM Neulinge, aber es gab keine Schützenfeste kaum Tore viele enge Spiele. Viele kleine Mannschaften kommen über eine gute Strafraumverteidigung (Slowakei, Wales, Nordirland, Ungarn) und haben vorne 1-2 individuell Top bis sogar Weltklasse Spieler Hamsik Bale Dzsudzsák die dann für Torgefahr sorgen 1-2 Tore dadurch erziehlt werden können. Mannschaften wie Spanien England Portugal mit viel Ballbesitz hohen Außenverteidiger um den Strafraum spielend aber ohne die ganz große Gefahr und vorallem wenig Tore. Es entstehen für diese EM diese typischen „langweiligen Spiele“

Meine eigentliche Frage an euch, warum ist diese EM bisher anders als die Jahre davor, taktisch geprägter, weniger Tore (ich glaub die ersten 13 Spiele unter 3,5 Tore) so ein kleines zwischen Fazit EM 2016 Vorrunde fänd ich klasse, DANKE

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FAB 23. Juni 2016 um 11:28

Ich finde „taktisch geprägter“ trifft es eigentlich überhaupt nicht. Es ist doch eher so, dass sich viele Manschaften einfach nur hinten reinstellen oder zumindest die Stabilität sehr stark betonen. Ob der Modus dazu beiträgt? Ein bißchen. Das Problem sehe ich aber eher in den sehr großen Qualitätsunterschieden der Mannschaften. Dass dann einige Mannschaften diesem vermeintlichen Qualitätsunterschied nicht gerecht werden ist ein anderes Thema, aber er ist halt erstmal da in der Einschätzung und prägt viele der Spiele. Das Fazit ist doch eher, dass insbesondere die körperbetonten britischen Mannschaften am meisten von dem Modus bzw. von dieser ungleichen Zusammenstellung der Mannschaften profitiert haben. Das hat jetzt weniger mit Taktik zu tun. Ich denke aber, dass wir ab jetzt sehr viel Taktik zu sehen bekommen und dadurch dass jetzt die Favoriten und die Außenseiter jeweils einen Finalisten ausspielen, wird die KO Runde auf jeden Fall spannender.

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koom 23. Juni 2016 um 13:28

Taktisch geprägter würde ich auch nicht sagen.

Die Qualitätsdichte bei der EM war schon immer etwas dichter als vglw. zur WM, weil die Stile sich sehr ähneln. Bei einer WM hat man ja allein auch schon Vertreter von Kontinenten, auf denen Fußball nicht so sehr Sportart Nr. 1 ist, demzufolge ist dort auch die Leistung im Schnitt schlechter.

In Europa hat sich zudem mehr denn je auch eine gute Defensivarbeit weit verbreitet. Tief stehen, gutes Rausrücken, Deckungsspiel, Strafraumverteidigung, dadurch relativ gutes Pressing – und das alles als tief sitzende Basis. Man hat kaum noch Teams, wo es Stehgeiger vorne gibt, die nur auf eine Flanke warten. Zudem ist Umschaltfußball in fast jeder Liga eine „Marke“, vielleicht noch am wenigsten in Spanien. Ergo haben wir Teams aus Einzelspielern, die im Verein wahrscheinlich Umschaltfußball praktizieren. Und bei einem Turnier ist es sowieso immer sinnvoll, erst mal den Kasten sauber zu halten.

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RoyalBlue 21. Juni 2016 um 15:56

Fand die Engländer wirklich richtig cool. Neben den angesprochenen taktischen Dingen fand ich auch die individuellen Leistungen diesmal erwähnenswert. Bei Wilshere hat man endlich mal wieder gesehen welch riesiges Talent der Junge hat. So viel Pressingresistenz sieht man im Weltfußball nicht so wahnsinnig häufig. Dazu Lallana, der sich als flexibler Verbindungs- und Kombinationsspieler in eigentlich allen Räumen auch schon unter Klopp ganz gut gemacht hat. Und selbst Dier hat mir diesmal gefallen. In den ersten Spielen fand ich seine zurückfallenden Bewegungen noch arg kontextlos, aber in diesem Spiel war das schon um einiges besser, außerdem hat er einige sehr gute hohe Diagonalbälle gespielt.

Insgesamt ist das in allen taktischen und personellen Bereichen ein gutes bis sehr gutes Team, nur fehlt halt überall auch ein Schritt hin zur Weltklasse. Kann mir deshalb auch noch nicht so ganz vorstellen, wie man einen der Top-Favoriten ärgern könnte (vielleicht Frankreich), aber in den nächsten Jahren könnte das ein ernsthafter Titelkandidat werden.

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HK 21. Juni 2016 um 13:39

Fazit nach drei Spielen der Engländer: Zum ersten Mal seit gefühlt Dekaden kann man die Mannschaft wieder anschauen.
Diese langsame, schwerfällige und müde Herumgerumpele vermeintlicher Superstars scheint überwunden. Ob es für dieses Mal zu größeren Ehren reicht sei dahingestellt. Aber langfristig könnte das mal wieder eine Mannschaft mit Perspektive sein.

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